Aaah! d' Reinhold gibt sein Stelldichein, mit nichts geringerem als Kritik am derzeit sehrt umstrittenen Bert Hellinger.
*Paukenschlag-Stelldichein sozusagen.
Na für irgendwas muss Bert ja gut sein,
du bentutzt ihn. Gelle!
Vielleicht hilft Franz Ruppert zum besseren Verständnis der Zusammenhänge!
Sexueller Missbrauch
Prof. Dr. Franz Ruppert, Katholische Stiftungsfachhochschule München
1 Begriff
Der Begriff Sexueller Missbrauch kommt von einer schlechten Übersetzung des englischen Begriffs sexual abuse, der eher sexuelle Misshandlung bedeutet (Kloiber 2002, S. 4f.). Manche Autoren spre-chen auch von sexueller Ausbeutung oder sexueller Gewalt gegen andere Menschen (Heiliger 2000). Se-xueller Missbrauch hat sich allerdings im deutschen Sprachgebrauch eingebürgert. Er ist auch ein juristi-scher Begriff geworden: § 176 StBG Sexueller Missbrauch von Kindern als einer von mehreren Paragra-phen, die Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie und die sexuelle Selbstbestim-mung ahnden.
2 Vorkommen
- Sexueller Missbrauch kommt in unterschiedlichen Varianten vor: Beobachten des nackten Kindes (Voy-eurismus), das Kind zwingen, gemeinsam mit dem Erwachsenen Pornobilder oder filme anzusehen, Zeigen der Genitalien vor dem Kind (Exhibitionismus), Zungenküsse, Anfassen der Genitalien, Mastur-bation vor dem Kind oder das Kind zur Masturbation zwingen, orale, anale, vaginale Penetration des kindlichen Körpers. Er basiert teils auf der Verführung des Kindes, teils auf blanker Gewalt.
- Sexueller Missbrauch kommt häufig vor, möglicherweise ist jedes 4. Mädchen und jeder 10. Junge einmal in seinem Leben Opfer sexueller Übergriffe Erwachsener geworden. Sexueller Missbrauch ist häufig kei-ne einmalige Handlung, sondern dauert mitunter jahrelang. Er betrifft meist Mädchen (Kastner, 2000). Eine neuere Studie über sexuellen Missbrauch bei Jungen hat Andreas Kloiber vorgelegt (Kloiber, 2002).
3 Definitionen
- Sexueller Missbrauch beginnt an der Stelle, wo Erwachsene oder deutlich ältere Jugendliche eine kör-perliche Nähe zu Kindern herstellen, um eigene Bedürfnisse nach Intimität, nach sexuellem Lustgewinn und nach Macht zu befriedigen. (Kastner 2000, S. 16).
- Meine eigene Definition auf der Basis des Konzepts einer systemischen, mehrgenerationalen Psy-chotraumatologie: Sexueller Missbrauch ist eine folgenreiche traumatisierende Verstrickung eines Kindes in einem Bindungssystem.
4 Folgen des sexuellen Missbrauchs
- Sexueller Missbrauch hat erheblichen seelische Konsequenzen für Kinder (vgl. Fischer und Riedesser, 1999, S. 264 ff.):
o Traumatisierung des Kindes in Bezug auf seine Sexualität mit den Folgen: falsche Vorstellungen über Se-xualität und Moral, Ekel vor Sexualität, Distanz- und Schamlosigkeit, zwanghaftes sexuelles Ver-halten, Promiskuität, Prostitution, Sexualisierung von Beziehungen, Abspaltung von Erfahrungen, dissoziative Amnesie
o Stigmatisierung des und Schuldzuweisung an das Kind mit den Folgen: Schuld- und Schamgefühle, be-schädigtes Selbstwertgefühl, Gefühl, verrückt zu sein, Gefühl der Entfremdung von anderen, Selbstisolierung, selbstschädigendes Verhalten, Delinquenz, Drogenkonsum
o Ohnmachtserfahrung mit den Folgen: Albträume, Phobien, Eß- und Schlafstörungen, Schulproble-me, Schuleschwänzen, aggressives Verhalten, Somatisierung psychischer Konflikte
o Verrat des kindlichen Vertrauens mit den Folgen: Depression, extreme Abhängigkeit, Ärger, Feindse-ligkeit, Unfähigkeit zur Einschätzung anderer, frühe Ehe aus Wunsch nach heiler Familie
- Je früher im Leben eines Kindes Sexueller Missbrauch stattfindet, je intensiver der sexuelle Kontakt war, je stärker Gewalt ausgeübt wird, je näher das Verwandtschaftsverhältnis und je intensiver die Bindung zwischen Täter (meist Männer) und Kind ist, desto verdeckter und gravierender sind die Spätfolgen für das Kind.
