Kann man wirklich nur jedem empfehlen, mal zu lesen, wer es noch nicht kennen sollte:
Link geht bei mir noch nicht, deshalb der gesamte Text:
Es muß sowieso raus!
Samstag, 15. November 2008
Ebenezer Scrooge, jener geläuterte Charakter aus Charles Dickens "Weihnachtsgeschichte", öffnete am Christtag das Fenster seiner Schlafstätte. Eben hatte er seine Läuterung erfahren, eben erkannte er voller Demut, dass sein vorheriges, sein gieriges und geschäftiges Leben, ein Irrtum war. Nun also öffnete er das Fenster und rief zu einem Knaben hinab, er möge sich schnellstens ins Kontor begeben, um aus der dortigen Speisekammer den alten, nie aufgetischten Schinken hervorholen, den er noch von seinen früheren, seit Jahren verstorbenen Geschäftspartner Marley erhalten hatte. Der Schinken, so rechtfertigte sich Scrooge vor sich selbst, sei zwar bereits streng im Geschmack, zudem trocken und hart, aber mit einer Beilage, die im Geschmack dominiert, würde diese Strenge sicherlich kaschiert werden können. Überhaupt sei das nicht so wichtig, wichtiger sei, dass sich Bob Crachit, sein langjähriger Angestellter, und dessen Familie darüber freuen. Der Gedanke zählt mehr als die Umsetzung. Jedem sei damit geholfen: Crachit, weil er damit den Seinen einen schönen Weihnachtschmaus bereiten könne und ihm selbst auch, weil er diesen störenden Schweinehaxen nun endlich los wäre - selbst verspeisen wolle er ihn sowieso nicht mehr und wer kaufe ihm ein solches Stück vertrockneten Leders noch ab?
So war es natürlich nicht, aber die Geschichte hätte so ein Ende nehmen können, hätte Charles Dickens in heutiger Zeit gelebt und geschrieben. In Wahrheit ließ Dickens den Knaben, auf Scrooges Anweisung hin, zu einem Geflügelhändler laufen, um den großen Preistruthahn zu bringen, der in der Auslage ausgestellt war. Diesen wollte er Crachit und seiner Familie zum Geschenk machen. Er ließ es sich sein Geld kosten, ließ ein hochwertiges Lebensmittel einkaufen, welches ihm selbst schmackhaft gewesen wäre - und später auch war, denn Scrooge blieb zum Essen, erhöhte dort Crachits Gehalt und übernahm alle Kosten für die Behandlung von Crachits kranken Sohn Tiny Tim -, ließ also Qualität zum Geschenk werden. Es ging nicht nur um die gute Absicht des Schenkens, um das "der-Gedanke-allein-zählt", sondern darum, den Beschenkten etwas Gutes zu tun, das Richtige zu tun, nicht weil es als Befriedigung einer Eitelkeit anzusehen wäre, die einen dazu nötigt, die Absicht des Schenkens erfüllt zu haben, sondern weil es ihm eine Herzensangelegenheit war, dass die Beschenkten sich am Geschenk auch laben können.
Wie schon bemerkt: Wäre Dickens heute dazu verdammt, eine solche Geschichte zu schreiben, er würde womöglich eine andere Auffassung von Teilhabe und Mitmenschlichkeit haben, würde den finalen Akt der Geschichte in andere, zeitgemäßere, unserer Zeit gemäßeren Formen gießen, würde das Teilen zweckdienlicher begreifen, weniger selbstlos als in der Geschichte von 1843. Es wäre eine Form des Teilens und der Teilhabe, die sich in den heutigen Auffassungen wiederfinden würde, die sich beispielsweise im Wirken der Tafeln niederschlagen. Würdenträger aus Wirtschaft und Politik loben das Projekt der Tafeln und vorallem auch jene Discounter, die ihre an Haltbarkeitsdatum verfallenen Lebensmittel und Restposten, dort zweckdienlich unterbringen können. Man führe solche minderwertigen Produkte den Armen zu, bevor sie auf der Müllhalde landen - der Konsument mit Geld wäre sich zu schade, solche Lebensmittel zu kaufen, aber derjenige, der auf solche Geschenke angewiesen ist, der giert danach, der wird sich daran erfreuen. Ähnlich verhält es sich mit Läden, die benutzte Schultaschen und Schultüten gegen geringes Aufgeld verschenken. Oder wie war es einst, als uns der Rinderwahn überfiel und wir in dieser Gesellschaft meinten, wir könnten die befallenen Rinder zu den Hungerleidern nach Nordkorea schicken? Diese würden sich, trotz BSE-Verdacht, doch sicherlich über einen vollen Magen freuen...
