Du verwendest einen veralteten Browser. Es ist möglich, dass diese oder andere Websites nicht korrekt angezeigt werden. Du solltest ein Upgrade durchführen oder einen alternativen Browser verwenden.
29. Juli
Nehmen wir einfach mal an, unser öffentlicher Humor sei ein Maßstab.
Hoffen wir dann, dass er unbenutzt bleibt.
Heute, die erbosten Kampfhundbesitzer verknappen mit einer Gegendemonstration den öffentlichen Parkraum und reizen die hunde– und stellplatzlosen Autofahrer zur motorisierten Selbstjustiz, beschließen wir Humor zu zeigen und machen in Comedy.
Da wir aber von Natur aus gründlich veranlagt sind, fangen wir mit dem theoretischen Unterbau an, quasi Lachen von unten, als ob es dort viel zu lachen gäbe.
»Was also ist Humor?«, eröffnet Gabi unseren lockeren Workshop.
»Ich denke hier geht’s um Comedy?«, fragt Ingo messerscharf gegen und belehrt uns dann: »Comedy ist, wenn man in einer Minute 10 mal ficken sagt und die Leute lachen immer noch. Und Humor? Total out, sage ich mal, total out.«
»Da bin aber völlig anderer Meinung.«, drängt sich Harald vor. »Erstens ist 10 mal hintereinander ficken sagen viel zu monoton, du hättest zumindest 5 mal bumsen anwenden und dann noch locker zwei vögeln druntermischen sollen. Und dann sind Comedy und Sex nicht unbedingt dasselbe, es sei denn, wir konzentrieren uns auf die unzulänglichen Übungen unserer Nachbarn.«
»Wo, bitte, bleibt hier eigentlich das weibliche Element? Ihr...«, und Inge weist mit gestrecktem Zeigefinger die männlichen Zumutungen zurück: »... findet es doch schon lustig, wenn ihr euer Ding irgendwo reinstecken dürft, dabei seid ihr die Lachnummern. Und deshalb ist Humor ursächlich weiblich, wenn auch der Humor im Duden steht, so heißt es doch die Comedy und ist unsere ureigenste Sache.«
»Genau.«, stimmt Hella zu und arbeitet weiter an der Vertiefung der Gegensätze: »Wahre Freude ist nur unter Gleichen möglich.«
»Blubb!«, entgegnet Verona. »Blubb ... Blubbblubblubb ... Blubb? Ist doch lustig? Nich?«
»Wer hat denn die hier zugelassen?«, raunzt Hella und wird von Gabi unterstützt: »Gab‘s irgendwo Hirn im Angebot?«
»Sie war immerhin schon bei mir in der Show.«, erweist sich Harald als ritterlich.
»Du bezahlst ja auch für deine Gäste.«, kontern April und Inge in Duett.
»Ihr etwa nicht?«
»Doch, schon. Aber irgendwie anders.«
»Aber Leute, ...«, beruhigt vom linken Außenflügel Rudi und flankt dann ein: »... Früher gab‘s so was wie Humor hier überhaupt gar nicht. Und jetzt haben wir sogar Comedy, nicht immer gut und gelungen, aber immerhin unwidersprochen. Und wem verdankt ihr das?«
»Wilhelm Busch?«, schöpft Hera aus dem kulturellen Fundus.
»Den Holländern, Kindchen, den Holländern natürlich. Mir und noch Jemand, dessen Name mir glücklicherweise immer wieder entfällt, also sagen wir einfach mir, und von der Traumhochzeit bis Big Brother, alles ...«
»... Käse aus Holland.» «, übertönt ihn Harald, der sich selbstredend unter die unumgänglichen Wegbereiter comedyaler Entwicklung einordnet. »Also, Humor ist kein Zufall. Und noch weniger ein Importfall. Wir haben schon gelacht, da hat noch keiner auch nur an Comedy gedacht, geschweige denn, welche veranstaltet. Stimmt‘s etwa nicht, Fred? Fred, wach auf, wir brauchen dringend deinen Beitrag!«
»MAD war gut. Aber vollkommen amerikanisch. Halt wie Hollywood. Oberflächlich. Aber dabei verdammt professionell.« Er legt sich wieder hin und deckt sich mit vergilbten Comics zu.
»Na ja. Vielleicht waren wir doch nicht so gut, wie es im Nachhinein ausschaut.«, nimmt Harald teilweise zurück.
»Aber der Erfolg heute gibt uns doch recht.« Ingo reibt es den anderen unter die Nase: »Ich krieg‘ jetzt endlich meine eigene Show. Die Ingo-Show.«
»Ersetzt du damit die Naddel in Peep?«, strahlt Verona ihn an und schockt die Runde mit diesem unerwarteten Nachweis von Schlagfertigkeit.
Ingo aber winkt stumm und humorlos ab.
Gabi spielt die Hausfrau und nimmt gereizt den Faden vom Anfang wieder auf: »Was ist denn gezz mit der verdammten Comedy. Ist das gezz Humor oder was?« Sie stampft unterstützend mit dem Fuß auf.
Was Heinz auf der anderen Seite so nervt, dass er aus seiner langen und schmerzlich empfundenen Absenz doch noch mal heraustritt:
Der Hu-mor ist oft unbequem,
Die Comedy nicht, trotzdem:
Der kleinste Ehrgeiz, hat man ihn,
Ist stets der Faulheit vorzuziehn!
2. August
Da Ursachen im Allgemein schwieriger zugänglich sind als Symptome, bleibt die Erkenntnis leider auf der Stecke.
Heute treibt unsere Herta, die sich in letzter Zeit über die nachlassende Berichterstattung berechtigte Sorgen macht und ansonsten den Pietismus für eine brauchbare Form der Sozialarbeit hält, die braune Sau medienwirksam durchs Dorf.
Da sie die Borsten im Vorwege freihändig an einen Hersteller moderner Fälschungen antiker Taschenuhren verscherbelt hat, trägt die Sau Glatze und wird auch, verächtlich betont, so gerufen.
