Seidenstrasse...

Der Shrenk blickte düster vor sich hin. Wie kommen wir hier nur wieder heil raus? Diese Frage stellte er sich ein ums andere Mal, während die Pferde von den Männern angetrieben dahin preschten. Im fehlten die Mongolen, die er inzwischen sogar ein wenig leib gewonnen hatte und ihm fehlte seine Kamelstute Suleika, die ihm zuhörte und ab und zu sogar durch ein freundliches Wiehern zu verstehen gab, dass sie ihn verstand.

„Was mich am meisten beschäftigt ist die Frage, ob ich jemals wieder in die „Neuzeit“ zurückkehre“, sprach der Shrenk seine Gedanken laut aus und seufzte schwer. Der Wind pfiff einmal wieder so laut, dass sowieso niemand davon Notiz nahm.
„Ich kann mich auch nicht einmal mit meinem Pferd anfreunden“, beklagte er sich. „Die Tiere werden nach jedem Tagesritt und Nachtritt, in Camps ausgewechselt und weiter geht’s. Oh Allah, wie tun mir alle Knochen weh!“

„Shrenk! Was jammert ihr schon wieder?“
„Das mir alle Knochen weh tun, von dem frenetischem Ritt durch die Taklamakakan. Und ich mich beunruhigt frage, wann der ganze Albtraum endlich ein Ende hat.“
„Ich hoffe in Kashgar. Wir sind nur noch ein paar Tagesritte von Kashgar entfernt. Also beruhigt euch.“
„Wir sind von Unbekannten entführt worden und wissen nicht, wo wir hingebracht werden, und ich soll mich beruhigen? Es geht einmal wieder um einen Machtkonflikt, den es zu lösen gilt.“
„Ach geht das jetzt wieder los mit Macht und Ohnmacht? Ich nehme das besser buddhistisch.“
„Ich sagte euch bereits: wer unten ist, kann von unten dirigieren. Man kann herrschen durch Leiden. Man kann herrschen durch aggressive Gefügigkeit oder durch fordernde Abhängigkeit.“
„Fordernde Abhängigkeit? Ich frage mich nur, was wir davon hätten.“
„Man kann wirksam den Mächtigen disqualifizieren und diffamieren, indem man sich als sein armes Opfer zur Schau stellt. Das ist Machtkampf. Waffen gibt es auf beiden Seiten. Macht und Ohnmacht gehören zusammen.“
Ali begann so laut zu lachen, dass sogar die Entführer kopfschüttelnd zu ihnen herüberblickten.
„Ja guckt nur, ihr komischen Kasperfiguren“, rief sie ihnen winkend zu. „Ihr werdet noch ganz anders gucken, wenn Temudschins Leute uns befreien!“

Der Anführer ritt unerwartet auf Alis Seite. „Warum habt ihr so gelacht?“, fragte er in Arabisch.
„Was geht euch das an? Nennt mir erst mal euren Namen, oder besitzt ihr keinen?“
„Rashid.“ Ali blickte sich den Mann genauer an. Abgesehen von seinem schwarzen Vollbart und der Hackennase, hatte er ein schmales Gesicht mit hoher Stirn.
„Dann seid ihr aus Persien?“ Rashid nickte. „Warum habt ihr gelacht?“, fragte Rashid erneut und blickte Ali mit seinen dunklen Augen durchdringend an.
„Das sage ich euch, wenn ihr mir sagt, was ihr von uns wollt.“

„Wir handeln im Auftrag von Haakim, dem berühmten Hofmagier unseres Herrschers, Schah Sultan Ala ad-Din Muhammad.“
„Der Schah von Persien?“ Haakim nickte.

 
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„Was will er denn?“, fragte der Shrenk, der von dem ganzen Gespräch nichts verstanden hatte. Ali erklärte es ihm kurz. Als der Name Buchara fiel, musste der Doktor erst mal nach Luft schnappen, worauf er einen Hustenanfall bekam. Ali lenkte ihr Pferd an das des Shrenk und versuchte, so gut sie konnte, ihm auf den Rücken zu klopfen. „Beruhigt euch Doktor. Unsere Hoffnung ist immer noch Kashgar. Sagte nicht Ugedai, dass eine Jungfrau mit einem Sack voll Gold durch das mongolische Reich gehen könne, ohne dass ihr ein Haar gekrümmt wird?“

„Was habt ihr mit ihm geredet“, fragte Rashid.
„Dass die Männer von Dschingis Kahn uns ausfindig machen werden, denn ihr seid hier in Feindesland.“
„Macht euch keine Hoffnung. In Aksu schlieβen wir uns einer groβen Karawane an. Wir tarnen uns als Kaufleute, da bemerkt uns kein Mongole.



Es war noch vor Sonnenaufgang, als die Karawane mit geschäftigem Lärm aufbrechen wollte. Kamele die unwillig bähten, um sich stampften, als Treiber ihnen schwere Ballen Seide, an beiden Seiten des Körpers aufbürdeten und festzurrten. Händler, die in allen nur erdenklichen Sprachen herum schimpften. Dazu noch scheppernde Kochtöpfe, die auch noch irgendwo aufgeladen werden mussten und bellende Hunde.

