Datenspeicher für alle Bürger kommt

calumet

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Übersicht aus einem Artikel der "Presse"

1. Welche Art von Kommunikationsdaten landen auf Festplatte?

Stark vereinfacht wird in naher Zukunft systematisch vermerkt, wer zu welchem Zeitpunkt von wo aus mit wem Kontakt hatte. Techniker nennen diese Art von Daten Verkehrs- oder Verbindungsdaten. Darunter fällt zum Beispiel die Nummer eines Anschlusses, von dem aus telefoniert wurde. Die Nummer ist fast immer (Ausnahme: Wertkartenhandy) einer Person zuzuordnen. Gleiches gilt auch für E-Mails und sogenannte IP-Adressen, die (vermeintlich anonym) surfende User im Internet identifizieren (solche Adressen sind durch Punkte getrennte Zahlenkolonnen, die Website der „Presse“ ist also nicht nur unter www.diepresse.com, sondern auch unter 194.232.102.3 erreichbar). Gespeichert werden die Daten nicht aufgrund eines konkreten Anlasses (etwa bei Ermittlungen gegen jemanden, der der Planung eines Terroranschlages verdächtigt wird), sondern auf Vorrat (daher Vorratsdatenspeicherung). Betroffen ist jeder, der elektronische Kommunikationseinrichtungen nutzt.

2. Was ändert sich im Vergleich zur jetzigen Regelung?

Oberflächlich betrachtet nicht viel. Im Detail bringt das neue Gesetz jedoch mehr Rechtssicherheit für die Überwachten und die Überwacher. Schon jetzt dürfen (bzw. müssen) Telefon-, Mobilfunk- und Festnetzbetreiber Verkehrsdaten speichern – etwa zum Erstellen einer detaillierten Rechnung. Das Gesetz erlaubt, die Daten „so lange wie nötig“ aufzubewahren. Faktisch kommt die Formulierung einem Freibrief gleich, den die Polizei weidlich ausnützt. Insbesondere die Halter von IP-Adressen wurden in großem Umfang, ohne richterliche Kontrolle und bis weit in die Vergangenheit reichend ausgeforscht.

Das neue Gesetz beschränkt die Speicherdauer dieser Daten auf sechs Monate. Die Analyse einer IP-Adresse soll nur noch nach Kontrolle seitens des Staatsanwaltes und eines Rechtsschutzbeauftragen erlaubt sein. Für die Verbindungsdaten einer Telefonnummer braucht es einen richterlichen Beschluss. Anders als jetzt sind Provider künftig dazu verpflichtet, Zugriffe auf diese Datenbestände zu protokollieren und mit normierten Sicherheitssystem zu versehen. Die Datenschutzkommission kontrolliert das.

3. Darf die Polizei künftig deshalb meine E-Mails lesen?

Nein. Oder besser gesagt: nicht unter dem Stichwort Vorratsdatenspeicherung. Für den Text eines E-Mails oder den Inhalt eines Gesprächs gelten sehr strenge Schutzbestimmungen (Telekommunikationsgeheimnis). Derartige Überwachungen ordnet ein Richter jedoch nur im Einzelfall und bei sehr schweren Delikten und/oder Verdachtsmomenten an. Kritiker der Speicherung auf Vorrat bemängeln aber, dass sich auch auf Basis der weniger streng geschützten Verkehrsdaten Rückschlüsse auf deren Inhalt ziehen ließen. Etwa dann, wenn ein Überwachter regelmäßig mit einer bestimmten politischen Gruppierung oder einem auf HIV-Infektionen spezialisierten Arzt telefoniert. In beiden Fällen wären schutzwürdige Interessen des Betroffenen verletzt (politische Orientierung, Gesundheit). Ebenfalls möglich ist die Analyse des Kommunikationsverhaltens einer Person. Damit kann das komplette soziale Netzwerk des Betroffenen offengelegt werden, die Methode eignet sich zur Erstellung von Täterprofilen.

