Nein… Glücklich war Sandra nicht.
Sie wusste wer er in diesem Medium war. Ahnte sie das schon lange. Es war das Gefühl, dass ihr sagte: hier ist dein Punkt, dein Komma, dein Fragezeichen und vor allem dein Ausrufestrich mit Punkt unter den Füßen.
Doch sie verriet ihn nicht. Nie. Fühlte sich aber heute verraten. Wieder mal in ihrem Verständnis.
Sie war keine tolle, tiefgreifende Person. Kein Zugewinn für für die in sich selbst explodierende Welt. Sandra war immer sie selbst. Lieb, Mitfühlend, aber ehrlich und deutlich, wenn Jemand ihr Herz angriff. Es gab nichts hintergründiges, Falsches an ihr. Keine Idiotie, keine Psychose. Leicht zu verunsichern und emotional sehr verletzbar. Ein Charakterbild, das nicht so recht in diese Welt passte. Was hatte ein Sensibelchen auch in dieser Welt verloren, in der Herzenswärme als Schwäche angesehen wurde. Kein Platz für Engel ohne Flügel und erst recht nicht für Menschen, die diese Welt mit Liebe verbessern wollten. Für solche emotionalen Weicheier gab es keinen recht Platz.
Heute Nacht hat sie ein altes Trauma erwischt. Ein Trauma, das sie so tief traf, wie nie etwas zuvor in ihrem Leben. Zu lieben, alles zu geben, um dann als anstrengend betitelt zu werden. Alles für einen Menschen aus Liebe zu tun, um dann doch wie ein Verbrecher behandelt zu werden. Da zu stehen und zusehen zu müssen, wie Gerüchte, Intrigen und vor allem ihre eigene Person ein Bildnis schufen, das ihr nicht gerecht kam.
Narben die mit geschriebenen Worten, ein Loch in ihre Seele rissen, sie emotional komplett umstülpten, um sie dann wie Unrat in der Luft zerreißen.
„Du hast mich verletzt“ hat er gesagt. Eigentlich hätte es heißen müssen:“tut mir leid, dass ich DICH verletzt habe. Zutiefst gekränkt habe, mit meinen groben Worten, wo ich mich doch immer so für alle anderen einsetze, um dann einen Arschtritt zu kassieren. Du warst in allen Zeiten für mich da und ich hab es nicht erkannt. Du hättest das nie mit meiner Seele gemacht, entschuldige.“
Und jetzt hatte er ihr einen Arschtritt verpasst. Anstelle von denen, die es eigentlich verdient hatten. Die ihn zuvor verletzten. Weil sie ihn liebte und er dieses neue Gefühl nicht annehmen konnte. Weil es lästig war. Gefährlich. Zutiefst emotional gefährlich. Denn wäre er weiterhin mit ihr befreundet geblieben, hätte es ihn emotional in 1000 Stücke zerrissen. Weil gerade ihr ehrliches Herz, ihn tief berührte.
Sie hätte seine Existenz gekostet, sein Leben, seine Familie, wenn es weiter so gelaufen wäre. Verletzt und getroffen, durch ihre bloße Existenz. Also weg mit ihr. Weg in die Mülltonne. Genauso wie die Geschenke, die sie ihm eigentlich als Warnzeichen vor die Tür geknallt hatte und er voller Wut dann in den Müllcontainer warf.
Doch ihre Gefühle konnte keiner von Beiden wegwerfen. Sie hatten es versucht. Beide. Immer und immer wieder. On-Off—On-Off. Verletzen, vertragen, verletzen. Dabei blieb doch trotzdem immer eines. Eine tiefe Verbindung. Das Gefühl blieb, trotz aller unnützer Äußerlichkeiten. Und es ließ sich nicht verleugnen. Beide fühlten sich auch nach Jahren tief zueinander hingezogen. Manchmal heimlich, manchmal ganz offen sichtbar.
Dabei hatten sie doch Beide nur Angst davor, vom anderen wieder verletzt zu werden, zu tiefe Emotionen zu riskieren. Sie liebten sich und gerieten dabei doch immer in Wut, weil diese Gefühle so verdammt tief in der Seele bohrten.
