Der Umgang mit dem Tod im 21. Jahrhundert

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chaya_wien

Guest
Gerne wird der "Tod" ausgeblendet, verdrängt. Bis zu dem Zeitpunkt, wo er im Raum steht und jemanden auslöscht, den wir geliebt haben, mit dem wir verbunden waren. Dann wissen wir: wir haben aus Ängstlichkeit verdrängt und irgendwie gehofft, dass dieser Moment, wo wir mit der Endgültigkeit konfrontiert werden, niemals kommt. Aber er kommt zu jedem, zu den einen sehr früh, zu den anderen später, aber er ist unausweichlich.
Und wenn jemand sehr früh stirbt, dann erscheint uns der Tod wie ein grausamer, fataler Irrtum, tatsächlich gibt es aber nie den richtigen Zeitpunkt dafür, nur für den Verstand ist manches leichter zu akzeptieren, anderes schwieriger.
Wir suchen dann Trost: in Büchern, in Liedern, in Gebeten, in Meditationen, oder Gesprächen, einer Umarmung. Trotzdem ist von dem Moment an, wo der Tod heftig in unser Leben getreten ist, bleibend irgendwas anders. Ein Riß ist da. Wir fühlen uns verwundbar. Wir wachen öfters auf und haben Angst davor, dass der Tod uns vielleicht morgen schon wieder jemanden "wegnimmt", den wir lieben. Wir sind furchtsame, zutiefst erschrockene Wesen in Angesicht des Todes, obwohl er von Anfang an zu uns gehört, kaum, dass wir mit dem ersten Schrei begonnen haben, daran geknüpft ist schon die Tatsache unserer letzten Atemzugs. Früher oder später. Irgendwann einmal.
Warum erscheint mir der Umgang mit dem Tod im 21. Jahrhundert irgendwie großteils falsch? Warum reagieren wir mit Furcht, Lähmung, Entsetzen, warum stirbt ein Teil von uns, wenn die, die wir lieben, vor uns gehen? Warum begegnen wir dem Tod nicht mit derselben Selbstverständlichkeit, wie dem Leben? Weil er uns unsere eigene Sterblichkeit vor Augen führt? Weil wir nicht loslassen können? Weil wir glauben, es muss immer alles so weitergehen und sein, wie es derzeit ist? Warum ist der Tod ein Drama? Kann es auch anders sein? Theoretisch ja, aber tatsächlich wohl nie.
Wie sollen wir dem Tod begegnen? Wie können wir von unseren Ängsten lassen? Warum klagen wir Gott an, wenn jemand stirbt, den wir lieben? Warum meinen wir ein Recht auf das Leben zu haben, unser eigenes, derer, die wir lieben? Nehmen wir uns zu wichtig?
Andererseits - was bleibt von einem übrig, wenn eines Tages fast alle, die wir geliebt, mit denen wir gelebt haben, gestorben sind? Sind wir dann nur mehr in Erinnerungen, im Gefühl verbunden mit denen, die einst faßbar waren und dann zu einer Idee werden, einer Emotion, von der wir nie wissen, ob sie tatsächlich ist, ob wir tatsächlich eine Antwort bekommen, oder ob das alles nur mit uns, unserem inneren Theater zu tun hat?
Worum fühlen wir uns betrogen? Haben wir doch gar keinen Anspruch auf irgendwas, oder? Warum meinen wir, wenn wir Gott lieben, dass wir dann vom Tod verschont werden? Ist das nicht eigentlich Irrwitz? Denn tatsächlich gibt es ja nie den richtigen Zeitpunkt und somit müsste Gott alle ewig lassen...auf Erden.
 
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Wir wachen öfters auf und haben Angst davor, dass der Tod uns vielleicht morgen schon wieder jemanden "wegnimmt", den wir lieben.

