Erotik am Anfang
Erotik bedeutet: langsames Ertasten. Sie hat mit Respekt zu tun, ein wenig auch mit Stolz und ganz viel mit Integrität und Würde. Die besten Chancen auf eine Umarmung der großen Unbekannten, der Erotik, hat man immer zu Anfang einer Beziehung, beim ersten Blick, wenn alles noch frisch, neu, jung und so noch nicht gedacht, gesehen, gefühlt ist. Da fällt natürlich das Kennenlernen eines neuen Menschen darunter, ebenso aber auch: das erste Mal einem Song lauschen, von einem Film hingerissen sein oder eine Fotografie zu betrachten.
Denn zu diesem Zeitpunkt verfügt man noch über das Rüstzeug für wahre Erotik: eine gewisse Unschuld, eine Reinheit, eine Unbefangenheit. Denke ich an erotische Momente in meinem Leben, denke ich nicht unbedingt an zerwühlte Laken, Stöhnen, multiple Orgasmen oder Dirty Talk. Sondern ich denke an Aufregung, Gänsehaut, einen Hauch Unsicherheit, gepaart mit Mut und einem unbedingten Willen. Ich denke an Leidenschaft, die kein Sex der Welt befriedigen kann, sondern die vom Akt an sich höchstens angefacht wird und danach noch heller flackert.
Ich denke an Bedürfnisse, die nie ganz gestillt werden können, weil Verschmelzen immer nur für Minuten stattfinden kann, aber die körperliche Trennung immer wieder Grundvoraussetzung ist. Ich denke an den Film "Die Träumer" von Bertolucci, an den Sonnenaufgang nach der Clubnacht mit dem Jungen. Ich denke an jemanden, in den ich mich verliebte, obgleich ich ihn noch nie gesehen hatte, jemanden, den ich nie küsste, nackt sah, was wahrscheinlich auch so bleiben wird. Ich denke an Riechen, Schmecken, Tasten und daran, wie ich spüre, dass mich jemand ansieht und meint, dass ich es nicht bemerkte. Ich denke an kleine Dinge. An eine wunderbare Verschwendung an Details.