„Ich verstehe einmal wieder kein Wort“, beschwerte sich der Shrenk bei Ali, während er noch schnell seinen Becher mit heiβem Tee leerte, bevor er auf sein Kamel stieg. Ali kaute an einem Fladenbrot und nickte den Doktor grinsend zu.

Und jetzt ging es los. Die Kamele wurden der Reihenfolge nach aufgescheucht und angetrieben, was erneut zu einem ohrenbetäubenden Spektakel führte. Mit lautem Wiehern und bleckenden Zähnen, versuchten die Tiere sich zu weigern. Was zu noch lauterem Fluchen der Kameltreiber führte, die vom Vorabend dem Kumis ordentlich zugesprochen hatten und nun bei schlechtester Laune mit den Kamelen wetteiferten, wer schlechter drauf sei und ihre Peitschen bedrohlich durch die Luft sausen lieβen.

Die Perser hielten sich immer in ihrer Nähe auf, so dass an Flucht nicht zu denken war.
Der Shrenk blickte verdrossen zu Ali und räusperte sich laut. Vergebliche Mühe. Ali sprach nichts mehr und schien sich in ihr Schicksal ergeben zu haben. Kein Wunder, denn in Aksu, wo sich die Perser einer hundertköpfigen Handelskarawane anschlossen, steckten man uns in turkmenische Kleider. Wie sollen uns so die Mongolen erkennen? Unsere Haut ist wettergegerbt, unsere Haare sind unter Lammfellmützen verborgen. Auf den ersten Blick vermutet niemand dass wir Weiβe aus dem fernen Europa sind.

Durch eine wilde Schlucht führte der Weg bergab, eine lange gerade Strecke, mit steilen Felswänden zu beiden Seiten und groβen Geröllbrocken, ermahnten den Shrenk daran, dass jederzeit so ein Felsen auf ihn herabstürzen könnte.


Der Shrenk seufzte schwer. So wird Ugedai uns nicht ausfindig machen. Inmitten einer Karawane versteckt, vollbepackt mit Seidenballen, Gewürzen, Teppichen, Edelsteinen und Jade auf dem Weg nach Samarkand, sind wir die berühmte Nadel im Heuhaufen.

 


„Oh Allah, du Allmächtiger!“, rief der Doktor zum Himmel hinauf. „ Kannst du mir vielleicht verraten, was wir in Samarkand sollen? Und dazu auf der Seite des Feindes, den Temudschin in naher Zukunft angreifen wird?“ Der Doktor machte eine kurze Gedankenpause und fuhr erneut fort zu klagen:
„Es wird ein Blutbad geben, wenn Dschingis Kahn in Samarkand einbricht, in Buchara. Das werden wir nicht verhindern können. Ich bin Psychiater und kein Zauberdoktor. Soll ich etwa den Schah von Persien, wie heiβt er noch?“ Der Doktor versuchte sich den Kopf unter seiner schweren Lammfellmütze zu kratzen. Vergebliche Mühe, die reichte ihm bis tief in die Stirn, und da war es gänzlich unmöglich, sich den Kopf zu kratzen. Schlieβlich fiel ihm der Name dann doch noch ein, den er laut von sich gab: „Schah Sultan Ala ad-Din!“ Hm. Soll ich den etwa auch therapieren? Das ist doch alles vergebliche Mühe! Dschingis Kahn will Rache und er wird sie bekommen. Aber warum, oh Allah, müssen wir dann gerade dort in Samarkand sein? Was, oh Allah, haben wir mit dem Schlammassel zwischen dem Schah von Persien und Dschingis Kahn zu tun? Wir sind unschuldige Bürger aus dem 21 Jahrhundert, so viel steht fest!“

Ali blinzelte kurz und blickte zum Shrenk, der schon wieder laut mit sich selbst sprach, beschloss aber zu schweigen und schloss erneut die Augen.

„Der einzige Vorteil ist, dass es gutes Essen gibt, jeden Abend Pilaw. Und dass ich wieder auf einem Kamel reiten darf. Nur in den Karawansereien werden die Tiere ausgetauscht, gegen neue, gut ausgeruhte Kamele, wie soll ich denn mit einem fremden Kamel überhaupt vertraut werden? Einmal Mubarak, am nächsten Tag Kahled. Ach, ich weiβ schon die Namen gar nicht mehr. Das sind schwere Zeiten, denen ich entgegen reite. Weder mit meinem Kamel, noch mit Ali, kann ich ein Gespräch führen. Diese Kamele von der Seidenstraβe, sind definitiv anders. Völlig traumatisiert, vermute ich mal. Monatelang unterwegs und ständig den Besitzer wechselnd, jeden Tag wird in einer anderen Sprache auf das arme Tier eingeredet, und dazu kommt die Taklamakakan. Womöglich sind die Kamele der Seidenstraβe von Seelenanteilen, ähm, Geistern, dieser Schreckenswüste besessen?“

Der Shrenk blickte abwesend auf seine schweren Lederstiefel und den langen braunen Lammfellmantel.

