Sheena
Neues Mitglied
Liebe Ella,
ich bin recht frisch in diesem Forum und habe mit Mitgefühl deinen Thread gelesen.Trauer, Entsetzen, Hoffnung und Freude liegen hier sehr nah beieinander. Ich freue mich, dass es Robin inzwischen besser geht und bewundere deine Stärke angesichts solcher Herausforderungen. Ich habe selbst drei Kinder und bin von Ängsten geschüttelt, wenn ich mir auch nur annähernd ein solches Ereignis in meiner Familie vorstelle. Es ist sicherlich auch ein Geschenk, so viel Zuspruch und Hilfe über ein Forum wie dieses zu erhalten.
Ein paar Gedanken möchte ich anfügen. Ich geben Seminare und Workshops u.a. auch in Selbsthilfegruppen und ich bin oft - mehr beruflich als so direkt wie hier - mit ähnlichen Themen konfrontiert. Jemand, ich glaube Walter, hat weiter oben bereits eine kleine Aufzählung von Stadien gemacht, die Robin im Krankenhaus durchleben musste. Ich möchte ergänzen, dass dies keinesfalls abgeschlossen ist und auch die ganze Familie und jeder Einzelne von euch, diese Verarbeitungsphasen durchlaufen müsst. Und diese Phasen gibt es in größeren und kleineren Dimensionen, sie wiederholen sich oft, manchmal täglich. Es hilft oft ein wenig, sich zu verdeutlichen, wo man gerade steht, oder wo die einzelnen Familienmitglieder stehen, um die unausweichlichen Prozesse besser verstehen und akzeptieren zu können.
Auf dir liegt die größte Last dabei, denn alle beziehen ein Stück ihrer eigenen Stabilität aus dir, der Mutter. Das ist immer und in jeder Familie so. In einer Hinsicht - in einer anderen sind aber auch die stillen, nicht direkt betroffenen Familienmitglieder oft diejenigen, die am längsten brauchen, um ein Ereignis zu verarbeiten, denn sie erhalten naturgemäß am wenigsten Unterstützung. Denn zunächst geht es um das Überleben und das Notfallmanagement erfordert alle Kraftreserven.
1. Das ist das erste Stadium. Schock, Reagieren, Notfallmanagement, automatisches Handeln aus den Reserven des Körpers und Verstandes heraus, Ausnahmezustand, Überleben. Wenn das länger andauert, wie bei euch, dann kann eine tiefe Erschöpfung die Folge sein, denn der Mensch mobilisiert Kraftreserven, die auch zu Ende gehen und die nachher erst wieder aufgebaut werden müssen. Achte also auf dich selbst!! Hole dir professionelle Hilfe (die Krankenkasse in D z.B. bezahlt bei Verordnung eine Haushaltshilfe, ein regelmäßiges Gespräch mit einem/einer Therapeuten/in kann auch hilfreich sein, irgendeine Möglichkeit, hin und wieder eine Zeit für dich zu finden usw.)
2. Gewissheit. Nach einer Zeit, mit der Verbesserung und dem Ende der akuten Gefahr, wird langsam deutlich, dass nichts mehr so ist wie es zuvor war. Das Bewusstsein beginnt die Tragweite des Geschehens für die Gegenwart und Zukunft zu realisieren, stückweise. Die Familie muss sich auf ganz neue Gegebenheiten einstellen, die vorher nicht geplant waren. Dazu gehören Fragen: Warum gerade ich/wir? wie kann es weitergehen? Welchen Sinn hat das Geschehen? Die mobilisierten Kräfte können nachlassen. Bei Überforderung und zu wenig Raum für diese Prozesse können Gefühle der Betäubung und Fluchtgedanken überhand nehmen. Natürlicherweise flachen auch die Gefühle ab, die in dem ersten Stadium extrem erlebt wurden, bei Euch in jeder Hinsicht. Vielleicht gibt es so etwas wie einen "natürlichen" Ausgleich einer gewissen Oberflächlichkeit, die zeitweise nach dem Hoch folgt, bevor ein neues Normalmaß gefunden wird, das im Alltag lebbar ist.