4. Wer will die Vorratsdatenspeicherung überhaupt?

Ihren Ursprung hat die Idee in einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006, die auf den Terroranschlägen von New York und Washington (2001) sowie Madrid (2004) basiert. Brüssel verpflichtete seine Mitgliedsländer, zur Abwehr von Anschlägen und schweren Verbrechen Kommunikationsdaten zwischen sechs und 24 Monate lang zu speichern. Die Frist lief 2007 aus. Österreich ist bis heute säumig. Grund für die Verzögerung ist nicht das gesteigerte Interesse der Bundesregierung an Bürgerrechten. Dem heutigen Bundeskanzler und damaligen Verkehrsminister Werner Faymann war die Richtlinie einfach kein Anliegen. Das Projekt blieb lange liegen, ehe seine Nachfolgerin Doris Bures das Wiener Ludwig Boltzmann-Institut für Menschenrechte mit der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs beauftragte. Dieser Entwurf kreist seit über einem Jahr in der Warteschleife. Dieses Mal waren politische Streitereien Anlass zur Verzögerung (siehe Artikel unten).

5. Kann man der Datenspeicherung eigentlich entkommen?

Der Speicherung nicht, der Ausforschung schon. Gerade in Städten gibt es tausende nicht gesicherte Drahtlos-Netzwerke, über die sich jeder ins Internet einloggen kann. Zum Beispiel zur Planung einer Straftat. Damit fiele der Verdacht nicht auf den eigentlichen Täter, sondern auf einen Unschuldigen, der nur zu leichtfertig mit seiner Netzinfrastruktur umgeht. Auch freie WLAN-Hotspots in Gaststätten oder anonyme Wertkartenhandys eigenen sich zur Verschleierung der Kommunikation. Vorausgesetzt, man lässt sich dabei nicht von Überwachungskameras filmen und schaltet das Mobiltelefon (Stichwort Handyortung) in der Umgebung der eigenen Wohnung immer aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2011)

Quelle des Artikels: http://diepresse.com/home/techscience/internet/634429/Datenspeicher-fuer-alle-Buerger-kommt?from=gl.home_panorama

WebStandard-Interview mit dem Obmann der ARGE Daten, Hans Zege.
"Wir steuern einem Paranoiastaat entgegen"
derStandard.at: EU-Justizkommissarin Viviane Reding warnte heute vor einer "pauschalen Datensammelwut" und versprach eine Überarbeitung der Richtlinie mit "stärkerem Datenschutz für Private". Wird das die Entscheidung des Ministerrats beeinflussen?

Zeger: Es wäre vernünftig, wenn es sie beeinflussen würde. Der europäische Zug hier ist in Bewegung und nur weil Österreich eine potenzielle Strafzahlung erwartet, macht es keinen Sinn, jetzt eine Lösung zu verabschieden, die in ein paar Monaten überholt ist. Wir haben auch schon vor Monaten gefordert, das EuGH-Urteil im Zusammenhang mit dem irischen Verfahren abzuwarten.

derStandard.at: Es gab schon in mehreren Mitgliedsstaaten negative Höchstgerichtsurteile zur EU-Richtlinie. Warum hat sich Österreich bisher nicht entgegengestellt?

Zeger: Die Österreicher haben das gemacht, was sie immer am besten tun: Sie haben sich tot gestellt. Wobei die Strategie, die in den letzten zwei Jahren gefahren wurde, für österreichische Verhältnisse geradezu mutig war: Eine EU-Richtlinie, die Überwachung anordnet, nicht überzuerfüllen, sondern sie noch nicht zu erfüllen.

derStandard.at: Welche konkreten Gefahren sehen Sie in der Speicherung der Verbindungsdaten?

