[3] · Z · E · N · · : Semantik und der Zen-Buddhismus

Kvatar

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Insoweit die Mitglieder der Protestbewegung die konventionelle Sprachwelt durchschauen und wirklichkeitsnäher eingestellt sind, stehen sie auf dem Boden der metaphysischen Annahmen sowohl des Zen als auch der Allgemeinsemantik.


In der Literatur des Zen-Buddhismus finden sich einige eindrucksvolle Parallelen zwischen dem Zen-Gedanken und westlichen semantischen Vorstellungen. LAO TSE und ALFRED KORZYBSKI mögen zeitlich und räumlich weltweit voneinander entfernt sein, aber sie stehen sich in ihren metaphysischen Annahmen über Sprache und Wirklichkeit bemerkenswert nahe. Wir wollen einige dieser gemeinsamen Annahmen untersuchen, um eine mögliche Verbindung zwischen ihnen und der sogenannten Protestbewegung in der heutigen Gesellschaft (1972) herausfinden.

Die Zen-Philosophie betont, daß Worte nicht die wirkliche Welt erfassen können. Das Tao oder der "Weg des Lebens" kann nicht in irgendein Netz von Worten oder Symbolen eingefanen werden. Die Natur der Wirklichkeit läßt sich nicht kategorisieren, weil das Universum als konkrete Manifestation von ständig bewegter Energie aufzufassen ist; seine unablässigen Umwandlungen entziehen sich immer dem Bemühen, die Welt in feststehenden, aber abstrakten Begriffen zu beschreiben.

Nach Ansicht des Zen führt die Benennung der Dinge zu einer falschen Auffassung von der Welt. Namengebung führt zu der Illusion, die Struktur der Natur sei die gleiche wie die Struktur der Sprache, Natur sei eine Vielheit von verschiedenen Dingen und nicht eine Welt von wechselnden Beziehungen. Wenigstens ist dies die Interpretation, die der Zen-Philosophie von westlichen Gelehrten wie ALAN WATTS, NANCY WILSON ROSS, HUBERT BENOIT, PAUL REPS, WITTER BYNNER und D.T. SUZUKI gegeben wird.

Dieses Zen-Bild stimmt mit KORZYBSKIs bekanntem Gesetz der Nicht-Identität überein, welches besagt, daß die Landkarte nicht das Gelände ist und daß alles, was man von einem Ding aussagt nicht das Ding ist. KORZYBSKI sagt, daß nichts mit etwas anderem identisch ist, nicht einmal mit sich selbst im Laufe der Zeit, denn die Wirklichkeit ist ein Prozess. Das Wort ist nicht die Sache, die es bezeichnet, weil das, was es bezeichnet, sich ständig verändert.

Sowohl nach der Anschauung des Zen wie KORZYBSKIs bezeichnet die reguläre Sprache immer etwas außerhalb ihrer selbst. Sie ist ein Mittel des Hinweisens mit Symbolen, auf die man sich geeinigt hat. Beide Anschauungen deuten auf eine nicht benennbare Wirklichkeit hin - eine Welt jenseits der Worte, eine extensionale (1) Welt. Der Semantiker würde sagen, daß Worte keine Bedeutung haben; die Bedeutung wird den Worten im Kopf der Menschen beigelegt. Zen würde sagen, der konkrete Gegenstand sei die Bedeutung, nicht die Abstraktion, die zu seiner Bezeichnung gebraucht wird.

Die blauen Hügel sind einfach die blauen Hügel.
Die weißen Wolken sind einfach weiße Wolken.


Sowohl Zen als auch die Theorien der Allgemeinsemantik versuchen, das Denken davon zu befreien, die Identifikation auf Abstraktionen einzuengen. Einem Zen-Forscher und einem Semantik-Forscher könnte leicht dasselbe koan oder "Problem" gestellt werden, um ihn hinter den Worten die extensionale Wirklichkeit erkennen zu lassen. Die folgenden Zeilen aus der Zen-Dichtung veranschaulichen diesen Punkt:

"Worte können nicht alles beschreiben.
Des Herzens Botschaft läßt sich nicht in Worte fassen.
Wer Worte wörtlich nimmt, ist verloren.
Wer mit Worten zu erklären versucht,
Kann keine Einsicht ins Leben gewinnen." -Ekai


Oder auch:

