Selbstmord

Warum sollte ich kein Recht haben, den Selbstmord an sich als sinnlos zu betrachten?
Hallo Sunny,

Wir bekommen hier die Anschuldigungen ab, die woanders hin gehören. Wo bitte findest Du hier im Forum "Familienstellen" esoterische Verharmlosungen ?

Es ist ein menschliches Grundbedürfnis, einen Sinn in etwas zu erkennen - einem Geschehen ein abgerundetes Ganzes geben, um damit abschließen zu können. Etwas Unverstandenes gibt uns keine Ruhe und arbeitet in uns. Wenn man den Sinn von etwas erkennt (oder zu erkennen glaubt) ist das enorm erleichternd. Das ist eine uralte Weisheit, dass der Mensch alles ertragen kann, wenn es ihm sinnvoll erscheint. Und dass Sinnlosigkeit für ihn unerträglich ist.

Alana zB. versucht Sinn in den bereits geschehenen Selbsttötungen in ihrer Familie zu erkennen. Wer gibt Dir das Recht, den Handlungen von Familienangehörigen von Alana von vornherein Sinn abzusprechen (und das tust Du, wenn Du Selbsttötungen allgemein und grundsätzlich als sinnlos erklärst) ?

Niemand hier fordert Dich auf, in den destruktiven Dynamiken Deiner Familie einen Sinn erkennen zu sollen. Aber bitte sprich Du niemand die Berechtigung ab, den tieferliegenden Sinn in leidvollen Erfahrungen der eigenen Familie zu erkennen.

LG, Reinhard
 
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Ich würde sogar behaupten, dass die Ablehnung dieser negativen Sinngebung bzw. Sinnlosigkeitsmöglichkeit ein Werturteil bedeutet. Warum sollte ich kein Recht haben, den Selbstmord an sich als sinnlos zu betrachten? Muss alles einen Sinn zugedacht erhalten, um als wertfrei zu gelten?

Nie und nimmer würde ich behaupten, daß ein Suizid sinnlos ist, denn der, der es getan hat, hat einen Sinn darin gesehen - und war sehr verzweifelt, sehr mutig auch und verdient Achtung und Respekt.
 
Lieber Jake,

1. Das ist für mich ein zentraler Ansatzpunkte im Kontakt mit Selbsttötungsgefährdeten. "Ich verstehe Deinen Wunsch nach Ruhe und Frieden. Wieso glaubst Du, dass es Dir nach dem Tod besser geht - dass Du dort Ruhe und Frieden finden wirst ?"

2. Grundsätzlich stellt sich bei uns zeitgeschichtlich das Thema anders rum. Gerade in der christlichen Kultur wurde Selbsttötung ohne Einschränkung als etwas ganz Böses und Schlechtes dargestellt. Als DAS menschliche Scheitern schlechthin. Das ging soweit (das ist Dir ohnehin bekannt), dass das kirchliche Begräbnis verweigert wurde und die Leichen ausserhalb des Friedhofs verscharrt wurden. Selbsttötung wurde insoferne als moralisch sogar noch unter dem Mord eingestuft. Ein Mörder (wenn er anschließend gebeichtet hatte) wurde sehr wohl kirchlich begraben. Insoferne finde ich es sehr wohl legitim, auch Menschen, die sich selbst getötet haben, die Möglichkeit offen zu lassen, dass sie keine gescheiterten Versager sind - dass sie auf ihre Art das Leben gemeistert haben können und dass es ihnen auch gut gehen kann.

3. Durch Aufstellungsarbeit können sich da schon Belege ergeben. Wenn Familienmitglieder nach einem Selbstmord darunter leiden, versagt zu haben, kann man schon schauen, wie es dem Betroffenen geht. Und dann kann es auch sein, dass sich das Bild zeigt : Ihm geht es gut. Es befremdet ihn, wenn die Hinterbliebenen seinen Tod als Katastrophe sehen und damit nicht fertig werden. Sein Wunsch, dass seine Entscheidung respektiert wird.

Für mich ist ein wichtiger Hinweis, wie das Gesicht eines Toten aussieht. Und in einem Fall habe ich mitbekommen, dass es gelöst und frei war.

Grundsätzlich ist hier eine enorme Heuchelei und Scheinheiligkeit in der Gesellschaft festzustellen. Einerseits werden mit größter Selbstverständlichkeit Existenzen ruiniert und Menschen in die Verzweiflung und ins Out getrieben. (zB. wenn sie arbeitslos werden und die Kredite für das neu gebaute Haus nicht mehr zahlen können.) Und wenn dann aus der Verzweiflung ein erweiterter Familien-Selbstmord entsteht, dann machen alle große Augen und sagen : Wer konnte das vorhersehen ?