Es ist ein funktionalisiertes, rationalisiertes Abgeben. Wir geben nicht ab, weil es uns ein Bedürfnis ist und weil wir wollen, dass der Beschenkte sich an der Qualität des Geschenkes erfreut, sondern weil es zweckdienlich sein soll. Bevor es im Müll landet, soll es doch den Notleidenden erfreuen - immerhin steht der Arme noch kurz vor der Müllverbrennungsanlage. Selbstlosigkeit findet sich im Teilen kaum noch, es ist immer ein Kosten-Nutzen-Denken, ein Abgeben mit Hintergedanken. Ginge es den Discountern, die sich an dem Tafel-Projekt beteiligen, wirklich um die Tat, um das Schenken und Teilhabenlassen, dann müßte man denen, die nichts haben, das schenken, was sich solche, die etwas haben, durch Bezahlung leisten können. So aber verschenken sie nur den Abfall, das Minderwertige, das Nutzlosgewordene, das Aussortierte. Es ist ein Teilen auf untersten Niveau, ein Teilen des "Es-muß-sowieso-raus". In diesem Sinne fördern wir ein suppenküchenstaatliches Teilen und glauben, damit sei jedem geholfen. Während die Armen den Dreck fressen sollen, denn die Reichen niemals speisen würden, feiert sich diese Gesellschaft im Glauben, etwas zweckdienliches gegen Armut getan zu haben. Ob man beim Teilen aber das Minderwertige weiterreicht, oder "auf einer Augenhöhe teilt", wird gar nicht mehr formuliert: Die Hungerleider sollen froh sein, wenn sie unsere Abfälle abbekommen!
Eine Gesellschaft des "Iß-oder-ich-muß-es-wegschmeißen" braucht keine Suppeküchen, damit die Notleidenden das aufbrauchen, was die Bessergestellten von ihren Tellern fallen lassen - eine solche Gesellschaft braucht staatliche Garantien, muß den Bedürftigen Gewissheit geben, dass sie an Qualität nicht zurückzustecken haben, nicht zweifelhaft gewordene Produkte verdrücken müssen, um nicht Hunger zu leiden. Die Tafeln können ein Umdenken der Teilhabe nicht bewirken, sie mehren nur den Irrglauben einer falschen, weil vollkommen durchrationalisierten Form des Teilens; eine Form, die besagt: Du kommst noch kurz vor dem Mülleimer; Du bist nützlich, weil Du die Müllhalden fressend verkleinerst; Du bekommst, was uns nicht mehr gut genug ist! Die Tafeln helfen zweifelsohne vielen Menschen, dennoch sind sie das Angesicht des "schlecht Gegebenen", sind sie Träger eines irrigen Denkens und Handelns - sie postulieren nicht Mildtätigkeit die vom Herzen kommt, sondern vernünfteln sich eine Mitmenschlichkeit zusammen, indem sie erzählen, dass es ethisch wäre, schlecht gewordene Lebensmittel an Arme weiterzuverteilen. Die Reste wurde auch schon im Mittelalter an die Bevölkerung weitergeleitet. Man möchte doch hoffen, dass diese Mittelalterlichkeit in einer Zeit, da jeder Mensch mit frischen Lebensmitteln satt zu bekommen wäre, kein Modell für die Zukunft ist.
Roberto J. De Lapuente