Den Friseuren erwächst damit ein unerwarteter, sommerlicher, staatlich induzierter Umsatz, denn kein anständiger Bürger darf sich jetzt noch mit Glatze auf der Strasse sehen lassen, oder er wird mitgetrieben.
Herta schwingt die altbekannte Ordnungspeitsche und lässt mal wieder die beruhigenden Flugblätter, die bereits von ihrem zu Recht vergessenen Vorgänger benutzt wurden, verteilen, wir dürfen den abgegriffenen Satz genießen: Die Gesetze sind ausreichend, sie müssen nur konsequent angewandt werden. Womit entweder ausgesagt werden soll, dass Jemand seinen Job nicht richtig gemacht hat oder macht oder wir in einem Land leben, in dem zwar reichlich Gesetze vorhanden sind, die aber missachtet werden. Keine dieser Alternativen klingt so, als würden wir sie wirklich brauchen.
Herta kreischt: »Wir brauchen harte und schnelle Strafen, das beeindruckt diese Leute!«
Hinter mir, ich konnte diesem Schauspiel leider nicht entgehen, in der Menge, kommentiert es anonym: »Vor dir haben wir keine Angst! Und vor allen anderen auch nicht!«
Ich drehe mich neugierig um und sehe nur noch ein Paar unbekannte Kampfstiefel abtreten.
Inzwischen hat Helmut, unser örtlicher Gendefekt mit dem unwürdigen Bekanntheitsgrad, ungerufen in das Geschehen eingegriffen und will uns die Notwendigkeit einer geistig-moralischen Wende einreden, wir aber winken ab, da wir noch mit den unerwünschten Nebenwirkungen seiner vorherigen und unzureichenden Bemühungen zu kämpfen haben, zum Beispiel mit dem Anlass zu Hertas derzeitigem Auftrieb.
Von fast ganz rechts tönt es Verbotsforderungen, aber die sind so durchsichtig parteipolitsch-wahltaktisch motiviert, dass sie noch nicht mal von Herta oder Helmut beachtet werden.
Irgendjemand bringt noch schnell den bedrohten Wirtschaftsstandort ins Gespräch und dann überlassen wir alle das angerissene Feld der Polizei, schließlich wird sie dafür ja bezahlt.
Ich suche den nächstgelegenen Kiosk auf und kaufe mir was gegen den schlechten Geschmack im Mund.
Während ich die noch pfandfreie Dose öffne, geraten mir ein Paar, inzwischen bekannte, Kampfstiefel und der zugehörige Träger ins Blickfeld.
»Du...«, stoße ich den Jungen verbal an, er dreht sich zu mir um, erschrickt, vermutlich, weil ich ihm schwarz und kahl alle Auswege versperre: »...du...«, wiederhole ich besänftigend, ich will mit ihm reden: »...sag mal, dass mit keiner Angst vor Niemand, da vorhin, das war doch nur so hergesagt. So was gibt’s doch nicht wirklich. Oder?«
Der Junge, überrascht, anscheinend liefere ich ihm nicht das gewohnte Feindbild, sucht nach Worten, verwirft offensichtlich naheliegende Parolen, sagt endlich, leise: »Doch.«
Ich zucke vor der wie selbstverständlich vorgetragenen Endgültigkeit seiner Antwort unwillkürlich zurück, versuche es aber dann noch mal: »Das stammt doch aus einem schlechten Aktionfilm. Da gibt’s so was. Aber nicht hier, nicht in einer anständigen Zivilisation. Hier hat jeder Angst.«
»Wir nicht!« Der Junge protzt das nicht, er stellt einfach nur fest.
»Und warum nicht?«
»Weil wir nichts zu verlieren haben. Keine Perspektive. Keine Zukunft. Keine Hoffnung. Nichts, absolut NICHTS. Das ist alles, was ihr uns geboten habt.« Er reckt sein junges, ungeübtes Kinn vor.
»Tut mir leid.«, entschuldige ich mich.
Der Junge drängt sich schnell und brüsk an mir vorbei, aber ich bemerke den weichen, feuchten Film auf seinen bisher so harten Augen.
Dann zerknülle ich die leere Dose vorsätzlich in der Faust, lege sie auf das schmale Bord unterhalb des Verkaufsschalters, rufe der Kioskbesitzerin »Tschöö.« zu und weiß, dass ich nicht nur in der kommenden Nacht schlecht schlafen werde.
5. August
Schön ist, wenn man auf die Erfahrung älterer Menschen zurückgreifen kann.
Weniger schön ist, wenn sich die Alten ungefragt in die Zukunft der Jungen einmischen.
Heute feiern die grauen Alten im Bistro.
»Denen haben wir‘s mal wieder gezeigt.«, brüstet sich Nobbi, der Ex-Minister.
»Was brauchen die eine einfachere Rechtschreibung. Die sollen genau so schwitzen, wie wir geschwitzt haben.«, gibt ihm Egidius recht.
»Ich meine,...«, pflichtet Helmut, unser örtlicher Gendefekt, bei: »...dass wir solche Änderungen nicht brauchen, wie auch alle andern Änderungen nicht. Veränderungen haben so was ...«, er sucht Beistand und findet ihn beim getreuen Nobbi: »Veränderliches? Ungewisses?«
»Genau!«, fallen sich Helmut und Egidius ins Wort.
Landrat Joe, der große Schweiger von der Spitze, steuert eines seiner Traktate aus seinem immer präsenten Bauchladen bei: Du sollst Vater und Mutter ehren, wenn sie dich auch ausbeuten.
»Spitze!«, heulen Helmut, Nobbi und Egidius belustigt auf.
»Wusste gar nicht, dass du so ein Witzbold bist.«, prustet Helmut, platscht mit seiner fetten Hand Landrat Joe mehrfach auf die knochige Altmännerschulter. »Hättest gut zu meinem Parteivolk gepasst. Nichts zu sagen, aber immer lustig.«
»Warum...«, stört Nobbi die beginnende Verbrüderung: »...warum eigentlich bleiben wir auf halben Weg stehen?«
»Was faselst du da von halb gegangenen Wegen?«, herrscht ihn Helmut an.
