Bewundernd schaute Erika auf ihre glänzenden Stiefel. Schön waren sie. Glänzend, lang und hoch. Jeden Morgen bekamen sie eine Extraportion Pflege.
Wasser, Schuhcreme, Fett. Feinsäuberlich mit dem Lappen aufgetragen.
Streicheleinheiten, die sich so mancher Mensch wünschen würde.
Man mochte sie für verrückt halten, aber sie liebte ihre Schuhe. Hohe Schuhe.
Stiefel, Pumps. Zuhe, weibliche Schuhe.
Sie gaben ihr das Gefühl, ganz Frau zu sein. Vollendet bis zum Absatz.
Ein schön betonter Fuß, gab Eleganz.
Erst als die muffige Frau Snirzewitz mit ihrem kleinen Hund um die Ecke kam. Wurde ihr mal wieder bewusst, dass sie nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich nicht dem dörflichen Standard entsprach. Sie war nicht wie die anderen Mütter. Mütter, die ihre Fraulichkeit an Birkenstock und Schiesser abgegeben hatten, als sich ihre gebärende Rolle verabschiedete.
Es sprach ja auch nichts dagegen, in Schlappen hinter den Kinder herzulaufen und sich die Haare abzuschneiden, weil es praktischer war. Doch war das einfach nicht sie. Dieses Leben, sich selbst total zu beschneiden, war nichts für sie. Erika hatte nie ein Problem, in Heels hinter den Kindern herzulaufen, sich im Mini mit ihnen im Sand zu wälzen. Auch wer äußerlich eitel blieb, konnte doch mit den Kindern toben und eine gute Mutter sein. Pferde stehlen war für Erika auch auf Stelzen, nie ein Problem.
Doch für manch einen, war es ein Problem, sie anzuschauen. Oder zu hören. Ganz offensichtlich.
Erika grüßte freundlich und lief auf ihren glänzenden Stiefeln, mitten durchs Feld. Dreck konnte man wieder abwaschen.
Doch störte es offenbar andere. Anstatt ein ebenso freundliches „guten Morgen“ zu erhalten, drehte sich die alte Frau giftig zischend nach ihr um: „sagen sie mal, ist ihnen das nicht peinlich? Man hört sie schon zwei Straßen weiter!“
Geschockt, weil ihr das in ihrer unbekümmerten Art gar nicht bewusst war, blieb Erika wie zur Salzsäure erstarrt stehen. Eingeschüchtert stammelte sie: „Ja, Asphalt… Absätze… Ruhig hier… Kann nichts dafür…“
Hatte sie sich etwa entschuldigt? Hatte sie das gerade wirklich?
„Kaufen sie sich mal Schuhe, wie ich sie trage. Sind nicht so geräuschvoll…“
Erika in Bastschlappen? Das konnte sie sich wirklich nicht für sich vorstellen. Dennoch hinterließ diese Begegnung ein unangenehmes Gefühl in ihr. Und sie machte sich noch stundenlang Gedanken darüber, was sie alles gerne erwidert hätte.
In ihren Visionen hätte sie schlagfertig gekontert und mit lächelndem Humor geantwortet. Einfach alles ironisch weggebechert. Doch stattdessen lief sie bis zum schlafengehen, mit herunterhängenden Schultern durch die Welt.
Ihre Welt in der sie nun mal lebte.
Als sie das später ihrer guten Freundin erzählte, schaute diese sie Stirnrunzeln an. „Ich weiß nicht, was du den Leuten hier machst. Mir ist das noch nie passiert… Schau dich an! Du bist gut. Gut so, wie du bist. Weil du, du geblieben bist.“
Und mit einem Mal wurde Erika bewusst, dass es ein grober Fehler wäre, sich nur zu verändern, um anderen zu gefallen. Denn würde sie sich äußerlich anpassen, gäbe es 1000 andere Gründe, um sie zu bemäkeln. Weil sie es so wollten, die Leute… Es würde dafür immer Gründe geben und sie… Sie selbst würde sich auf diesem Weg verlieren…
Erika verstand. Das Spiel zwischen den Menschen. Und sie verstand: Erika war Erika und nicht Birkenstock.