„Und es ist ganz und gar unmöglich, ein Kamel innerhalb eines Tages zu kurieren“, sagte er mit entschiedener Stimme. „Um zu einer maximalen Durchführungsobjektivität zu gelangen, müsste ich schweigen, um so dem Kamel als Projektionsfläche zu dienen. Hm. Indem ich schweige?“ Als der Shrenk das hörte, begann er zu lachen. „Schweigen als Therapie, ha, ha, ha.“

„Shrenk! Es wäre wirklich angenehm, wenn ihr schweigen tätet, aber ihr redet sogar allein und dann noch über das Schweigen!“
„Ich habe nur laut gedacht, Werteste.“

Ali schüttelte genervt den Kopf und konzentrierte sich besser auf die Wegstrecke, die
gerade an einem gefährlich, steilen Berghang entlang führte.
Weit unten in einer tiefen Felsenschlucht, blitzte ein halb ausgetrockneter Fluss mit Geröllhalden im Sonnenlicht.

„Wir erreichen noch heute Kashgar, Shrenk. Vielleicht haben wir doch noch eine winzige Chance, von unseren mongolischen Freunden entdeckt und gerettet zu werden?“

„Ach Gnädigste. In Kashgar muss ich meine Brille abnehmen, das hat Rashid mir schon gesagt und so werde ich weder von Kashgar, noch von den Mongolen, etwas zu sehen bekommen. Warum habe ich mich nur auf dieses Abenteuer mit euch eingelassen. Genau wie vor einem Jahr. Auch damals gerieten wir vom Regen in die Traufe.“

„Ihr meint sicher das Gefängnis in Medina. Aber hattet ihr dadurch nicht die Möglichkeit über Machtstrukturen nachzusinnen und zu referieren? Eines ist gewiss: regnen wird es so schnell nicht, Doktor. Eher wird es bald schneien.“
 


„Schneien?“ Ali nickte.
„Groβer Gott!“
„Es ist bereits November. Nach Kashgar müssen wir die Berge des Tien Shan Gebirges hinauf und dort wird Schnee fallen.“

Inzwischen ritt die Karawane auf einer Hochebene mit Schotter und Sanddünen. Der Wind trieb die Wolken in groβer Geschwindigkeit vor sich her. Zauberte ein wechselndes Spiel von Licht und Schatten auf die schroffen Felsenberge am Horizont. Ständig änderten sich die Farben und Schatten ringsum. Ali atmete einmal tief ein und aus und blickte zum Shrenk.
„Wenn wir dieses Problem nicht mit unserer Entführung hätten, könnte ich diese Landschaft wirklich als grandios empfinden, aber stattdessen muss ich mir jetzt den Kopf zerbrechen, wie wir aus dieser Falle entwischen können.“
„Und wie nur, werte Ali. Wie?“, lamentierte ein besorgter Shrenk. Dann aber blieb ihm das letzte Wort im Halse stecken. Aufgeregt deutete er nach vorne. Nachdem Ali aber nicht reagierte, wedelte er mit den Händen und sagte mit krächzender Stimme:
„Da sind sie!“
„Wer?“, fragte Ali prompt.
„Die Mongolen!“ Ali riss die Augen auf und blickte nach vorne. Eine Kompanie von mindestens zweihundert Reitern stand dort regungslos. Kein Laut war zu hören, sie standen da als schienen sie auf etwas zu warten. Der Doktor hatte sich nach hinten gedreht und erblickte auch dort eine breite Wand von Reitern die sich bedrohlich aufgebaut hatte.
„Wir sind von mongolischen Kriegern umstellt, werte Ali!“
„Wichtig ist, wie wir uns jetzt verhalten, denn sie werden unsere Karawane gleich eingekreist haben.“
„Hm, werte Ali. Es geht hier nun vorrangig um den Einzelmensch in actu, personifiziert im Drama, freilich nicht in Anbetracht auf den Handelnden, sondern auf die Handlung, die Interaktion, die Darstellung des Zusammenspiels, in das wir, werte Ali, offensichtlich verstrickt sind.“
„Das hilft uns jetzt natürlich ungemein. Müsst ihr wieder eure unverständliche Fachsimpelei zum Besten geben?“, fragte Ali in schneidendem Ton. „Wie sieht es denn mit konkreten Vorschlägen aus? Immerhin sind wir von vierhundert kriegerischen Mongolen umzingelt, die uns durch Verwechslung töten können.“
„In der Tat, hilft es uns weiter. Szenisches Verstehen bedeutet nicht den Akteur, sondern die Aktion in das Zentrum unserer Betrachtung zu nehmen.“
Ali stockte der Atem. Wie durch einen unsichtbaren Zauber, verteilten sich die Reiter, noch immer schweigend, stürmten dann mit höllischem Gebrüll ihrem Ziel entgegen: der Karawane in der sie und der Shrenk versteckt waren.
 