Sie liebten sich nicht als schnelle Affäre, nicht als Ehebrecher, nicht als Partnerersatz, sonder als tief verbundene Menschen, die mit soviel Emotionalität nicht umgehen konnten.
Ja, Sandra wusste… Nach dem tot seiner Mutter, hätte er sie am liebsten aus seinem Keben ausgeschlossen. Weg mit zuviel emotionalem Ballast. Weg mit Gefühl und Schmerz. Während sie sich mit seinem toxischen Verhalten abfand. Einfach, weil sie diese Liebe bereits deutlich erkannt hatte.
Er suchte die Nähe, brauchte Sandra. Ihre Nähe. Zeigte ihr das auch. Und sie brauchte ihn genauso. Immer. Aber jedesmal, wenn Sandra nach der alten Freundschaft griff, stieß er sie zurück. Mit dem simplen Satz: „Es wird immer alles gut sein zwischen uns“. Was er wohl auch so meinte. Denn die Liebe blieb und hinterließ eine ziemlich verzweifelte Sandra.
Eine mit der er nicht über die Vergangenheit reden wollte. Und auch nicht über die Zukunft. Es sollte für ihn so bleiben, mit Sandra mitten drin in seinem Leben. Und er wiederholte diesen Satz immer und immer wieder…
Sandra sollte nicht gehen, weil er dann Trauer empfand, aber zu nahe durfte sie ihm auch nicht kommen. Weil ein zu Nahe, zu nahe war und immer wieder neuen Ärger hervor beschwor. Bleib-Gehweg-Bleib… Während sie längst weiter war und verstanden hatte. Ihn verstand und doch liebte. Ihn trotzdem liebte.
Doch sie fühlte sich nun erneut verraten. Weil er nicht zu ihr stand, nicht dazu stand, was ihre Worte in ihm auslösten. Emotionen.
Während alle sie als Träumerin darstellten und als Stalkerin bezeichneten, schwieg er und half ihr nicht. Wo war sein:“ich werde immer hinter dir stehen?“ Wo…?
Sandra beschloss, weiterhin ihr Leben zu leben. Einfach weiter zu machen. Ihr Leben. Aber allem Überflüssigen den Rücken zu kehren. Sie löste sich von allem was Druck machte. Inklusive ihrem Abitur. Und beschloss sich nur noch auf die Dinge zu konzentrieren, die ihr Spaß machten.
Doch auch wenn die Resignation sich wie ein breiter Schatten über sie ausbreitete… Die Hoffnung nun endgültig ging, wieder von Herzrn Lächeln zu können… Die Liebe blieb, weil sie fest in ihr verankert war.
Ja sie liebte ihn. Auch wenn er nicht der kleine, fehlerlose Prinz war. Sie liebte ihn, weil sie ihn ansah. Ansah und sah, wie er tatsächlich war und warum er so handeln musste. Trotz allem und noch mehr.
Und sie wusste… Wenn sie jetzt das Forum verließ, würde sie wieder mal nur als Träumerin bezeichnet werden. Und er… Er würde zusehen und es zulassen. Denn die Angst um seine Emotionen und das Wissen um die Wahrheit, ließen ihn handlungsunfähig zurück.
Und trotzdem… Trotzdem liebte sie ihn. Auch wenn gerade nicht alles gut war und sie die ganze Situation wirklich zum Kotzen empfand. Sie liebte ihn. Mit Gefühl und ohne Kopf. Denn den hatte sie bereits verloren.
Doch sie beschloss. Nun ihre Seele zu verschließen, ohne ihn auszuschließen. Er blieb. Mitten drin. Verschlossen in einem warmen, klopfenden Herzen. Trotz allem.
Und sie ging. Zurück zu sich selbst. Mit der Liebe zu ihm, verschlossen in sich.
Sie ging, weil sie nicht mitansehen wollte, wie er sie nicht schützte, sondern nur sich selbst.