3. Die nächste Stufen wurden bereits gut beschrieben. In einer Mischung aus bewusst und unbewusst sind dies: Aggression (Kampf gegen den Zustand, über die eigenen Grenzen gehen und sich schädigen, andere verantwortlich machen) - kann umkippen in Depression (Flucht, Betäubung) - auch der Versuch mit dem Schicksal (oder den anderen Menschen in Reichweite) zu verhandeln: wenn ich schon so viel leiden muss, dann will ich eine Entschädigung auf der anderen Seite, z.B. übermäßige Aufmerksamkeit, alles sollen sich nach meinem Willen verhalten, ich will meine Wünsche erfüllt haben.... solches kann man in dem Verhalten deiner Kinder erkennen, die das oft viel direkter ausleben als Erwachsene. Die Positionen in der Familien müssen neu definiert werden, andere wehren sich gegen die Sonderrolle eines Mitglieds, es geht um Schuld und Schuldgefühle und ihre Abwehr. Dies alles kann oft und längere Zeit hin und her pendeln und mit jedem gesundheitlichen Rückfall kann die Spirale neu in Gang gesetzt werden. Du brauchst Unterstützung das durchzuhalten! Es ist normal und es dauert seine eigene Zeit bis zum Erreichen einer neuen Ebene der Normalität.
4. Das Annehmen des Geschehens und erste Überlegungen und Versuche ein neues Gleichgewicht, angepasste Aktivitäten zu entwickeln und aus dem Erfahrenen einen Sinn und schließlich sogar in mancher Hinsicht eine Bereicherung des Lebens zu erkennen. Solidarität und die Weitergabe der eigenen Erfahrung für andere (zu.B. Selbsthilfegruppe) spielt dann in Zukunft eine Rolle.
Bis dahin ist ein Weg zu gehen. Und in mancher Situation könnte man versucht sein zu denken, dass der erste Teil, bei dem man noch unter Schockeinwirkung irgendwie handelt, so dramatisch und schlimm es sein ist, noch angenehmer ist, als die Verarbeitung, die dann folgt. Ähnlich wie der Zustand unter Morphium im Vergleich zu dem, der mit dem Absetzen des Mittels folgt.
Ich wünsche dir ganz viel Kraft und die Stärke der Liebe, die du in den schweren Stunden auch erfahren durftest. Und ich sage es noch einmal, hole dir (auch tatkräftige) Unterstützung (außerhalb der Familie), denn die anderen stützen sich auf dich oder sind mit ihren eigenen Prozessen beschäftigt.
Liebe Grüße
Sheena
ich bin recht frisch in diesem Forum und habe mit Mitgefühl deinen Thread gelesen.Trauer, Entsetzen, Hoffnung und Freude liegen hier sehr nah beieinander. Ich freue mich, dass es Robin inzwischen besser geht und bewundere deine Stärke angesichts solcher Herausforderungen. Ich habe selbst drei Kinder und bin von Ängsten geschüttelt, wenn ich mir auch nur annähernd ein solches Ereignis in meiner Familie vorstelle. Es ist sicherlich auch ein Geschenk, so viel Zuspruch und Hilfe über ein Forum wie dieses zu erhalten.
Ein paar Gedanken möchte ich anfügen. Ich geben Seminare und Workshops u.a. auch in Selbsthilfegruppen und ich bin oft - mehr beruflich als so direkt wie hier - mit ähnlichen Themen konfrontiert. Jemand, ich glaube Walter, hat weiter oben bereits eine kleine Aufzählung von Stadien gemacht, die Robin im Krankenhaus durchleben musste. Ich möchte ergänzen, dass dies keinesfalls abgeschlossen ist und auch die ganze Familie und jeder Einzelne von euch, diese Verarbeitungsphasen durchlaufen müsst. Und diese Phasen gibt es in größeren und kleineren Dimensionen, sie wiederholen sich oft, manchmal täglich. Es hilft oft ein wenig, sich zu verdeutlichen, wo man gerade steht, oder wo die einzelnen Familienmitglieder stehen, um die unausweichlichen Prozesse besser verstehen und akzeptieren zu können.
Auf dir liegt die größte Last dabei, denn alle beziehen ein Stück ihrer eigenen Stabilität aus dir, der Mutter. Das ist immer und in jeder Familie so. In einer Hinsicht - in einer anderen sind aber auch die stillen, nicht direkt betroffenen Familienmitglieder oft diejenigen, die am längsten brauchen, um ein Ereignis zu verarbeiten, denn sie erhalten naturgemäß am wenigsten Unterstützung. Denn zunächst geht es um das Überleben und das Notfallmanagement erfordert alle Kraftreserven.