- Die traumatisierenden Folgen des sexuellen Missbrauchs sind deshalb so gravierend, weil sie von Perso-nen ausgeübt werden, die das Kind liebt und zu denen das Kind Vertrauen hat. Dadurch wird das Kind in seinen Gefühlen und in seiner moralischen Orientierung verwirrt. Es hat völlig konträre Empfindun-gen und Gedanken: Ich werde bevorzugt Ich werde ausgenutzt. Ich bekomme eine besondere Zuwen-dung Ich werde misshandelt. Ich werde aufgewertet Ich werde erniedrigt. Ich muss andere schützen Ich werde bedroht. Ich stehe im Mittelpunkt Ich bin isoliert. Ich möchte schreien Ich muss schwei-gen. Ich möchte mich wehren Ich mache mit. Ich bin groß und trage Verantwortung Ich bin klein und hilflos. Ich werde verklärt Ich werde verleumdet. Ich brauche Schutz Ich muss andere schützen. Ich muss erhalten Ich möchte zerstören. Ich erlebe angenehme Gefühle Ich erlebe Ekel.
- Der sexuelle Missbrauch eines Kindes ist fast immer mit einem emotionalen Missbrauch verbunden.
5 Die Täter
- Täter sind fast ausschließlich Männer und männliche Jugendliche. Auch sexueller Missbrauch an Jungen wird meist von Männern ausgeübt. Frauen, die ihre Söhne oder Töchter sexuell missbrauchen, sind meist selbst missbraucht worden.
- Die Täter kommen in der Regel aus dem unmittelbaren und nahen Umfeld des Kindes: Väter, Stiefväter, Brüder, Onkel, Großväter, Nachbarn mit Zugang zur Familie, Lehrer, Pfarrer, Erzieher ... .
- Es gibt ausgefeilte Täterstrategien, um ein Kind gefügig zu machen In verstrickten Beziehungen fühlt sich der Täter sicher, durchbricht alle Schamgrenzen und geht deshalb immer weiter. Heiliger (2000) hat in einer Analyse von 29 Gerichtsakten verschiedene Täterstrategien herausgearbeitet:
o Strategien der sexuellen Annäherung der Täter an die Opfer (Einbindung des Missbrauchs in spielerische Handlungen, Darstellung der Handlungen als der Norm entsprechend, Kalkulieren mit dem Gehorsam des Kindes, Gestus des Aufklärers, Ausnutzen des kindlichen Bedürfnisses an Nähe, Wärme, Zuwendung, dem Kind die eigene Wahrnehmung und die eigenen Gefühle ausre-den)
o Strategien der Absicherung des Zugangs zum Kind (allmähliche Auflösung von Widerständen, Verständnis und Mitleid wecken, Betteln und Überreden, Erzeugen von Schuldgefühlen, das Kind als Lieblingskind behandeln, Geld geben und Geschenke machen, den Anschein der Nor-malität erzeugen, Demonstration von Autorität und Macht, Verstecken hinter einer Fassade von Moral und Anstand, Geheimhaltungsgebot etablieren, Isolation des Kindes, Spaltung des Mutter-Kind-Verhältnisses)
o Strategien nach der Aufdeckung des Missbrauchs (Schuldzuweisung an das Kind, Verdrehung der Tatsachen zur eigenen Entlastung, sich als verführt hinstellen, das Kind als notorischen Lügner oder krank bezeichnen, sich selbst als Opfer darstellen, Rolle des fürsorglichen Vater mimen, Drohstrategien gegen Therapeuten, Sozialarbeiter, Behörden aufbauen
o Strategien nach Verurteilungen (Einsetzen von Entlastungsargumenten wie Alkohol, keine Ge-walt angewendet, schlechte Lebensumstände, geringes Selbstbewusstsein, Ängste und Hemmun-gen, jedoch keine Verantwortungsübernahme und Bereitschaft zur Einnahme der Opferperspek-tive).
