"Es existiert noch ein Bild aus jener Zeit. Ich trug damals nur ein einziges Stück Stoff, das war alles. Tagsüber schlang ich es mir um den Körper, nachts benutzte ich es als Decke. Ich schlief auf einer Bambusmatte. Das war mein ganzer Komfort.: die Decke und die Bambusmatte. Sonst hatte ich nichts, keine anderen Besitztümer. AlIe waren verwundert, als ich um neun aufwachte. Sie fragten: "Ist etwas nicht in Ordnung? Bist du schwer krank? Ernsthaft krank?" Ich sagte: "Nein, ich bin nicht ernsthaft krank. Ich bin viele Jahre krank gewesen. Jetzt bin ich vollkommen gesund. Jetzt werde ich nur noch aufwachen, wenn der Schlaf mich verlässt, und ich werde dann schlafen gehen, wenn der Schlaf kommt. Ich werde nie mehr Sklave der Uhr sein. Ich werde essen, wenn der Körper gerne essen möchte, und ich werde trinken, was ich gern trinken möchte. " Ich sagte: "Genug ist genug." Und in den sieben Tagen vergaß ich das ganze Projekt, und zwar für immer.
Am siebten Tag passierte es, es passierte aus heiterem Himmel. Und als ich lachte, hörte der Gärtner mein Lachen. Er glaubte ohnehin, dass ich etwas verrückt war, aber so hatte er mich noch nie Lachen gehört. Er kam angerannt und fragte: "Was ist passiert ?"
Ich sagte: "Mach dir keine Sorgen. Du weißt, ich bin verrückt. Jetzt bin ich völlig verrückt geworden. Ich lache über mich selbst. Sei nicht böse. Geh wieder schlafen."
Viele Leben lang hatte ich gearbeitet, an mir selbst gearbeitet, gerungen und alles getan, was man nur tun kann, und nichts geschah. Heute versteh ich, warum nichts geschah. Es war die Anstrengung selbst, die es verhinderte. Es war die Leiter selbst, die mich am Aufsteigen hinderte, der Drang zu suchen, war das Hindernis zu finden. Das heißt nicht, dass man es ohne Suche findet, die Suche ist nötig. Aber dann kommt ein Punkt, an dem das Suchen aufhören muss. Man braucht ein Boot, um den Fluss zu überqueren, aber dann kommt der Punkt, wo man aus dem Boot aussteigen muss, wo man es völlig vergessen und liegen lassen muss. Anstrengung ist nötig; ohne Anstrengung ist nichts möglich. Und ebenso gilt: Ausschließlich mit Anstrengung ist nichts möglich. Kurz vor dem 21. März 1953, sieben Tage vorher, hörte ich auf, an mir selbst zu arbeiten. Es kommt ein Moment, in dem du siehst, wie zwecklos jede Anstrengung ist. Du hast alles Menschenmögliche getan. Was sollst du noch tun? Aus purer Hilflosigkeit gibt man die ganze Suche auf. An dem Tag, an dem ich die Suche aufgab, an dem Tag, an dem ich nicht mehr nach etwas suchte, an dem ich nicht mehr erwartete, dass etwas geschehen würde, begann es zu geschehen. Eine neue Energie stieg auf, aus dem Nichts. Sie kam nicht aus einer Quelle. Sie kam aus dem Nichts und aus Allem. Sie war in den Bäumen, in den Steinen, im Himmel, in der Sonne, in der Luft, sie war überall. Ich hatte angestrengt gesucht und gedacht, sie sei weit entfernt, und dabei war sie so nah, so unmittelbar da. Meine Augen waren in der Ferne, auf dem Horizont gerichtet gewesen und hatten die Fähigkeit verloren, das zu sehen, was direkt vor mir lag.
An dem Tag, an dem die Anstrengung endete, endete auch ich. Denn man kann ohne Anstrengung nicht existieren; man kann ohne Wünsche nicht existieren; man kann nicht existieren, ohne nach etwas zu streben. Das, was wir Ego oder das Selbst nennen, ist kein Ding, es ist ein Prozess. Es ist nichts substantielles, was in dir sitzt. Du musst es jeden Moment neu erschaffen. Es ist wie Fahrrad fahren: Solange du in die Pedale trittst, fährt es immer weiter. Wenn du aufhörst, hält es an. Vielleicht fährt es durch die Triebkraft noch ein wenig weiter, aber tatsächlich hört das Fahrrad auf zu fahren, sobald du aufhörst, in die Pedale zu treten. Es hat keine Energie mehr, keine Kraft mehr zu fahren. Es fällt um und kollabiert.