Das Wesen entzieht sich der Macht der Worte.
Man kann Begriffe verwenden,
Aber keiner von ihnen ist absolut.
Im Anfang von Himmel und Erde
Gab es keine Worte;
Die Worte kamen aus dem Schoß der Materie;
Und ob ein Mann leidenschaftslos
Auf den Kern des Lebens blickt
Oder leidenschaftlich die Oberfläche betrachtet,
Der Kern und die Oberfläche
Sind wesentlich dasselbe,
Worte lassen sie verschieden erscheinen
Und drücken nur die Erscheinung aus." -Lao Tse



Wir sollten aber daraus nicht folgern, daß die Zen-Philosophie und die semantische Theorie jeglichen Gebrauch der Sprache ablehnen. Wenn einmal der Schüler die Sprache "durchschaut" und ihre Grenzen erkennt, wenn er sie bloß als gesellschaftliche Übereinkunft versteht, dann ist er frei, sie mit einem neuen Gefühl der Freiheit zu gebrauchen.

Denselben Gedanken hat Walter Lippman bei der Besprechung von Stereotypen zum Ausdruck gebracht. Lippmann sagt, sogar Stereotypen seien von gewissem Nutzen, solange wir uns nicht zu eng an sie halten und bereit sind, sie im Lichte neuer Informationen zu verändern. Kurzum, Worte sind nützlich, wenn wir uns nicht von ihnen bestricken lassen. Leider aber ist dies oft der Fall. Alan Watts schrieb, ein Teil der menschlichen Frustrierung komme daher, daß man sich daran gewöhnt habe zu erwarten, daß die Sprache und das Denken Erkenntnisse vermitteln, die sie nicht geben können. Menschen verwechseln Worte mit der wirklichen Welt und versuchen, in der wirklichen Welt so zu leben, als ob sie die Welt der Worte wäre; infolgedessen sind sie bestürzt, wenn die Worte nicht passen.

Sowohl der Vertreter der Allgemeinsemantik als auch der Zen-Anhänger würde darin übereinstimmen, daß Worte den Geist auch verwirren können, daß sie künstliche Probleme oder Situationen schaffen. Dieser Gedanke wird von den Theorien der Gesellschaftspsychologie bestätigt. Mit den Worten von W.I. Thomas: Wenn Situationen als wirklich definiert wurden, dann werden sie hinsichtlich der Konsequenzen für das menschliche Verhalten wirklich.

In der modernen Gesellschaft gibt es das als "Protestbewegung" bekannte Phänomen. Diese Bewegung ist natürlich keine monolithische Einheit. Sie umfaßt Elemente mit weit voneinander abweichenden Anschauungen, Taktikern und Zielen; aber in diesem einen Punkt sind alle einig, daß nämlich Heuchelei in unsrer Gesellschaft weit verbreitet ist. Die Mitglieder der Bewegung werfen den Führern unsrer gesellschaftlichen Institutionen, dem "Establishment", vor, mit Worten zu spielen. Die Anklage lautet, daß die maßgebenden Leute in der Regierung, in der Geschäftswelt, in der Erziehung, in den Kirchen, sogar Eltern in der Familie das Eine sagen und das Andere tun. Die Mitglieder der Bewegung stimmen JOHN KENNETH GALBRAITH zu, daß wir in einer Zeit der "Wort-Tatsachen" leben, einer Periode, in der Worte mit Taten verwechselt werden. Die von den herrschenden Kreisen gebrauchten Worte klingen schön, haben aber wenig soliden Halt in der Wirklichkeit.
 
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Die Mitglieder der Protestbewegung machen es sich zur Aufgabe, die Scheinwelt der Worte zu durchschauen, um die wirkliche extensionale Welt zu erkennen. Inwieweit es der Zen-Philosophie oder der Allgemeinsemantik gelungen ist, einen Beitrag zu diesem "Durchschauen" zu leisten, ist nur schwer festzustellen. Es ist jedoch erstaunlich, wenn es bloß Zufall wäre, daß viele Angehörige der Bewegung sich für orientalische Religionen im allgemeinen und für Zen im besonderen interessieren.

In der Zen-Literatur ist ihnen sicherlich die Praxis des "den Geist Ruhelassens" begegnet, oder in der Ausdrucksweise der Semantik: die Erfahrung der unmittelbaren, konkreten Wirklichkeit, die nicht in Kategorien, Symbole und Abstraktionen eingeteilt ist. Verschiedene Formen der Meditation, seien sie transzendent oder anderswie, werden von den Mitgliedern der Bewegung praktiziert. Sie nehmen "bewußtseinserweiternde" Drogen wie LSD, Meskalin, Peyote usw. ein. Solche Erfahrungen sind mystischund lassen sich nicht leicht in Worten ausdrücken, aber alle sind Versuche, hinter den Schleier der Konvention und des Äußeren Scheins zu kommen.