»Naja, die Schrift haben wir ihnen schon mal so schwer gelassen, wie sie uns gefallen ist. Aber das Rechnen? Ich meine, die Zahlen?«
»Was ist mit den Zahlen nicht richtig?«, drängt sich Egidius vor.
Nobbi malt Zeichen in die Bierreste auf der Theke: »Die sind zu einfach. Mit arabischen Zahlen funktioniert sogar Prozentrechnung. Haben mir zumindest meine Referenden immer versichert. Und dann, arabische Zahlen, ist doch schon ein bisschen anrüchig, oder?«
»Wo er recht hat, hat er recht.«, schiebt sich Helmut wieder massiv in den seit längerem für ihn selten verfügbaren Vordergrund. »Das können wir so nicht auf sich beruhen lassen. Nicht bei dieser Undankbarkeit, die mir in letzter Zeit so offen entgegengebracht wird. Da haben wir eine einmalige Chance. Und die werden wir nutzen. Hat jemand Vorschläge?«
Landrat Joe schiebt eine vergilbte Druckschrift zwischen die nassen Bierfilze: Der Untergang des römischen Reiches, ein Rechenfehler?
»Na also, es geht doch. Guter Mann!«, lobt Helmut.
»Römische Zahlen?«, zweifelt Egidius.
»Wie ging das noch?«, sinniert vergebens Nobbi. »Ich weiß noch, dass ein X ziemlich wenig und ein M unheimlich viel bedeuteten.«
»Das X bedeutet 10.«, erinnert sich Egidius.
»Und meine Lieblingseinheit, die Milliarde?«, zweifelt Helmut.
»So große Zahlen brauchten die Römer nicht, die hatten Ordnung.«, legt Nobbi fest.
»Dann machen wir das.« Helmut erkennt sofort die machtpolitische Dimension. »Da wird der Gerhard samt seinem kleinen Hans ganz schön blöd aus der Wäsche gucken, wenn sie ihren Etat nicht mal mehr lesen können, geschweige denn verstehen.«
»Beschlossen!«, rufen die Drei und Landrat Joe hebt stumm bestätigend die knochige Altmännerhand.
Draußen lösen sich schlagartig die Autos auf, die Insassen rutschen sich ihre Hintern bremsend auf dem Asphalt blutig und verursachen so, zusätzlich zu den andern, gerade entstandenen, eine akute Krise in Bezug auf großflächiges, steriles Verbandsmaterial.
Drinnen stellt Helmut eine Nagelprobe an: »He, Alfred. Wenn Nobbi jetzt zahlen wollte, was wäre er dann schuldig?«
Alfred bemüht mehrere Notizzettel sowie Bleistifte und sichtbar eine ganze Menge Überlegung, dann aber legt er das Ergebnis vor.
»Und wie viel soll das sein?«
»Fünfundfünfzigfuffzig. Und zwar ohne Trinkgeld.«
»Wir sind noch nicht gut genug!«, stellt Helmut amtlich fest. »Das können wir sicher noch besser.«
Wieder kommt die Hilfe von Landrat Joe: Zählen ohne Zahlen oder gibt es in der Traumzeit etwa Buchhalter?
»Gefällt mir.«, beschließt Helmut. »Und was mir gefällt, ist Gesetz. Das ist ein Gesetz.«
Dann schaut er vom rauchenden Lagerfeuer zu dem in schlecht gegerbte, stinkende Frettchenfelle gewickelten Alfred auf. »Bring‘ uns mal 1, nein 2, nein, viele von deinem berühmten Birkengeist. Es zieht ganz schön hier, in deiner Höhle.«
9. August
Es gibt Tage im Leben eines Satirikers, an denen er vollständig auf sich zurückgeworfen wird.
Heute wache ich auf und stecke in einem schwarzen Loch. Mein Ereignishorizont hat sich auf die Enge meines Bauchnabels verkürzt und ich blicke da nicht mehr durch.
Rings um mich sammeln sich schroffe Bruchstücke übler Realitätsabkunft und verglimmen unter meinem irritierten Blick.
Von oben treffen mich Sätze, die sich wie aus dem Zusammenhang gerissen anhören, aber leider vermutlich doch in dieser Reihenfolge gefallen sind.
Unten, über einem wirbeligen Rot vor einem mattschwarzen Nichts, schlagen leere Zeilen funkenstiebend aufeinander und trudeln dann final ins freundliche Vergessen.
Aride Ideen fallen substanzgierig übereinander her und verdauen den letzten Rest an Innovation.
Der Chor der daheimgebliebenen, zweiten Reihe intoniert La Montanara und gibt damit tränenreich seiner veralteten Sehnsucht unnötig laut Ausdruck.
Bei mir stellt sich endlich die Erkenntnis ein: »Ich bin im Sommerloch.«, und zur Belohnung huscht ein Schwarm saure Gurken spuckender Enten von links nach rechts durchs Bild, es kann auch von rechts nach links gewesen sein, wer will das derzeit so genau wissen.
»Ich will hier raus!«, rüttle ich an den bärtigen Wurzeln des Normalzustandes.
Ein eigensinniges Echo hallt zurück: »Erst wenn du bereust.«
»Was heißt hier bereuen?«
»Hohn, Spott und Ironie!«
»Ich? Niemals!«
»Dann halt im Loch!«
»Aber sicher doch!«
»Noch und noch!«
»Hol mich doch!«
»Poch...poch...poch!«
Mir fällt keinerlei Reim mit .och mehr ein, ich habe mich eh schon wiederholt und schließlich, man hat ja noch Anstand: »Ich gebe auf. Was muss ich tun?«
»Bereue!!!« hallt es raumfüllend aus der allseitigen Schwärze und ich bleibe in einer vollständigen Stille allein zurück.
»Was soll ich tun?«, versuche ich es noch mal zaghaft, werde aber nicht erhört.