„Nehmt eure Mütze ab, Doktor, damit die Mongolen uns erkennen!“, konnte Ali gerade noch rufen, ehe ihre Worte im Kampfgeschrei der Schlacht untergingen. Die Karawane hatte sich in Windeseile zu einem Kreis formiert in deren Mitte Ali und der Shrenk eingesperrt waren. Die Mongolen hatten ihre Säbel gezückt und griffen jeden an, der sich ihnen in den Weg stellte. Überall spritzte Blut von enthaupteten Leibern und abgetrennten Armen, die durch die Luft flogen. Die Kamele gerieten in Panik und wollten fliehen. Händler und Kameltreiber schrien in Todesqualen und es hing der Geruch nach sterbenden Menschen und Tieren in der Luft.

Ali und der Doktor saβen wie erstarrt auf ihren Kamelen und beobachteten das Schauspiel. Wie in Zeitlupe nahmen sie die Szenen rundherum wahr. Das schlimmste waren die Todesschreie der Menschen. Aber so wie alles schnell begonnen hatte, endete es auch. Plötzlich sprang ein Reiter über die Kamele hinweg und brachte sein Pferd genau vor ihnen zum Stehen.
„Mash taatai baina, nadad kharamsaltai. Baina bugd zugeer emkh tsegtstei baina?“ fragte der er lachend, stieg vom Pferd und nahm seinen Kampfhelm ab. Da erst erkannten ihn Ali und der Doktor, es war Ugedai.
„Wie habt ihr das nur geschafft uns zu finden?“, fragten beide gleichzeitig. Ugedai grinste breit. „Freundschaft besteht darin, dass man einander nie im Stich lässt.“
 
Oh Allah, du allmächtiger und weiser Herrscher über den Himmel und unsere Erde, dachte der Shrenk in müder Verzweiflung. Warum müssen wir jetzt doch noch über die gefährliche Trans Alai Kette steigen? Seit Wochen treiben wir unsere Pferde eine unwegsamere Gebirgskette hinter der anderen hinauf. Und es will kein Ende nehmen. Ugedai hat uns Dschutschi und seinem Trupp von zehntausend mongolischen Kriegern mit dreiβig tausend Pferden anvertraut, auf dem Weg zu Dschebbe.
Und Ugedai? Fortgeritten ist er einfach. Beim Abschied rief er noch:

„ Wir reiten Tag und Nacht, das ist für euch zu anstrengend. Wir müssen bei der Dschungurischen Pforte, noch rechtzeitig auf das Hauptheer treffen.“
Und weg war er.

Kökötschü und Altan, hat er uns als Dolmetscher gelassen, sonst würden wir kein Wort verstehen. Der Shrenk seufzte. Dschutschi ist wohl der Sohn von Temudschin, aber er spricht kein Englisch und für uns hat er keine Zeit, er hat alle Hände voll zu tun und ist pausenlos dabei Befehle zu geben. An seiner Seite ein mohammedanischer Bergführer, der wohl aus der Gegend ist. Ob er auch ein wichtiger General von Temudschin ist, so wie Ugedai? Dschutschi und Ugedai, haben sich sehr freundschaftlich voneinander verabschiedet und scheinen sich gut zu kennen.

Der Boden besteht vor allem aus flieβenden Kiesfeldern, ist rutschig und die Kälte unerträglich für Mann und Pferd. Morgen soll der Anstieg zum Pass des Terek Daiwan erfolgen. Besorgt sah der Shrenk zu den Bergen hoch, über die sie noch hinweg mussten. Wieder vier tausend Meter hoch steigen, und das mit den ganzen Pferden.
Die Luft war kalt. Oben über der Gebirgskette des Trans Alai schwebten zarte Wolken die in der untergehenden Sonne rosa aufleuchteten.

Plötzlich hörte der Shrenk erneute Warnrufe und erblickte rechts an sich abwärtssausende Knäuel von Pferden und fluchende Reiter. Dann die Schmerzensschschreie verendender Pferde und das aufjaulen der Wölfe, die dem Reitertrupp Tag und Nacht folgten und sich dann hungrig auf die neue Beute zu stürzten. Mit blauen Lippen und völlig zerschundenen Händen, versuchten die Männer ihre Pferde erneut aufzurichten.
 