Ich persönlich halte den Tod eines geliebten, nahestehenden Menschen sogar für furchtbarer als den eigenen Tod. Denn wenn ich jemanden verliere, der elementarer Teil meines Herzens wurde, wird er mir unwiederbringlich entrissen und ich erleide Trauer und Qualen. Sterbe ich jedoch selbst, ist zumindest das irdische Dasein (einschließlich allen weltlichen Leides) beendet.

Warum reagieren wir mit Furcht, Lähmung, Entsetzen, warum stirbt ein Teil von uns, wenn die, die wir lieben, vor uns gehen? Warum begegnen wir dem Tod nicht mit derselben Selbstverständlichkeit, wie dem Leben? Weil er uns unsere eigene Sterblichkeit vor Augen führt? Weil wir nicht loslassen können? Weil wir glauben, es muss immer alles so weitergehen und sein, wie es derzeit ist? Warum ist der Tod ein Drama? Kann es auch anders sein? Theoretisch ja, aber tatsächlich wohl nie.

Im Grunde beantwortest Du Deine interessanten Fragen selbst. Der Tod ist etwas gänzlich Unbekanntes, das demzufolge auch mit Angst verbunden ist. Auch fürchten wir vermutlich die von Dir ebenfalls angesprochene Unerbittlichkeit und Gnadenlosigkeit des Todes, auch seine Allmacht, mit der er selbst geschätzte und ehrvolle Menschen zuweilen jäh und leidvoll dem Leben entreißt. Er hat kein Verständnis, kennt keine Gerechtigkeit, versteht keinen Spaß. Er ist absolut, definitiv. Er trifft Böse und Gute. Er beendet Bekanntes, Vertrautes. Er leitet Veränderungen ein. Wandlungen fürchten viele, denn diese bringen oftmals viel Neues mit sich und sind mit dem Abschied von Altem verknüpft. Auch erfordern Veränderungen ein gewisses Maß an Selbstständigkeit, um mit neuen Situationen umzugehen, was so mancher vielleicht nicht aufbringt oder sich nicht zutraut.

Mit dem Symbol des Todes ist man als sterbliches Wesen ungern konfrontiert, weil es unbewusste Ängste vor dem eigenen Ableben und vor Veränderung aktualisiert, weil es vielleicht auch Trauergefühle auslöst hinsichtlich bereits Verstorbener. Die Verdrängung hilft vielen, mit der Tatsache des Todes zu leben, der im Grunde jeden jederzeit ereilen könnte.

Wie sollen wir dem Tod begegnen? Wie können wir von unseren Ängsten lassen?

Das beste Mittel gegen den Tod ist das Leben. Es gibt den Spruch: "Wer den Tod fürchtet, hat das Leben verloren." Wer erfüllt lebt, denkt kaum ans Sterben. Er ist voller Lebensenergie und -willen. Ich glaube, dass derjenige, der seinem Leben eine individuelle Gestalt verlieh, der sich mit seiner Identität und seinen Talenten einbrachte, der seinen Sinn fand und ihn erfüllte, wesentlich leichter Abschied nehmen und die Realität des Todes akzeptieren kann als derjenige, welcher aufgrund von Lebensunfähigkeit sein eigenes Potential fixiert und zurückhält. Letztere Personen sind aufgrund fehlender Selbstentfaltung voller Enttäuschungen und Erwartungen. Ihnen fällt es gewiss schwerer, den Tod anzunehmen.

PS: Zum letzten Gedanken möchte ich ein aus meiner Sicht passendes Gedicht von Joseph von Eichendorff anschließen:

Im Abendrot


Wir sind durch Not und Freude
gegangen Hand in Hand,
vom Wandern ruhn wir beide
nun überm stillen Land.

Rings sich die Täler neigen,
es dunkelt schon die Luft,
zwei Lerchen nur noch steigen
nachträumend in den Duft.

Tritt her, und lass sie schwirren,
bald ist es Schlafenszeit,
dass wir uns nicht verirren
in dieser Einsamkeit.

O weiter, stiller Friede!
So tief im Abendrot
wie sind wir wandermüde-
ist das etwa der Tod?
 