An Nachdenken ist in dieser versteppten Umgebung nicht zu denken und so ergreife ich das Naheliegenste und graviere mit zunehmend blutigen Fingernägeln eine positive IN-Liste in den morschen, dunklen Marmor meines temporären Verlieses:
• Listen, die mich infolge meiner Eigenheiten oder Eigenschaften in der IN-Rubrik aufführen.
• Dass wir so reich sind, dass wir auf eine wirksame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit verzichten können.
• Buslinien, die trotz des mit jedem Fahrgast steigenden Defizits doch noch Haltestellen anlaufen.
• Ehrliche Vorstellungsgespräche, die mit: »Für diesen Hungerlohn wollen Sie doch nicht wirklich auch noch arbeiten.« ihr schnelles Ende finden.
• Parlamente, die sich so gut scheinen, dass sie sich am liebsten nicht mehr zur Wahl stellen würden.
• Fortgeschickte Bundeskanzler, die immer wieder wiederkommen.
• Leute, die sich allgemein verbreiteter und verständlicher Vorurteile bedienen.
• Fernsehsendungen, die ihr Thema aus anderen Fernsehsendungen beziehen, welche sich bei dritten Fernsehsendungen bedient haben u.s.w.
• Satiriker, die auch unter Druck nachgeben.
Kaum habe ich den Punkt hinter obengenannten Satz mit dem verbliebenen Stumpf meines Zeigefingers mühsam ins mürbe Gestein gebohrt, hebt mich eine engelsgleiche Hymne im perfekten Wechselgesang aus der schwarzen Grube und in meine Welt zurück.
Ich rette mich an meinen Bettrand: »Das werde ich euch nicht vergessen. Das schreibe ich auf.«
12. August
Nicht alles, was die Regierung vorschlägt, erweist deshalb schon als unbrauchbar.
Manchmal erweisen sich auch die Bürger.
Heute, meine Finger spüren dem geprägten Bütten der Einladung in meiner Tasche nach, treffe ich weisungsgemäß in dem einsam gelegenen Waldhotel ein.
Die anderen Gäste sind mir von Angesicht her weitgehendst bekannt, die wenigen Ausnahmen klären sich nach namentlicher Vorstellung. Wir sind unter uns, die Spötter und Kritiker, die regierungsunfreundliche, außerparlamentarische Fraktion, die Pinscher, wie wir von der politischen Elite gerne verkürzt genannt werden.
Punkt neun Uhr abends lenkt ein dezenter Gong unsere Aufmerksamkeit auf einen ebenso dezenten, mittelalten Mann, der sich als Staatssekretär herausstellt. Er begrüßt uns und kommt überraschend schnell zur Sache: »Freut mich, dass Sie gekommen sind, Sie, die sich für die Vorkämpfer individueller Freiheit in unserem Lande halten. Wir haben ein wunderschönes Experiment für Sie vorbereitet, an dem Sie bei Ihrer bekannten Einstellung begeistert und mit Freuden teilnehmen werden wollen.«
Und dann erzählt uns der beamtete Schnösel, dass im Rahmen der anstehenden Justizreform zum Zwecke der Kostendämpfung das Duell alter Prägung wiedereingeführt werden soll. Natürlich nur unter strengsten Auflagen und Beachtung zahlloser Regeln. »Wir wollen es mit je drei Schuss auf zwanzig Meter Entfernung versuchen, der Beklagte hat den ersten Schuss.«, erläutert uns der Jurist.
»Und was hat das mit uns zu tun?«, fällt die fällige Zwischenfrage.
»Nun...«, lautet die logische, zu erwartende Antwort: »... nun, Sie, also die Anwesenden, haben den Vorzug, ab sofort diese Regelung in praxi exklusiv testen zu dürfen.«
»Ich will hier raus!« brüllt es postwendend aus unseren Reihen.
»Das...«, und die Süffisanz ist wirklich unüberhörbar: »... wird nicht vor morgen abend möglich sein. Wobei ich nicht unterlassen möchte, Sie vor Fluchtunternehmungen zu Fuß zu warnen, die Umgebung ist absolutes Kampfhundegebiet. Aber..«, setzt er hinzu: »...das ist alles kein Problem, Sie müssen sich nur ordentlich benehmen, dann kann Ihnen keiner was anhaben.«
Unsere Handys zeigen nutzlose 0% Empfang, wir müssen uns also mit den aufgezwungenen, misslichen Umständen arrangieren. Den Abend verbringen wir überwiegend auf dem dünnen, brüchigen Eis sorgfältig beachteter gesellschaftlicher Konventionen, die wir schon längst als veraltet und spießig ausrangiert hatten.
Später entdecke ich im Keller einen Schießstand samt Einrichtung und stelle befriedigt fest, dass sich dieses Handwerk seit meiner jugendlichen Pflichterfüllung im staatlichen Auftrag nicht verändert hat und darüber hinaus, anscheinend auch nicht verlernt wird. Ich schlafe schon mal etwas ruhiger.
Am Morgen führt mich ein unglückliches Los an den Tisch eines mir bekannten Kulturredakteurs, der mich nach Jahren vorsätzlicher Ignoranz schließlich hässlich verrissen hat. Wir grüßen uns vorsichtig und frostig.
Während der zweiten Tasse Kaffee landet unser spärliches Gespräch zwangsläufig beim Job und ich stelle die Frage, die ich seit dem Verriss mit mir herumtrage: »Wieso?«
»Tja, meine Frau wollte die Scheidung, meine Kinder mehr Kohle, und irgendwo musste ich mich ja abreagieren.«
»Sie fanden mich also nicht wirklich schlecht?«
»Warum auch? Ich hatte Ihr Zeug ja nicht mal gelesen.«
Jahrelang hatte diese öffentliche Schmach an meiner Seele genagt, und nun brach sie durch, ich schütte dem Redakteur meinen verbliebenen Kaffee über die spärlichen Kopfhaare.