Ali blickte zum Himmel und wendete sich besorgt zum Shrenk:
„Es wird bald schneien. Dschutschi hat bereits an die hundert Pferde verloren, wie will er das im tiefen Schnee schaffen?“
Da kam Kökötschü heran geritten und verkündete stolz: “Ein wertvoller Mensch steht zu seinem Wort, ein wertvolles Pferd steht zu seinem Wesen.”
Als Dschutschi den Befehl anzuhalten gab, war es fast dunkel. Das Lager wurde aufzuschlagen, und bald brannten mehrere groβe Feuerstellen. Der Shrenk setzte sich müde neben Ali ans Feuer und nahm dankend einen Becher heiβen Tee entgegen. Auch Dschutschi und der einheimische Bergführer, den alle Ochtsi nennen, hatten sich dazu gesellt und unterhielten sich.
„Diesen Ochtsi würde man heutzutage, ähm… würde man heutzutage einen Kirgisen nennen“, meinte der Shrenk leise zu Ali.
„Kirgise?“ Der Shrenk nickte. „Seine lange Nase unterscheidet ihn eindeutig von den Mongolen. Seht die buschigen Augenbrauen, auch sie verraten den kaukasischen Einfluss.“
Altan und Kökötschü hatten neben ihnen Platz genommen. Aufmerksam hörte Kökötschü, den Worten von Ochtsi zu, während Schüsseln mit heiβer Fleischsuppe mit Nudeln herumgereicht wurden.
Alle stürzten sich hungrig auf die Mahlzeit, was sich im gewohnten Schlürfen von den Mongolen äuβerte. Aber der Shrenk hatte sich längst an die Tischmanieren und etliche andere Gebräuche seiner Gastgeber gewohnt.
Die Wärme des Feuers war eine Wohltat nach dem beschwerlichen Aufstieg, trocknete die durchnässte Kleidung und wärmte die müden Knochen.
„Ochtsi macht sich Sorgen wegen der Pferde“, kommentierte Kökötschü kichernd. „Er sagt, es seien zu viele.“
„Zu viel Pferde?“, fragte Ali erstaunt. „Was meint er nur?“
„Ochtsi macht sich Sorgen wegen dem Futter. Zuwenig Futter, hier oben wächst nicht mehr genug für so viele Pferde. Auch nicht genug Japkaksträucher.“ Und wieder kicherte Kökötschü und machte dabei ein verschmitztes Gesicht.
„Und?“ fragte Ali.
„Jedes unsere Pferde trägt einen Sattel, der mit gepresstem Heu gefüllt ist. Das ist als Notration für solche Strecken gedacht.“
„Ihr denkt aber auch wirklich an alles!“ Über Altan huschte ein zufriedenes Lächeln. „Temudschin ist ein weiser Herrscher.“
Der Shrenk hatte unbemerkt während der Unterhaltung seinen Laptop rausgeholt und sich über das Trans Alai Gebirge informiert. Er hatte es satt, von einer unüberwindlichen Gebirgskette zur nächsten zu klettern. Auch Ali beugte sich nun neugierig über den Bildschirm und schaute gespannt zu, wie der Doktor langsam pfündig wurde.
„Bingo!“, rief der Shrenk laut. „Hier ist die genaue Route nach Fergana. Kommt mal her Ochtsi“, winkte er ihm.
Ochtsi, erhob sich zögernd und kam näher.
„Siehst du hier die Route?“, fragte ihn der Shrenk und deute auf den Bildschirm. „Wir befinden uns genau hier, und müssen nach dem Treffen mit Dschebbe, in nordwestliche Richtung weiterziehen.“ Der Shrenk zeigte Ochtsi die Route auf dem Bildschirm. „Hier der Terek Daiwan, dann der Treffpunkt mit Dschebbe und dann die Route ins Ferganatal, verstehst du?“ Ochtsi wich einen Schritt zurück und blickte entsetzt auf dem Shrenk seinen Laptop, er schien gar nichts zu verstehen.
„Ochtsi“, deutete der Shrenk geduldig auf die Route. Kökötschü war es dann, der Ochtsi alles ins Mongolische übersetzte, worauf Ochtsi aufgeregt nickte und dem Doktor bewundernde Blicke zuwarf.
„Ochtsi ist beeindruckt von eurem Zauberkasten, er hat auf dem Routenplan den Fluss Kysyl Art entdeckt und das ist ein Zeichen, dass der seltsame Kasten Recht hat“, kicherte Kökötschü. Ochtsi ist ein Bergbewohner, aber er stammt nicht aus dieser Gegend, sondern südlich vom groβen Kahn Tengri, dem Berg der der Herrscher des Blauen Himmels ist. Sein Vater aber, hat einmal den Weg über die Berge gefunden und ihm davon genau berichtet.
Der Doktor nickte und klappte zufrieden seinen Laptop zusammen. Dann war er sofort eingeschlafen. Ali verstaute den wertvollen Zauberkasten in der Satteltasche vom Shrenk und gähnte.
Inzwischen hatten die Mongolen das Zelt für ihre beiden Gäste aufgebaut. Sie selbst schliefen unter dem kalten Himmel, drängten sich dicht an ihre Pferde und versuchten sich so gut es eben ging, warm zu halten.

