Ich habe mein Kind in der 12 SSW verloren. Ich weiß noch sehr genau wie es war. Ich weiß auch noch, es war mehr aus ein Jahr danach, als Reinhard zu mir sagte, Pia verzeih Dir dafür. Es war noch ein langer Weg bis zum Verzeihen.
Das sind meine Worte.
Ein Wort
Es war nur ein Wort.
Ein Wort was in mir klang. Ein Wort was mich erstarren ließ.
Oh nein, nicht jetzt! Es war nur ein Wort, was mich erbeben ließ.
Ein Wort mit diesem Schrecken. Ein Wort nahm seinen Lauf.
Es war ein Tag wie jeder andere, doch war er anders, denn ich spürte etwas. Etwas war anders, aber was?
Dieses eine Wort, nannte sich Fehlgeburt!
Als es geschah war ich nicht zu Hause. Weit weg von der schützenden Mauer. Oh Gott, bitte nur nicht jetzt, bitte nicht.
Er, der liebe Gott, hörte dieses Flehen.
Als ich am nächsten morgen aufwachte, war es das erste Wort was wieder da stand. Auch diesen und viele weiteren Tage war es das erste Wort am Tag, und das letzte Wort vor der Nacht.
Was diese eine Wort für schrecken trägt.
Ich wurde nicht gefragt. Man bespricht es kaum. Man hasst es.
Dieses eine Wort, Fehlgeburt!
Der Traum von meinem zweiten Kind zerplatzte am 23. März 2006 an einen sonnigen Mittwoch.
Was ich bis dahin nicht wusste, was dieses Wort bedeutet, lernte ich noch bevor es Abend war kennen.
Wenn ich es hörte, Fehlgeburt, sicher tat es mir Leid für diese Frau. So war es auch bei mir, wenn mir jemanden erzählte der ein Kind verloren hatte.
Aber es war auch schnell wieder vergessen, denn ich wusste nicht was es anrichtet, diese eine Wort.
Dieses eine Wort hallte in meinem Kopf. Fehlgeburt, was ist das genau?
Es war wie ein Schlag, ja wie ein Fausthieb mitten ins Gesicht.
Mit jeder Wehe schrie ich einen stummen Schrei. Mit jeder Wehen starb ein Stück von mir.
Ein stummer Schrei verhallt in der Nacht, doch der Schmerz bleibt.
Wer weiß, was Fehlgeburt heißt, wenn man es noch nie erlebt hat. Ich eilte nach Hause, doch ich hatte Angst, Angst um mein Leben, denn das Blut sickerte nur so aus mir heraus.
Ich duschte, ich telefonierte, ich fuhr ins Krankenhaus, auch dort herrschte diese Stille. Keiner sprach, auch für sie, die Götter in weiß, war es nicht Alltag. Alles verlief ohne ein Wort, sie verstanden sich ohne Worte, ein Blick, und ich mitten drin.
Stille, Einsamkeit, Enttäuschung.
Doch ich hatte diese Stille in guter Erinnerung. Diese Stille war heilender als 1000 Worte. Es war kein es wird schon wieder, diese leeren Worte. Sie nahmen mich an der Hand und führten mich. Sie drückten meine Hand, sie sagten nichts. Sie streichelten mein Bein, sie sagten nichts. Mein Mann nahm mich in den Arm, auch er sagte nichts.
Aber warum genoss ich diese Worte: Sie sagten nichts.
Ich habe unser Kind verloren! Doch keiner sagte was.
Doch am nächsten Morgen war das Gefühl wieder da. Mein Mann fuhr zur Arbeit, er bemühte sich normal zu sein. Ich stand auf, machte mir einen Kaffee.
Warum ich?
Fehlgeburt wieder etwas was ich nicht wollte, wieder etwas was ich geben musste ohne gefragt zu werden. Warum? Ein stummer Schrei. Ich suchte nach dem Schuldigen. War ich schuld? Genoss ich deshalb diese Stille? Ja das war es. Wo sind die Anklagen, du hast unser Kind verloren, Du.
Warum Gott, warum ich? Ich habe mein ganzes Leben versucht, in deinem Namen zu leben. Was habe ich getan, um diese Strafe zu bekommen. Ich habe immer an dich geglaubt, zu dir gebetet. Ja, ich habe neun Wochen gefleht, bitte lieber Gott schenke mir ein gesundes Kind, was ich nach deine Glaube, nach deinem Ebenbild erziehen kann, was ich lieben und aufwachsen sehen darf, bitte lieber Gott. Warum?
