Seidenstrasse...

A

Alicebergamo

Guest





Das alles ist inzwischen passiert:
Frau mit viel Phantasie aus einem kleinen Fischerdorf in Süd Portugal, glaubt ein Kameltreiber zu sein. Die Handlung beginnt in der Praxis eines Psychiaters und springt plötzlich mitten in die Wüste Saudi Arabiens hinein, wo kämpfende, liebeshungrige Kamele und die hitzigen Debatten der beiden Helden über Platons Höhlengleichnis und Kants Kritik der Reinen Vernunft, erst einmal jäh durch Mohammed und seine Wüstenkrieger ein Ende finden.
Mohammed, der gefährlichste und meist gesuchte Terrorist auf Erden, ist beeindruckt von den Beiden, er sieht in ihnen fromme Gläubige und potenzielle Dschihadis und ladet sie auf eine Pilgerreise nach Mekka ein.
Auf der halsbrecherischen Flucht vor Mohammed, geschehen am laufenden Band Verwechslungen, die beiden Helden können es nicht lassen, weiterhin über ihre Lieblingsthemen, die Psychoanalyse von Freud und die Philosophie zu streiten, während die Schauplätze Dschidda des modernen Saudi Arabien mit seinen Märchenpalästen und Einkaufszentren, zu den heiligen Städten Mekka und Medina wechseln, bis in das Innere eines Gefängnis und sie immer tiefer in die Welt des Islam verstricken.
Der saudische Supertanker Ramlah, bringt die beiden Helden und ihre Kamele nach Rotterdam. An Bord eines Luxusliners mit 1800 Passagieren geht es von Rotterdam nach Lissabon, nur nicht wie geplant in drei Tagen, sondern in drei Wochen.
Völlig überrascht erblicken die Beiden die Küste von Island und erfahren, dass die Fahrt weiter nach New York gehen soll und von dort über die Karibik nach Portugal.
Am Ende führt Allah auf wundersame Weise die Wege von Ali, dem Shrenk und Mohammed, erneut zusammen… Die wahren Helden am Ende dieser Geschichte sind Alis Kamele.
Endlich kehren beide heim, aber ihr Tatendrang ruft zu neuen Abenteuern: Eine Einladung von Dschingis Kahn wartet auf sie.

Herausforderungen, Gefahren, Verwechslungen und glückliche Umstände, sie sind wie der Weg des Lebens und das eigentliche Glück und nicht wie erwartet das Ziel.
Die Geschichte spielte bewusst im „Hier und Jetzt“ und ist vom Tempo her atemlos. Aber auch inmitten dieser Atemlosigkeit entstehen Augenblicke zwischen Ali und dem Shrenk, die so dicht sind dass sich plötzlich ein Tor öffnet, eine innere Sicht, und man einen Blick erhaschen darf, in den unendlichen Raum. Und das wird Leere genannt.

 
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I

Ich bin Ali, ein einfacher Kameltreiber aus dem Maghreb und stolzer Besitzer von vier Kamelen. Eigentlich sollte ich glücklich sein, wenn nicht immer mal diese Zweifel auftauchen, wer bin ich wirklich? Auch Akhbar, mein Lieblingskamel war nicht mehr rundum zufrieden mit seinem Leben. So beschlossen wir beide einen Psychiater aufzusuchen.

Das war einmal vor langer Zeit und viel ist seitdem vorgefallen. Ich Ali stattete zusammen mit meinem Kamel Akhbar, dem Psychiater einen Besuch ab. Nach einigen Behandlungen, wollte der Doktor Shrenk mich bei meiner nächsten Reise in die Wüste begleiten, und so geschah es auch.

Zusammen mit Doktor Shrenk und meinen vier Kamelen, machten wir uns in die groβe arabische Wüste Rub-Al-Khali auf. Völlig unerwartet gerieten wir in die Hand von Mohammed und seinen Wüstenkriegern. Mohammed, der gefährlichste und meist gesuchte Terrorist auf Erden, war beeindruckt von uns, er sah in uns fromme Gläubige und potenzielle Dschihadis und lud uns auf eine Pilgerfahrt nach Mekka ein. Daraus wurde eine lange und turbulente Reise, da wir immer wieder versuchten vor ihm zu fliehen. Erst vor wenigen Wochen, kehrten der Doktor und ich mit unseren Kamelen, den eigentlichen Helden heim. Es waren die Kamele, die auf dem groβen Ozeandampfer das Kismet in die eigene Hand nahmen. Oder sage ich besser zwischen die Hufe? Genau darüber dachte ich intensiv nach, als ich vor der Tür des Doktor Shrenk stand und klingelte. Egal, ob nun Hufe oder Hand, meine Kamele Akhbar, Miriam, Suleika und Omar waren die wahren Helden, sie vereitelten an Bord der Westerdam einen Sprengstoffanschlag der Islamisten und retteten das Leben von über zweitausend Menschen…

