Tüpfelchen
Mitglied
- Registriert
- 4. August 2006
- Beiträge
- 39
Hallo Tüpfelchen,
Und wie sieht das in der Praxis aus?
So wie ich Dich verstehe, würde das so aussehen: Du wirst aus irgendeinem Grunde furchtbar wütend, knebelst die Wut aber und sagst ihr, dass Du sie liebst?! Wenn Deine Wut nun ein wütendes Kind wäre und Du möchtest diesem Kind klarmachen, dass Du es auch mit seiner Wut liebst, wie stellst du das an? Darf das Kind seine Wut ausdrücken oder besser nicht? Ich meine, wo soll denn die "Wutenergie" hin, wenn sie da ist? Wenn man sie in die Liebe transformieren möchte, dann darf man ihr aber nicht den Ausdruck versagen. Alles andere ist Verdrängung. So sehe ich das, lasse mich aber gerne korrigieren.
Katarina
Hallo Katarina,
ja genau, das Kind ist ein gutes Beispiel. Bevor es von den Eltern in diesem Verhalten korrigiert und zur Ordnung gerufen wird, läßt ein Kind seiner Wut und Aggression freien Lauf. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß sich ein Kind deshalb schuldig fühlt, es sei denn, ihm wird sofort und unmißverständlich klargemacht, daß sein Verhalten so nicht zu tolerieren sei.
Wenn ich versuche diese Teile in mir zu finden, die ich bisher kategorisch als schlecht eingestuft habe, treffe ich immer auf ein Kind. Auf ein enttäuschtes, verunsichertes und sich nicht verstanden fühlendes Kind. Es hat seinen Gefühlen Ausdruck gegeben und wurde deshalb verurteilt. Es kommt dabei nicht auf die Art der Reglementierung an. Schläge verletzen genauso wie die Drohung "wenn du dich so schlecht aufführst, wird dich niemand mehr lieb haben".
Du fragst jetzt zu Recht wo diese Wutenergie hinkommen soll. Gegenfrage, wo kommt die Wutenergie her? Sie ist kein angenehmer Zustand, setzt den ganzen Organismus unter Stress und eigentlich fühle ich mich gar nicht wohl, wenn ich wütend bin. Und zwar unabhängig davon, ob ich oder andere mich für einen Wutanfall verurteilen würden, ihn für unangebracht halten, etc. etc.
Mein Ansatzpunkt, der selbstverständlich nur eine Überlegung und deshalb mit einem Fragezeichen versehen ist ist folgender: Wenn ich Ärger, Wut, Aggression als einen unabtrennbaren Teil von mir betrachte, muß ich ihn dann noch so deutlich nach außen tragen?
Ich möchte meine Wut und meine Aggressionen haben und behalten möglichst ohne andere damit zu verletzen. Diese Wut ist doch kein überflüssiger Bestandteil meines Wesens, sondern kann in Extremfällen mein Leben schützen und gibt mir wichtige Hinweise. Ich will sie nicht knebeln, ich will mich mit ihr arrangieren, weil sie für mich wertvoll ist. Kann ich diese Wutenergie nicht vielleicht gegebenenfalls für viel angenehmere Dinge nutzen, als irgendwo herumzuschreien und danach heiser zu sein? Ja, ich weiß wie seltsam das klingt, aber zu meiner Entschuldigung kann ich anführen, daß ich gerade erst anfange damit zu experimentieren.
Also Praxisversuch. Das schöne Friseurbeispiel. Alleine bei der Vorstellung jemand schneidet meine Haare unerlaubterweise stufig (was jedesmal versucht wird) könnte ich ausflippen.
Ich bin also stinkwütend, mir wurde nicht zugehört, meine geliebter, wenn auch nicht schöner Haarschnitt ist futsch und jetzt soll ich auch noch lieb und rücksichtsvoll sein und Verständnis haben, und die Friseuse kriegt vielleicht Ärger wenn ich mich jetzt beschwere also muß ich Rücksicht zeigen und ich bin mittlerweile so böse, daß ich kaum noch Luft bekomme, mein Magen krampft sich zusammen und ich könnte einfach nur losschreien oder gar losheulen. Und vielleicht sollte ich bis morgen warten, bis ich mich wieder beruhigt habe und daher den ganzen restlichen Tag an den unausgesprochenen Vorwürfen herumwürgen.......
Also, erlaube ich mir in diesem Fall wütend zu sein. Auch wenn es nur ein Haarschnitt ist. Ich schaue mir das schreckliche Ergebnis im Spiegel an und lasse meinen ganzen Abscheu darüber zu. Ich weiß ich bin im Recht. Auch wenn es sich um ein so unwichtiges Thema handelt, es ist mir wichtig und daher darf ich aufgebracht sein. Ich darf mich beschweren, da mir eine falsche Frisur aufgezwungen wurde, ich muß mir keine Gedanken machen, ob irgendwer deshalb Ärger bekommt. Ich darf so rücksichtslos sein, darf ein unbequemer oder auch lästiger Kunde sein! Und es ist mir nicht peinlich mich zu beschweren. In ehrlicher und gerechtfertigter Wut trete ich also ohne diesen fürchterlichen Druck im Magen zur Reklamation an. Ich bin dabei nicht mehr mit Selbstzweifeln beschäftigt und kann ruhig in Verhandlungen wegen einer Nachbesserung oder Kostenerstattung treten. Und ich ärgere mich nicht noch Stunden danach, wegen meines Auftrittes oder wegen der Sachen die ich nicht gesagt habe. Die Friseuse kann dann auch relativ ruhig mit mir nach einer Schadensbegrenzung suchen, da sie nicht damit beschäftigt ist, sich zu verteidigen.
Soweit also meine Theorie. So auf die Art, wenn ich ein Biest sein darf, muß ich mich nicht mehr so benehmen. Ich glaube es hat etwas damit zu tun, daß gerade die verbotenen Dinge eine so immense Energie beinhalten und gehört werden wollen.
LG Tüpfelchen