In Bezug auf die explodierten Pager ist es vielleicht auch noch interessant zu wissen, dass die Pager nicht einfach explodierten, sondern erst piepsten, so dass ihre Besitzer sie anschauten und hochhoben, bevor sie dann explodierten. Das erklärt, weshalb es so viele Opfer mit Verletzungen im Gesichtsbereich und an den Händen gibt, aber auch im Hüftbereich, weil die Pager natürlich auch in Hosentaschen oder allenfalls am Gurt getragen wurden. Ohne den Signalton hätte es wohl viel weniger Verletzungen im Gesicht und an den Händen gegeben. (Siehe
Wikipedia)
Ebenfalls interessant ist das hohe Verhältnis Verletzte versus Tote. Zwar ist ein Pager ein relativ kleines Gerät, es wirft jedoch die Frage auf, ob Israel nicht mit Absicht möglichst viele Menschen verstümmeln statt töten wollte. Man muss sich hier vor Augen führen, dass Israel ja die Pager einfach hätte remote zerstören können, ohne dass sie explodierten. Es ging also Israel nicht bloss um eine Zerstörung der Kommunikationsinfrastruktur, sondern um ganz gezieltes Töten oder eben Verstümmeln.
Und nicht nur das. Dass die verbleibenden Hisbollah-Mitglieder nach dem Ausfall der Pager zu Walkie-Talkies griffen, und diese dann auch explodierten, ist natürlich auch als psychologische Kriegsführung zu verstehen. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist hingegen, dass folglich noch einmal dadurch bekräftigt wird, dass die israelische Regierung auch hier noch einmal eine weitere Grenze zu überschreiten gewillt war: wen die erste Welle nicht triff, den trifft die zweite Welle.
Die israelische Regierung hat mit dieser Operation mit aller Macht gezeigt, dass das Land nicht bloss in der Lage sondern auch gewillt ist auf eine Art und Weise Krieg zu führen, die tatsächlich neuartig ist: eine Mischung aus skalierter Geheimdienstoperation zur Ausschaltung von tausenden Personen im Ausland, die einerseits einer feindlichen Organisation angehören, gleichzeitig jedoch im Alltagsleben eben
auch Nicht-Kombattanten sind. Das heisst nicht, dass dieselben Personen nicht jederzeit zu Waffen greifen und Israel angreifen können, aber es heisst, dass sie in dem Moment der Explosion eben in Mehrheit Zivilpersonen waren. Genauso, wie Soldaten zuhause als Nicht-Kombattanten sind.
Die israelische Regierung hat also machtvoll demonstriert, dass sie bereit ist, sich den Mitteln herkömmlicher terroristischer Organisationen zu bedienen (Bomben nicht in Kriegsgebieten abwerfen, sondern sie planend pflanzen), aber hoch skaliert und mit der vollen Breitseite des israelischen Militärs und Geheimdienstes in Kombination. Was das für die israelische Demokratie heisst? Wäre ich ein israelischer Bürger, so wäre ich nur halb erleichtert, dass die Hisbollah 'eins auf den Deckel gekriegt' hat. Ich wäre jedoch gleichzeitig sehr beunruhigt darüber, dass ich in einem Land lebe, wo die Regierung im Ausland mit Sprengfallen tausende Menschen verstümmelt. Es ist eine Sache im Gaza die Hamas zu jagen, es ist eine andere Sache, über Monate hinweg tausende Sprengfallen zu verteilen. Offenbar versteht die israelische Regierung die libanesische Bevölkerung als reine Manövriermasse, die man nach Belieben mit Terror einschüchtern kann, damit sie nicht zur Hisbollah überlaufen. Wäre ich ein Israeli, so würde ich mich fragen, was gerade mit einem bisher immerhin einigermassen demokratischen Israel passiert. Eine Regierung, die die Bevölkerungen anderer Staaten absichtlich einschüchtert um am Ende die eigene Bevölkerung zu schützen - was besagt denn das wirklich über diese Regierung aus? Wie sehr würde ich als Bürger Israels dieser Regierung vertrauen, dass sie die demokratischen Grundwerte im eigenen Land auch in Zukunft auf grundsätzliche weise aufrechterhalten wird?
Wäre ich einer der Diktatoren dieser Welt, beispielsweise ein russischer oder auch nordkoreanischer, so würde ich hier sehr, sehr genau hinschauen. Von Israel gibt es diese Tage offenbar eine Menge an moderner Kriegsführung zu lernen. Was der israelische Geheimdienst kann, das kann vermutlich auch der russische. Beispielsweise in der Ukraine. Israel hat hier eine neue Büchse der Pandora geöffnet, und wir wissen noch nicht, was dort alles herauskommen wird. Was es auch immer ist, es könnte am Ende auch schmerzhaft für Israel selbst werden. Wäre ich die Hisbollah, so würde ich in diesem Moment beginnen, mir ernsthaft Gedanken zu machen, Israel auf anderen Wegen als durch "Raketenabfeuern" zu bekämpfen. Und da kommen einem einige sehr unschöne Dinge in den Sinn, die durchaus nicht einer konventionellen Kriegsführung entsprechen, aber in Kürze viele zivile Opfer produzieren können.
Noch als letztes: Die Hisbollah ist nicht die Hamas. Die Hisbollah ist unter den Libanesen keineswegs besonders populär. Die Hamas vermutlich auch nicht, aber im Gegensatz zur Hisbollah ist die Hamas eine palästinensische Organisation, also eine Organisation aus dem eigenen Land, während die Hisbollah am Ende eine Puppe Irans ist.