„Ali!“, rief Doktor Shrenk überrascht aus. „Warum diese finstere Miene und wolltet ihr nicht erst im nächsten Monat zu mir kommen?“
Ali versuchte ein mattes Lächeln hin zu bekommen, was ihr aber nicht gelingen wollte und nickte dem Doktor wenigstens höflich zu.
„Kommen sie Ali, erst mal ein Tässchen Tee auf die englische Art und dann sehen wir weiter.“
Doktor Shrenk trällerte fröhlich das Lied „What a beautifull day“, vor sich hin, während er Ali in seinen Behandlungsraum geleitete, wo sie auf der Couch Platz nahm. Dann rief er nach seiner Assistentin Misses Hazel Dawson, und bestellte zwei Tassen Tee mit Zucker und Milch.
„So, werte Ali. Jetzt erzählen sie mir genau, was sie zu diesem plötzlichen Besuch bei mir veranlasst, noch dazu ohne Akhbar!“
„Die Mongolen sind seit drei Tagen bei mir und stellen meine Wohnung auf den Kopf. Verstehen sie Doktor?“ Ali nahm ihre Tasse in Empfang, gab drei Stück Zucker hinein und begann wie wild mit dem Löffel umzurühren.
„Hm…“
„Vor allem stinken sie erbärmlich nach faulem Fleisch…“
„Nein.“
„Oh doch, werter Shrenk. Ich habe sie gebeten zu duschen, was sie nicht befolgt haben, denn sie behaupten, Quellen und flieβendes Wasser sei von heiligen Geistern bewohnt und man dürfe die Wassergeister nicht stören. Wenigstens gehen sie jeden Morgen vor Sonnenaufgang zum Meer, um dort ein Bad zu nehmen, aber ihre Kleider stinken.“
„Stecken sie einfach die Kleidungsstücke in die Waschmaschine.“
„Als ob das so einfach wäre.“ Ali trank von dem Tee und stellte die Tasse auf dem niedrigen Tischchen ab. „Wenn sie wüssten“, stieβ Ali erbost hervor. „Diese seltsamen Pelzmützen mit Ohrenklappen, Filzstrümpfe und Filzstiefel, die sie anhaben. Das ist noch nicht alles, Doktor. Sie tragen wollene Kleider und darüber eine Rüstung aus schwarz lackierten Lederstreifen. Und zu allem Überfluss haben sie einen bis an die Knie reichenden zottigen Pelzmantel an. So was kann ich nicht in die Waschmaschine...“
„Wie wäre es mit moderner, pflegeleichter Kleidung?“, schlug der Doktor vor.
„Die lassen sich nichts sagen. Das sind Wilde im wahrsten Sinne des Wortes, sie stecken in einer Art Überlegenheitswahn.“ Ali blickte den Doktor flehend an. „Auch jede Menge Waffen haben sie dabei, nicht einmal im Schlaf trennen sie sich davon. Ali begann aufzuzählen:
„Zwei Bögen und zwei Köcher, ein Krummsäbel, ein Beil, eine Eisenkeule, eine Lanze mit einem Haken, um den gegnerischen Reiter aus dem Sattel heben zu können, wie sie mir erläuterten und einen Strick aus Pferdehaar mit einer Schlinge.“ Ali blickte den Doktor an. „Aber alles bitte mal vier, denn es sind ja vier Mongolen. Also acht Bögen und acht Köcher…“
„Vier Mongolen“, murmelte der Doktor ratlos. „Könnte es sein, dass ihr durch unser letztes Abenteuer mit dem Terroristen Mohammed, nun einer Profilierungsneurose erlegen seid?“


 


„Vier Mongolen“, murmelte der Doktor ratlos. „Könnte es sein, dass ihr durch unser letztes Abenteuer mit dem Terroristen Mohammed, nun einer Profilierungsneurose erlegen seid?“
„ Ach ihr meint ich übertreibe maβlos? Doktor, fangt nicht schon wieder damit an in eurem Freudschen Psychoalmanach nach Erklärungen zu suchen. Wir müssen so schnell wie möglich aufbrechen und genau das wollen die Gesandten von Dschingis Khan erreichen. Wenn ich mich beschwere, so lachen sie nur und meinen, wir sollten besser schleunigst losreiten, bis in die Mongolei seien wir Monate unterwegs.“
„Nun, eine Profilierungszuständigkeit bildet die Voraussetzung für eine geniale Selbstdarstellung, für überzeugendes Auftreten und Erfolg in sozialen Situationen, oder nicht?“
„Bezieht ihr euch auf mich oder die vier mongolischen Männer?“
„Werte Ali, hm. Das ist alles sehr komplex.“ Doktor Shrenk kratzte sich am Hinterkopf und legte seine Stirn nachdenklich in Falten. „Mal angenommen, wir besuchen tatsächlich Dschingis Khan, in welcher Zeit befinden wir uns dann überhaupt?“
„Bitte nennt ihn Temudschin, das haben mir die Mongolen aufgetragen, dass er so genannt werden will. Temudschin sieht in uns wertvolle Freunde, die, wie er meint, weltoffen und verständnisvoll gegenüber dem mongolischen Volk seien. Vor allem sagen seine Männer immer wieder zu mir: „Einmal sehen ist besser als hundertmal hören“. Aber ihr wollt wissen, in welcher Zeit wir dort seien werden. Nun, wie ich es ausgerechnet habe, müsste es sich um das Jahr des Herrn 1215 handeln.“
Der Doktor, der gerade am Tee nachschenken war, hielt wie erstarrt inne, blickte Ali entsetzt an und wurde blass. Mit zittriger Hand stellte er die Kanne ab und meinte:
„Ich bin einiges bei ihnen gewohnt, werte Ali, aber das übertrifft einfach mein Vorstellungsvermögen!“
„Na ja ein paar Jahre vorher oder nachher, das sollten wir nicht weiter tragisch nehmen. Aufgrund der Erzählungen der Männer, muss es sich um die Zeit kurz nach der Palastrevolution in Peking handeln. Ich vermute nach der Einnahme von Peking und das war 1215.“
„ Wie soll ich mich plötzlich im Mittelalter zurechtfinden? Da gab es doch noch keinen Sigmund Freud. Diese Reisen mit euch, Ali, die bringen das reinste Chaos!“
„Ja, aber sie bringen auch Überraschungen und wertvolle Erkenntnisse, Freundschaften und Abenteuer, die sie hier in unserem Fischerdorf niemals erleben könnten.“
„Schon, wir sind aber gerade erst seit drei Wochen zurückgekehrt und meine Patienten…“
„Ihre Patienten können warten, die sind doch alle nur Therapieabhängig! Wir geben auf der Reise so gut wie kein Geld aus, da wir Temudschins Gäste sein werden.“
Der Doktor schwieg, er schien angestrengt nachzudenken, was sich in seiner Mimik äuβerte. Ali kannte ihren Shrenk gut genug und wartete. Er sieht dem Woody Allen inzwischen noch ähnlicher, als im vorigen Jahr, befand sie. Es muss an der neuen Hornbrille liegen und die graumelierte Tweedjacke ganz im englischen Stil, steht ihm ausgezeichnet. Sie wusste, dass es dauern würde mit seiner Antwort und versuchte sich den Doktor gerade in mongolischer Kleidung vorzustellen, mit der Pelzmütze auf dem Kopf, Filzstiefeln und einem knielangen Zottelpelz.
„Ali“, begann der Doktor. „Nehmen wir die Kamele wieder mit?“
In diesem Augenblick erklang drauβen die Türklingel von der Praxis des Doktors.

