Die Sache mit der "Zeitlosigkeit" ist aber etwas seltsam. Zumindest der Eindruck, der sich gerade bei mir ergibt. Erklärt er diese nur aufgrund der Zeitdilatation der sich schnell bewegenden Seele? Wenn ja, werde ich danach mal erklären, warum das falsch wäre. Ich gehe aber davon aus, dass Herr Niemz die Relativitätstheorie mindestens genausogut verstanden hat wie ich... insofern bin ich gespannt auf das "Nein, das läuft so: ..."
Viele Grüße
Joey
Niemtz geht tatsächlich von dem Effekt aus, der seit Einsteins Tagen als "Zeitdilatation" bekannt und inzwischen experimentell nachgewiesen ist. Wie allgemein bekannt, vergeht in Systemen, die sich in Relation zu uns bewegen, die Zeit langsamer, oder um es genauer zu sagen: wir beobachten eine Zeitverlangsamung aus unserer Systemperspektive in dem Maße, wie sich System B in Relation zu uns bewegt. Genau hier setzt Niemtz an:
Bei einer Relativgeschwindigkeit von »nur« 8000 m/s ist der Effekt der Zeitdilatation noch kaum wahrnehmbar. Bei 259 627 884 m/s verdoppelt sich bereits die Zeit zwischen den Ereignissen A und B: von circa 289 Sekunden im Ruhesystem des Teilchens auf circa 578 Sekunden im Ruhesystem von Sonne/Erde. Mit steigender Geschwindigkeit nimmt diese Zeitdehnung im Ruhesystem von Sonne/Erde weiter zu, bis sie im Grenzfall der Lichtgeschwindigkeit unendlich beträgt. Wichtig ist hierbei, dass nicht die Zeitdauer zwischen den Ereignissen A und B unendlich wird, sondern die Zeitdehnung. Tatsächlich messen wir dann in unserem Ruhesystem von Sonne/Erde eine endliche Zeit von circa 500 Sekunden zwischen diesen beiden Ereignissen. Aber wegen der unendlichen Zeitdehnung vergeht für das Teilchen gar keine Zeit mehr zwischen den beiden Ereignissen A und B.
Nun sind diese Überlegungen natürlich nicht nur auf einen Flug zwischen Sonne und Erde beschränkt, sondern wir können sie auch allgemein formulieren: Für ein mit Lichtgeschwindigkeit fliegendes Teilchen finden zwei beliebige Ereignisse entlang seiner Bahn distanzlos und zeitlos statt.
Jetzt haben wir wieder einen Punkt erreicht, an dem wir mein Axiom heranziehen wollen, welches besagt, dass unsere Seele mit dem körperlichen Tod auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wird. Wenn wir also dieses Axiom aller Vorbehalte zum Trotz als wahr voraussetzen, dann gilt: Für eine auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigte Seele finden zwei beliebige Ereignisse entlang ihrer Bahn distanzlos und zeitlos statt.
Noch gehen wir davon aus, dass sich die Seele nur in eine Richtung bewegt, wie ein einzelnes Lichtteilchen. Da wir aber die Ereignisse entlang ihrer Bahn frei wählen können, verallgemeinern wir weiter:
Für eine auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigte Seele finden alle Ereignisse entlang ihrer Bahn distanzlos und zeitlos statt.
Erst jetzt wollen wir zusätzlich annehmen, dass unsere Seele sich -ähnlich wie das Licht der Sonne - in alle Raumrichtungen gleichzeitig ausbreitet und somit unser gesamtes Universum als eine Ganzheit durchsetzt. Wir betrachten die Seele also nicht mehr als ein lokalisiertes Teilchen, sondern als eine sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitende Kugelwelle, nämlich eine in alle Raumrichtungen strebende Welle. Unsere Aussage gilt dann nicht nur für Ereignisse entlang einer Bahn, sondern zugleich in allen drei Raumdimensionen. Für eine solche Seele schrumpft unser Universum auf einen einzigen Punkt und dessen Geschichte auf einen einzigen Augenblick zusammen. Folgerichtig gilt:
Für eine auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigte Seele finden alle Ereignisse in unserem Universum distanzlos und zeitlos statt.
Dieses Ergebnis ist deshalb so interessant, weil es sich mit den entsprechenden theologischen Begriffen auch folgendermaßen formulieren lässt:
Eine auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigte Seele befindet sich in der Omnipräsenz und Ewigkeit.
»Omnipräsenz« und »Ewigkeit« stehen hier für Distanzlosigkeit und Zeitlosigkeit. Die Seele verabschiedet sich von der Raumzeit ihrer Hinterbliebenen, um in die Omnipräsenz und Ewigkeit entlassen zu werden. So und nicht anders müssen wir diese Begriffe deuten, wenn wir nicht in Konflikt mit der Physik geraten wollen. Ich fasse zusam*men: Wenn mein Axiom wahr ist und wir es mit wissenschaftlich fundierten Effekten aus der speziellen Relativitätstheorie kombinieren, lassen sich daraus bemerkenswerte Seeleneigenschaften ableiten, welche die Theologie schon seit Jahrtausenden Gott beziehungsweise dem Jenseits zuschreibt: Omnipräsenz und Ewigkeit. Beide bedingen sich gegenseitig, weil Längenkontraktion und Zeitdilatation auch immer nur als ein Paar auftreten. Es handelt sich daher nicht um zwei voneinander unabhängige Grenzfälle, sondern um einen gemeinsamen Grenzfall. Omnipräsenz und Ewigkeit sind nur in einem »jenseitigen Doppelpack« zu haben. Wir müssen sie stets als unzertrennliches Paar betrachten, wie übrigens auch den »diesseitigen Doppelpack« von Raum und Zeit .