Angesichts dieses ersten Eklats springt es rings um uns auf und brüllt in erleichterter Einigkeit: »Ein Duell!! Wir kriegen ein Duell.«
Von allen Seiten redet es auf uns ein, ich bleibe hart und so nimmt der Ablauf seinen gesetzlich vorgeschriebenen Gang, schließlich stehen wir uns auf den gepflegten Rasen gegenüber, stellen fest, dass zwanzig Schritte viel, aber nicht genug sind, dann fällt der Schuss meines bleichen Kontrahenten und verwundet einen schuldlosen Busch, ich bin dran und hebe die Pistole, mein Gegner wendet sich und ich drücke ab, treffe ihn in der fleischigen Partie seines untersten Rückens und die Sache ist aus und vorbei.
Wie vorbei, erfahren wir Minuten später im Salon, wohin uns ein betrübter Staatssekretär zusammengerufen hat. »Gut lief es, unser Experiment. Ihr Umgangston hatte signifikant gewonnen, Ihr Aggressionspotential war bis unter die Wahrnehmungsschwelle abgesunken. Sie waren auf einem guten Weg zu einer besseren Welt. Leider aber können wir heute, wie wir erfahren mussten, den besseren Umgang miteinander anscheinend nicht ohne gleichzeitige Gewalttaten bekommen. Und das können wir nicht zulassen. Und deshalb bleibt die Welt so wie sie ist - nicht unbedingt die beste aller möglichen. Und Sie müssen jetzt gehen.«
16. August
Kinder und Betrunkene sagen die Wahrheit.
Gilt das auch für umgebaute Kinderlieder?
Heute, wieder einmal war die Notwendigkeit einer Rechtschreibreform mittels Denkmal bewiesen worden, verfüge ich mich in einen garantiert ungeschriebenen Vortrag mit dem Titel: Von den Naturvölkern lernen heißt Selbstaufgabe lernen – Aus dem Alltag verschwundener Stämme.
Wir, was in diesem Falle die gesamte Wohnbevölkerung meint, warten gespannt und werden auch nicht enttäuscht, nur wenige Minuten nach der ausgelobten Zeit betritt ein Kind die Bühne und rezitiert:
Zehn kleine Michellein,
Die standen einst am Rhein,
Der eine konnt‘ sich nicht mehr freu‘n,
Da waren‘s nur noch neun.
Neun kleine Michellein,
Die tranken ziemlich Wein,
Der eine sang von brauner Macht,
Da waren‘s nur noch acht.
Acht kleine Michellein,
Die dachten öfter mal wie Kain,
Der eine fand das übertrieben,
Da waren‘s nur noch sieben.
Sieben kleine Michellein,
Die hatten Probleme mit dem Dein,
Der eine half nach mit ´ner Flex,
Da waren‘s nur noch sechs.
Sechs kleine Michellein,
Die stellten sich die Bein‘,
Dem einen bleiben nur noch kurze Stümpf,
Da waren‘s nur noch fünf.
Fünf kleine Michellein,
Die sagten öfter nein,
Der eine wurd‘ deshalb vom Mensch zum Tier,
Da waren‘s nur noch vier.
Vier kleine Michellein,
Die wollten mal politisch sein,
Der eine sprach unentwegt von frei,
Da waren‘s nur noch drei.
Drei kleine Michellein,
Die kamen vor sich fein,
Der eine trug nur Tiefsinn bei,
Da waren‘s nur noch zwei.
Zwei kleine Michellein,
Die stritten sich ums Mein,
Dem einen kam abhanden dann sein Meins,
Da war es nur noch eins.
Ein kleines Michellein,
Das litt allein an großer Pein,
Da warf es sich schnell weg,
Zurück blieb nur ein Land voll Dreck.
Damit hat die Sache dann wohl endgültig erledigt, oder?
19. August
Übertriebene, öffentliche Ordnungsliebe kann verheerende moralische Folgen zeitigen.
Heute, wir beschweren uns bereits schon wieder über die neue Schwüle des erst kürzlich zurückgekehrten Sommers, bricht an unserem künstlerisch wertvoll restauriertem Dorfbrunnen ein unvorseh– aber vermeidbarer Aufstand los.
Horst, unser multifunktionaler, öffentlicher Angestellter, der derzeit das infolge unüberlegter Urlaubsplanung verwaiste Ordnungsamt leitet, nimmt an der leichten Bekleidung einiger Erfrischung suchender Frauen Anstoß.
Insbesondere sei das Zeigen von Spitzendessous im öffentlichen Sichtbereich weder angebracht noch wünschenswert, erläutert Horst den verblüfften Damen und er vergisst auch nicht, ausdrücklich auf seine Amtsinhaberschaft und die daraus folgende Befugnis hinzuweisen.
Dann begibt sich Horst in seine Amtsstube, wobei er wohl stillschweigend annimmt, dass seinen Anweisungen auch hinter seinem Rücken Folge geleistet werden würde, schließlich herrscht bei uns ja eine Ordnung.
Mag sein, dass die drückende Luftfeuchtigkeit sich negativ auf die übliche Folgsamkeit ausgewirkt hat oder es spielt die Tatsache eine Rolle, dass die betreffenden Damen alle der Frauenschaft der Oppositionspartei angehören, jedenfalls rufen Horsts barsche Anordnungen bei ihnen nur reichlich Schwachsinn andeutende Gesten als auch weitere textile Freizügigkeiten am Brunnenrand hervor.
Als Horst Minuten später mit seiner soeben fertiggestellten Verordnung zum Schutze der Allgemeinheit und der Jugend im Bereich des Kulturdenkmals Dorfbrunnen sowie Hammer und Nägeln die Szene betritt, erwarten ihn mehrere freigelegte Busen.
Horst, eben noch ganz erfüllt vom Akt der Schöpfung einer überflüssigen, aber ausgefeilten Vorschrift , wechselt übergangslos in den schwarzen Zustand hoffnungsloser Bestürzung, weniger auf Grund der ausgewiesenen Anatomien, vielmehr angesichts des erwiesenen Maß‘ an Obrigkeitsmissachtung.