„Wer läutet denn da Sturm?“, fragte sich der Doktor laut. Er eilte zur Tür hinaus, gefolgt von Ali, die sich schon denken konnte, wer da Sturm läutete. Auf dem Weg zur Tür, versuchte Ali, dem Doktor seine Frage zu beantworten:
„Überhaupt kein Thema, Shrenk. Ohne die Kamele, würde ich niemals auf Reisen gehen. Und das habe ich den vier Mongolen auch klar gemacht, worauf einer von ihnen, der Schamane Kökötschü…“
Ärgerlich riss der Doktor die Tür auf und starrte auf eine Gestalt.
„Was?“, fragte der Doktor und zeigte ungläubig auf den Mann, der vor seiner Tür stand und hereinkommen wollte. Das mit der Pelzmütze stimmte, seine schwarzen Haare fielen bis über die Schultern, einige dünne Zöpfe zierten seine lange Haarpracht. Das Ledergewandt das er trug, hatte lange Zottelfransen, Ketten mit Tierknochen und irgendwelchen Krallen und Federn hingen um seinen Hals. Und darüber trug er einen dicken Pelzmantel.
„Kökötschü!“, rief Ali erfreut aus. „Was machst du denn hier?“
„Ist das der Schamane?“, fragte der Doktor, noch immer entgeistert. Ali nickte.
„Er behauptet Schamane zu sein und heiβt so.“
„Kökötschü?“ Doktor Shrenk wich zur Seite und lies den Mongolen eintreten.

„Kökötschü“, murmelte der Doktor vor sich hin, während er den Fremden in seine Praxis geleitete. Dann rief er entschlossen nach Misses Hazel Dawson und bat um eine weitere Kanne Tee.

Kökötschü, setzte sich zu Füssen von Ali, die erneut auf der Couch Platz nahm. Misses Hazel Dawson erschien mit einer neu gefüllten Kanne Tee und verschwand eiligst aus dem Raum. Der Doktor füllte die Tässchen aus feinem englischem Porzellan und reichte dem Schamanen eine.

„Willst du den Wolf verstehen, musst du dir sein Fell überziehen und die Welt mit seinen Augen sehen“, sprach Kökötschü höflich und trank dann vom Tee.

„Das ist ein mongolisches Sprichwort“, erläuterte Ali. „Das bedeutet, dass Kökötschü sich selbst ein Bild von euch machen wollte und mir gefolgt ist, nicht wahr edler Kökötschü?“

Der Schamane neigte würdevoll ein wenig das Haupt, um anzudeuten, dass Ali seine Beweggründe richtig gedeutet habe. Darauf fuhr er feierlich fort:

„Temudschin sagt immer: „Vertraue Gott, aber binde dein Kamel gut fest.“

„Ach ja?“ Ali lachte. „Was Temudschin genau damit meinte, weiβ ich nicht so richtig, denn Akhbar festzubinden, das wissen wir Doktor, dass es nicht funktioniert.“

„In der Tat, werteste, in der Tat!“, rief der Doktor aus. Sein Gesicht war leicht gerötet durch die Aufregung und seine Stimme bebte leicht.

„Ich bringe Nachrichten vom groβen Temudschin, dem Herrn des Ozeans“, sagte Kökötschü. „Er befiehlt uns augenblicklich aufzubrechen!“

„Jetzt sofort?“ fragten Ali und der Doktor wie aus einem Mund. Kökötschü nickte.



 


Seit zwölf Tagen waren Ali und der Doktor Shrenk, zusammen mit den vier Gesandten von Dschingis Kahn, auf dem Hochland des Pamir unterwegs, von den Einheimischen „Kalte Steppenweide“ genannt. Dieser Name traf genau, denn der Wind blies unaufhörlich und wirbelte pausenlos Staub in einer unwegsamen Landschaft aus zerklüfteten dunkelgrauen Felsen und Geröllhalden auf. Ali und der Doktor hatten sich ihre Schals tief ins Gesicht, bis über die Nase gezogen und trugen Sonnenbrillen um ihre Augen zu schützen.

Umgeben von Sechs und Siebentausendergipfeln mit ewigem Eis, die distanziert und in unnahbarer Höhe auf die kleine Karawane herab blickten, ritt der kleine Trupp stetig von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.
Zwischen den Steinen wuchs kaum erkennbar Kameldorn und ein wenig spärliches Steppengras, von dem sich die Tiere gut ernähren konnten.


Der Shrenk dachte seufzend an die langen anstrengenden Monate zurück. Von Karachi aus nahmen sie die Karawanenstraβe, die flussaufwärts dem Indus folgte, der sich zwischen steinigen Felsschluchten stetig bergan schlängelte. Mal war es Geröll, dann wieder sandiger Boden mit fruchtbaren Seitentälern, wo Obstbäume wuchsen und Gemüsebeete angelegt waren. Die Bauern brachten ihre Ernte heim: Hirse, Mais, Kürbisse und Äpfel. Seit fast einem Jahr waren sie unterwegs, es war Spätsommer und es fehlten noch viele Monate bis zur Mongolei. Bei Gilgit verlieβ die Karawane den Indus und folgte nun der südlichen Route der Seidenstraβe über Hunza zum Karakorum.