Gegen den Schleier der Konvention und des Scheins protestiert die Protestbewegung. Ohne Zweifel protestiert sie dagegen, daß die Gesellschaft sich nicht um konkrete gesellschaftliche Probleme und Bedingungen kümmert, und sie behauptet, was ebenso wichtig ist, daß die verbale Trennung das Establishment daran hindert, die Wirklichkeit dieser Probleme und Bedingungen zu erkennen. Das Establishment fahre fort, Worte als bare Münze zu nehmen; es behandle Worte ständig, als ob es Taten wären.

Der im Zen geübte Protestler durchschaut die Farce der Pressekonferenzen, den Versuchsballon, die Pressemitteilung, das Programmpapier, die öffentliche Rede - lauter Veranstaltungen, die geeignet sind, gesellschaftliche Probleme verbal zu lösen. Es fehlt aber die konkrete Tat, und gegen diese Heuchelei wird protestiert. Seine Zen-Erfahrung hat den Protestler gelehrt, das Wortwesen und den seichten Euphemismus zu durchschauen, der die Gesellschaft so weitgehend charakterisiert.

Wir müssen zugeben, daß es in der Protestbewegung Elemente gibt, die unsre metaphysischen Annahmen nicht teilen oder die es jedenfalls zweckmäßig finden, sie gelegentlich zu ignorieren. Es gibt Mitglieder der Bewegung, die es verurteilen, wenn von Führern des Establishment Etiketten und Euphemismen (=beschönigende Bezeichnungen) gebraucht werden, die aber nicht darüber erhaben sind, dieselben Sünden zu begehen.

Wir könnten folgende Beispiele anführen: die euphemistisch sich so nennenden "Students for a Democratic Society" (sind sie wirklich demokratisch?); das "Free Speech Movement" (verlangen die Mitglieder freie Rede für jedermann oder nur für Leute, die mit ihnen übereinstimmen?); das "Student Non-Violent Coordinating Committee" (sind die Mitglieder wirklich Studenten und sind sie immer gewaltlos?); oder die "Progressive Labour Party" (sind ihre Mitglieder wirklich progressiv und treten sie für die Arbeiter ein?). Weitere Beispiele ließen sich anführen.

Insoweit die Mitglieder der Protestbewegung ihre eigenen künstlichen Kategorien oder Stereotypen geschaffen haben, haben sie nur wenig mit Zen und mit der Allgemeinsemantik gemeinsam. Insoweit ihre Mitglieder die konventionelle Sprachwelt durchschauen und wirklichkeitsnäher eingestellt sind, stehen sie auf dem Boden der metaphysischen Annahmen sowohl des Zen als auch der Allgemeinsemantik.

Wenn die Allgemeinsemantiker neben ALFRED KORZYBSKI auch LAO TSE lesen würden, dann würden sie viele gemeinsame Gedanken finden. Wenn mehr Protestler die Lehren von LAO TSE und ALFRED KORZYBSKI lesen und befolgen würden, wie sie es bei den Lehren von MARX und MARCUSE tun, dann würden sie merken, daß sie ihr eigenes Haus in Ordnung bringen sollten. Wenn die Protestler die Heuchelei in ihren eigenen Reihen ausmerzten, dann würden sie im Establishment sicherlich aufmerksamere Zuhörer finden.
 
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Hi Kvatar,

ja, der Teufel steckt im Detail.:D
Du meinst also, durch Sprache entsteht eine Distanzierung von anderen Arten des Handelns, d. h. heißt wir gehen gegenüber unserem eigenen Handeln in die Position des Beobachters?
Entsteht dadurch die Möglichkeit der distanzierten Betrachtung unserer selbst?
Ist durch diese Spaltung die Erfahrung von inneren Bildern möglich und täuscht uns diese Erfahrung wiederum vor, daß unsere Wahrnehmungen und deren innere Beschreibungen zwei verschiedene Dingen seien?
Was macht es für einen Sinn die beiden Schleier zu lüften, wenn ja doch alles ein ständiger Prozeß ist?

Das zunächst.

Alles Liebe
Isis
 
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