(M.H. Niemtz, Lucy im Licht. Dem Jenseits auf der Spur, München 2007, S.94f.)
Das ist ein hochinteressanter Ansatz. Es geht Niemtz darum, Grunderfahrungen von Experiencern, wie etwa das Gefühl des "Überall-Seins" (Omnipräsenz) und das Gefühl, in ein zeitloses Kontinuum einzutauchen (Ewigkeit) mit Effekten, wie sie aus Einsteins Relativitätstheorie bekannt sind, zu vergleichen und möglicherweise zu erklären.
Vielleicht ist es hilfreich, zunächst einmal ein paar Beispiele aus der NTE-Literatur vorzuführen, damit wir wissen, worum es überhaupt geht.
Einfrieren der Zeit
Reanimierte betonen, daß ihr Erleben nicht innerhalb der Zeit stattfand, sondern in einem Zustand virtueller Simultanität - alles geschieht sozusagen zur selben Zeit. Mal typische Beispiele:
Einerseits erlebte ich Bild nach Bild, dennoch waren sie alle gleichzeitig da. Es gab weder Raum noch Zeit. Auf einmal glaubte ich, den Bauplan des Universums zu wissen, vor dem *Urknall* bis in die kleinste Zelle. Da Zeit nicht existierte, kann ich nicht sagen, wann ich wieder durch den Tunnel zurück in meinen Körper gefahren bin.
(Günter Ewald, An der Schwelle zum Jenseits, Mainz 2001, S. 17)
Was die Zeit anbelangt - es passierte alles in einem Augenblick. Die ganze Erfahrung geschah auf einmal, aber unsere begrenzte Sprache kann das nicht ausdrücken.
(Kenneth Ring, Im Angesicht des Lichts, Kreuzlingen/München S.141)
Während das Messer ihn immer wieder traf, verlangsamte sich die Zeit und blieb schließlich stehen, sie fror ein, und er vermochte viele Dinge über sein Leben zu erkennen. Nach dem Lebensfilm begann die Zeit wieder tropfenweise zu vergehen, und der Überfall ging weiter.
(Evelyn Elsaesser- Valarino: Erfahrungen an der Schwelle des Todes. Wissenschaftler äußern sich zur Nahtoderfahrung, Genf, 1995, S. 124)
Die Zurückgekehrten haben ihr Erlebnis als einen "Aufenthalt in der Ewigkeit" beschrieben. Auf die Frage, wie lange ihr Todesnähe-Erlebnis gedauert habe, antwortete mir eine Frau: "Man könnte sagen, es hat eine Sekunde gedauert - oder zehntausend Jahre. Beides wäre gleich wahr."
(Raymond A. Moody, Das Licht von drüben, Reinbek bei Hamburg 1989, S.32)
Weiteres dazu in diesem Thread, wo ich mich mit diesem Phänomen ausführlich beschäftige:
https://www.esoterikforum.at/threads/45617
Omnipräsenz
Das Gefühl, überall sein zu können via Gedankenkraft gehört ebenfalls zu den Standardbausteinen einer NTE. Räumliche Distanzen scheinen überhaupt keine Rolle zu spielen, ja es scheint sie überhaupt nicht zu geben, z.B.:
Viele Menschen rannten um den Unfallwagen herum, und überhaupt war eine Menge los. Und jedesmal, wenn ich den Blick auf eine bestimmte Person richtete, um herauszukriegen, was sie sich wohl dachte, hatte ich ein Gefühl, als ob ich wie mit einem Zoom-Objektiv ganz dicht an sie heranfahren könnte, und schon war ich genau an der richtigen Stelle. Doch blieb anscheinend immer ein Teil von mir - ich nenne ihn jetzt einmal mein Bewußtsein - dort zurück, wo ich mich zuvor befunden hatte. Wenn ich in einiger Entfernung jemanden sehen wollte, schien sich ein Teil von mir wie eine Art Fühler zu ihm hinzubewegen Und mir kam es in dem Augenblick so vor, als ob ich überall in der Welt, wo immer auch etwas passieren mochte, zugegen sein konnte.
(R.A. Moody, Leben nach dem Tod, Reinbek bei Hamburg 1993, S.58f.)
Wissen Sie wie ein Teleobjektiv funktioniert? Ich konnte es einstellen, wie ich wollte. Ich konnte alles näher heranholen oder mich näher zu allem hinbringen. Ich mußte nur denken: Es wäre schön, ein bißchen näher dort zu sein- und schon war ich dort. Ich konnte überall hinsehen, wo ich wollte. Ich konnte auf den Parkplatz hinausschauen, aber ich war noch immer in dem Gang. Ich mußte lediglich sagen: "Was ist denn da draußen auf dem Parkplatz los?" und schon schaute ein Teil meines Gehirns nach und kam wieder zurück und informierte mich - oder so ähnlich.
(Michael Sabom, Erinnerung an den Tod. Eine medizinische Untersuchung, München 1983 S. 54f.)
Ich konnte mich jederzeit von meinem Körper wegbewegen. Da war absolut nichts Mechanisches dabei, wie bei einem Auto oder so. Das war ganz einfach ein Gedankenprozeß. Ich hatte das Gefühl, ich könne mich sofort überall hindenken. Ich war ganz einfach in Hochstimmung und hatte ein Gefühl der Macht. Ich konnte tun, was ich wollte. Es war realer als hier, wirklich.
(Michael Sabom, Erinnerung an den Tod, a.a.O., S. 55.)
Die bekannten Effekte aus Einsteins Relativitätstheorie, Zeitdilatation und Längenkontraktion, könnten diese Erfahrungstypen, die wir aus Beschreibungen Reanimierter immer wieder hören, elegant und mühelos erklären.