Die Berge wurden zusehends höher, die Wege noch steiler. Es folgte der Anstieg über den Khunjerab Pass mit einer Höhe von weit über viertausend Metern, wo nichts mehr wuchs. Noch nachts waren sie aufgebrochen, damit sie die Überquerung rechtzeitig schafften. Mit Fackeln leuchteten die Mongolen den Weg. Es war so kalt gewesen, dass unter dem Anorak die feuchte Körperwärme zu Eis gefror. Doch Dschingis Khans Männer waren all dem bestens gewappnet. Einmal, als Ali ihre Schuhe auszog und zwei dicke Blasen entdeckte, nahm Kökötschü sofort einen Ast aus dem Feuer und hielt die glühende Seite an die Blasen und lachte. Ali blickte sehr verdutzt und verbiss sich den Schmerz, aber am nächsten Tag ging es ihren Füssen wieder gut.

Für alle Situationen waren die Männer bestens ausgerichtet, auch mit ihrem Notproviant wie getrocknete Milch oder getrocknete Fleischstreifen und Bors, ein Pulver aus getrocknetem Fleisch, das sie in einer Kuhblase aufbewahren die am Sattel hängt. Mit der Hilfe von Wasser rührten sie damit eine Suppe an, die auf dem Feuer kurz aufgekocht wird.

Vor Monaten, irgendwo unterwegs auf dem Hindukusch waren sie in die „Alte Zeit“ gekommen. Karawanen kamen ihnen entgegen, schwer beladen mit Seidenballen, auf dem langen Weg nach Europa. Der Doktor bemerkte es an der Kleidung der Menschen, dass sie endgültig die „Neue Zeit“ hinter sich gelassen hatten, denn er bekam weder Kunststoffe, Blechdosen und auch keine Sonnenbrillen mehr zu Gesicht.

Vor der Abreise hatte er sich einen Laptop mit Solarbatterie besorgt, so dass er wenigstens im Notfall Kontakt mit der „Neuen Zeit“ halten konnte, aber ob es klappte, das getraute er sich nicht auszuprobieren. Es nützte ihm ja auch nicht all zu viel, er war nun endgültig im
13 Jahrhundert gelandet und musste sich fügen.

Angenommen ich maile jemanden meiner Freunde oder gar Kollegen an, um Hilfestellung zu erhalten, so muss ich doch darüber schweigen, dass ich im 13 Jahrhundert irgendwo auf dem Dach der Welt unterwegs bin, dachte der Doktor zunehmend beunruhigt. Obendrein mit Dschingis Kahn, ich würde meine professionelle Glaubwürdigkeit verlieren und womöglich meinen Doktortitel!



Der Drill der Mongolen ist beispielslos. Wann immer sie Zeit haben, ertüchtigen sie sich in Schieβübungen, sie treffen mit Pfeil und Bogen aus einer Entfernung von vierhundert Metern. Mit Hilfe der Steigbügle schaffen sie es rückwärts stehend, zielsicher zu schieβen. Sie scheinen mit ihren Pferden sehr stark verbunden zu sein und bilden eine Art Symbiose mit ihnen. Diese wilden Reiter besitzen eben so, wie ihre Tiere, das feurige Temperament. Da hat Ali rechtbehalten, es gibt viel zu beobachten und darüber nachzudenken. Wann immer ich Zeit habe, mache ich mir Notizen in mein Tagebuch, das ich zusammen mit dem Laptop und meinem geliebten Sigmund Freud in der Satteltasche aufbewahre.

Abends wenn wir das Nachtlager aufgeschlagen haben und an der Feuerstelle sitzen gibt es Unterricht in der mongolischen Mundart. Während die Mongolen Pfeile schnitzen, sprechen sie uns geduldig ihre schwierige Sprache voller verwirrender Umlaute vor, deren Wörter ich beim Einschlafen in die Traumwelt mit nehme. Aber immerhin weiβ ich die Zahlen bis hundert und habe schon viele Redewendungen erlernt. Der Doktor begann an der Hand seine Finger zu zählen und laut vor sich hin zu sprechen:

Neg, Khoer, Gurav, Duruv, Urgaa, Doloo, Naym, Es, Arav...” Der Doktor räusperte sich und trainierte weitere wichtige Wörter laut vor sich hin deklamierend:

Guten Tag, Sayn Bayna uu! Ja, Tjym!“ Mit dem Wort Tjym, war der Doktor nicht so recht zufrieden, er wiederholte es mehrmals, so dass Suleika wieherte und neugierig den Kopf nach ihm wendete.

„Bayarlalaa, meine holde Suleika. Ich danke dir, du verstehst mich nicht wahr?“ Nachdem Suleika nochmals wieherte, war Doktor Shrenk mehr als entzückt und sprach darüber ermutigt, sogleich mit lauter Stimme weiter:

„Uguy, Uutshlaaray! Hast du mich verstanden meine liebreizende Suleika?“, fragte er gerade, als nach einer Wegbiegung plötzlich vor ihm eine filigrane Hängerücke auftauchte. Erschrocken stellte er fest, dass sie sich von einer steilen Felswand zur anderen über einen wild schäumenden Gletscherfluss hinüber spannte und es sonst keinen Weg weit und breit gab.

„Ali, seht ihr das?“, rief der Shrenk aufgeregt. „Sollen wir die etwa überqueren? Im Namen Allahs des Allmächtigen, das werden wir niemals schaffen, werte Ali!“

Ali drehte sich nach dem Doktor um und lächelte ihm aufmunternd zu. „Natürlich schaffen wir das, Doktor!“

Die Mongolen hatten ihre Pferde bereits angehalten, stiegen ab und bedeuteten Ali und dem Doktor das Gleiche zu tun. Im Gänsemarsch ging es über eine primitive Brücke, die in schwindelerregender Höhe über dem Fluss schaukelte. Die Vorhut bildete Ugedai, dann folgte Jesügei, Kökötschü und Altan. Der Boden schwankte bei jedem Tritt, vorsichtig leiteten die Mongolen ihre Pferde über die Holzplanken, die sich bei jedem Schritt bewegten. Dem Doktor wurde es schwindlig, er versuchte nicht nach unten zu blicken, wo der laut tosende Fluss sich sein Bett durch die schroffen Felswände gesucht hatte und seine donnernden Wassermassen durch die Gebirgsschlucht jagte.
 