Ich wurde wütend, doch auf wen?
Ich haderte mit Gott. Warum nur? Was habe ich getan, was dein Zorn auf mich zieht?
Nun ist es aus mit uns zwei, mein lieber Gott. Zu dir werde ich nicht mehr beten. Denn was bringt es mir? Zu wem bete ich, der mich nicht erhört?
Ganze zwei Tage war ich ohne Gott, doch dann kam das Ergebnis, der Befund. Mein Sohn war in der neunten Schwangerschaftswoche verstorben, er war nicht lebensfähig.
Ein Schrei, ein Stummer, ein Flehen, verzeihe mir lieber Gott, verzeihe mir für mein Denken.
Gott hat mir diese Entscheidung abgenommen, an der mein Leben und ich zerbrochen wären. Ich betete neun Wochen um ein gesundes Kind, aber er war nicht gesund, mein Kind.
Er hatte mir diese unendliche schwere Entscheidung abgenommen! Nun waren diese Zweifel wieder da!
Bin ich eine richtige Frau? Und wenn ich nicht mehr schwanger werde?
Warum habe ich es nicht fertig gebraucht, ein gesundes Kind zu gebären? Warum nur ich?
Aber die Zeit mit Gott, die Zeit mit meinen Engeln, diese eine Minute, wo mein Mann mir sagte, und wenn nicht, liebe ich dich trotzdem.
Dann bekommen wir eben kein Kind. Diese Zeit heilt auch die schwersten, tiefsten Wunden.
Fehlgeburt es hallt in die Ferne, es bleibt eine Leere, die sich füllt mit einer Lehre.
Fehlgeburt die viele erleiden, doch keiner spricht.
Fehlgeburt es gleicht einem Tod, doch auch einer Geburt.
Es stirbt etwas, um etwas Neues wachsen zulassen.
Als ich anfing darüber zu sprechen, war ich erstaunt wie viel Paare dieses erleiden. Diesen leidvollen Weg, gehen viele Menschen - mehrmals.
Unglaublich, welch ein Mut, der Einzelne entwickelt!
Wir bekommen ein Kind! Ich habe unser Kind verloren!
Warum wir und dann nur ich?
Viele Paare sagen voller Stolz und glückseelischen Lächeln, wir bekommen ein Kind. Sie beschließen aus dem ich ein wir zu machen. Doch dann kommt das Wort Fehlgeburt, dieses Wort gleicht einem Keil, was sich erbarmungslos in das wir eindrängen. So steht es dann wieder ich und du. Ich trauere mehr als du! Was viele nicht wissen dieser Keil. Dieses Wort entzweit viele Paare. Nicht nur das Kind geht weg, sondern auch die Liebe entschwindet.
Manche Paare schaffen dann das wir doch noch einmal, aber viele geben auf, sie bleiben auf der Strecke.
Wir schafften es, wir haben unser Kind verloren, wir haben gemeinsam getrauert, wir haben nicht gewertet an unserem wir. Doch es gab auch Zeiten da saß jeder in seiner Ecke, aber doch war wir nie alleine. Jeder schaute auf den Anderen, immer unmerklich im Blickkontakt, ohne zu beobachten, ohne Wertung. Keiner wollte den Anderen auf diesem Weg verlieren. Diese Entscheidung, dass wir nicht zu verlieren, traf jeder für sich, in seinem eigenen ich.
Es ist oft nicht damit getan, ein neues Kind zu bekommen. Erst muss das Wort Fehlgeburt, das Wort Keil, vorsichtig entfernt werden.
An diesem besagten Tag kam ich nach Hause, ich sagte meinem inzwischen erwachsenen Sohn, ich habe unser Kind verloren.
Auch er blieb zurück mit seinem Schmerz. Wie sehr hatte auch er sich darauf gefreut.
Einige Tage später sagte er, Mensch Mama, jetzt drück mich mal.
Ich hatte ihn in meinem Schmerz vergessen. Ich weinte bitterlich, auch aus diesem Schmerz, ihn vergessen zuhaben.
