Der Briefe schreibende Paulus

Hermann Detering: Der gefälschte Paulus

Kapitel 1:
Die Erforschung der Paulusbriefe
als Geschichte der Entdeckung ihrer Fälschung
Das Interesse erwacht

(1.1 )​

Lange Zeit war mein Interesse an Person und Werk des Mannes, dem die folgenden Seiten gewidmet sind, nicht besonders groß. Schon während meines Theologiestudiums fiel es mir schwer, mich mit dem Mann aus Tarsus anzufreunden. Er stand für mich, wie für so viele andere Theologiestudenten, noch ganz im Schatten des anderen Mannes aus Galiläa.

Mein Interesse an ihm glich dem Interesse an dem Freund eines guten Freundes. Obwohl man nicht weiß, wie man mit ihm umgehen soll, kann man ihn aus reiner Höflichkeit auch nicht ganz ignorieren. Dass mein Interesse an dem Apostel dennoch eines Tages erwachte, hatte weniger mit dem Mann selbst zu tun, als damit, dass noch während meiner Studienzeit der Glanz, der die strahlende Gestalt Jesu umgab, zu schwinden begann.

Es war nicht so, dass die Person Jesu ihre Faszination und ihr Geheimnis verloren hätte. Aber es ließ sich nicht leugnen, dass das Bild des Mannes aus Nazareth, das mir zu Beginn meines Theologiestudiums so anschaulich vor Augen gestanden hatte, mit zunehmender Auseinandersetzung mit den historischen Quellen immer blasser und unklarer wurde.
 
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Kapitel 1:
Die Erforschung der Paulusbriefe
als Geschichte der Entdeckung ihrer Fälschung
Das Interesse erwacht

(1.2 )​

Schon in den Einführungsseminaren lernten wir, dass nur sehr wenig von dem, was uns im Zusammenhang mit Jesus überliefert wurde, wirklich auf den historischen Jesus zurückgeht. Wir hörten, dass die Lehren und Äußerungen Jesu sowie ein Teil des erzählerischen Materials spätere kirchliche Konstruktionen darstellen.

Die Evangelien als Ganzes waren also keine zuverlässigen Augenzeugenberichte, sondern Kerygma, d.h. Verkündigung, Glaubensbekräftigung. Stattdessen hätte man auch sagen können "fromme Phantasie". Aber niemand wagte eine solche Aussage. [15] Und es wäre der Sache sicher nicht wirklich gerecht geworden. Wie dem auch sei wie dem auch sei, das Bild des real-historischen Jesus blieb hinter hinter den späteren "Kirchenkonstruktionen" kaum erkennbar.
 
Hermann Detering: Der gefälschte Paulus

Kapitel 1:
Die Erforschung der Paulusbriefe
als Geschichte der Entdeckung ihrer Fälschung
Das Interesse erwacht

(1.3 )​

Was uns unsere theologischen Lehrer über die Unmöglichkeit,
den historischen Jesus zu kennen (von dem wir nicht mehr wissen, als dass es ihn gegeben hat),
und über die schöpferische Phantasie der christlichen Gemeinden nach Jesus lehrten,
war für viele Studenten schockierend.

Obwohl mein persönliches Verhältnis zum "Herrn Jesus"
immer von freundlicher Zurückhaltung
und eher norddeutscher Kühle geprägt war,
konnte auch ich nicht leugnen, etwas verunsichert zu sein.

Entscheidend an der ganzen Angelegenheit war,
dass die historischen Argumenten, die unsere Lehrer
gegen die Echtheit bestimmter Lehren und Geschichten Jesu vorbrachten,
für mich sofort einleuchtend waren
und ich im Gegensatz zu anderen Studenten
schon nach wenigen Tagen damit einverstanden war.
 
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Kapitel 1:
Die Erforschung der Paulusbriefe
als Geschichte der Entdeckung ihrer Fälschung
Das Interesse erwacht

(1.4 )​

Es konnte kein Zweifel daran bestehen,
dass die historischen Konturen des "Mannes aus Nazareth"
durch die spätere Überlieferung so ausgelöscht worden waren,
dass sie nicht mehr zu erkennen waren.

Wer also von dem historischen Menschen Jesus
eine Art Leitfaden oder Wegweiser für das Hier und Jetzt erwartete,
musste immer mit der Tatsache abfinden, dass das,
was als authentische Äußerung Jesu vorgestellt wird,
in Wahrheit gar nicht von ihm stammt.
 
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Kapitel 1:
Die Erforschung der Paulusbriefe
als Geschichte der Entdeckung ihrer Fälschung
Das Interesse erwacht

(1.5)​

Damals stieß ich in diesem Zusammenhang zum ersten Mal auf ein Problem,
das mich auch später immer wieder beschäftigen sollte,
nämlich das Verhältnis von Geschichte und Glaube.

Ich hatte immer die Ansicht vertreten,
dass mein persönlicher Glaube unabhängig sein muss von dem,
was 2000 Jahre zuvor in Palästina geschah (oder nicht geschah).

Ein Glaube, der sich auf bestimmte historische Erkenntnisse stützt,
die von einem Tag auf den anderen von Historikern völlig anders dargestellt werden können
, erschien mir als eine höchst fragwürdige Angelegenheit
und unvereinbar mit dem Wesen des Glaubens,
der eine tiefe Gewissheit über existentielle (nicht historische) Grundwahrheiten sein sollte.
 
