Das sind Dinge, die kann man bei der Bundeszentrale für politische Bildung nachlesen:
Der Westen war naiv, wenn er glaubte, dass Putin bei der Einbindung der Ukraine in westliche Strukturen tatenlos zusehen würde. Es bedarf mehr Realismus in der westlichen Außenpolitik.
www.bpb.de
Überhaupt hat die Bundeszentrale für politische Bildung die besten Analysen zur Ukraine:
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Ja, ich kenne den ersten Text. Hast Du den denn auch gelesen?
Hier mal ein paar Zitate aus dem ersten Link die klar machen worum es mir geht - nämlich das nicht nur Russland schuld an der eskalativen Dynamik der Vergangenheit war:
"Selbst wenn von den Verantwortlichen in Washington, London, Paris und Bonn 1989/90 auf triumphierende Äußerungen verzichtet wurde, so vermittelten sie im Laufe der folgenden Jahre dem Kreml zunehmend deutlich, dass Kritik an der westlichen Politik aus Russland wegen des dortigen Demokratiedefizits im Kern illegitim sei. Westliche Offerten entbehrten also nicht einer gewissen Hybris, (...)"
"Kein Wunder, dass die Erweiterung von EU und NATO aus russischer Sicht ebenfalls als imperial und Bedrohung der eigenen Interessen interpretiert wurde."
"In dieser Phase ungewisser Entwicklung nahm der Westen zu wenig Rücksicht auf die außenpolitischen Befindlichkeiten und Sicherheitsinteressen Russlands, wie spätestens die Kosovo-Intervention und der Krieg der NATO gegen Serbien zeigten. Russland mahnte dann auch vergeblich an, das Anpassungsabkommen zum Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (A-KSE) von 1999 zu ratifizieren."
"Auch die Kündigung des ABM-Vertrages, der 1972 von den USA und der Sowjetunion zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen geschlossen worden war, durch die USA im Jahr 2002 vertiefte russische Sicherheitsbedenken. Entsprechend ging die neue russische Militärdoktrin von 2005 von mehr Unsicherheit aus."
"Im Westen war zu Beginn der 1990er Jahre zunächst von einer Erweiterung der NATO nicht die Rede. Die republikanische US-Regierung unter George Bush senior (1989–1993) stand solchen Ansinnen noch zurückhaltend gegenüber. Erst unter der liberal-internationalistisch ausgerichteten Regierung Bill Clintons (1993–2001) wurde die Erweiterung konkretisiert. In den USA führte der Historiker George F. Kennan die Riege realistischer Kritiker an, in Deutschland machten Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher, aber auch Diplomaten und Wissenschaftler keinen Hehl aus ihren Bedenken.Zur Auflösung der Fußnote[9]"
"NATO-Osterweiterung, EU-Osterweiterung, Raketenabwehr sowie wachsende Bedrohung der eigenen autoritären Macht durch westlichen Einfluss förderten Putins autoritäre und antiwestliche Haltung."
"Die moralische, rechtliche und politische Verurteilung von Putins aggressivem Verhalten ist verständlich. Aber moralische Entrüstung ist kein Ersatz für eine selbstkritische Bestandsaufnahme westlicher Europa- und Russlandpolitik. Internationale Politik, auch die europäische, folgt letztlich nicht moralisierenden Aufwallungen, sondern in der Regel den ehernen Gesetzen von Macht, Prestige, Einfluss und Interesse. Doch diese Lehren wurden im idealistischen Überschwang der 1990er Jahre vom Westen sträflich missachtet."
Und so weiter.... Das ist also genau das was ich zu erklären versuche. Und nein, das bedeutet nicht, dass der Angriffskrieg richtig ist. Alles was ich behaupte: Im Vorfeld wurden viele Fehler gemacht, auch vom Westen.
Zur Wahrheit gehört hier aber auch, dass sich Russland letztlich durch Putin in eine Richtung entwickelt hat, die es unmöglich macht, das Land als vollwertiges Mitglied in die NATO aufzunehmen. Russland ist - wieder - ein totalitärer Staat, dessen Landesführer imperiales Machtstreben hat. Und das zeichnete sich - für Russlandbeobachter und -kenner - bereits zu Beginn seiner Präsidentschaft ab.
Und das liegt nicht in erster Linie an den Ländern, die von der NATO aufgenommen wurden, sondern an Putins Minderwertigkeitskomplexen.
Du stellst hier Vermutungen an. Im von Dir selbst verlinkten Text wird die Entwicklung differenzierter beschrieben:
"NATO-Osterweiterung, EU-Osterweiterung, Raketenabwehr sowie wachsende Bedrohung der eigenen autoritären Macht durch westlichen Einfluss förderten Putins autoritäre und antiwestliche Haltung."
Jelzin hätte durch klügere außenpolitische Schachzüge im Vorfeld dafür sorgen können, dass sich osteuropäische Länder sicherer, also nicht von Russland bedroht fühlen, und entsprechende wirtschaftliche und militäische Schutzverträge mit diesen Ländern abschließen können.
Das tat er nicht.
Das hat Jelzin getan! Es war die NATO die mit einem völkerrechtswidrigen Krieg geantwortet hat.