1. Das ist das erste Stadium. Schock, Reagieren, Notfallmanagement, automatisches Handeln aus den Reserven des Körpers und Verstandes heraus, Ausnahmezustand, Überleben. Wenn das länger andauert, wie bei euch, dann kann eine tiefe Erschöpfung die Folge sein, denn der Mensch mobilisiert Kraftreserven, die auch zu Ende gehen und die nachher erst wieder aufgebaut werden müssen. Achte also auf dich selbst!! Hole dir professionelle Hilfe (die Krankenkasse in D z.B. bezahlt bei Verordnung eine Haushaltshilfe, ein regelmäßiges Gespräch mit einem/einer Therapeuten/in kann auch hilfreich sein, irgendeine Möglichkeit, hin und wieder eine Zeit für dich zu finden usw.)
2. Gewissheit. Nach einer Zeit, mit der Verbesserung und dem Ende der akuten Gefahr, wird langsam deutlich, dass nichts mehr so ist wie es zuvor war. Das Bewusstsein beginnt die Tragweite des Geschehens für die Gegenwart und Zukunft zu realisieren, stückweise. Die Familie muss sich auf ganz neue Gegebenheiten einstellen, die vorher nicht geplant waren. Dazu gehören Fragen: Warum gerade ich/wir? wie kann es weitergehen? Welchen Sinn hat das Geschehen? Die mobilisierten Kräfte können nachlassen. Bei Überforderung und zu wenig Raum für diese Prozesse können Gefühle der Betäubung und Fluchtgedanken überhand nehmen. Natürlicherweise flachen auch die Gefühle ab, die in dem ersten Stadium extrem erlebt wurden, bei Euch in jeder Hinsicht. Vielleicht gibt es so etwas wie einen "natürlichen" Ausgleich einer gewissen Oberflächlichkeit, die zeitweise nach dem Hoch folgt, bevor ein neues Normalmaß gefunden wird, das im Alltag lebbar ist.
3. Die nächste Stufen wurden bereits gut beschrieben. In einer Mischung aus bewusst und unbewusst sind dies: Aggression (Kampf gegen den Zustand, über die eigenen Grenzen gehen und sich schädigen, andere verantwortlich machen) - kann umkippen in Depression (Flucht, Betäubung) - auch der Versuch mit dem Schicksal (oder den anderen Menschen in Reichweite) zu verhandeln: wenn ich schon so viel leiden muss, dann will ich eine Entschädigung auf der anderen Seite, z.B. übermäßige Aufmerksamkeit, alles sollen sich nach meinem Willen verhalten, ich will meine Wünsche erfüllt haben.... solches kann man in dem Verhalten deiner Kinder erkennen, die das oft viel direkter ausleben als Erwachsene. Die Positionen in der Familien müssen neu definiert werden, andere wehren sich gegen die Sonderrolle eines Mitglieds, es geht um Schuld und Schuldgefühle und ihre Abwehr. Dies alles kann oft und längere Zeit hin und her pendeln und mit jedem gesundheitlichen Rückfall kann die Spirale neu in Gang gesetzt werden. Du brauchst Unterstützung das durchzuhalten! Es ist normal und es dauert seine eigene Zeit bis zum Erreichen einer neuen Ebene der Normalität.
4. Das Annehmen des Geschehens und erste Überlegungen und Versuche ein neues Gleichgewicht, angepasste Aktivitäten zu entwickeln und aus dem Erfahrenen einen Sinn und schließlich sogar in mancher Hinsicht eine Bereicherung des Lebens zu erkennen. Solidarität und die Weitergabe der eigenen Erfahrung für andere (zu.B. Selbsthilfegruppe) spielt dann in Zukunft eine Rolle.
Bis dahin ist ein Weg zu gehen. Und in mancher Situation könnte man versucht sein zu denken, dass der erste Teil, bei dem man noch unter Schockeinwirkung irgendwie handelt, so dramatisch und schlimm es sein ist, noch angenehmer ist, als die Verarbeitung, die dann folgt. Ähnlich wie der Zustand unter Morphium im Vergleich zu dem, der mit dem Absetzen des Mittels folgt.
Ich wünsche dir ganz viel Kraft und die Stärke der Liebe, die du in den schweren Stunden auch erfahren durftest. Und ich sage es noch einmal, hole dir (auch tatkräftige) Unterstützung (außerhalb der Familie), denn die anderen stützen sich auf dich oder sind mit ihren eigenen Prozessen beschäftigt.
Liebe Grüße
Sheena