Dieser Keil, dieser Schmerz, diese Einsamkeit nenne ich Vorwurf. Ich warft mir vor, versagt zu haben. Ich meinte dieses von anderen zu spüren, doch es ist nicht so.
Der Vorwurf, das Versagen kommt nur, weil ich aus dem wir ein ich machte. Ich selbst triebt den Keil aus Angst vor dem Vorwurf zwischen ich und dem wir. Ich war einsam, will es nicht, doch ich ließ auch keine Zweisamkeit zu. Ich flüchtet selbst in die Isolation und als ich dort aufwacht, war ich sehr alleine. Es fehlt nicht nur das Kind! Es fehlt auch nicht nur der Partner, welcher Meilen weit weg zu sein scheint, nein es fehlt das eigene ich.
Werdet wieder ein wir, oder besser ihr bleibt ein wir, dann habt ihr gute Chancen, den Weg als Wir zusammen zu gehen.
Eine Fehlgeburt ist ein sterben, aber auch eine Chance neu zu leben. Anders, aber vielleicht wird dann auch aus dem Wir ein Eins.
Trauert um dieses Kind, es war ein Kind von der ersten Minute der Zeugung an. Dieses Kind ist ohne es zu wollen, Generationen in einer Familienaufstellung anwesen und nachweisbar.
Dieses Kind verändert in der Familie etwas, es muss noch nicht einmal gelebt haben. Es war ein Kind, es wird eines bleiben.
Für mein Kind hatte ich schon ein Pulloverchen und ein Jäckchen gestrickt. Ich habe keinen Grabstein, aber diese Kleidungsstücke, das erste Foto und sein Name bleiben ihm.
In meinem Herzen ist ein Zimmerchen eingerichtet, nur für ihn. Ich werde ihn und die Zeit mit ihm niemals vergessen wollen. Er ist ein Teil von meinem Leben.
Wie ging es weiter?
Ich weiß nur noch eins, ich versuchte meine Arbeit zu machen, und irgendwie zu funktionieren.
Die Angst in mir, nie wieder schwanger zu werden, war riesen groß, fast unerträglich. Als ich weinen musste und ich meinem Mann dieses gestand, sagte er, und wenn schon, ich liebe dich trotzdem.
Es gab eine Zeit danach, da konnte ich nicht mehr lachen, es war nur noch ein müdes lächeln drin. Viele die mich kannten, bemerkten nicht viel, ausser das ich stiller war, als sonst.
Ich hatte mich total unter Kontrolle. Ich ließ mir nichts anmerken, denn ich legte zu dieser Zeit keinen Wert auf irgendwelchen Worte. Ich wollte es einfach vergessen. Aber ein größter Teil in mir wollte es, dieses Wort leben.
Etwas später, in etwa drei Wochen danach, musste ich lachen, doch ich erschrak.
Wie konnte ich?
Es war fast eine Sünde, etwas besser damit umzugehen.
Die erste Zeit dachte ich jede Minute an ihn und an den Verlust.
Doch die Zeit heilte die Wunden.
Ich bemerkte es leicht, ich hatte dann mal eine Stunde nicht daran gedacht.
Es war eine Erlösung, mich in Arbeit zustürzen und zu vergessen, wenn ich es so nennen kann.
Wenn ich heute eine schwangere Frau sehe, kann ich ihnen Glück wünschen, das war zu dieser Zeit nicht so. Ich sah diese Frauen und ein innerlicher Schrei war nur noch da. Dieser Schrei hallte den ganzen Tag mir nach.
Es war ein ständiges Vorkommen und Zurückziehen.
Den Mut noch mal zu haben, es darauf anzulegen schwanger zu werden, hatten wir wohl nicht.
Ich habe durch meine spirituelle Arbeit, diese Teil aus meinem Leben aussöhnen können. Ich konnte mir ein Jahr danach verzeihen und somit den Frauen die Hilfe angedeihen zu lassen, die ich damals nicht kannte. Die Hilfe die ich den Menschen geben kann, hat mein Leben verändert. Ich habe einen neuen Sinn in meinem Leben bekommen.
Wenn ich sage, das eine Fehlgeburt mein Leben verändert hat, so ist das für mich so. Diese Fehlgeburt, dieses geliebte Kind, zeigte mir ein neues Leben.
Es riss ein riesen Loch in mich, aber der Kleine fühlte es auch wieder.
lg Pia