Zeger: Wenn man anfängt, Daten systematisch nach verdächtigen Mustern zu durchforsten, wird man viele verdächtigte Muster, aber wenige konkrete Tatverdächtige finden. Die Gefahr ist, dass wir uns als Bürger immer öfter für unsere Taten rechtfertigen müssen, aber nicht weil sie illegal sind, sondern bloß weil sie einem verdächtigen Muster entsprechen. Das widerspricht unserer Verfassung. Die Verfassung sagt, ich darf unbeobachtet leben und erst, wenn ich mich konkret verdächtig mache, muss ich Rede und Antwort stehen. Als Instrument, um Strukturen und Netzwerke zu identifizieren, ohne auf einen Anfangsverdacht angewiesen zu sein, kann die Vorratsdatenspeicherung hervorragend ausgenutzt werden. Terroristische Täter wird man damit aber keine finden.

derStandard.at: Bis heute ist noch nicht klar, wie weit und wann die Justiz Zugriff auf die gespeicherten Daten haben soll. Wie problematisch ist das?

Zeger: Das ist ein Grundproblem der gesamten Richtlinie. Es wurde bisher nicht definiert, ab welchem Zeitpunkt ein aktiver Zugriff erlaubt sein soll. Zusätzlich wurde in Österreich noch nicht festgelegt, unter welchen Bedingungen in diesen Daten überhaupt herumgestochert werden darf und was ein "schweres" Verbrechen ist, das die Maßnahme rechtfertigt. Fast zwangsläufig besteht auch das Problem, dass, sobald die Daten da sind, sie auch missbräuchlich für Dinge verwendet werden, für die sie ursprünglich nicht gedacht waren.

derStandard.at: Als Motiv für die Vorratsdatenspeicherung gilt der Kampf gegen den Terror. Gibt es noch andere Beweggründe?

Zeger: Die Politik versucht, über Angst und geschürte Unsicherheit, Handlungsfähigkeit zu zeigen. Wird ein neuer Überwachungsdienst eingeführt, der sogar präventiv wirkt, so signalisiert eine Politik, die immer mehr in Frage gestellt wird: Wir tun was, wir sind handlungsbereit – auch oder gerade weil die wichtigen volkswirtschaftlichen Entscheidungen heute nicht mehr von der Politik getroffen werden, sondern von großen Unternehmen. Von der Gestalterfunktion wurden die Regierungen in eine Beobachterposition gedrängt. Der Wunsch, wieder ernst genommen zu werden, dürfte die stärkste Triebfeder der Politik sein.

derStandard.at: Erwarten Sie einen Aufschrei in der Bevölkerung, wenn die Richtlinie umgesetzt wird?

Zeger: Den Aufschrei der Zivilgesellschaft gibt es schon seit Jahren, er wird halt sehr wenig gehört. Die Bevölkerung insgesamt ist aber sehr autoritätsgläubig, deshalb wird es keinen breiten Aufschrei geben. Viele werden sich einfach arrangieren.

derStandard.at: Wenn in diesem ersten Schritt die Verbindungsdaten gespeichert werden, werden dann im nächsten logischen Schritt auch die vollständigen Inhaltsdaten gespeichert?

Zeger: Nein, das glaube ich nicht. Die Inhaltsdaten sind oft wertlos und nichtssagend. Interessant ist: Wer hat mit wem zu tun gehabt? Dasselbe gilt für Bankdaten, Verkehrsdaten – Wer fährt wann zu wem? Wer hält sich wo auf? Diese Dinge können automatisiert ausgewertet und nur schwer verborgen werden. Wenn zwei Verdächtige miteinander reden, können sie durch Codes Außenstehende verwirren. Dass sie miteinander geredet haben, können sie nur schwer tarnen.

derStandard.at: Gibt es einen Point of no Return, von dem aus man den Weg hin zum Überwachungsstaat nicht mehr umkehren kann? Wenn ja, haben wir ihn mit der Vorratsdatenspeicherung schon erreicht?

