Hallo
@Terrageist,
ich habe dich nicht vergessen, hatte nur sehr viel um die Ohren.
Weißt du, ich sehe das so: Genauso wie es eine künstlerische Freiheit gibt, gibt es auch eine Freiheit in der Interpretation von Kunst. Das ist ja gerade das schöne und besondere an der Kunst (wozu ich einen guten Film eben auch zähle), dass die Seele berührt, die Phantasie angeregt wird und jeder seine ganz eigenen Gedanken dazu finden kann.
Jeder sieht das natürlich auch durch seine eigene Brille.
Deswegen gehe ich jetzt auch nicht auf alles ein, was du für dich herausgezogen hast, sondern schreibe mein eigenes Empfinden.
Das Sündenfallthema, in dem Sinne, erkenne ich bei dem Film zumindest nicht. Da gibt es andere, wie z. B. "Jenseits von Eden", die sich daran orientieren. Vor allem der Roman (den ich allerdings nicht gelesen habe).
Ein Ur-Thema ist es natürlich trotzdem. Der Kampf zwischen Gut und Böse, Schuld und Sühne ist natürlich ein uraltes und immerwährendes Thema, dass jeden reflektierenden Menschen umtreibt und auch ständig künstlerisch und literarisch verarbeitet wird - in vielen Variationen.
Für Sergio Leone schien es auch ein sehr wichtiges Thema zu sein. Der Fremde, der irgendwo aus dem Nirgendwo auftaucht mit einer mysteriösen Aura und noch eine Rechnung offen hat, findet bei ihm immer wieder einen Platz.
Für mich ist es gerade in "Spiel mir das Lied vom Tod" eine sehr klare Sache: Die Rollen sind eindeutig verteilt. Hier das Böse, dort die Unschuld.
Manchmal gibt es Filme, in denen das Böse nicht so eindimensional gezeigt wird, auch diese können sehr interessant sein.
Aber hier sehe ich das nicht.
Henry Fonda, den ich sehr schätze, spielt nun mal in dieser Rolle einen Fiesling und Sadisten der allerschlimmsten Sorte. Und um den Film geht es ja.
Die Brüder, mögen sie auch ihre innerfamiliären Konflikte gehabt haben, natürlich, lieben sich aber und stehen für sich gegenseitig ein.
An dem Punkt steht für mich die totale Unschuld und das Gute (Liebe, füreinander Verantwortung zu übernehmen und die Verbundenheit) gegen eine Übermacht des Bösen.
Einen Baum kann ich übrigens nicht entdecken, bei dieser Torszene?
Der Apfel könnte natürlich eine Allegorie sein auf die Vertreibung aus dem Paradies, vielleicht hätte der Fiesling aber auch genauso eine Birne essen können und es ging S.Leone nur darum zu zeigen, welche Vorrohung und Mitleidslosigkeit in diesem Menschen steckte, angesichts einer solchen Situation genüßlich bis gelangweilt essen zu können.
So hat man eine Situation der absoluten Qual, die für die Täter wenig bis nichts bedeutet (außer den Spaß, den sie noch dabei empfinden). Für die beiden Opfer aber alles. Der eine verliert sein Leben, der andere bleibt selbstverständlich für sein Leben gezeichnet davon und wird - wie du auch richtig sagtest - zum Getriebenen.
Der sich wohl sein ganzes weiteres Leben darauf vorbereitet, sich zu rächen. Keine weiteren Bindungen eingeht oder sie nicht eingehen kann und mit einer eigentümlichen Ruhe und dennoch Zielstrebigkeit sein Ansinnen, den Bruder zu rächen, verfolgt.
Charles Bronson wurde für die Rolle hervorragend gewählt. Wenn die Kamera beim Showdown an seine Augen ranzoomt, dann ist in seinem Blick soviel zu sehen. Das geht einem als Zuschauer durch und durch und man ahnt schon, dass sich in seinem Leben etwas sehr schlimmes abgespielt hat, noch bevor man die Rückblende sieht.
Und diese Szene bewegt etwas in mir, was ich vielleicht nicht so gut beschreiben kann. Also mal ganz abgesehen von der Rückblende, die einen als Zuschauer natürlich mitnimmt in eine geradezu unerträgliche und unfassbare Situation.
Aber schon die Gegenüberstellung der Beiden macht etwas. Für den Bösewicht war dies wohl nur eine Anekdote unter vielen, weshalb er sich selbstverständlich an den Fremden auch nicht erinnern kann.
Er bleibt ein seelenloser brutaler Mensch, sein Leben lang, der über seine Verbrechen nicht einmal eine Sekunde nachgedacht hat.
Der andere hingegen wurde für sein ganzes Leben geprägt und hat in seinem Inneren Stärke entwickelt und wohl auch entsprechende Seelentiefe, auch wenn er nicht viel redet. Was auch verständlich ist. An dem Punkt gibt es nichts mehr zu reden. Traumatisierte Menschen können sehr oft nicht über Erlebtes sprechen.
Soweit meine Sichtweise.
Ich wünsche dir schon mal schöne Feiertage.