 
Es war ein Gefühl grenzenloser Verlassenheit von dem Ali und der Shrenk heimgesucht wurden, als sie am nächsten Morgen eine dicke Schneedecke entdeckten, die alles ringsum zugedeckt hatte. Ali blickte verstört um sich und zog den Kragen ihrer Dacha fester zusammen.
Doch Ochtsi deutete fest entschlossen in die Richtung des viertausend Meter hohenTerek Daiwan Pass und schwang sich auf sein scheckiges Jarketenpferd. Da erscholl auch schon das Kommando von Dutschi, zum losreiten und weiter ging es den verschneiten Bergrücken des Terek Daiwan hinauf.
Wegen der Kälte und dem Wind, sprach keiner ein Wort. Ali hatte sich ihre Pelzmütze tief ins Gesicht gezogen und ritt verbissen hinter Altan und Kökötschü, den steilen Berghang hinauf.
Schnee vermischt mit Regen und Hagelböen wechselten mit gelegentlichen Sonnenstrahlen. Dann wieder versank die Landschaft in dichtem Schneetreiben und Nebelschwaden. Bald mussten alle absteigen, da der Pfad so schmal wurde, dass nur zwei Pferde nebeneinander laufen konnten. Jeder der mongolischen Reiter hatte ein Reservepferd neben sich und trieb zwei vor sich her. Es war ein endloser Zug von zehntausend Reitern mit dreiβig tausend Pferden, der sich mühsam den Bergrücken hinauf wälzte. Endlich brach der Shrenk das Schweigen und schnaufte:
„Werte Ali, ich friere ganz erbärmlich in meinen feuchten Kleidern.“
„Ach Doktor. Denkt einfach an Temudschin und seine zweihundert tausend Mann, die jetzt gerade durch die heiβen ausgedörrten Steppen Zentralasiens reiten und schwitzen.“
„Oh Allah!“, murrte der Shrenk. „Ich gäbe ein ganzes Königreich, um jetzt zu schwitzen.“
Inzwischen hatte der Trupp die Wolkendecke durchquert und es schien über ihnen ein strahlend blauer Himmel. Nur noch ein paar hundert Meter trennten sie bis zur Passhöhe des Terek Daiwan und Ali meinte bei den Mongolen eine allgemeine Erleichterung zu spüren, obwohl es kalt hier oben war, aber der blaue Himmel war verheiβungsvoll. Nun galt es nur noch den Pass zu überqueren. Fergana, das fruchtbare Tal, lag dort unten in der Ferne.
„Seht ihr Shrenk! Endlich wieder die wärmenden Strahlen der Sonne. Ich glaube, dass ihr sicher bald ins Schwitzen kommt.“
Nachdem sie die Passhöhe überschritten hatten, gab Dschutschi das Zeichen zum Anhalten. Eine freie Hochebene, ideal zum rasten. Nach dem anstrengenden Aufstieg eine wahre Wohltat.
„Oh Ali“, seufzte der Shrenk und machte sich sogleich an seiner Satteltasche zu schaffen.
In Windeseile hatten die Mongolen ein Feuer angefacht und kochten in mehreren schweren Kesseln ihre gewohnte Fleischbrühe. Ali und der Doktor setzten sich erleichtert so nahe wie möglich an das Feuer um ihre nasse Kleidung zu trocknen. Dank Mutter Natur, trockneten ihre Pelzmäntel sehr schnell.
Noch bevor die die Bors-Fleischbrühe gekocht war, öffnete der Shrenk seinen Laptop um seine emails zu checken.
„Na, wen haben wir denn da!“, rief er aus und blickte Ali vergnügt an.
„Was lacht ihr so schief zu mir rüber, Doktor?“
„Ratet mal, wer sich gemeldet hat?“ Ali schüttelte unwillig den Kopf.
„Hassan hat uns eine mail geschrieben.“
„Was?“ Der Shrenk nickte.
„Der Hassan?“
„Hm.“
„Der Hassan vom Schiff?“
„Bei Allah dem Allmächtigen! Hassan ist uns gefolgt, Gnädigste. Er hat sich mit Hilfe seiner berüchtigten Freunde, den Terroristen, mit einem Helikopter zur Dschungurischen Pforte bringen lassen und ist von dort mit Ugedai und unseren Kamelen unterwegs nach Persien.“
„Sagt, dass das nicht wahr ist!“, rief Ali laut. So laut, dass die Mongolen neugierig zu ihnen blickten. Ali war erblasst und murmelte irgendetwas von einem Introjekt vor sich hin und starrte zu Boden.
„Werteste. Ihr wisst sehr genau, dass bei Hassan seit damals das traumatische Introjekt als ein nicht assimilier barer Unruhestifter innerhalb des psychischen Geschehens bestehen blieb?“ Nachdem der Shrenk keine Antwort von Ali bekam vervollständigte er den Satz noch:
„Und durch den Hauptabwehrmechanismus der Abspaltung konserviert wurde?”
„Ja, ja! Ich weiβ das alles, aber ich frage mich, viel mehr, wie Hassan uns überhaupt folgen konnte? Wir sind doch, wenn ich mich nicht irre, im dreizehnten Jahrhundert…“
„Ihr solltet mal so einen Dschihadhi nicht unterschätzen. Und obendrein ein Dschihadhi, der in einer so prekären double-bindet Situation zurückgelassen wurde, wo das Über-Ich verbietet, was das Ich-Ideal fordert. Das Ich steht also vor dem Dilemma, entweder die Liebe des Ich-Ideals zu verlieren oder aber die Bestrafung und Verfolgung seitens des Über-Ichs in Kauf zu nehmen.“
„Shrenk! Wir haben Hassan in Lissabon in ein Taxi zum Flughafen gesetzt und ihn nicht einfach zurückgelassen. Das war von uns mehr als fair, obwohl er den Dampfer mit Dynamit in die Luft jagen wollte.“
„Eben, das ist es ja. Wir haben ihn verschont. Wir haben sogar die anderen Dschihadhis abziehen lassen, und jetzt bekommen wir das Resultat zu spüren: Hasan liebt euch immer noch! Hassan hat wegen euch Ali, sogar die beschwerliche Reise nach der Dschungusischen Pforte auf sich genommen, um von dort mit Ugedai und unseren Kamelen nach Samarkand zu reiten. So was kann nur aus Liebe geschehen.“
„Aus Liebe, wenn da nicht ganz was anderes dahintersteckt…“