Das Ego existiert nur, weil wir ständig in die Pedale unserer Wünsche treten, weil wir ständig darauf aus sind, etwas zu bekommen, weil wir uns selbst immer einen Schritt voraus sind. Das ist es, was das Ego ausmacht, der Schritt aus dir selbst heraus, der Schritt in die Zukunft, der Schritt ins Morgen. Dieser Schritt in etwas, was gar nicht existiert, erzeugt das Ego. Da es aus etwas entsteht, was nicht existiert, ist es wie eine Fata Morgana. Es besteht nur aus Wünschen, Begehren, aus nichts anderem. Es besteht nur aus Durst, aus nichts anderem.
Das Ego ist nicht in der Gegenwart. Es ist in der Zukunft. Bist du in der Zukunft, dann scheint das Ego wirklich Substanz zu haben. Bist du in der Gegenwart, dann ist das Ego ein Trugbild. Es verschwindet allmählich. Der Tag, an dem ich aufhörte zu suchen... Es ist nicht einmal richtig zu sagen, ich hörte auf zu suchen. Es ist besser zu sagen: Der Tag, an dem das Suchen aufhörte... Lasst es mich wiederholen: Die bessere Form zu sagen ist, der Tag, an dem das Suchen aufhörte. Denn wenn ich aufhöre, bin "ich" schon wieder im Spiel. Dann wird das Aufhören wieder zu meiner Anstrengung, das Begehren ist in ganz subtiler Form immer noch da.
Du kannst mit Begehren nicht aufhören, du kannst es nur verstehen. Und indem du es verstehst, hört es auf. Wohlgemerkt: Niemand kann aufhören, etwas zu begehren. Aber die Realität tritt nur ein, wenn das Begehren aufhört. Das ist das Dilemma. Was tun? Das begehren ist da, und die Buddhas erzählen uns ständig, dass das Begehren aufhören muss. Und im nächsten Atemzug sagen sie, dass man nicht aufhören kann zu begehren.. Was soll man denn tun? Ihr bringt die Leute ins Dilemma. Sie begehren Dinge, natürlich. Ihr sagt, dass muss aufhören. Okay. Und dann sagt ihr, man kann nicht damit aufhören. Was soll man nun tun? Das begehren muss verstanden werden. Man kann es verstehen. Man kann einfach sehen, wie sinnlos es ist. Es ist notwendig, es direkt wahrzunehmen, es unmittelbar tief zu ergründen. An dem Tag, an dem das Begehren aufhörte, fühlte ich mich sehr hoffnungslos und hilflos. Keine Hoffnung da, keine Zukunft. Keine Hoffnung, da sich alles Hoffen als zwecklos erwiesen hat, es führt nirgendwohin. Man dreht sich im Kreis. Das Ziel baumelt einem ständig vor der Nase herum. Immer wieder lässt es neue Trugbilder entstehen, immer wieder lockt es: "Los, renn schneller, du wirst es erreichen!" Aber wie schnell du auch rennst, du erreichst es nie. Es ist wie der Horizont, den man rund um die Erde sieht. Er erscheint vor dir, ist aber nicht da. Wenn du zu ihm hingehst, läuft er vor dir weg. Je schneller du rennst, desto schneller entfernt er sich. Aber eins ist sicher: Der Abstand zwischen dir und dem Horizont bleibt immer derselbe. Nicht um einen einzigen Zoll kannst du den Abstand zwischen dir und dem Horizont verringern.
Auch den Abstand zwischen dir und deiner Hoffnung kannst du nicht verringern. Die Hoffnung ist der Horizont. Du versuchst eine Brücke von dir zum Horizont, zu deiner Hoffnung zu schlagen, indem du dein Begehren, deine Wünsche darauf projizierst. Das Begehren ist eine Brücke, eine Traumbrücke, da der Horizont gar nicht existiert. Deshalb kannst du gar keine Brücke dorthin schlagen, du kannst nur von der Brücke träumen. Du kannst keine Verbindung mit etwas herstellen, das nicht existiert.
An dem Tag, an dem das Begehren aufhörte, an dem ich es mir genau anschaute und erkannte, dass es sinnlos war, war ich hilflos und hoffnungslos. Genau in diesem Moment begann jedoch etwas zu geschehen. Es geschah genau das, wofür ich viele Leben lang gearbeitet hatte, ohne dass es geschah. In deiner Hoffnungslosigkeit liegt die einzige Hoffnung. In deiner Wunschlosigkeit liegt die einzige Erfüllung. Und in deiner großen Hilflosigkeit kommt dir plötzlich die ganze Existenz zur Hilfe.
Die Existenz wartet. Wenn sie sieht, dass du selbst arbeitest, mischt sie sich nicht ein. Sie wartet. Sie kann unendlich lange warten, da es in der Existenz keine Eile hat. Sie ist die Ewigkeit. In dem Moment, wo du nicht auf dich selbst gestellt bist, wo du dich loslässt, wo du verschwindest, kommt die ganze Existenz auf dich zu, sie tritt in dich ein. Und zum ersten Mal beginnen die Dinge zu geschehen.