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Kapitel 1:
Die Erforschung der Paulusbriefe
als Geschichte der Entdeckung ihrer Fälschung
Das Interesse erwacht

(1.5)​

Damals stieß ich in diesem Zusammenhang zum ersten Mal auf ein Problem,
das mich auch später immer wieder beschäftigen sollte,
nämlich das Verhältnis von Geschichte und Glaube.

Ich hatte immer die Ansicht vertreten,
dass mein persönlicher Glaube unabhängig sein muss von dem,
was 2000 Jahre zuvor in Palästina geschah (oder nicht geschah).

Ein Glaube, der sich auf bestimmte historische Erkenntnisse stützt,
die von einem Tag auf den anderen von Historikern völlig anders dargestellt werden können
, erschien mir als eine höchst fragwürdige Angelegenheit
und unvereinbar mit dem Wesen des Glaubens,
der eine tiefe Gewissheit über existentielle (nicht historische) Grundwahrheiten sein sollte.
Und nun? Du kannst es nicht wissen weil die Überlieferungen nicht Echt sind. Jetz bist du in einer Sackgasse. ... Glaube ist ja desshalb ein Glaube, weil man es nicht beweisen kann, sonst wäre es ja wieder wissen. Musst du wissen um glauben zu können? Wie willst du das Lösen?
 
Und nun? Du kannst es nicht wissen weil die Überlieferungen nicht Echt sind. Jetz bist du in einer Sackgasse. ... Glaube ist ja desshalb ein Glaube, weil man es nicht beweisen kann, sonst wäre es ja wieder wissen. Musst du wissen um glauben zu können? Wie willst du das Lösen?
Es ging in der Glaube in einer Geschichte, welche nachweislich nicht stimmt.
Hermann Detering erklärt weiter:

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Das Interesse erwacht

(1.6)​

An der Universität wurde mir nun aber bewusst, dass zumindest der christliche Glaube eine ausgeprägte geschichtliche Neigung besitzt. Das wird schon im "apostolischen" Glaubensbekenntnis [16], das in seinem sogenannten zweiten Artikel reine "historische" Tatsachen (oder zumindest Tatsachen, die von der Kirche als historisch vorgestellt werden):
"Ich glaube an Jesus Christus ...
geboren von der Jungfrau
Maria,
unter Pontius Pilatus
gelitten,
gekreuzigt, gestorben und begraben..."

Somit hatte der Verlust der historischen Gewissheit über die Person des Jesus von Nazareth zur Folge,
dass ich mich allmählich von Jesus ab- und dem "historischen" Paulus zuwandte.
Das spiegelte das Bedürfnis nach einer stärkeren historischen Bestätigung des Glaubens wider.
Ich wollte wissen, wie die Anfänge des christlichen Glaubens aussahen.
 
Es ging in der Glaube in einer Geschichte, welche nachweislich nicht stimmt.
Hermann Detering erklärt weiter:

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Die Erforschung der Paulusbriefe
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Das Interesse erwacht

(1.6)​

An der Universität wurde mir nun aber bewusst, dass zumindest der christliche Glaube eine ausgeprägte geschichtliche Neigung besitzt. Das wird schon im "apostolischen" Glaubensbekenntnis [16], das in seinem sogenannten zweiten Artikel reine "historische" Tatsachen (oder zumindest Tatsachen, die von der Kirche als historisch vorgestellt werden):
"Ich glaube an Jesus Christus ...
geboren von der Jungfrau
Maria,
unter Pontius Pilatus
gelitten,
gekreuzigt, gestorben und begraben..."

Somit hatte der Verlust der historischen Gewissheit über die Person des Jesus von Nazareth zur Folge,
dass ich mich allmählich von Jesus ab- und dem "historischen" Paulus zuwandte.
Das spiegelte das Bedürfnis nach einer stärkeren historischen Bestätigung des Glaubens wider.
Ich wollte wissen, wie die Anfänge des christlichen Glaubens aussahen.
Achso, ich dachte du hast über diese Kapitel geschrieben, dabei sind das alles Zitate. ..
 
Hermann Detering: Der gefälschte Paulus

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Die Erforschung der Paulusbriefe
als Geschichte der Entdeckung ihrer Fälschung
Das Interesse erwacht

(1.7)​

Außerdem hoffte ich, dass von der Gestalt des Paulus,
von dem ich annahm, dass er im vollen Licht der Geschichte stand,
auch ein erhellender Lichtstrahl auf die Person des "Nazareners" fallen würde,
der zwischen kerygmatischer Erscheinung und historischer Existenz hin und her pendelte.

Leider musste ich sehr schnell feststellen, dass diese Hoffnung schwer zu erfüllen sein würde.
Seltsamerweise wurde bald deutlich, dass Paulus als Zeitgenosse des historischen Jesus,
überhaupt nichts über ihn zu sagen hatte.
 
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Die Erforschung der Paulusbriefe
als Geschichte der Entdeckung ihrer Fälschung
Das Interesse erwacht

(1.8)​

Bei näherer Betrachtung enthalten seine Briefe praktisch keine Aussagen über die historische Gestalt Jesus.
Der Theologe G. Bornkamm spricht in seinem bekannten Buch über Paulus von dem "erstaunlichen Sachverhalt", dass "Paulus" nirgends spricht
von dem "Rabbi aus Nazareth",
dem "Propheten und Wundertäter"
der mit Steuereintreibern und Sündern "aß",
oder von "seiner Bergpredigt",
"seine Gleichnisse" über "das Reich Gottes",
und "seine Begegnungen" mit Pharisäern und Schriftgelehrten.
 
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