Er geht ab und holt Hilfe und kommt wenig später mit Landrat Joe samt erbauendem Bauchladen an den Tatort zurück. Landrat Joe, der seinen Job seiner Ausdauer im Überleben politischer Konkurrenten verdankt und sich bereits einen Lebensstil jenseits fleischlicher Anfechtungen eingerichtet hat, inspiziert das Terrain, gruppiert seine Traktätchen um und verteilt dann Schriften mit dem Titel: Nacktheit ist überhaupt nichts Schlimmes, besonders wenn sie nicht gezeigt wird.
Nun bleiben Landrat Joes schriftliche Appelle im Allgemeinen ohne sicht– oder spürbare Wirkungen, so auch diesmal, die Damen verdecken zwar kurzzeitig mit den Schriftchen den darin angeprangerten Zustand, nur um dann ihre partitielle Nacktheit lachend noch offener zur Schau zu stellen.
»Das wird für Sie noch böse enden!«, prophezeit Horst und ruft per Handy nach uniformierten Ordnungskräften. Landrat Joe drängt ihn aus der im Sinne des herrschenden Nacktheitstabus fraglich gewordenen, öffentlich angeordneten Bikinizone, schließlich hat er als oberster Dienstherr so was wie eine, auch moralische Fürsorgepflicht.
Noch hat der hohe Sonnenstand keine Schatten über den kulturell wertvollen Dorfbrunnen geworfen, als das zu Hilfe gerufene MEK dynamisch den vielversprechenden Tatort erreicht.
»Alles verhaften.«, fordert Horst.
»Das lassen Sie mal besser sein.«, ordnet die Sprecherin der Frauenschaft an. »Wir berufen uns...«, und sie zeigt auf das statische Tableau vollständig nackter, rasierter, marmoriert gepuderter Frauen hinter ihr auf dem Brunnenrand: »... auf die Freiheit der Kunst. Und das ist Kunst. Sogar klassische Kunst.«
»Also mir gefällt‘s«, beschließt der Anführer des MEK, er sammelt in seiner Freizeit animierte GIFs aus dem Internet zum Thema Flagellantentum in früheren Jahrhunderten und ahnt, wo die Kunst anfängt. »Wir rücken ab.«, teilt er kurz und bündig Horst mit und ist auch schon auf dem Weg zu seinem Einsatzfahrzeug.
In Horst, dessen Lebensmittelpunkt bis soeben in der Bedeckung seines Ichs durch staatliche Autorität bestand, bricht angesichts seiner moralischen Entblößung irgendeiner dieser bekannten, nie gesehenen, sprichwörtlichen Dämme, er zerrt und reißt sich die dienstkonformen Kleider vom Leib und wirft sich nackt in seine selbsternannte Bikinizone, mitten in das als Kunst deklarierte Tableau noch nackterer Frauen.
Mit: »Das geht aber nicht.« kehrt der Chef des MEK zurück und verhaftet Horst. »Sie verstoßen gegen eine soeben erlassene Verordnung des Ordnungsamts.«
23. August
Seit Romeo und Julia hat sich Einiges auf diesem Sektor getan.
Besonders in der Vielfalt möglicher Hindernisse.
Heute sperre ich die schweren, unhandlichen Gedanken gezippt auf einer Diskette ein, speichere diese auf dem klebrigen Wachstuch meines provisorischen Küchentisches ab und widme mich hinfort der zwischenmenschlichen, intergeschlechtlichen Kommunikation.
Nach vorsichtigstem Herantasten war mir es dann doch in der letzten Woche gelungen, meine aktuelle E-Mail-Beziehung in ein so akutes Stadium voranzutreiben, dass ein reales Meeting nicht länger aufzuschieben ging.
Wir beide, Juno und ich, schrieben bereits so glühendes HTML, dass die Kunststofffolie meines TFT-Displays auf dem vorsichtshalber überall hin mitgeführten Notebooks bedenkliche Brandblasen schlug. »Treffpunkt am Abend bei Alfred?!«, hatte ich in roten, fetten Franklin Gothic-Lettern gemailt und sie hatte geantwortet: »Aber ja!!«, und dabei ein zierliches Lucida Handwirting benutzt, was schon fast als handmade durchgehen konnte.
So also stehe ich in der Tür unseres Bistros und hoffe, dass Juno meine virtuelle Selbstdarstellung mit meiner realen Erscheinung in Deckung zu bringen in der Lage sein wird, aber dieser Fall stellt sich gar nicht, ich erkenne sie sofort, sie sitzt am zweiten Tisch links und nickt mir bestätigend zu.
»Salve, du Göttin.«, breche ich unser erwartungsvolles Anstarren, das sofort einsetzte, sobald ich an ihren Tisch getreten war. »Salve.« wiederhole ich noch und verstumme dann vor dem kakophonen Heulen des losbrechenden, internen Sturms, nicht dass ich an Liebe auf den ersten Blick glauben würde, aber sie wirkt auch so.
»Salve, du Liebling der Götter.«, findet Juno unsere Sprache wieder und bezieht sich damit auf meinen geheimen Nickname und ihre emotionale Erschütterung zugleich. »Salve.«
Wir blicken uns schweigend in die Augen, unterdrücken selbst das kleinste Blinzeln, wer wollte sich schon mutwillig um diesen Anblick bringen, wir fallen visuell übereinander her und kosten unsere wechselseitige Süße bis zur köstlichen Neige oder besser, bis Alfred unsere Getränke serviert: »Wart zu beschäftigt, um zu bestellen. Dachte mir, dass Champagner eine gute Wahl sei. Auf euer Wohl.«
Unser Finger berühren sich streifend beim Anstoßen, kehren sofort suchend ihre Bewegung um, finden sich wieder und wir starren starren Auges über die gehobenen Kristallschalen in die offengelegten Spiegel der Seele des jeweils Anderen.