Ali führte Akhbar und bildete mit ihm die Nachhut. Akhbar, der sich heute vorbildlich benahm. Was blieb ihm auch anderes übrig? Er wusste genau, wie gefährlich jeder falsche Tritt sein konnte und welche Konsequenzen darauf…

Da passierte es! Der Doktor führte Suleika an einem Strick. Ein scharfer Windstoβ brachte ihn aus dem Gleichgewicht und er stolperte. In Panik versuchte er sich an den Seilen festzuhalten, stürzte aber zwei Meter in die Tiefe, wo er zappelnd baumelte.


„Hilfe!“, schrie er aus Leibeskräften, was aber durch das tosende Wasser nicht zu hören war.

Im Nuh geriet die Hängebrücke in wilde Schaukelbewegung. Einer der Mongolen, es war Altan, hangelte sich an den Seilen herbei bis zum Doktor.

„Beweg dich nicht!“, schrie Altan dem Shrenk zu. „Ich werde dich retten, vertraue mir.“



Mehrmals versuchte er mit Hilfe seiner Urga, eine lange Stange an deren Ende eine Schlinge befestigt war, um den Hals des Shrenk zu werfen. Der Doktor aber zappelte in Panik, wodurch ihn Altan mehrmals verfehlte.


Nach einigen vergeblichen Versuchen, schaffte Altan es endlich und hievte ihn hoch.
Indessen hatten die übrigen Reiter der Karawane alle Hände voll zu tun, ihre Tiere zu beruhigen, damit die Brücke zu schwanken aufhöre.

Die Rettung war Kökötschü der Schamane. Geistesgegenwärtig nahm er sofort seine Trommel und schlug darauf, um die Ongod, seine Ahnengeister um Hilfe herbei zu rufen. Kökötschü hatte sein Gesicht nach unten zum Wasser gewandt, warf kleine Steinchen und Knochen hinunter und begann mit kehliger Stimme ein Lied zu singen, dessen Laute der tosende Fluss zwar verschluckte, aber sehr wohl verstand. Das Wasser konnte von ihm schlieβlich besänftigt werden und verlangte keinen Tribut mehr.


Vorsichtig und sehr langsam wurde Tier um Tier auf die andere Seite geleitet.
Der Doktor war blass und kaum war er am anderen Ufer angelangt, schlotterte er am ganzen Körper.

„Doktor! Euch steckt immer noch das Wasiristan Trauma in den Knochen. Die Angst vor Mohammed und seinen Gotteskriegern, die uns nach Pakistan mitnehmen wollten. Ihr braucht euch nicht so zu schütteln, wir sind hier nicht in Wasiristan, sondern in Tadschikistan und wie das vor achthundert Jahren hieβ weiβ ich auch nicht. Aber Jesügai sagt, dass dieses Land bereits mongolischer Boden ist“, rief Ali dem Doktor zu, sie war froh, lebend aus dieser schwierigen Lage herausgekommen zu sein. „ Pakistan und Wasiristan liegen über tausend Kilometer südwestlich von uns!“

„Wir reiten weiter!“, rief Ugedai. „So wie der Mut der Mongolen unendlich ist, so ist der Wert unserer Pferde unermesslich!“

Wir reiten weiter, dachte der Shrenk. „Nur noch eine Woche bis Kashgar.“

„Ja, Doktor. Und dank der Mongolen, haben wir uns auch nicht vor Wegelagerern zu fürchten.“

„In der Tat, Werteste. Da traut sich niemand uns zu überfallen.“


Ugedai, der neben dem Doktor ritt, kommentierte stolz:

„Das Mongolische Reich gilt als so sicher, dass eine Jungfrau mit einem Sack voll Gold von einem Ende des Reiches zum anderen reiten könne, ohne das ihr das geringste Leid geschähe!“

„Dank dem groβen Temudschin.“ Ugedai nickte kurz und preschte mit seinem Pferd nach vorne. Wie der Doktor beobachten konnte, war Ugedai so etwas wie ein Führer. Die anderen drei Männer behandelten ihn besonders ehrerbietig. Sogar Kökötschü zollte Ugedai auf eine gewisse Weise Achtung. Warum das so ist, wird sich schon noch herausstellen. Hm…
 


Der Doktor hatte sich beruhigt und bedankte sich bei Suleika. Suleika, die eben geduldig auf der schwankenden Hängebrücke ausharrte, damit der Shrenk gerettet werden konnte. Suleika hatte eine besondere Beziehung zu ihm, sie hörte ihm gerne zu und ihr konnte er vertrauen. Eigentlich war sie die Einzige, die ihn wirklich verstand. Im Gegensatz zu Ali, die nie richtig aufpasste, was er sagte, aber dafür selbst immer groβartige Sprüche von sich gab. Der Doktor lächelte in sich hinein.

„Bayerlalaa, liebe Suleika“, murmelte er. Wenn er schon die mongolische Sprache erlernen sollte, so sollte Suleika unbedingt auch davon profitieren. „Bayerlalaa.“


„Shrenk, wisst ihr eigentlich wie lange wir schon unterwegs sind?“, holte Ali den Doktor aus seinem Gespräch mit Suleika.

„Es sind glaube ich acht Monate.“
„Ach wirklich? Ich dachte es waren vier Monate. Wie kommt ihr nur auf acht?“
„Es ist immer das Gleiche Ali. Nie lasst ihr gelten, was ich für richtig halte!“ Des Doktors Gesicht war purpurrot angelaufen und er stieβ ärgerlich die Luft aus.

„Über den Zeitraum könnte man sich streiten, Shrenk. Da wir irgendwann vom Jahre 2010 in das Jahr 1215 hinein geglitten sind und so gewissermaβen einen Realitätsverlust erlitten.“ Ali deutet nach vorne. „Seht mal, das muss der Konghur Shan sein. Er ist fast achttausend Meter hoch und mit ewigem Schnee bedeckt und er ist ewig! Ob im Jahre 2010 oder im Jahre 1215, er wird unverändert dort stehen, genauso wie diese grandiose Landschaft, sie ist zeitlos.“

Wieder stieg der Weg beständig an, die scharfen Konturen der Felsenberge waren vom Sand verweht und sahen aus wie riesige Sanddünen, die durch die Sonne und das Spiel der schnell dahinziehenden Wolken am Himmel, ihre Farben ständig wechselten.
Der Wind hatte durch die Höhe ständig zugenommen, die Luft war voller Sandstaub und wie durch einen feinen Schleier prangte der vereiste Gipfel des Konghur Shan nach einer erneuten Wegbiegung auf.