LG, Reinhard

Lieber Reinhard,

das finde ich alles sehr wichtig, was du schreibst.
Die Verdammnis, die den Menschen zugesprochen wird, die sich selbst töten.
Und auch die Verlogenheit der Gesellschaft, die sich die Hände wäscht und sagt: Wie kann man so etwas nur tun!
 
Hallo Sunny,

Wir bekommen hier die Anschuldigungen ab, die woanders hin gehören. Wo bitte findest Du hier im Forum "Familienstellen" esoterische Verharmlosungen ?

Es ist ein menschliches Grundbedürfnis, einen Sinn in etwas zu erkennen - einem Geschehen ein abgerundetes Ganzes geben, um damit abschließen zu können. Etwas Unverstandenes gibt uns keine Ruhe und arbeitet in uns. Wenn man den Sinn von etwas erkennt (oder zu erkennen glaubt) ist das enorm erleichternd. Das ist eine uralte Weisheit, dass der Mensch alles ertragen kann, wenn es ihm sinnvoll erscheint. Und dass Sinnlosigkeit für ihn unerträglich ist.

Alana zB. versucht Sinn in den bereits geschehenen Selbsttötungen in ihrer Familie zu erkennen. Wer gibt Dir das Recht, den Handlungen von Familienangehörigen von Alana von vornherein Sinn abzusprechen (und das tust Du, wenn Du Selbsttötungen allgemein und grundsätzlich als sinnlos erklärst) ?

Niemand hier fordert Dich auf, in den destruktiven Dynamiken Deiner Familie einen Sinn erkennen zu sollen. Aber bitte sprich Du niemand die Berechtigung ab, den tieferliegenden Sinn in leidvollen Erfahrungen der eigenen Familie zu erkennen.

LG, Reinhard

Auch dafür Danke - das ist mir aus der Seele gesprochen, hätte es nur nicht so klar formulieren können.

ganz liebe Grüsse, Alana
 
Hallo Sunny,

Wir bekommen hier die Anschuldigungen ab, die woanders hin gehören. Wo bitte findest Du hier im Forum "Familienstellen" esoterische Verharmlosungen ?

Es ist ein menschliches Grundbedürfnis, einen Sinn in etwas zu erkennen - einem Geschehen ein abgerundetes Ganzes geben, um damit abschließen zu können. Etwas Unverstandenes gibt uns keine Ruhe und arbeitet in uns. Wenn man den Sinn von etwas erkennt (oder zu erkennen glaubt) ist das enorm erleichternd. Das ist eine uralte Weisheit, dass der Mensch alles ertragen kann, wenn es ihm sinnvoll erscheint. Und dass Sinnlosigkeit für ihn unerträglich ist.

Alana zB. versucht Sinn in den bereits geschehenen Selbsttötungen in ihrer Familie zu erkennen. Wer gibt Dir das Recht, den Handlungen von Familienangehörigen von Alana von vornherein Sinn abzusprechen (und das tust Du, wenn Du Selbsttötungen allgemein und grundsätzlich als sinnlos erklärst) ?

Niemand hier fordert Dich auf, in den destruktiven Dynamiken Deiner Familie einen Sinn erkennen zu sollen. Aber bitte sprich Du niemand die Berechtigung ab, den tieferliegenden Sinn in leidvollen Erfahrungen der eigenen Familie zu erkennen.

LG, Reinhard

Hallo Reinhard

Ganz ehrlich, mir gefällt es nicht, wie mir meine Ansicht als Verurteilen ausgelegt wird.

Nur weil ich dem Selbstmord oder schlimmstenfalls einem erweiterten Selbstmord keinen Sinn abgewinnen kann, heisst das noch lange nicht, dass ich Alana in irgendeiner Weise persönlich angreife oder jemandem verbiete, es anders zu sehen. Doch das gleiche Recht beanspruche ich auch für mich: Meinungsfreiheit.

Wertfreiheit bedeutet nicht, alles immer positiv sehen zu müssen und einzustimmen in den Chor: Ja, alles hat seinen Sinn.

Ich kann durchaus auch anderer Meinung sein. Hast Du nicht selbst in einem anderen Thread geschrieben, wie wichtig unterschiedliche Meinungen sind?