Sieben Tage lang war ich in einem sehr hoffnungslosen, hilflosen Zustand, aber gleichzeitig entstand etwas neues. Wenn ich "hoffnungslos" sage, meine ich mit dem Wort nicht dasselbe wie ihr. Ich meine einfach, es war keine Hoffnung in mir. Die Hoffnung war fort. Ich sage nicht, dass ich hoffnungslos und verzweifelt war. Ich war eigentlich glücklich. Ich war sehr ruhig, still, gesammelt, in meiner Mitte. Hoffnungslos, doch mit ganz neuer Bedeutung. Es war keine Hoffnung da, also auch keine Hoffnungslosigkeit. Beides war verschwunden.
Die Hoffnungslosigkeit war absolut und total. Die Hoffnung war verschwunden und mit ihr auch das Gegenstück, die Hoffnungslosigkeit. Es war eine ganz neue Erfahrung, ohne Hoffnung zu sein. Es war kein negativer Zustand. Er war absolut positiv. Es war nicht nur etwas fort, sondern etwas Neues war da. Etwas in mir war am Überfließen. Ich wurde davon überschwemmt. Und wenn ich sage, ich war hilflos, meine ich auch nicht das Wort in dem Sinne, wie es im Wörterbuch steht. Ich meine einfach, ich war ohne Selbst. Das meine ich, wenn ich "hilflos" sage. Ich hatte erkannt, dass ich nicht bin. Also kann ich mich auf mich selbst nicht verlassen. Ich kann nicht auf dem Boden meines Selbst stehen. Es gab keinen Boden mehr unter mir. Ich war in einem Abgrund, einem bodenlosen Abgrund. Allerdings war auch keine Angst da, weil es nichts mehr zu beschützen gab. Es war keine Angst da, weil keiner da war, der Angst gehabt hätte.
In jenen sieben Tagen fand eine ungeheure Transformation statt, die totale Transformation. Und am letzten Tag war die Gegenwart einer völlig neuen Energie, eines neuen Lichts und einer neuen Freude so überwältigend, dass es fast unerträglich wurde. Es war, als ob ich explodierte, wahnsinnig würde vor Glückseligkeit. Die junge Generation im Westen hat den richtigen Ausdruck dafür: Ich war selig, "blissed out", stoned.
Es war unmöglich, den Sinn dessen, was geschah, zu verstehen. Es war eine Welt des Un- Sinns- es war schwierig zu begreifen, schwierig, etwas in Kategorien zu packen, schwierig, Worte, Sprache, Erklärungen zu finden. Alle Schriften kamen mir tot vor, und alle Worte, die jemals benutzt worden waren, um diese Erfahrung zu beschreiben, sahen blass und blutleer aus. Dies war so lebendig! Es war eine Flutwelle von Seeligkeit.
Der ganze Tag war seltsam, überwältigend, erschütternd. Die Vergangenheit verschwand, als hätte sie nie zu mir gehört, als ob ich irgendwo davon gelesen hätte. Als ob ich davon geträumt hätte, als ob es die Geschichte eines anderen wäre, die ich gehört hatte. Die Vergangenheit löste sich von mir. Die Wurzeln meiner Geschichte wurden herausgerissen. Ich verlor meine Autobiographie. Ich wurde ein "Nicht-Sein", was Buddha Anatta nennt. Grenzen verschwanden, Unterscheidungen verschwanden.
Der Verstand verschwand. Er war Millionen von Meilen entfernt. Es war schwierig, ihn zu fassen zu bekommen. Er entfernte sich mit rasender Geschwindigkeit immer weiter fort, und nichts in mir drängte danach, ihn festzuhalten. Ich war einfach an allem unbeteiligt. Es war okay. Es war nicht notwendig, die Verbindung mit der Vergangenheit aufrechtzuerhalten. Gegen Abend war es dann kaum mehr auszuhalten: Es tat weh, es war schmerzhaft. Es war wie bei einer Frau, die in den Wehen liegt, wenn ein Kind geboren werden soll, und die Frau unerträgliche Schmerzen hat, die Geburtsschmerzen. Ich ging in dieser Zeit sonst gegen zwölf oder ein Uhr nachts schlafen, doch an jenem Tag war es unmöglich, wach zu bleiben. Die Augen fielen mir zu. Es war schwierig, sie offen zu halten. Ich spürte, dass etwas bevorstand, dass etwas geschehen würde. Es war schwer zu sagen, was es war, vielleicht war es der Tod. Es war jedoch keine Angst da. Ich war dazu bereit. Diese sieben Tage waren so schön gewesen, dass ich bereit war zu sterben. Ich brauchte nichts mehr. Ich war so glückselig gewesen, ich war so zufrieden, dass der Tod, wenn er kommen sollte, willkommen war."