„Der Konghur Shan ist zeitlos, meinetwegen Ali. Aber ich habe Aufzeichnungen in mein Tagebuch gemacht und…“

„Das mag ja sein.“ Ali lachte. „Bei Realitätsverlust, verschwindet das Zeitgefühl aber nun mal.“

„Wollt ihr damit andeuten, dass ich nicht mehr ganz bei Verstand bin?“

„Nicht unbedingt, Doktor. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass wir nicht mehr so linear denken sollten!“

„Werteste, das geht einmal wieder entschieden zu weit!“

„Na ja…“ Ali schmunzelte. „Weit müssen wir wohl noch bis in die innere Mongolei, aber wir reiten und brauchen nicht zu gehen. Doktor, es geht hier eindeutig um eine Erweiterung des Bewusstseins, denn wir leben zwar im dreizehnten Jahrhundert, aber mit den Kenntnissen des Einundzwanzigsten.“

Der Shrenk schwieg. Wie oft hatte er mit Ali während der Reise über ihre seltsame Lage gesprochen. Nicht einmal Sigmund Freud konnte ihm da noch helfen. Er wusste auch nicht, ob er inzwischen verrückt war oder nicht, aber das tat jetzt nichts zur Sache und würde die Situation kaum verbessern. So wie bei ihrer vorigen Reise durch Saudi Arabien, heiβt es offen zu sein für die Erfahrungen und entsprechend zu handeln.


In diesem Augenblick kamen mehrere Reiter auf sie zugeprescht. Wie sich herausstellte war es ein abkommandierter Trupp von Dschingis Kahn, einer der Reiter hielt die Standarte des Kahns hoch, mit den Zeichen des mongolischen Reiches, die im Wind flatterte.
Der Trupp hielt scharf vor Ugedai, es waren an die zwanzig Reiter.

 


Der Anführer des Trupps begrüβte Ugedai ehrerbietig und wechselte mit ihm ein paar Worte.

„Habt ihr gesehen, mit welcher besonderen Höflichkeit Ugedai auch vom Anführer des Trupps behandelt wird?“, fragte der Shrenk gerade Ali, als Ugedai zu ihnen deutete.

Die Reiter stiegen von ihren Pferden und begutachteten mit unverhohlener Neugier die wertvollen und obendrein sonderbaren Gäste und ihre vier Kamele.
Akhbar kannte sowas zur Genüge und blickte die Neuankömmlinge hochmütig an. Sein Fell und auch das von Miriam, Suleika und Omar, hatte in den letzten Monaten sich einer Verwandlung unterzogen und zu einer stattlichen Haarpracht entwickelt.

„Akbar!“, raunte ihm Ali zu. „Verhalte dich um Himmels Willen unauffällig. Wir sind hier mit Barbaren zusammen und ich weiβ nicht, wie sie auf deine spektakulären Ausbrüche eingehen werden.“ Akhbar bäte einmal laut, so dass Ali daraus schlieβen konnte, dass er verstanden hatte.



Es war die moderne Kleidung, die neuangekommen Mongolen in Aufruhr versetzte. Die roten, knielangen Schnürstiefel des Shrenk, seine petrolgrüne Parka aus superleichtem Material und sogar seine hellblaue Strickmütze, wurde eingehend betastet und mit lauten Ausrufen bewundert.
Bei Ali wussten sie nicht so recht, was sie von ihr halten sollten. Eine Frau mit kurzen blondem Bürstenschnitt hatten sie noch nie zu Gesicht bekommen. Ihren hellblauen Parka bestaunten sie nur, ohne ihn zu berühren mit unbewegtem Gesicht. Ali lächelten sie dafür freundlich an und rief:

„Sayn bayna uu“, was so viel wie Guten Tag heiβt. Die Männer nickten ihr höflich zu.

Ali gab Akhbar ein Zeichen, damit er zu Boden gehe und stieg ab. Auch der Shrenk war inzwischen aus dem Sattel geklettert und strich mit den Händen über sein schmerzendes Kreuz.

Die Männer nun auf Augenhöhe mit Ali und dem Doktor, begutachteten nun neugierig ihre Sonnenbrillen. Ali reichte sie einem der Männer, der sie aufsetzte und lachte, dann reichte er sie weiter, worauf sie bei allen die Runde machte.

Unbemerkt war der Nachmittag verstrichen, die Sonne tauchte die hohen Berggipfel in glühendes Rot, bevor sie verschwand und es sofort merkbar abkühlte.

Der Trupp hatte inzwischen die Zelte aufgebaut. Emsig machten sich die Männer daran, ein groβes Feuer zu entfachen und saftiges Hammelfleisch auf Spieβen zu braten.



„Was mögen das für Männer sein und was genau wollen sie?“, fragte der Shrenk, Ali.
„Das werden wir bald erfahren. Trinkt lieber von dem köstlichen Getränk, Doktor.“

Ali und der Shrenk saβen neben Ugedai und dem Anführer des Trupps und kostete von dem sonderbaren Getränk, das die Mongolen mitgebracht hatten. Es übte einen berauschenden Effekt aus der wohltuend war.

„Das ist Kemur“, sagte Ugudai und reichte dem Doktor einen Becher.

„Kemur?“ Ugedai nickte.

„Hm, ausgezeichnet, schmeckt so gut wie Wein. Ein wahrhaft edler Tropfen“, lobte der Doktor.

