Liebe Hnoss,
eine Religion verkörpert die Bedürfnisse, Sehnsüchte, Hoffnungen und den gemeinsamen Wertekanonen ihrer Anhänger. Daraus ergeben sich dann auch die Gemeinsamkeiten aller Religionen. Gute Beispiele findest Du in der Traumwelt, in der solche uralten Sehnsüchte aus der Tiefe der Seele aufsteigen und mit denen alle Menschen miteinander verbunden sind.
Bäume, Wälder und Seen spielten in der Morgenröte der Menschheit eine große Rolle, weil Auenlandschaften über sehr lange Zeit unsern Lebensraum bestimmten. Dort fanden wir Schutz, Geborgenheit, Wärme, Kontinuität und Nahrung im Überfluss – kurzum ein Paradies. Deshalb ist für uns der Baum ein Inbegriff für all diese Dinge und beschreibt in den Träumen das Leben und auch unsere Persönlichkeit.
Du siehst, dass wir für diese Keimzelle aller Religion eigentlich keine Bücher oder Schriftgelehrten brauchen, weil wir all dies in unserem Herzen tragen. Mich wundert also nicht, dass gerade in vielen alten Religionen Weltenbäume wuchsen und angebetet wurden (z. B. Yggdrasil in unseren Breiten). Lieben wir nicht alle den Spaziergang durch einen Park mit Bäumen – ein Ort, der uns den Seelenfrieden spendet?
Manche Dinge aus dieser Religion der Morgenröte sind zwar längst aus den Büchern verschwunden, aber tief in unserer Seele bleiben sie für immer festgeschrieben. Ich vermisse in den Religionen des Wortes, das Erfahren der Spiritualität.
Merlin