Das ist ein Posting aus dem Jahr 2004, und die/der Threadersteller hat sich schon lange nicht mehr zu Wort gemeldet. Und nichtsdestoweniger kommen nach wie vor Postings, die das Ergebnis des Pisa-Tests für Österreichs bestätigen: Das Sinn erfassende Lesen scheint eine selten anzutreffende Tugend zu sein.
Also nochmal mit Abstand:
Erstens geht es hier um eine Schilderung, bei der jemand etwas aus der Distanz Wahrgenommenes und von anderen Berichtetes schildert. Also nichts, was jemand selbst erlebt hätte und aus eigener Hand erzählen kann.
Eine befreundete Familie erlitt in den letzten 2 Jahren derbe Schicksalsschläge. Die Eltern erhielten ziemlich zeitgleich die Diagnose Krebs. Die Familie hielt zusammen, jeder stand in dieser Zeit für den anderen ein. Nach hartem Kampf erlag der Vater seiner Krankheit. Die Mutter hat die Krankheit sozusagen besiegt.
Die Tochter leidet seit dem Tod ihres Vaters an akuten Angstzuständen und Panikattacken. Daraufhin entschied sie sich, Hilfe anzunehmen. Sie machte eine Familienaufstellung nach Hellinger, die dubioserweise ihre eigene Mutter als "Schuldige" an ihrem Zustand verantwortlich machte.
Ich weiß aus eigener Erfahrung mit zig systemischen Aufstellungen, darunter auch viele "nach Hellinger", wie unterschiedlich das interpretiert und berichtet wird, was sich in einer Aufstellung zeigt. Wobei nach meiner Ansicht eh niemand das sieht, "was ist", sondern immer nur das, was jemand sieht (frei nach Gunther Schmidt). Und das ist in vielerlei Hinsicht gefiltert.
Eine Aufstellung macht niemand für irgendwas "verantwortlich", sondern sie bringt lediglich mögliche innere Zusammenhänge eines Systems zum Anblick. Simple, auf kausalen Denkweisen beruhende Denkmodelle "Du bist schuld!" sind völlig unsystemisch. Wenn es tatsächlich so gewesen sein sollte, dass in der Aufstellung eine solche Zuordnung von Schuld geschehen sein sollte, dann wäre das ein fachlich inkompetenter und menschlich mieser Übergriff gewesen.
Ich kann der Schilderung nicht entnehmen, ob das wirklich so war. Es klingt für mich so, als ob irgendwer irgendwie im Gefolge dieser Aufstellung beschlossen hätte, das vermutlich erheblich vielschichtigere Bild auf diesen plakativen kurzen Nenner zu bringen.
Mittlerweile hat sich die Tochter (seit Hellingertherapie) von ihrer Mutter sozusagen losgesagt. Ich weiß, dass sie an einer Familienaufstellung nach Hellinger teilnimmt. Die Mutter ist nun total verzweifelt, am Ende ihrer Kräfte, denn sie hat nun nicht nur ihren Mann verloren, sondern auch ihre Tochter, mit der sie früher durch dick und dünn ging. Es scheint, dass hier eine Gehirnwäsche vorgenommen wird, die mehr zerstörend als heilend wirkt.
Zunächst mal: Es gibt keine Hellinger-Therapie. Es wird Hellinger ja im Gegenteil vorgeworfen (und dem Kritikpunkt schließe ich mich im Großen und Ganzen an), dass er quasi aus Prinzip therapiefeindlich ist. Und wenn da steht, "dass sie an einer Familienaufstellung nach Hellinger teilnimmt" ... nun, das ist ja kein regelmäßiger Prozess. So wie das hier geschildert wird, hat sie einerseits an einer Aufstellung teilgenommen, andererseits nimmt sie teil... ich kenn mich nicht aus. Aber vielleicht besucht sie ja hier und da Aufstellungen als Repräsentantin ohne eigenes Anliegen, das kann eigene Entwicklungsprozesse schon auch modifizieren.