Es war sowie schon alles was er erlebte sonderbar genug. Hier oben irgendwo verloren im Hochland des Pamir, auf dreitausend Meter Höhe, im dreizehnten Jahrhundert unter Mongolischen Reitern des Dschingis Kahn. Hager und gedrungen, dabei aber mit breiten Schultern und durchtrainiert, wirken sie auf mich. Wild blitzende kleine Augen, denen nichts zu entgehen scheint, hohe Backenknochen und ihre Kleider? Pah! An die habe ich mich ja längst gewöhnt, genauso wie an den Geruch. Womöglich rieche ich inzwischen nach den paar sporadischen Badeaufenthalten in Gletscherflüssen, genauso wie sie…

„Das ist vergorene Stutenmilch.“

„Oh!“, schwärmte der Doktor, der mehr und mehr Gefallen an dem seltsamen Getränk fand und bereits den zweiten Becher trank.

Ali lieβ den Anführer, der Berke genannt wurde, nicht aus den Augen. Wie Ugedai, hatte er ein ebenes Gesicht und eine feine Nase. Er sprach mit Ugedai, der eine sorgenvolle Miene machte und nervös dabei an seinem Kinnbart herum zupfte.

Die Lagerfeuer warfen spielerische Schatten auf die nahen Zeltwände. Wohlige Wärme breitete sich unter allen aus. Kräftige Hände langten nach dem fett triefenden Fleisch und der Kemur floss in Strömen. Lieder wurden gesungen, die weit über die Hochebenen klangen, getrieben vom endlosen Wind, der zwischen wild zerklüfteten Felsen über sandige Böden dahin fegte.

„Es gibt Menschen, die ahnen die Schleier und das was dahinter verborgen liegt“, hörte Ali auf einmal Kökötschüs Stimme neben sich. „Die Schleier sind aber sehr eng gewebt. Nur hin und wieder vermag man das dahinterliegende Wissen zu erkennen.“ Kökötschü kicherte. „Dschebe ist dabei einen geheimen Weg über die Trans-Alai Berge zu finden nach dem
Choresm-Reich. Der Schah hat Temudschin verraten und wird bald die schlimmste Rache auf Erden erfahren. Und wir werden dabei sein…“

„Trans-Aali Gebirge“, wiederholte Ali nachdenklich. In ihrem Kopf arbeitete es fieberhaft. Die Trans Alai Kette. Oh Allah und sämtliche existierende Götter, seid uns gnädig. Es kann sich nur um die berühmt-berüchtigte Route über die Siebentausender handeln, die Dschingis Kahns Feldherr Dschebe und Subutaij, 1218 heimlich bezwang, während Dschingis Kahn eine andere Route durch die Wüste nahm, und so das persische Reich von zwei Seiten angegriffen wurde.

„Wir werden dabei sein“, ahmte Ali entgeistert Kökötschü nach. „Aber mit wem dabei? Mit Dschebe über die Berge oder Dschingis Kahn durch diese Schreckenswüste?“


 


Ein klarer Tag begrüβte Ali, als sie aus dem Zelt kam. Die Luft war kühl und der Wind blies beständig über das Hochland des Pamir.

„Guten Morgen Ali“, rief der Shrenk. Er hatte sich an die Feuerstelle gesetzt und trank einen Becher dampfenden Tee. Ali ging zu ihm und setzte sich. Die Mongolen hatten inzwischen die anderen Zelte abgebaut, nur ihres stand noch und wartet zum Abbruch. Es herrschte bereits hektische Aufbruchsstimmung. Ugedai kam und setzte sich neben Ali und dem Shrenk.

„Wir brechen unverzüglich auf“, begann er ernst. Ali sagte nichts und trank Tee.
„Die Männer sind Boten vom Kahn.“

Was habt ihr von ihnen erfahren?“, erkundigte sich der Shrenk vorsichtig.

„Sie kommen von Temudschin. Gestern Abend hat Berke, ihr Anführer, mir alles berichtet: den Sieg von Dschebe mit seinen 20.000 Kriegern über das Kara-Kitai Reich. Er sprach auch von dem Friedensvertrag mit dem Schah Muhammed aus dem Choresm Reich und dem Verrat.“

„Verrat, was für ein Verrat? Kökötschü, machte gestern Abend bereits eine Andeutung.“

„Oh ja, böser Verrat!“ Ugedais Gesicht wurde hart. „ Es bestand ein Friedensvertrag zwischen unserem Reich und Choresm seit zwei Jahren. Eine unserer Karawanen ist an der Grenze des Choresm Reiches überfallen worden. In Otrar, an der Grenzfestung, wurden die Gesandten Temudschins, von den Soldaten des Stadtkommandanten überfallen und unsere Männer hingerichtet. Einen einzigen Mann lieβ er am Leben. Sie versengten seine Haare und sandten ihn so zu Temudschin zurück, damit er berichten konnte.“ Ugedai schlug mit der Faust auf den Boden und rief:

„Das wird Rache geben, an dem Chorems Reich und seinem Sultan Muhammed!“

Dann habe ich wohl gestern Abend richtig gehört, überlegte Ali. Also kein angenehmer Aufenthalt in Temudschins Heimat am Ornon Fluss.

„Was bedeutet das genau, edler Ugedai?“, fragte Ali gerade heraus. Ihr war nicht nach höflichen Floskeln. Schlieβlich ging es darum, in einen gefährlichsten Feldzüge Dschingis Kahns mit hereingezogen zu werden.