»Ich... «, beginne ich den wesentlichen Satz, »...liebe...«, führt Juno ihn ohne Zögern fort und dann enden wir synchron: »...dich!« Wir werfen einige, sicherlich übertriebene Scheine auf den Tisch und hasten, aneinander geschmiegt, zu ihrer Wohnung.
»Ich muss aber erst noch was Schönes zeigen.«, und sie drängt mich auf den gepolsterten Bürostuhl vor ihrem Rechner. Dann setzt sie sich rittlings auf meinen Schoss, greift hinter sich, schaltet blind den Computer ein und wir geben uns während des unumgänglichen Hochlaufs den ersten Kuss, womit dieses Ereignis nur unzureichend beschrieben wird, vielmehr ist so, dass sich sofort nach dem ersten Lippenkontakt unsere Zungenspitzen in einen nachgestellten Paarungstanz aufgeheizter, indischer Königkobras begeben und auch nicht wieder so schnell herauswollen, während weiter unten, dort, wo sich die Reißverschlüsse unserer Jeans gefunden haben, klar wird, dass wir weder mit den kommenden Plug und auch dem darauffolgenden Play keinerlei Schwierigkeiten zu erwarten haben werden, wenn es denn endlich schon so weit wäre.
Inzwischen zeigt der Monitor das Portal ihres Internetproviders und sie weist mich zwischen zwei Zungenstößen an: »Startseite.«
Ich löse meine rechte Hand aus ihrem T-Shirt, taste nach der Maus und stoße den Mauszeiger auf den gewohnten Platz, aber nichts passiert. »Das ist ja gar kein Explorer.«, stelle ich überrascht fest.
Juno reißt ihre Zunge aus meinem Mund, dann alles andere von mir weg, springt auf und, wie in den Zeiten der Pest, meterweit fort, von wo sie, die Hände abwehrbereit vorgestreckt, klarstellt: »Du, ein MS-Wichser? Penn‘ ich denn mit Bill Gates? Raus hier. Raus! Raus! Raus!«
Und ich trolle mich unter dem hämischen Nachleuchten Navigators vom Bildschirm zurück zu meinem Outlook, neue, Befriedigung versprechende Mails vorformulierend.
26. August
Die korrekte Beantwortung der Schuldfrage wäre bereits Gerechtigkeit.
Allerdings gibt es, außer vielen guten, auch ziemlich miese Möglichkeiten.
Heute, ich lese grade vom Urteil gegen die Kellys und deren zukünftigen Pflicht zur Sicherstellung von Ruhe und Ordnung, was den öffentlichen Raum zu einer Art Showbühne erklärt, was mir wiederum einiges klar macht, als mich eine eilige Ladung unseres örtlichen Tribunal erreicht.
Ich bringe mich also gehorsam in eine gerichtsverwertbare Form, knüpfe einen konservativen, doppelten Windsorknoten in die sorgfältig gewählte, dezente Krawatte, lege eine Überdosis eines Deos mit dem Namen Voodoo auf und eile dann zur Gerichtsstätte.
Der Zuschauersaal erweist sich bis auf den letzten Platz ausverkauft, vor der Tür bietet mir ein Schwarzhändler noch einen Platz auf der Galerie zum Gegenwert eines Wochenlohns an.
»Was‘n los?«, frage ich.
»Heute kriegen sie endlich einen dran!«, flüstert der Kartenhai mir zu und: »Wie isses jetzt?«
»Ich brauche deine Karte nicht, ich habe..« und ich zeige ihm meine amtliche Vorladung: »... schon das hier.«
Der Schwarzhändler spuckt vor mir aus und von weiter hinten höre ich: »Der arme Mann.«
Aber was nutzt mir noch das aufkommende Gefühl sozialer Beklemmung, ich werde in den Saal gedrängt und lande vor dem Richtertisch. Oben sitzen sie, die Politiker, die ich wöchentlich zweimal öffentlich vorführe und grinsen sich eins: »Einen Stuhl haben wir leider nicht für dich übrig. Die Leute rissen sich darum dabei zu sein, wenn wir dich aburteilen. Aber du wirst eh nicht lange stehen müssen, mit dir sollten wir schnell fertig werden.«
»Und wie lautet die Anklage?«
Peter steht auf, entnimmt dem von Landrat Joe bereitgehaltenen Bauchladen ein vielfach gefaltetes Papier, breitet es knisternd auf dem Richtertisch aus, plättet es mit beiden Handflächen, wobei er seinen Handschweiß beschmutzend mit der kaum getrockneten Tinte mischt und verkündet schließlich: »Dieses Land gegen den Satiriker, der sich hinter einem anonymen Ich-Erzähler ohne Namen feige versteckt.« Diesen mir äußerst unpassend erscheinenden Moment wählt das parteiische Publikum zu einer lebhaften Beifallsäußerung.
»Danke, Leute, vielen, vielen Dank.«, wehrt Peter unecht ab. »Aber das Beste kommt ja erst noch. Also, dieses Land klagt diesen Satiriker an, sich der fortwährenden Verschlechterung unserer Lebensumstände schuldig gemacht zu haben. Und zwar in der Weise, dass er durch den Gebrauch seines demokratischen Stimmrechts dazu beigetragen hat, dass die Politiker in die Ämter und Mandate kamen, in denen sie sich inzwischen offensichtlich und für Jedermann sichtbar als unfähig erweisen haben.« Peter holt Luft und bekommt dafür Beifall. Dann fährt er fort: »Für die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten spricht, dass er die von ihm ursächlich verschuldeten Missstände auch noch öffentlich geißelt, wobei er sich boshafter und hämischer, unrealistischer und abartiger Geschichten bedient. Wir, die Anklage, fordern deshalb, dass der Angeklagte zu verurteilen ist, und zwar aufs Schärfste und Äußerste.« Peter beendet seine Anklage unter heftig zustimmendem Kopfnicken, was seine Verständlichkeit doch ziemlich beeinträchtigt.