 


Zufrieden wandte sich Dschebe an Dschutschi und den mohammedanischen Bergführer, die neben ihm durch den knirschenden Schnee stampften:
„Wir haben es bald geschafft.“
„Aber mit welchen Opfern“, antwortete Ochtsi unzufrieden. „Allah verflucht uns, weil wir so gröβenwahnsinnig waren diese unbezwingbaren Berge zu übersteigen. Fast die Hälfte der Pferde und hunderte von Reitern haben wir dabei verloren!“
„Das ist wahr“, entgegnete Dschutschi. „Aber nicht wir, es war der groβe Tengri, der ihnen das Leben raubte.“
„Bei Allah, das ist eine Lüge!“, erboste sich der Mohammedaner. „Wie oft warnte ich dich über die Beschaffenheit der Alai Berge. Wir sind die Schuldigen!“
Der Shrenk blickte neugierig zu den Beiden und schüttelte verständnislos den Kopf. Kökötschü aber berichtete ihm und Ali von ihrem Streit, der in den letzten Tagen des Öfteren tagte.
„Das liegt an der dünnen Luft, Kökötschü.“ Ali schnaufte müde.
„Dschebe sagt, dass wir das Schlimmste hinter uns haben.“ Kökötschü kicherte. „Wir werden Temudschin nicht enttäuschen, wir schaffen die Überquerung der Berge, nur werde ich euch dann bald verlassen.“
„Verlassen, Kökötschü?“, fragte Ali. „Warum werdet ihr uns verlassen?“
„Weil ich zurück kehre in den klaren blauen Himmel.“
„Was?“
„Das versteh ich nicht so recht, werter Kökötschü. Wie wollt ihr denn in den Himmel kommen?“, fragte der Shrenk besorgt. Müsste er eventuell auch den Kökötschü einer Therapie unterziehen?
„Ich bin Schamane und begebe mich auf die groβe Reise. So wie ich vom Himmel herabgestiegen war, um mit euch zu sein und mich darum kümmerte, dass ihr Temudschin aufsucht.“ Wieder kicherte Kökötschü, und diesmal war es Ali und dem Shrenk unheimlich.
Das Gezanke zwischen Dschutschi und dem Bergführer hatte sich inzwischen beruhigt. Der Shrenk atmete seufzend die Luft ein. Es roch nach Harz und Erde, sie kamen endlich aus dieser Eisschreckenswüste heraus, aber dem Schamanen schien es geistig nicht gut zu gehen…
„Ihr kamt also vom Himmel herunter?“ Ali deutete nach oben zu den Bergriesen und dem Blau des Himmels hinauf. Kökötschü nickte kichernd.
„Und jetzt beabsichtigt ihr erneut in den Himmel zu reisen?“, fragte mit krächzender Stimme ein mehr als verstörter Shrenk.
„Ja, Doktor“, erwiderte der Schamane ernst. „Ich gehöre nicht mehr in diese eure Welt. Denn Temudschin hat mich vor vielen Jahren getötet. Er brach mir alle Knochen und lieβ mich in einem Erdloch verscharren. Dann sprach er zu seinem Volk, ich Kökötschü sei zusammen mit meinem Ross in den Himmel, den groβen Tengri aufgestiegen. So möchte ich den Kahn nicht erzürnen, aber ich hoffe, dass ihr ihn etwas besänftigen könnt. Dass er nicht zu viel Blut vergieβen wird. Denn darum, nur darum kam ich, um Hilfe von euch holen.“


Im Kopf des Shrenk begann es fieberhaft zu arbeiten: „Schamanismus soll ja ein Ganzes sein. Hm, diese ekstatischen Methoden habe ich ja zur Genüge erleben dürfen, um den Kontakt zu
anderen parallel existierenden, unsichtbaren Universen der Geister, herbei zu führen… “Aber das geht entsprechend zu weit!“, grübelte der Doktor inzwischen mit erhobener Stimme weiter.
„Was geht zu weit, Shrenk“, fragte Ali ihn besorgt, denn sein Gesicht war sehr blass geworden.
„Das Kökötschi aus dem Himmel heruntergestiegen ist und erneut hinaufsteigt! War das mit dem Propheten Mohammed nicht auch so? Und genauso auch hoch zu Ross!“

 
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„Das Kökötschi aus dem Himmel heruntergestiegen ist und erneut hinaufsteigt! War das mit dem Propheten Mohammed nicht auch so? Allah habe ihn selig. Und genauso hoch zu Ross, handelt es sich da um ein authentisches Geschehen oder ist das nur eine Art Gröβenwahn?“





