@Mandy:
"Ist eigentlich ganz einfach..." Ja, das muss ich mir selbst auch immer wieder eingestehen, wenn ich nach einer Meditation unbefriedigt dastehe und merke, dass ich eigentlich bereits mit der Erwartung angefangen habe, dass es diesmal ganz bestimmt klappen muss. *grins*
Also also, da habe ich quasi beim absoluten Nullpunkt zu erklären angefangen, dabei befanden wir uns schon viel weiter! Ok. Dann machen wir vorwärts. Sam hat den Beobachter erwähnt. Zu verstehen/erleben, was das ist, scheint mir ziemlich wichtig. Die Sache ist nämlich so: Wie du selbst gemerkt hast, gibt es viele Menschen, die dich in vielen Situationen immer wieder irgendwie sehen (und meist auch klassifizieren). Da gibt es also dann "die fröhliche Mandy", "die ernsthafte Mandy" und noch -zig andere Mandys. Ausserdem gibt es normalerweise auch noch diejenige Mandy, wie man sich selbst klassifiziert - denn das machen wir ständig! "Eigentlich sollte ich jetzt so und so reagieren, eigentlich sollte ich jetzt so und so sein." (Dazu gehört ebenfalls der Wunsch, dass wir eigentlich gerne wissen würden, wer wir sind, falls wir das Gefühl haben, das nicht zu wissen).
Die Frage ist nun: Welches ist die echte Mandy? Die Antwort - so banal sie vielleicht auch klingt, so schwierig ist sie oft zu akzeptieren - ich bin ALLE diese Mandys, ich trage ALLE die Seiten in mir. Manche sind ein bisschen öfter aktiv, manche seltener, aber grundsätzlich besitze ich sämtliche Hundertmillionen Charaktereigenschaften, die ein Mensch haben kann. Mein grade aktiver Charakter setzt sich immer zusammen aus einem "fliessenden Spiegel", wobei von den verschiedenen Eigenschaften alle ein bisschen ineinanderfliessen. Und das ist ja eigentlich was schönes, dass der Mensch sich nicht so einfach und plump auf eine oder zwei Eigenschaften festlegen lässt! (Mit diesen Fragen setzt sich übrigens "Der Steppenwolf" von Hermann Hesse auseinander - deshalb ein beliebtes Buch).
Wenn wir genügend Meditationserfahrung haben, werden wir bemerken, wie kleine Änderungen im Fliessgleichgewicht unseres Charakters vor sich hin passieren. Einfach gesagt: Ich nehme Stimmungsschwankungen besser wahr.
Das beschränkt sich aber nicht bloss auf Stimmungen und Charakterseiten, sondern auch auf Gedanken und Gefühle, welche ja ebenfalls konstitutiv für unsere Person sind.
Wer ist aber nun mein Ich? Wie vorher erwähnt setzt es sich scheinbar jeden Moment neu fliessend zusammen. Ich bin also niemals exakt dieselbe Person, die ich schon früher war - allein schon die körperliche Zellalterung bewirkt, dass unser Körper im Sekundentakt sich verändert. Alle paar Jahrzehnte werden sämtliche Körperzellen mind. einmal ausgetauscht! Genaugenommen ist also nicht mal mein Körper derselbe, der er noch vor ein paar Tagen war.
Wir fragen hartnäckig weiter: Wer ist aber nun mein Ich, also dasjenige Ich, welches all die Veränderungen in meiner Person und meinem Körper völlig unberührt und unbeschadet übersteht?
Die Antwort auf diese Frage ist nicht ganz einfach verständlich - ausser man hat bereits ein bisschen Meditationserfahrung. Sie lautet: Mein wahres Ich ist der "unberührte Beobachter", der "stille Zeuge", welcher alle diese Veränderungen wahrnehmen kann, ohne davon jemals selbst verändert zu werden. Einfacher gesagt: Er ist das pure Bewusstsein in uns selbst.
Unser Bewusstsein kann - absolut mühelos - buchstäblich alles erleben, was es auf der Welt überhaupt zu erleben gibt. Es kann mitempfinden, wie meine Person traurig wird, wie sie fröhlich ist, wie sie müde ist oder wie sie isst, sich unwohl fühlt, sich den Kopf anstösst, einen Brief schreibt, Käse isst oder den Müll rausräumt.
Das ist ein ganz besonderes Ding, dieser Zeuge: Egal, was meine Person unternimmt oder ihr zustösst, er "macht einfach alles passiv mit" und nimmt es gleichzeitig wahr, ohne dass er dadurch irgendwie von der Sache in Mitleidenschaft gezogen wird. Ich schaue die Wolken im Himmel an, sie ziehen völlig mühelos durch mein Bewusstsein. Ich höre die Vögel pfeifen, auch diese Erfahrung zieht vollkommen ohne Widerstand durch mein Bewusstsein. Je mehr man meditiert, desto mehr macht man diese Erfahrung, wie einfach alles mögliche "durch einen hindurchströmt", ohne dass man auch nur das geringst zu tun braucht, ja gar tun könnte!
Was IST denn aber nun der Zeuge? Die Antwort darauf ist ebenfalls nicht einfach. Das Problem ist, dass der Zeuge nicht gesehen, nicht gehört, nicht gefühlt und nicht geschmeckt werden kann. Denn er ist derjenige, welcher sieht, hört, fühlt, schmeckt (egal was, Gedanken, Gefühle, Gerücke, Wolken, Autos, Hamburger). Der Zeuge kann sich selbst nicht sehen, wie sich ein blosses Auge nicht selbst sehen kann. Oft wird das ausgedrückt, dass er der "ungesehene Sehende" ist, was so merkwürdig und komplizert klingt, ist lediglich diese einfache und naheliegende Erfahrung: Mein Bewusstsein nimmt einfach alles auf, widerspiegelt es und schon ist "der Eindruck" wieder fort und der nächste kommt. Das geschieht andauernd und völlig anstrengungslos und ist die natürlichste Sache der Welt. Der Zeuge ist uns noch näher, als unsere Nase, und zwar so nahe, dass wir ihn gar nicht mehr sehen können.
Auch wenn du vielleicht jetzt ein bisschen ratlos bist, was ich genau meine, wenn du länger meditierst, wirst du automatisch verstehen, wovon ich spreche. Wenn du aber alles völlig problemlos verstanden hast, dann können wir noch einen Schritt weitergehen und uns der Frage widmen: Was trennt denn den Zeugen vom Bezeugten, was ist der Unterschied zwischen Subjekt und Objekt, worin unterscheidet mein wahres Ich sich von seiner Umwelt?