Gerhard sieht sich deshalb zu einer Rückfrage gezwungen: »Und zu was sollen wir ihn verurteilen?«
»Na, dass er den angerichteten Schaden wieder gut macht. Mit all seiner Kraft und seinem gesamten Vermögen, so klein es auch sein mag.«
»Hört sich gut an.«, stimmt Helmut schnell zu. »Und zusätzlich verbieten wir ihm, dass er über mich schreibt.«
»Und über mich auch!«, wirft Landrat Joe ein.
Gerhard stellt klar: »Er darf über keinen von uns mehr schreiben.« Er sammelt schnell die schweigend gegebene Zustimmung ein, setzt dann nach: »Also, verknacken wir ihn jetzt?«
»Halt!«, schreie ich unhöflich, ich fühle mich jetzt doch etwas bedrängt. »Gab‘s da nicht früher so was wie Verteidigung bei diesen Gelegenheiten?«
»Wie willst du dich verteidigen?«, raunzt Gerhard. »Wir sind mies, das weiß inzwischen doch jeder. Und das wirst auch du nicht ändern können.«
»Aber darum kann es doch hier gar nicht gehen.«
»Und ob.«, überstimmt mich Angie. Dann setzt sie eine Perücke auf und verurteilt mich: »Im Namen aller Beteiligten und eingedenk eines freundlichen Urteils eines Landgerichts, nach dessen Meinung Verantwortung beliebig und juristisch zugeteilt werden kann, hauen wir hiermit... «
Beim Wort hauen schlägt mein Kopf schmerzhaft auf der Tischplatte und mitten im Urteil gegen die Kellys auf, ich aber bin vorläufig noch einmal davongekommen.
29. August
Kafka und Orwell hatten doch recht.
Auch wenn es in unserer Praxis wesentlich undramatischer verläuft.
Heute komme ich von einem Kurztrip aus dem südlichen, innereuropäischen Ausland zurück und genieße die Grenzfreiheit beim unkontrollierten Betreten unseres Landes.
Der Zoll schaut auch grade weg und nimmt damit die ausstehende Harmonisierung der Steuer– und Abgabenordnungen freundlich vorweg.
Selbst als ich auf der Autobahn unversehens mit meinem Taxi von einer schwerbewaffneten Rasterfahndung aufgebracht werde, erledigt sich dieser außerplanmäßige Halt ziemlich schnell, zumindest nachdem die Beamten einen Ersatz für meinen offensichtlich illegalen Fahrer besorgt haben, und so bleiben stillgelegtes Taxi und handgeschellter Chauffeur mit zunehmender Geschwindigkeit hinter mir und der automobilen Oberklasse, mit der mich das mobile Einsatzkommando nach Hause zu bringen beschlossen hat, zurück. »Und nicht vergessen, dein Ausweis ist abgelaufen.«, werde ich noch verabschiedet, bevor die schneidigen Jungs geräuschvoll dynamisch unsere stille Wohnstrasse und mich verlassen.
Mir fällt der alte Werbespruch eines nicht unbekannten Herstellers hochgeistiger Getränke ein und ich beschließe, mir schnellstens einen Wunsch zu erfüllen.
Vor meinem Abflug hatte mich der minderjährige Bengel meines Nachbarn mit einem Handy überrascht, dessen Gewicht sich in dem Bereich einer Tafel Schokolade und deren Einwickelpapier aufhielt, wobei es näher beim Papier gelegen haben dürfte. Ich versteckte meine Antiquität vor dem Jungen verschämt hinter dem Bund meiner Jeans und fasste dort schon den Entschluss, den ich jetzt in die schnelle Tat umsetzen würde.
Die entsprechende Seite im Internet war schon gebookmarkt und so finde ich schnell und unkompliziert in das Bestellformular. Ich fülle die vorgegebenen Zeilen mit meinen Personalien und stoße dann auf das Eingabefeld: Personalausweis. Außer der Nummer wird noch Gültig bis verlangt, also trage ich das wahrheitsgemäße, bereits überschrittene Datum ein.
Das Formular erweist sich als vollständig ausgefüllt und ich schicke es ab.
Ihr Ausweis ist abgelaufen., teilt mir das Programm auf meinem Bildschirm mit.
»Was soll’s?«, frage ich mich leise, schließlich durfte ich diese Erkenntnis bereits früher an diesem Tag schon mal erfahren. Dann drücke ich den Sendebutton.
Das Programm beharrt: Ihr Ausweis ist abgelaufen.
»Der Mensch ist im Allgemeinen der Maschine haushoch überlegen.«, ermuntere ich mich und fälsche das fragliche Datum, indem ich es ein Jahr in die Zukunft verlege.
Die Antwort verblüfft mich schon etwas, zeigt sie doch Anflüge eines eigentlich nicht möglichen Humors: Ihr Ausweis ist abgelaufen.
Auch wenn ich für einen Hang zu Selbstgesprächen bekannt bin, so heißt das noch lange nicht, dass ich mit einem dämlichen Programm zu streiten anfangen würde, sofort, nachdem ich ihm ein verächtliches »Spaghetticodemonster .« entgegengeschleudert habe, formuliere ich eine polemische E-Mail an den Webmaster dieser störrischen Seite und beame sie mit allem Elan in die Pipes des Webs.
Wenige Sekunden später ist die Antwort da, aber nicht die des Webmasters, sondern des Mailer-Demons, also eines automatisierten Briefverteilungszentrums.
Weiterleitung nicht möglich, lese ich und weiter: da Absender abgelaufen.
»Moment!«, kann ich grade noch ansetzen, als mir mein Provider den Stuhl und damit die Website vor die Tür stellt: Weitere Betreuung nicht möglich, da abgelaufen.
In diesem Augenblick fällt der Strom aus und ich glaube aus einer unbestimmten Ferne ein »Abgelaufen!« mit spöttischem Unterton zu verstehen.
Diese Seite verwendet Cookies, um Inhalte zu personalisieren und dich nach einem Login angemeldet zu halten, wenn du registriert bist.
Durch die weitere Nutzung unserer Webseite erklärst du dich damit einverstanden.