Sie hat sich "sozusagen losgesagt", was immer das heißen mag. Ein bisschen schwanger? Ganz allgemein darf man vermuten, dass angesichts eines so heftigen Krankheitsgeschehens im Familiensystem erst einmal kein Stein auf dem anderen bleibt. Und es ist das gute Recht einer Tochter, zu ihrer Familie auf Distanz zu gehen, wenn sie beispielsweise zur Auffassung gelangen sollte, dass der symbiotisch enge Kontakt mit diesem System ("durch dick und dünn gehen") auch als krank machender Faktor gesehen werden kann.
Das mag freilich für die Mutter schwer zu verstehen sein, wenn sie keinen parallel verlaufenden Entwicklungsprozess durchmacht ... das von vornherein als Gehirnwäsche zu diffamieren, halte ich für ein starkes Stück. Es ist ja durchaus nicht unüblich, dass in Familiensystemen die "Bindungsliebe" - um mal im Hellinger-Idiom zu bleiben - destruktive Züge annehmen kann. Und es kann durchaus sein, dass das Unterbrechen von symbiotischen Verhaltensmustern oder gar von solchen Mustern, die primär der Mutter nutzen, das Mittel der Wahl sind.
Es kann auch sein, dass ein/e übergriffige/r
Aufstellungsleiter/in da eigene Projektionen ins Spiel gebracht und das Ergebnis irgendwie hingebogen hat ... allerdings würde ich auch da bei einer einzigen Aufstellung mit einem Ausdruck wie Gehirnwäsche sehr vorsichtig sein, weil das zugleich ja auch die Klientin, die da gewaschen wird, sozusagen entmündigt und ihr unterstellt, sie wäre nicht in der Lage, mit dem, was sich in der Aufstellung für sie getan hat, konstruktiv umzugehen. Da gehe ich dann doch lieber davon aus, dass die junge Frau ihren eigenen Weg geht, vielleicht suchend, vielleicht irrend ... sollte es tatsächlich wünschenswerter sein, sie würde ihr Leben vorwiegend am Wohlbefinden ihrer Mutter ausrichten? Die ja zudem eine sehr starke Frau zu sein scheint; immerhin hat sie ihren Krebs "besiegt". Da kann man ihr vielleicht auch zuMUTen, die Hinwendung ihrer Tochter zu einem eigenständigen Leben zu verarbeiten.
Wie kann es sein, dass sich Menschen das Recht herausnehmen, zu behaupten, einem Menschen zu helfen und auf der anderen Seite, einen anderen zerstören???
Tja... helfen zu wollen hat immer auch seine problematischen Aspekte. Hier allerdings zu unterstellen, jemand hätte sich "das Recht herausgenommen, einen anderen zu zerstören", das halte ich für eine ebenfalls äußerst anmaßende und selbstgerechte Schlussfolgerung, vor allem bei einer Geschichte, die offensichtlich primär auf Hörensagen beruht.
Wenn dann andere Poster gleich mit der Empfehlung daherkommen, den Staatsanwalt zu bemühen, grenzt es ans Lächerliche. Kann man aber gern tun; der Jurist wird dann schon erläutern, wie das mit der Rechtslage ist.
Ich verzichte gerne auf das Pro der Hellingermethode, denn was HIER abgeht, KANN und DARF nicht sein, das werdet ihr doch einsehen.
Das hat schon Christian Morgenstern in den Palmström-Gedichten formuliert: "... daraus schließt er messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf." Wobei sogar Palmström vermutlich ein klareres Bild von dem hatte, was abging, als wir hier bei dieser Story aus dritter Hand.
Das ist so himmelweit von Hellinger pro oder contra entfernt und so wenig verifizierbar, dass alles, was über das Aufzeigen der Ungereimtheiten und der allgemeinen Aspekte hinausgeht, nur heiße Luft sein kann. Oder eine wunderbare Projektionsfläche für was auch immer...
Jake