„Doktor seht nur!“, rief Ali freudig aus. „Endlich wieder grüne Weidelandschaften, übersät mit Blumen soweit das Auge reicht.“ „in der Tat, Werteste. In der Tat. Ihr wisst aber sicherlich, dass diese Grassteppe nur im Frühling zu einem freundlichen, aber kurzen Leben erwacht?“ Der Shrenk seufzte. Eine Vegetation werte Ali, die nur entlang der Flüsse üppig genannt werden kann und die im Sommer verdorrt und in den langen Wintermonaten in einer Schneewüste erstarrt.“ Ali nickte und deutete dann zu Dschutschi und Dschebe, die in eine immer hitzigere Diskussion sich verwickelten. Suchend drehte sie sich zu Kökötschü, der hinter ihnen ritt und deutete fragend auf Dschutschi und Dschebe.
„Sie sind in Streit geraten“, rief ihr Kökötschü zu und kicherte leise.
Warum, edler Kökötschü?“
„Unsere Späher haben feindlich Truppen des Schahs gemeldet, die sich uns nähern. Dschebe hat vor, ihnen in die Berge auszuweichen, während Dschutschi zum Angriff starten will.“
„Gott sei uns gnädig“, stöhnte der Shrenk. „Mir steckt immer noch der Schreck in den Gliedern, wie die Mongolen die letzten Tage über die Dörfer herfielen.“
„Kommt Doktor!“ Jetzt musste Ali kichern. „Aber das Abendessen, was sich die Mongolen von den Dörflern mit Macht und ein wenig Schrecken herbeiholten, hat euch doch gut geschmeckt, oder?“
„In der Tat Ali. Endlich mal wieder gebratener Hammel und Kumis zum trinken.“ Des Shrenks Augen leuchteten wohlgefällig, als er an den gestrigen Abend dachte. Der Kumis floss wieder reichlich und der Hammel triefte vor Fett und machte nach den langen entbehrlichen Wochen richtig satt. Es gab auch frisch gebackenes Fladenbrot und eine Süβspeise aus getrockneten Aprikosen, Nüssen und Rosinen im Blätterteig gebacken.
„Dschutschi fragt Dschebe gerade, seit wann klug sein, feige sein bedeute“, mischte sich Kökötschü in die Gedanken von Ali und dem Shrenk.
„Und?“, fragen beide zur gleichen Zeit.
„Dschebe wirft Dschutschi vor, es sei ihre Aufgabe, die Streitkräfte des Schahs, vom Syr Darja fernzuhalten. Dschebe hat vor, sofort Boten zu Temudschin zu entsenden und ihm zu informieren. Auβerdem wolle er die Truppen des Schahs in die Berge weglocken. Er meint, sobald Temudschin den Unterlauf des Syr Darja mit seinem Heer erreicht hat, wolle er vom Oberlauf des Syr Darja dann gen Norden stoβen um sich dann mit dem Hauptheer zu vereinigen…“
„Das wäre die kluge Lösung“, ereiferte sich der Shrenk. Er hatte nämlich ein mulmiges Gefühl im Magen, wenn er an den bevorstehenden Angriff Dschutschis dachte.
„Dschutschi will den Angriff, da er glaubt, sich als ältester Sohn von Temudschin, unter Beweis stellen zu müssen. Dschebe dagegen will seine noch müden und ausgehungerten Reiter und Pferde schonen.“
In diesem Augenblick warf Dschutschi den Kopf in den Nacken und rief Dschebe in befehlendem Ton etwas zu.
„Und?“ fragten Ali und der Shrenk gespannt.
"Lässt sich der Lauf eines mächtigen Stroms mit Sand eindämmen? Lässt sich ein Fluss mit dem Eimer ausschöpfen? Kann einer den Regenbogen am Firmament mit Händen fassen?", gab Kökötschü zur Antwort. „Dschebe beginnt bereits seine Krieger zu formieren. Und die Boten sind unterwegs nach Norden davongejagt, sie müssen erneut die viertausend Meter hohen Berge überqueren um zum tausend Kilometer entfernten Temudschin zu gelangen.“
Dem Shrenk schauderte und er begann sich leicht zu schütteln, so wie damals in Saudi Arabien im Gefängnis, wo ihn zwanzig Peitschenhiebe erwarteten. Ihm schauderte, an eine nochmalige Überquerung der Trans Alai kette nur zu denken und ihm schauderte vor der bevorstehenden Schlacht mit den Truppen des Schahs von Persien. Beides sind ja nicht gerade sehr angenehme Ereignisse, malte sich der Shrenk das bevorstehende Szenario aus und wurde mehr und mehr von Panikgefühlen beschlichen.
Da deutete Kökötschü aufgeregt nach vorne. Ali und auch der Doktor konnten nichts erkennen und blickten fragend zum Schamanen, der wieder zum Horizont zeigte. Da erst bemerkten sie ein Aufblitzen von den Waffen des herankommenden Heeres des Schah Ala-ed-Din Muhammed.

 
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