Aber ich bin kein Mensch, der gern diskutiert, dafür bin ich viel zu harmoniesüchtig. Euer Glück! *lach*

Damit ziehe ich mich zurück mit den besten Wünschen :-)
 
Noch eine Bemerkung zum Begriff "Sinn" :

Er wird so selbstverständlich verwendet - doch was bedeutet er eigentlich ? (Sinn ist oft zu einem abstrakten Begriff geworden, dessen Bedeutung irgendwie nebulos und nicht greifbar geworden ist.) Ist etwas sinnlos, ist etwas sinnvoll ? Who knows ?

"Sinnen" heißt ursprünglich "gehen, begehren, spüren". "Sinn" ist "die Reise, das Ziel, das Verlangen, das mit den Sinnen Gespürte". (Habe wieder mal das Herkunftswörterbuch von Duden zur Hand genommen.)

In diesem Verständnis hat tatsächlich JEDE Handlung einen Sinn. Mit jeder Handlung ist ein Wunsch und ein Ziel verbunden, jede Handlung ist Teil eines Weges.

Eine Frage ist, ob die Handlung auch tatsächlich zum gewünschten Ziel führt. Eine zweite Frage ist, ob ich dieses Ziel überhaupt als erstrebenswert betrachte.

Und : ich kann auch etwas "Sinnlosem" einen "Sinn" geben. Sprich : ich kann auch auf einem Irrweg etwas Wertvolles entdecken, das ich nicht gefunden hätte, wenn ich auf dem "rechten Weg" geblieben wäre. (Ein alpenländischer Vergleich : so wurde schon so manches Schwammerl gefunden, weil sich jemand im Wald verlaufen hat.)

LG, Reinhard
 
Ist sehr interessant, ein Wort so zu durchleuchten. Und es ist dann auch gar nicht nötig, einen Sinn negativ oder positiv zu betrachten.

Die dritte Frage wäre vielleicht, ob wir uns unseres "Sinnens" überhaupt bewußt sind?

liebe Grüsse

Alana
 
Hallo Sunny,

es ist halt so, daß man fast das Gefühl hat, es wäre einem etwas "untergejubelt" worden, was man so nicht gemeint und gesagt hat. Als ich mich darauf einließ, auf "erweiterten Suizid" einzugehen, war mir schon bewußt, was da vielleicht für Reaktionen kommen könnten.
Ich halte es für wichtig, verschiedene Meinungen zu hören, jedoch auch für wichtig, nur das zu lesen, was tatsächlich geschrieben und gesagt wurde.
Es wäre ja auch ein Leichtes, die Psychologie im Gegenzug ein wenig in ein falsches Licht zu rücken - nur warum sollte man das tun?
Ich denke, je mehr Meinungen zu einem Thema vorliegen, umso hilfreicher. Warum also nicht diskutieren?

liebe Grüsse, Alana
 
@Sunnygirl :

Da wir hier im Forum "Familienstellen" sind :

Dynamiken wie in Deiner Familie gibt es oft dort, wo in früheren Generationen tatsächlich Morde stattgefunden haben, die ungesühnt geblieben sind (vielleicht sogar unentdeckt). Da findet oft generationsüberschreitend ein "Ausgleich" statt. Wenn jemand in einer Familie gemordet hat, dann muss auch jemand aus dieser Familie sterben - wenn es nicht auf andere Weise gelöst werden kann. Muss nicht, aber kann ein Ansatzpunkt sein, wie Du einen Beitrag leisten kannst, die Dynamik in Deiner Familie grundlegend zu mildern oder zu lösen.

Das Erschütterndste, was ich in diese Richtung erlebt habe, war eine Frau, die sich zwanghaft immer wieder Schnitte am Körper zugefügt hat und die immer wieder sterben wollte. Während der Aufstellung ist in ihr plötzlich ein Film abgelaufen, in dem sie gesehen hat, wie ihr Vater eine Frau mit einem Messer zerschnitten und ermordet hat. Sie ist dem nachgegangen - so ein Mord hatte tatsächlich stattgefunden und ihr Vater war als möglicher Täter angeklagt. Er wurde aber damals mangels Beweisen freigesprochen. (Ich habe die Geschichte natürlich verändert und nur das Grundmuster wiedergegeben - zum Schutz der Person, die das erlebt hat.)

Liebe Grüße, Reinhard
 
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@ Jake :

Das ist übrigens auch ein Beispiel, wie ein Selbstmord (und hier passt für mich die Bezeichnung) ein Versuch einer Lösung sein kann; ein Versuch die Familie von Schuld zu entlasten. Allerdings funktioniert das nicht, weil aus Leid noch mehr Leid entsteht - und das Leid so nicht vermindert, sondern im Gegenteil vergrößert wird.

Liebe Grüße, Reinhard
 
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