"Nachdem Ende des Jahres 2018 das National Security Archive der George Washington Universität (Washington D.C.) Dokumente der Verhandlungen der westlichen Regierungen mit der Sowjetunion über die deutsche Wiedervereinigung veröffentlicht hatte (
"Keinen Inch weiter nach Osten": Was den Russen zur Wiedervereinigung über die Nato versprochen wurde), folgten nun Dokumente aus der Zeit der Präsidentschaft von Boris Jelzin.
Die Veröffentlichungen belegen, dass die USA Russland wiederholt versicherten, die zukünftige Sicherheitsstruktur in Europa würde auch Russland einschließen. Die Dokumente offenbaren prophetische Mahnungen Jelzins und zeigen, dass russische Kritik an einer NATO-Osterweiterung keine aktuellen Erscheinungen sind, sondern den gesamten Prozess seit Anbeginn der Verhandlung über die deutsche Wiedervereinigung begleitet haben."
"Jelzin brachte jedoch einen neuen Gedanken ins Spiel: "Es ist wichtig, dass die OSZE der grundlegende Mechanismus für die Entwicklung einer neun Sicherheitsordnung in Europa sei. Die NATO ist natürlich auch ein Faktor, aber die NATO sollte sich in eine politische Organisation entwickeln."
"
Jelzin bat seinen Gesprächspartner aus den USA um Bestätigung, dass alle Länder Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion gleichermaßen behandelt werden würden und dass es eine Partnerschaft und keine Mitgliedschaft geben werde. Christopher bestätigte dies, bevor ein begeisterter
Jelzin jubelte: "Das ist eine brillante Idee. Eine Geniestreich." Dies würde alle Sorgen in seinem Land im Hinblick auf die NATO nehmen. Russland "würde keine Zweite-Klasse-Bürger" sein, sondern ein gleichwertige Partner."
------- und wieder hinterging der Westen die russischen Hoffnungen ------- Zitat Jelzin:
"Ich sehe nichts als Erniedrigung für Russland, wenn Sie weitermachen… Warum wollen sie das tun? Wir brauchen eine neue Struktur für eine pan-europäische Sicherheit, keine alten! … Aber wenn ich eine Expansion der Grenzen der NATO nach Russland zustimme, würde ich die russischen Menschen betrügen."
Jetzt freigegebene Dokumente belegen US-amerikanische Versprechen an Boris Jelzin, dass Russland Teil einer europäischen Sicherheitsstruktur werden würde.
www.heise.de
Und Jelzin warnte vergeblich vor dem (völkerrechtswidrigen) Krieg der NATO im Kosovo.
Stattdessen zeigte sich Jelzin als schwacher Staatsführer (Alkoholiker), der zuließ, dass ein paar wenige in seinem Land Reichtum anhäuften, während Normalbürger sich mit drastischen Verteuerungen abfinden mussten, und so trat Jelzin - in der Phase seiner größten Schwäche - seinen Posten an einen diktatorisch denkenden Demagogen ab (so ähnlich wie der senile Hindenburg Hitler schließlich zum Reichskanzler ernannt hatte und das Schicksal Deutschlands seinen Lauf nahm).
Lies einfach mehr nach. So einfach kann man es sich nicht machen. Die Probleme nach dem Fall der Sowjetunion hätte niemand wirklich meistern können. Jelzin hat sicher vieles falsch gemacht, aber er hat sich außenpolitisch aufrichtig um gute Beziehungen bemüht, er hat sogar die Nato-Osterweiterung nicht ausschließlich abgelehnt, wollte aber Versicherungen das es eine Partnerschaft mit Russland geben würde, dass das nicht gegen Russland gerichtet sei.
Der Punkt ist, dass die Gefahr, Russland könnte eingeschnappt reagieren, westlichen Politikern zwar schon immer bewusst war, es ändert aber nichts an der Tatsache, dass Russland seit Putins Machtübernahme zur Gefahr für ehemalige Sowjetrepubliken bzw. für Länder an den Grenzen zu Russland wurde.
Was Putin hier schon immer außer Acht ließ, ist, dass Jelzin 1994 der Souveranität der Ukraine zugestimmt hat.
Hätte Jelzin einen demokratischer denkenden, moderateren und für Reformen aufgeschlossenen Nachfolger ausgewählt, wäre Russlands Außenpolitik mit Sicherheit anders gelaufen, weil ein demokratisch denkender Mensch geschlossene Verträge nicht einfach bricht, sondern die eigene Sicherheitspolitik auf diplomatische Weise durchzusetzen versucht.
Putin hat durchaus auch Angebote gemacht. Er wollte Russland in die Nato führen, er hat die Souveränität der Ukraine nicht bestritten und früh Vorschläge gemacht wie man das Problem lösen könne, auch einen Nato-Beitritt der Ukraine nicht ausgeschlossen. Ihm wurde aber mit Härte und Herablassung begegnet und so wurde auch er immer härter und seit vielleicht 2010 herum gab es nichts mehr zu reparieren.
Und noch mal: Ich sage hier nicht "entweder oder", lediglich das auch der Westen genug Fehler gemacht hat, Teil der Eskalations-Dynamik war.