Wald ist wichtig fürs Klima, das ist unbestritten, aber es gibt ein paar Irrtümer, die dazu führen, dass hier manche, zB
@Darkhorizon die Verminderung des CO2-Ausstosses für weniger wichtig halten und das Augenmerk nur auf den Wald richten.
Zitat:
Eine neue Studie von Forschern der ETH Zürich hatte weltweit für Schlagzeilen gesorgt (
Bastin et al. 2019). Es geht um Bäume. Die Forscher hatten sich die Frage gestellt: wieviel Kohlenstoff könnten wir speichern, wenn wir überall dort auf der Welt Bäume pflanzen, wo das Land nicht schon für Ackerbau oder Städte genutzt wird? Da die Blätter der Bäume diesen Kohlenstoff in Form von Kohlendioxid – CO2 – aus der Luft ziehen und dann den Sauerstoff – O2 – wieder freigeben, ist das eine tolle Klimaschutzmaßnahme. Die Forscher kamen auf 200 Milliarden Tonnen Kohlenstoff – vorausgesetzt wir pflanzen über tausend Milliarden Bäume.
Der Knalleffekt der neuen Studie beruhte vor allem auf der Aussage der
Pressemitteilung der ETH,
Bäume könnten damit zwei Drittel der bisherigen menschengemachten CO2-Belastung ausgleichen. Die Folgen von über zwei Jahrhunderten industrieller Entwicklung mit einer derart simplen und wenig kontroversen Maßnahme zum größten Teil ausgleichen zu können – das klingt wie ein Wunschtraum! Und wurde umgehend begrüßt von jenen, die von Klimaschutz träumen, der niemandem weh tut:
Leider ist es auch zu schön um wahr zu sein. Denn dabei werden Äpfel mit Birnen verglichen und wichtige Rückkopplungen im Erdsystem vergessen. Mit ein paar Grundfakten zum CO2-Anstieg in unserer Atmosphäre ist das leicht zu verstehen.
Die Menschheit pustet derzeit jährlich 11 Milliarden Tonnen Kohlenstoff (Gigatonnen C, abgekürzt GtC) in Form von CO2 in die Luft – Tendenz steigend. Diese 11 GtC entsprechen 40 Gigatonnen CO2, weil das CO2-Molekül 3,7-mal schwerer ist als nur das C-Atom. Seit dem Jahr 1850 waren es insgesamt 640 GtC – davon 31 % durch Landnutzung (meist Abholzung), 67 % durch fossile Energienutzung und 2 % sonstige Quellen. All diese Zahlen sind vom
Global Carbon Project, einem internationalen Forscherkonsortium, das sich dem Monitoring von Treibhausgasen widmet.
Willeit et al. 2019). Das ist der Hauptgrund der fortschreitenden Erderhitzung; der Treibhauseffekt von CO2 ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt, physikalisch verstanden und in der Wissenschaft völlig unumstritten.
Doch jetzt kommt’s: dieser CO2-Anstieg in der Luft entspricht nur einer Gesamtmenge von knapp 300 GtC, obwohl wir 640 GtC emittiert haben! Das bedeutet: zum Glück ist nur weniger als die Hälfte unserer Emissionen in der Luft geblieben, der Rest ist von Ozeanen und Wäldern aufgenommen worden. Was nebenbei auch der Beweis dafür ist, dass der CO2-Anstieg in der Atmosphäre komplett vom Menschen verursacht wurde.
Das zusätzliche CO2 kommt nicht etwa aus dem Ozean oder anderswo aus der Natur – lassen Sie sich da keinen Bären von der AfD aufbinden. Das Gegenteil stimmt: das natürliche Erdsystem zieht einen Teil unserer CO2-Belastung wieder aus der Atmosphäre heraus.
Umgekehrt bedeutet das aber auch: wenn wir 200 GtC aus der Atmosphäre herausholen, dann nimmt die Menge in der Atmosphäre nicht um 200 GtC ab, sondern um deutlich weniger, weil Ozeane und Wälder auch dies abpuffern. Auch das ist in der Fachliteratur schon genauer untersucht worden (
Jones et al. 2016). Sinnvoller ist es daher, die CO2-Aufnahme von gepflanzten Bäumen als „negative Emission“ zu betrachten und mit unseren sonstigen Emissionen zu vergleichen. Die 200 GtC wären weniger als ein Drittel der 640 GtC Gesamtemissionen, nicht zwei Drittel. Und die Autoren der neuen Studie sprechen davon,
dass es fünfzig bis hundert Jahre dauern würde, bis die tausend Milliarden Bäume 200 GtC gespeichert haben –
im Schnitt wären das also 2 bis 4 GtC pro Jahr, um die unser derzeitiger Ausstoß von 11 GtC jährlich reduziert würde. Also um rund ein Fünftel bis ein Drittel – und dieser Anteil wird kleiner wenn die Emissionen weiter wachsen. Das klingt schon ganz anders als die Aussicht, gleich zwei Drittel des Klimaproblems mit Bäumen zu lösen. Und gerade weil Aufforsten sehr lange dauert sollte es tabu sein, heute noch alte ausgewachsene Wälder wie den Hambacher Wald abzuholzen, die große Kohlenstoffspeicher und eine wertvolle Schatzkammer der biologischen Vielfalt sind.