6 Mitwisser
- Es gibt in der Regel Mitverantwortliche für die Entstehung und Ausweitung der Dynamik des sexuellern Missbrauchs und Mitwisser (meist Frauen/Mütter), die mit dem Täter verstrickt sind und insgeheim, manchmal auch offen sein Handeln verleugnen oder dulden und dem Kind nicht aus der Verstrickung helfen. Mütter werden insbesondere dann anfällig, Missbrauch an ihren Kindern nicht zu verhindern und nicht zu stoppen, wenn
o sie selbst sexuelle Missbrauchserfahrungen erlebt haben und diese abgespalten haben,
o sie in Missbrauchsdynamiken in ihrer Herkunftsfamilie verstrickt sind,
o sie eine generell ablehnende Haltung gegenüber Sexualität oder speziell ihrem Partner gegenüber haben (was durch eigene Missbrauchserfahrungen verursacht sein kann),
o sie Angst vor den Konsequenzen der Aufdeckung des Missbrauchs haben (Scheidung, Schande, materielle Absicherung)
7 Dynamik der Verstrickung
- Das Kind steht beim sexuellern Missbrauch oft im Sog einer unausgesprochenen Ausgleichsdynamik in seinem labilen und bedrohten familiären Bindungssystem. Es übernimmt etwas für die Erwachsenen, damit diese ihre gestörten Beziehungen weiterleben können und sich nicht von einander lösen müssen. In der Rolle eines Ersatzpartners rivalisiert das Kind mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil.
- Auch Geschwister des missbrauchten Kindes sind in der Regel in die unheilvolle Dynamik mitverwickelt. Sie müssen das Familiengeheimnis durch Verleugnen mittragen.
- Es gibt eine Tendenz bei manchen missbrauchten Töchtern, den eigenen Vater in Schutz zu nehmen (Verdrängung oder Intellektualisierung des Sexuellen Missbrauchs, Generalisierung von Hass und Ver-achtung gegenüber Männern).
- Es gibt die unbewusste Tendenz zur Fortsetzung der traumatisierenden Verstrickung und damit zur transgenerationalen Weitergabe der Missbrauchserfahrungen von Betroffenen an eigene Kinder. Eine mögliche Folge ist, dass Töchter von Müttern mit Missbrauchserfahrungen magersüchtig werden. Ebenso sind Psychosen von Kindern oft die Folge von sexuellem Missbrauch in der Eltern- oder Großelternge-neration (Ruppert 2002).
8 Gesellschaftliches Umfeld
- Helfer (Polizisten, Juristen, Sozialarbeiter, Psychologen, Ärzte ...) sind in Gefahr, sich ebenfalls in das kranke und verwirrte Familiensystem zu verstricken. Oft erleben sie sich selbst überfordert, hilflos und ohnmächtig in der direkten Konfrontation mit dem Phänomen des sexuellen Missbrauchs.
- Ein Teil der Gesellschaft hat eine starke Neigung zur Verleugnung, Verdrängung, Verharmlosung und Tabuisierung des Sexuellen Missbrauchs (Elternschonung, Identifizierung mit Tätern, milde Strafen, fal-se memory-Bewegung)
- Ein Teil der Gesellschaft neigt zur Entrüstung, ohne sich auf die komplizierte emotionale Dynamik bei Sexuellen Missbrauchs einzulassen (Elternanklage, Identifizierung mit Opfern, Racheimpulse).
- Eine unvorbereitete Konfrontation von Tätern und Mitwissern durch Sozialpädagogen ist nicht anzura-ten. Ein solches aufdeckendes Gespräch sollte gut vorbereitet und immer in Anwesenheit einer zweiten Person aus dem Helfersystem erfolgen. Leugnung, Drohungen und Gegenangriffe sind immer zu erwar-ten und in die eigene Strategie mit einzubeziehen. Eine fundierte Kenntnis der Entstehungshintergründe von sexuellem Missbrauch und dessen Verlauf ist unabdingbar.
