Soweit nun einer in der Sanftmuth und Geduld des Herzens vorwärts schreitet, ebensoweit wird er in der Reinheit des Körpers kommen; und je weiter er die Leidenschaft des Zornes von sich getrieben hat, um so fester wird er die Keuschheit bewahren. Denn nur der wird der Brunst des Leibes entgehen, der zuvor die Aufwallungen des Gemüthes unterdrückt hat. Das beweist klar eine durch den Mund unsers Erlösers angerühmte Seligkeit: Selig sind die Sanftmüthigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. (Matth. 5, 4) Nicht anders also werden wir unser Erdreich besitzen, d. i. nicht anders wird das aufrührerische Reich unseres Körpers unter unsere Botmäßigkeit gebracht werden, als wenn unser Geist zuvor in sanfter Geduld gegründet ist; und es wird einer die gegen sein Fleisch entstehenden Kämpfe der Lust nicht unterdrücken können, wenn er nicht die Waffen der Milde führen gelernt hat. Denn die Sanftmüthigen werden das Erdreich besitzen und werden in Ewigkeit darin wohnen. (Ps. 36, 11+29) Wie wir nun dieses Land erwerben können, lehrt derselbe Prophet in den folgenden Versen des Psalmes: Warte auf den Herrn und bewahre seinen Weg, so wird er dich erhöhen, daß du als Erbtheil das Erdreich erlangest. (Ps. 36, 34) Es steht also fest, daß niemand zur festen Besitznahme jenes Landes gelangen könne, als wer mit unerschütterlicher, geduldiger Sanftmuth die rauhen Wege und Gebote des Herrn wahrt und von ihm aus dem Kothe der fleischlichen Leidenschaften herausgezogen und erhöht worden ist.
Also die Sanftmüthigen werden das Land besitzen und nicht nur dies besitzen, sondern sich auch freuen in der Fülle des Friedens, den niemand ständig genießen wird, in dessen Fleisch noch die Kämpfe der Begierlichkeit entstehen. Denn er wird nothwendig von den härtesten Angriffen der Teufel beunruhigt werden und von den feurigen Geschoßen der Lust verwundet aus dem Besitze seines Landes gedrängt werden, bis der Herr die Kämpfe entfernt bis an die Grenzen des Reiches, den Bogen zermalmt und die Waffen zerbricht und die Schilde im Feuer verbrennt, nämlich in jenem, das auf die Erde zu bringen der Herr gekommen war. Ja, er muß die Bogen und Waffen zerbrechen, mit welchen die bösen Geister Tag und Nacht kämpften, indem sie mit den feurigen Geschoßen der Leidenschaften das Herz trafen. Wenn einen so der Herr, der die Kämpfe bannt, von aller Glut der brennenden Reize befreit hat, so wird er zu einem solchen Zustande der Reinheit gelangen, daß er, frei von der Angst, mit welcher er in der Kampfeszeit sich selbst (sein Fleisch) fürchtete, anfängt, sich desselben als des reinsten Tabernakels zu freuen; denn die Übel werden nicht über ihn kommen, und die Geißel wird nicht nahen seinem Gezelte. (Ps. 90, 10) Er wird nämlich durch die Tugend der Geduld zu jener prophetischen Verheissung gelangen, daß er durch die Sanftmuth nicht nur sein Land erbt, sondern auch sich freut in der Fülle des Friedens. Wo aber noch die Kampfessorgen sind, da kann die Fülle des Friedens nicht sein. Es heißt ja nicht: sie werden sich erfreuen im Frieden, sondern: in der Fülle des Friedens.
Dadurch ist deutlich gezeigt, daß also die Geduld das wirksamste Heilmittel des Herzens sei, nach jenem Ausspruche Salomons: Ein sanfter Mann ist ein Arzt des Herzens, (Sprüchw. 14, 30) so daß er also nicht nur den Zündstoff des Zornes, der Traurigkeit, der Unlust, der Ruhmsucht, des Hochmuths, sondern auch den der Lüsternheit und aller Laster gleichmäßig auslöscht. In der Langmuth wohnt, wie Salomon sagt, Glück für die Könige. Denn wer immer mild und ruhig ist, wird weder von der Aufregung des Zornes entzündet noch von der Angst der Unlust und Traurigkeit verzehrt noch durch die Eitelkeit der Ruhmsucht zerstreut, noch überhebt er sich in der Aufgeblasenheit des Hochmuths. Denn viel Friede haben die, welche den Namen des Herrn lieben, und für sie gibt es keinen Anstoß; und desshalb wird nicht mit Unrecht erklärt, daß der geduldige Mann besser ist als der tapfere, und besser, der den Zorn beherrscht, als der eine Stadt einnimmt. (Sprüche 16, 32) Bis wir nun diesen festen, dauernden Frieden zu besitzen verdienen, müssen wir in vielen Anfechtungen versucht werden und gar häufig unter Seufzern und Thränen jenen Vers wiederholen: Elend bin ich geworden und gebeugt gar sehr; den ganzen Tag gehe ich trauernd einher, weil meine Lenden sind voll von Wahn, und es ist nicht Heiles an meinem Fleische vor dem Angesichte deines Zornes, und kein Friede meinem Gebein ob meiner Thorheit. (Ps. 37, 7. 8. 4) Dann besonders werden wir passend und in Wahrheit so klagen und weinen, wenn wir nach langer Reinheit unseres Körpers schon hofften, die fleischlichen Befleckungen überwunden zu haben, und nun fühlen, daß der Stachel des Fleisches wegen des Übermuthes unseres Herzens sich wieder gegen uns erbebt, oder doch daß auf Traumestäuschung hin der frühere unreine Fluß uns wieder benetzt.