Dazu kommt noch ein Problem, das die Autoren nicht erwähnen: ein erheblicher Teil des für die Pflanzung infrage kommenden Landes liegt im hohen Norden in Alaska, Kanada, Finnland und Sibirien. Dort kann man zwar auch mit Bäumen Kohlenstoff speichern, wenn auch sehr langsam – aber für das Klima wäre das sogar kontraproduktiv. Denn in schneereichen Gegenden sind Wälder viel dunkler als schneebedeckte unbewaldete Flächen. Während letztere viel Sonnenstrahlung ins All zurückspiegeln, nehmen die Wälder sie auf und heizen damit netto die Erwärmung an statt sie zu reduzieren.
Bala et al. 2007,
Perugini et al. 2017). Eine verstärkte Erwärmung gerade der arktischen Permafrostgebiete wäre alles andere als ratsam, denn im Permafrost schlummert mehr Kohlenstoff als in allen Bäumen der Erde zusammen:
rund 1.400 GtC. Diesen schlafenden Riesen sollten wir keinesfalls wecken.
Und es gibt noch weitere Fragezeichen. Die Forscher haben auf hoch aufgelösten Satellitenkarten mit Hilfe von Google Earth analysiert, wo es geeigneten Platz für Wald gibt, auf dem derzeit keiner wächst, und dabei Ackerland und Städte ausgespart. Mit Hilfe von Machine-Learning-Technologie wurden naturbelassene Flächen weltweit daraufhin ausgewertet, unter welchen Klima- und Bodenbedingungen Wald gedeihen kann. Die so gefundenen freien und geeigneten Landflächen belaufen sich auf 1,8 Milliarden Hektar – so viel wie die Fläche von China und den USA zusammen.
Bei vielen dieser Flächen dürfte es aber gute Gründe geben, warum dort kein Wald steht. Oft handelt es sich einfach um Weideflächen – dem entgegnen die Autoren, dass sie dort nur einen losen Baumbesatz angenommen haben, der für die Weidetiere sogar förderlich sein könnte. Das norddeutsche oder irische Weideland würde dann eher einer Savanne ähneln. Dennoch dürfte es auf vielen dieser Flächen erhebliche Hindernisse ganz unterschiedlicher Art geben, die aus der Vogelperspektive der Satelliten nicht ersichtlich sind. Auch die Autoren der Studie schreiben, dass es unklar ist, wie viel der gefundenen Flächen tatsächlich für Pflanzungen verfügbar wären.
Daher halte ich es noch für optimistisch, wenn auch nur die Hälfte des berechneten theoretischen Potenzials in der Praxis realisierbar ist. Dann sprechen wir von 1-2 GtC negativer Emissionen pro Jahr. Aber gerade die werden wir demnächst dringend brauchen. Denn die jetzigen globalen CO2-Emissionen können zwar durch Energie-, Wärme- und Mobilitätswende um
80-90 % verringert werden – aber es wird ein Rest bleiben, den wir nicht wegbekommen (z.B. aus der Landwirtschaft, industriellen Prozessen und Fernflügen) und den wir ausgleichen müssen, um das Weltklima zu stabilisieren.
Die Studie der ETH-Forscher hat aber noch ein weiteres wichtiges Ergebnis, über das kaum berichtet wurde. Ohne effektiven Klimaschutz wird die fortschreitende Erwärmung zu einem massiven Verlust von existierendem Waldbestand führen, vor allem in den Tropen. Dabei können die Modelle noch keine belastbaren Aussagen dazu machen, wie Wälder in einem sich ändernden Klima mit neuen Extremen, Feuer, tauendem Permafrost, Insekten, Pilzen und Krankheiten zurechtkommen.
Das massive Pflanzen von Bäumen weltweit ist also ein Projekt, das wir rasch anpacken sollten – nicht mit Monokulturen sondern sorgfältig, naturnah und nachhaltig. Nur darf man sich keinen Wunschträumen darüber hingeben, wie viele Milliarden Tonnen das bringen wird. Und schon gar nicht der Illusion, man könnte sich deshalb beim Ausstieg aus der fossilen Energienutzung mehr Zeit lassen.
Im Gegenteil – wir brauchen das rasche Ende der fossilen Energienutzung gerade auch deshalb, um die vorhandenen Wälder der Erde zu bewahren. Quelle