9 Erfahrungen aus der therapeutischen Arbeit mit PatientInnen
- Sexueller Missbrauch ist ein Tabuthema, scheinbar leichter behandelbare Krankheitssymptome und leich-ter lösbare Verstrickungen werden in Beratungen, Interventionen und Therapien stattdessen häufig in den Vordergrund geschoben. Sexueller Missbrauch kann auch ein tieferliegendes Trauma in der Familie überdecken.
- Ein notwendiges offenen Ansprechen von Sexuellem Missbrauch muss mit der Rücksichtsnahme auf die verletzten Schamgrenzen und die Ressourcen zur Traumaintegration der Patientinnen in Einklang ge-bracht werden.
- Eine Verharmlosung des sexuellen Missbrauchs durch Therapeuten ignoriert die traumatisierende Quali-tät des sexuellen Missbrauchs und erzeugt Illusionen in Bezug auf eine leichte Bewältigung der gravieren-den Folgen.
- Eine Dramatisierung von sexuellem Missbrauch durch Therapeuten ist andererseits Ausdruck unklarer eigener emotionaler Bewältigung des Themas und Ausdruck einer Überidentifikation mit dem Opfer.
- Wenn sich der Therapeut vor der verstrickenden Dynamik des sexuellen Missbrauchs fürchtet, bekommt auch die Patientin Angst und kann sich nicht öffnen.
- Heilsam ist zunächst das Finden und Bestätigen der Wahrheit: Der sexuelle Missbrauch hat stattgefun-den. Er war schlimm für das Kind.
- Das missbrauchte Kind darf dabei immer unschuldig bleiben. Seine Liebe und Verbundenheit zu seinen Eltern muss gewürdigt, seine Angst und Sorge um den Erhalt des Familiensystems muss anerkannt wer-den.
- Die volle Verantwortung/Schuld bleibt beim Täter. Er darf sich nicht entschuldigen oder herausreden. Das Kind muss dem Täter und den Mitverantwortlichen die Schuld zumuten.
- Verstrickte Gefühle brauchen Zeit, sich durch das Anschauen der familiärer Wirklichkeit aufzulösen. Das Kind löst sich vollständig aus der Paarbeziehung der Erwachsenen. Illusionäre Gefühle machen krank. Die Realität ernüchtert und heilt.
- Das Aufzeigen transgenerationaler Verstrickungen schafft ein besseres Verstehen der unbewussten Dy-namiken. Der sexuelle Missbrauch erhält dadurch seine Gewichtung in der Gesamtheit des Familien-schicksals.
- Heilende Bilder und Prozesse lassen allen Beteiligten ihre Würde und auch die Bürde der Schuld.
- Die Bewältigung der vielfältigen körperlichen wie seelischen Folgen von sexuellem Missbrauch bedarf in der Regel einer intensiven psycho- bzw. traumatherapeutischen Begleitung (z.B. Zuordnung von körper-lichen und psychischen Krankheitssymptomen zum sexuellen Missbrauch, über den sexuellen Missbrauch sprechen lernen, Energieblockaden im Körper auflösen, Rückfall in Verstrickungen widerstehen lernen, unangemessene Schuldgefühle zurückgeben, Selbstbestrafung aufgeben, gesunde Kontakte entwickeln ...).
- Traumatisierungen stellen Selbst- und Weltbilder in Frage. Aus dem Eingeständnis von Ohnmacht er-wächst oft die besondere Kraft für völlig Neues.
Literatur:
Butollo, W., Krüsmann, M. & Hagl, M. (1998). Leben nach dem Trauma. München. Pfeiffer.
Fischer, G. und Riedesser, F. (1999). Lehrbuch der Psychotraumatologie. München: Reinhardt.
Heiliger, A. (2000). Täterstrategien und Prävention. München: Frauenoffensive.
Kastner, H. (2000). Von einem Tag zum anderen. Wie vom sexuellen Missbrauch Betroffene überleben. Dettel-bach: Röll.
Kloiber, A. (2002). Sexueller Missbrauch an Jungen. Heidelberg: Asanger Verlag.
Ruppert, F. (2002). Verwirrte Seelen. Der verborgene Sinn von Psychosen. Grundzüge einer systemischen Psy-chotraumatologie. München: Kösel Verlag.
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Lieben Gruss Dagmar
*im nächsten Leben werde ich Psychologin oder sowas! Versprochen !!