Worum fühlen wir uns betrogen? Haben wir doch gar keinen Anspruch auf irgendwas, oder? Warum meinen wir, wenn wir Gott lieben, dass wir dann vom Tod verschont werden? Ist das nicht eigentlich Irrwitz? Denn tatsächlich gibt es ja nie den richtigen Zeitpunkt und somit müsste Gott alle ewig lassen...auf Erden.

Als Kind fand ich es furchtbar ungerecht, das meine Eltern schon so alt waren. Und das machte mir regelmäßig dermaßen zu schaffen, das ich manchmal halbe Nächte wach lag und mir die Augen aus dem Kopf heulte, weil ich befürchtete, sie könnten plötzlich einfach nicht mehr da sein.

Irgendwann in der Pubertät hat sich das gelegt. *gg*

Ich habe keine persönliche Beziehung zum Thema Tod.
 
Warum klagen wir Gott an, wenn jemand stirbt, den wir lieben? Warum meinen wir ein Recht auf das Leben zu haben, unser eigenes, derer, die wir lieben? Nehmen wir uns zu wichtig?

Ach, dazu fällt mir noch etwas ein: Der Tod beraubt die Menschen der Personen, die ihnen nahestanden. Das macht aggressiv und wütend, denn wenn man jemandem etwas wegnimmt, das ihm sehr bedeutsam ist, tritt als Reaktion oft Wut oder Zorn auf. Da der Tod aber keine Person ist, sondern im Grunde nur die Folge eines biologischen Prozesses, sucht der Mensch sich andere Projektionsflächen, auf denen er seine Aggressivität abreagieren kann... In Frage kommen das personifizierte Schicksal, Götter, dämonische Mächte und Vergleichbares. So gehen Menschen mit ihrer Verzweiflung und ihrer Wut um...

Und ja... Menschen nahmen sich generell immer sehr wichtig. Deshalb stießen das heliozentrische Weltbild, das die Menschheit aus dem Zentrum des Universums rückte, und auch die Evolutionstheorie, die dem Menschen einen speziellen Status im Reich des Lebendigen stahl, auf so heftige Kritik emotionaler Charakters. Eine Überbetonung des Selbst und der eigenen Spezies hilft, mit Unsicherheit, Bedeutungslosigkeit, Zufälligkeit und Beliebigkeit psychisch umzugehen.^^
 
Ich kann mit dem Tod und Verlust meines Vaters bis heute nicht umgehen.
Es ist nicht einfach bei meinen eigenen Kindern einen neuen Weg zu suchen und zu gehen, denn von meinen Eltern habe ich kein "Werkzeug" im Leben mitbekommen.
Ich werde mein bestes tun, damit meine Kinder eine Beziehung zum Tod auf ihrem Lebensweg mitbekommen.
Wie das genau aussehen soll, weiss ich noch nicht.
Aber eines habe ich für mich festgestell...
Als erstes muss ich den geistigen Weg zum Tod für mich finden und heilen. Unsere Ahnen haben uns so viel hinterlassen. Vielleicht endlich mal das Geschenk auspacken.
 
Danke für eure Antworten.:)

@Sadira: ich glaube man kann nie, egal woran man glaubt, oder wovon man überzeugt ist, dieser Erschütterung entkommen, die Frage ist eher, was daraus wird im Laufe von Jahren. Ein natürlicherer Umgang wäre ja nicht einer ohne Trauer, sondern vielleicht mehr einer ohne Leugnung des Themas Sterblichkeit und Verfall, das wird ja nur allzu gerne ausgeklammert, bis es einem zum ersten Mal widerfährt.
 
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Der tot eines nahestehenden Menschen verändert unser leben auf unwiderrufbare Art und Weise, denn für uns wird es nie mehr so sein, wie es mal war.
Mein Papa verstarb noch vor meiner Geburt. Selbst wenn ich ihn nicht kannt, veränderte es mein komplettes leben- machte es vielleicht sogar möglich und trotzdem macht es mich manchmal ganz schön traurig, dass da nie wer für mich da war.
 
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