Von Salvador Dali stammt folgender Ausspruch:
Lerne malen wie die alten Meister. Dann mach, was du willst.
Das bringt die Sache sehr schön auf den Punkt. All diese Leute, die sagen, man könne doch wohl überall und jederzeit meditieren, es brauche niemandem, der einem das beibringen würde etc. usw. usf., all diese Leute sollen ZUERST meditieren lernen, wie die alten Meister. Und DANN können sie machen, was auch immer sie wollen.
Es ist eine seltsame Angewohnheit, dass alle Menschen glauben, sie seien völlig ohne gründliche Schulung einfach so bereit und in der Lage, die gesamte Tiefe der Meditation schon von vornherein zu kennen - ohne dass sie beispielsweise jemals in einem mehrtägigen Retreat waren.
Wenn wir das Bildermalen als Vergleich nehmen, dann gibt es ausnahmslos niemanden, welcher ohne jegwelche Schulung und Anstrengung einfach so drauflosmalen konnte, wie die alten Meister. Niemanden. Selbst jene rar gesäten Genies, welche ohne äussere Anleitung sich das malen selbst beibrachten, selbst jene Genies investierten in allen Fällen zuerst Jahre oder Jahrzehnte in ihre Leidenschaft, feilten, arbeiteten, arbeiteten und arbeiteten.
Damit Meditation einfach so geschieht, völlig anstrengungslos, wie das in den Dzogchen-Texten beispielsweise oft geschildert wird, ist ein enormes Geschick und eine wirklich absolut aussergewöhnliche Meisterschaft vonnöten, die üblicherweise mindestens 20 Jahre (!) Meditationserfahrung voraussetzt.
Richtige Meditation ist solche, welche dafür sorgt, dass du all deine Bequemlichkeiten hinter dir lässt und all jene für dich typischen Muster durchbrichst, die dich davon abhalten, anstrengungslos meditieren zu können.
Es ist letztlich gleich wie überall auch: Du kriegst genauso viel zurück, wie du investierst. Nicht einen Cent mehr, nicht einen Cent weniger. Wenn du nichts investierst, dann kriegst du auch nichts zurück.
Ich meditiere seit 10 Jahren ziemlich intensiv und war in mehreren Retreats. Es gibt Dinge, die kann man unmöglich verstehen, wenn man nicht eine gewisse Meditationserfahrung hat. Was ist der Unterschied zwischen Aufmerksamkeit und Konzentration? Wer kann das erklären, wenn er nicht zuvor eine gründliche Schulung durchlaufen hat? Wer weiss, welches die Meditationserfahrungen tiefster Absorptionszustände sind, wenn er sie nicht selbst erlebt hat? Diese Zustände kommen unmöglich einfach von selbst.
Meditation bedeutet, dass du langsam aber sicher in der Lage bist, deine Hirnfunktionen zu steuern, wie das normale Menschen nicht können. Es gibt äusserst aussergewöhnliche Dinge, die Langzeitmeditierende zu tun imstande sind, die Kurzzeitmeditierende nicht können. Es ist somit
beweisbar, dass es einen Unterschied gibt zwischen jenen, die viel Zeit und Aufwand in ihre Meditationspraxis gesteckt haben und jenen, die das nicht getan haben. All diese Dinge werden inzwischen wissenschaftlich untersucht, und ich kann es nur noch einmal betonen, dass Menschen ohne weitere Meditationserfahrungen zu gewissen Dingen einfach nicht in der Lage sind.
Tummo-Meditation - um nur ein Beispiel zu nennen - kann deine Körpertemperatur in einem solch extremem Masse erhöhen, dass du ohne weiteres bei Gefriertemperaturen eine Stunde lang auf einem Eisblock sitzen kannst. Hast du jemals einen Menschen gesehen, der das "einfach so" konnte? Ohne zuvor eine langjährige Meditationspraxis unter korrekter Anleitung durchzuführen?
Der "anstrengungslose Zustand", von welchem oft gesprochen wird, ist ein äusserst selten anzutreffendes Muster von Hirnwellen, welches - wenn es überhaupt auftritt, es ist nämlich auch bei Langzeitmeditierenden eher die Ausnahme als die Regel - nur in Leuten angetroffen werden kann, die > 20 Jahre Meditationserfahrung haben. Es ist ein Muster, in welchem gewisse EEG-Wellen messbar sind, die bei normalen Menschen nur im Tiefschlaf auftreten. Niemand kann sowas willentlich herstellen - es sei denn, er hat es gelernt. Und zwar durch langes, intensives Training unter präziser Anleitung und Aufsicht von ebenfalls geschulten Lehrern.
Meditation und Samadhi im Alltag bedeutet: Kissen nehmen, hinsetzen, meditieren. Wieder und wieder und wieder. Jahrelang. Einfach nur besonders bewusst in einen Apfel zu beissen, das ist eine schöne Erfahrung, aber es verhält sich zur Meditation ungefähr wie die Zeichnungen eines Kindes zu den Zeichnungen eines Salvador Dali. Beides ist Kunst, aber letzteres hat eine Qualität, die ersteres nicht hat.