„Wir sollten doch als Berater in Temudschins Heimat kommen. In einer bequemen Jurte wohnen und euren Kahn Unterstützung gewährleisten in Philosophie, Psychologie und Demokratie vor allem“, sprach ein beunruhigter Shrenk.
„Die Dinge haben aber in den letzten zwei Jahren ihren unerbittlichen Lauf genommen. Das ist die Zeitdauer unseres Fernbleibens. Es war vor allem Kökötschü, der darauf bestand, euch zu holen.“ Und sehr leise sprach Ugedai darauf: „Und das Geheimnis um Kökötschü, werde ich auf keinen Fall preisgeben. Noch nicht…“

„Und wie geht es weiter?“, fragte Ali.
„Dschebe und Temudschin sind ständig in Kontakt, obwohl dreitausend Kilometer auseinander. Es reiten pausenlos Meldereiter hin und her. Mit unseren Pferden ist das in zwei bis drei Wochen zu schaffen!“

„Was?“, endrutsche es Ali. „Es handelt sich um Pferde und nicht um Audis mit Vierradantrieb, oder?“


„Audis? Ihr sprecht von Autos.“ Ugedai lachte und machte ein spitzbübisches Gesicht dabei. „Unsere Pferde legen bis zu zweihundert Kilometer am Tag hin.
Seit der letzten Schneeschmelze ist Dschebe dabei, von Kashgar aus, mit 10.000 Mann und Pferden, einen Weg über diese hohen Berge zu erkunden.“ Ugedai blickte Ali triumphierend an und fuhr fort:
„Temudschin hat sein Heer in der Zwischenzeit auf 250.000 Mann aufgerüstet mit 1 Million Pferde und bewegt sich von der inneren Mongolei in Richtung Persien.“

„Und dann?“, fragte Ali aufgeregt. Auch der Doktor versucht sich ein Bild von dem allen zu machen, denn er ahnte Böses. Und jetzt ist es zu spät, zurückzukehren, dachte er voller Sorge.
 
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Ugedai erhob sich und gab das Zeichen zum Aufbruch. „Es gibt nur eine Möglichkeit, Temudschin zu treffen. Wir reiten von Kashgar aus auf der nördlichen Seidenstraβe durch die Taklamakan Wüste bis Urumtschi.“

„Urumtschi?“ fragten Ali und der Shrenk. Beide wussten nicht so recht was sie davon halten sollten. Ugedai nickte.

„Darum müssen wir uns beeilen, wir haben nur noch zwei Monate, dann kommt der Winter und das Land verwandelt sich in eine undurchdringliche Eiswüste.“

Ali nickte stumm. Sie war enttäuscht, darüber, nicht in Kashgar zu überwintern, wie eigentlich geplant. Statt dessen eine halsbrecherische Gewalttour durch die Taklamakan…

„In der Taklamakan soll es böse Geister geben, aber das sind ja nicht ernst zu nehmende Projektionen abergläubischer…“

„Shrenk! Hört sofort auf damit, die Mongolen sind ganz besonders abergläubisch und das könnte böses Blut geben“, raunte Ali ihm zu.

„Blut wird es auf jeden Fall geben und zwar in rauen Mengen!“, meinte der Shrenk achselzuckend.

„Nach der nächsten Schneeschmelze wird Temudschin sein Heer durch die Dschungurische Pforte nach Westen führen, genau in dieser Jahreszeit wächst spärliches Gras in den Hungersteppen die sein Heer zu durchqueren hat. Und dort, an der Dschungurischen Pforte werden wir auf ihn treffen.“






„Werte Ali“, meldete sich ein mehr als besorgter Shrenk. „Ich plädiere dafür die dreitausend Kilometer nach Karatschi zurückzureiten, statt dieser Gewalttour von zweitausend Kilometern bis zur Dschungurischen Pforte…“


Ali und der Shrenk waren inzwischen auf ihre Kamele aufgesessen und ritten in Richtung Kashgar.

„Zu spät, Doktor. Wie stellt ihr euch das vor, ohne Führer und nur allein auf uns gestellt?“

„Als wir von Portugal aufbrachen, war der Plan ein ganz anderer gewesen, das wisst ihr sehr wohl, werte Ali.“
„Das nützt uns jetzt nichts. Ihr habt doch gehört, was Berke, dem Ugedai berichtet hat. Inzwischen ist Dschebe in das Kara-Kitai Reich eingefallen und der Schah von Persien verübte Verrat am Kahn. Eine Sache die Temudschin noch nie unbestraft gelten lieβ, darüber berichten die historischen Quellen eingehend!“

„Wie ihr euch erinnert, werte Ali, war der ursprüngliche Plan, an den Ufern des Onon, im Ordu des Kahns als Gast zu verweilen. Ein wenig Tourismus und ein wenig Beratung, ein bisschen philosophieren, wenn abends die Sonne über den Steppen der Mongolei untergeht und ein angenehmer Wind über die Gräser streicht. Versammelt am Feuer, wird musiziert und Lieder erklingen und berühren unsere Seele.“




Fragend blickte der Shrenk zu Ali, die zu kichern begann und darauf meinte:

„Ich kannte noch gar nicht eure romantische Ader.“


„Es geht ja nicht nur um die nächsten zweitausend Kilometer, da folgen doch ab der Dschungurischen Pforte, weitere Zweitausend.“

„Korrekt, Doktor. Temudschin wird inzwischen sein Heer, wie bereits geplant, gesammelt haben und mit seinen 250.000 Kriegern, 1 Million Pferden und seiner gesammten Kriegsmaschinerie, die zweitausend Kilometer bis zur Dschungurischen Pforte zurücklegen. Die weitern zweitausend Kilometer bis zum Syr Darja Fluβ, werden wir ihn begleiten.“

„Wenn es nur das wäre! Es wird ein Blutbad sondergleichen folgen und wir sind gezwungen, uns das mit anzusehen. Mir reichen schon die Bilder in den Abendnachrichten im Fernsehen!“ Der Doktor begann sich zu schütteln. Ali schwieg und dachte nach. Endlich, nach einer Wegbiegung durch eine besonders unwegsame Felsenschlucht sprach sie:

„Ja, zünde deine Kerzen an, verbrenne deinen Weihrauch, läute deine Glocken und erbitte Gottes Hilfe. Pass jedoch auf, denn er wird kommen, seine Esse anschüren, dich auf deinen Amboss legen und dich solange schmieden, bis aus dem Messing reines Gold geworden ist.“ Ali blickte zum Shrenk, der sich ein wenig beruhigt hatte. „Diese Worte sind von Sani Keshavadas, einem indischen Heiligen und damit will ich andeuten: wir können uns auf allerhand gefasst machen und anscheinend sollen wir dem Tod ohne Angst ins Auge blicken.“

 
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