Zeger: Es gibt immer ein Zurück. Die Vorratsdatenspeicherung ist aber deswegen so kritisch, weil dabei – anders als bei früheren Maßnahmen und wie der Name sagt – Daten vorrätig aufgezeichnet werden. Der große Lauschangriff hat immer noch einen Tatverdächtigen vorausgesetzt. Bei Vorratsdatenspeicherung, Bewegungsprofilen etc. hingegen ist es egal, wie gesetzeskonform man sich verhält. Die Politik geht so vor: Es wird jetzt aufgezeichnet und erst später nachgeschaut, ob sich alle so verhalten haben, wie man es von ihnen erwartet. Das ist der große Bruch.

derStandard.at: Das heißt, die Bürger leben in ständiger Verdächtigung …

Zeger: Ja. Wir kommen vom Überwachungsstaat, den wir heute schon haben, zum Präventivstaat. Heute gilt noch die Unschuldsvermutung, wenn auch nur mehr als Floskel, später gilt der Schuldverdacht. Dann muss der Bürger beweisen, dass etwa ein gewisses Telefonat harmlos war. Wer mit jemandem telefoniert, der möglicherweise in einem Drogennetzwerk tätig ist, muss erst beweisen, dass er nichts mit dem Verbrechen zu tun hat. Das geht natürlich nicht. Damit steuern wir einem Paranoiastaat entgegen. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 14.2.2011)

der ganze Artikel ist hier zu lesen: http://derstandard.at/1297216314225/WebStandard-Interview-Wir-steuern-einem-Paranoiastaat-entgegen

1984?
 
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es war völlig klar, dass der gläserne mensch kommen wird.

wenn mit dieser datenspeicherung nur ein terroranschlag verhindert werden kann, ist es mE gerechtfertigt.
 
Seh darin nichts als den Weg der Menschheit, seelisch hängen wir ohnehin zusammen also irgendwann auch technisch...aber es ist nichts als unsere Kontroll/Wissenssucht die genauso wie alles andere genau dann wieder
langweilig wird wenn alles durchlebt wurde... in 100 Jahren wirds wieder keinen mehr interessieren weil es längst was anderes gibt und vor allem...die Menscheit gerade daraus wieder gewachsen ist.
Dann kommt die Einstellung, wozu alles überwachen und speichern wenns keinen mehr interessiert...weil erst bekannt wirds wieder uninteressant.
 
es war völlig klar, dass der gläserne mensch kommen wird.

wenn mit dieser datenspeicherung nur ein terroranschlag verhindert werden kann, ist es mE gerechtfertigt.

shalom,

du irrst dich gewaltig, denn der "gläserne mensch" ist schon längst da...zitterst du schon?

(du bist "erkannt" und tausendfach abgespeichert, wenn du in internet bist...weisst du das nicht?:lachen: allerdings diese flut von daten, wird niemals ein terroranschlag verhindern, da so viele daten können nur maschienen aber keine menchen verarbeiten... wir habe "überinformation")


shimon
 
klar werden wir alle abgehört und überwacht, vielleicht nach stichworten.
dazu gibt es in ö noch den mafiaparagrafen, damit kann jedes kaffeekränzchen als terrorvereinigung hoppgenommen werden.
so bereits geschehen mit einer gruppe von tierschützern, einer gruppe von vätern die für besuchsrechte kämpften
und eine gruppe von künstlern, die polizisten im einsatz gefilmt haben.
schöne aussichten...

lg winnetou:D
 
Es ist eh längst bekannt, daß wir schon längst in einem Überwachungsstaat leben, überall Kameras , Telefongespräche werden mitgeschnitten und I-net wird sowieso überwacht.
Leider wird die Verbrechensbekämpfung nur als Vorwand genommen, in Wahrheit gehts um die Kontrolle von uns Bürgern.

Verbrechen werden bestehen bleiben, denn für alles gibts Gegenmaßnahmen. Welcher Verbrecher wird irgendein Geschäft über ein angemeldetes Handy oder seinem Internetanschluß zuhause abwickeln?

Wir steuern einem total kontrollierten Polizeistaat entgegen, wo wir keine Rechte mehr haben werden (es sei denn, wir wehren uns bald mal...)
 
War ja eh klar, dass die ganze Angstmache vor vermeintlichen Terroranschlägen genau für sowas den Weg ebnet.

Das alles mag NOCH harmlos erscheinen, aber wir sind ja noch am Anfang. Den Fuß hat man ja schon mal in der Tür und kann nach und nach, Stück für Stück nachlegen....
 
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