Ich halte es ohnehin schon für eine Unsitte, völlig unkommentiert irgendwelche Videos einzustellen, aber du eröffnest gleich ein neues Thema damit, einem irgendein Filmchen vor den Latz zu knallen. Aber na gut.
Wir haben es hier also mit einem Beitrag des "Medienmagazins 451 Grad" zu tun, das ein Ableger von
"RT " ist, dem von der russischen Regierung finanzierten und kontrollierten Auslandssender. Der Name ist wohl an den Roman
Fahrenheit 451 angelehnt. Darin werden die Menschen von einer diktatorischen Regierung unterdrückt, die ihnen u.a. das Bücherlesen verbietet, um sie unmündig zu halten. Eine "Feuerwehr" sucht Bücher und verbrennt sie, 451° Fahrenheit ist die Temperatur, bei der Papier Feuer fängt. Ausgerechnet ein putintreuer, russicher Regierungskanal stellt sich also als Kämpfer gegen Meinungsdiktatur dar - na ja.
Aber sehen wir uns den Inhalt an. Während der ersten zehn Minuten wird die These aufgestellt, "die Medien" hätten erfolgreich versucht den Menschen einzureden, alle Chemnitzer bzw. alle Sachsen seinen Nazis. Das ist natürlich gleich in mehrfacher Hinsicht völliger Unsinn. Niemand hat je so etwas gesagt, auch in den als Beispiel angeführten Nachrichtenschnippseln wird nichts derartiges auch nur im Ansatz behauptet. Es wäre ja auch Quatsch, denn nirgenwo gibt es nur Nazis. Wie blöde müssten die Leute sein, wenn sie sich das von "den Medien" einreden ließen? Wie dumm die Medienmacher, wenn sie die Leute für so blöde hielten?
Ich verstehe diese ganze Wir-sind-nicht-alles-Nazis-Hysterie sowieso nicht. Wer hat das denn wann und wo so dargestellt? Ich bitte um konkrete Beispiele, in deinem Video konnte ich keine finden. Tatsache ist, dass hunderte gewalttätige Nazihools durch Chemnitz gezogen sind, Menschen mit ausländischem Aussehen wurden gejagt, rechte Parolen skandiert und immer wieder der Hitlergruß gezeigt. Wie sollen die Medien denn damit umgehen? Gar nicht berichten oder den Namen der Stadt geheimhalten? Sollen sie nach jedem Bericht über rechte Ausschreitungen in Chemnitz zum Ausgleich eine Doku "Unser schönes Sachsen" anhängen? Wenn über ein Feuer berichtet wird, dann geht es natürlich um das brennende Haus, da werden auch nicht andere, unversehrte Häuser in der Nachbarschaft gezeigt, weil die Leute sonst vielleicht denken könnten, die ganze Stadt sei abgebrannt.
Wie sollte denn deiner bzw. eurer Meinung nach eine angemessene Berichterstattung über die Ereignisse in Chemnitz aussehen?
In diesem ersten Teil des Videos benutzt der Kommentator übrigens gefühlte 300 Mal das Wort "pauschal". Um was zu tun? Um völlig pauschal auf "den Medien" rumzuhacken, sie als gesteuerte Lügenpresse hinzustellen, ohne irgendwelche Belege dafür zu liefern. Stattdessen nur Andeutungen, Unterstellungen und falsche Behauptungen. Bei manchen scheint das ja auf fruchtbaren Boden zu fallen (siehe Titel dieses Themas), ich kann da nur mit dem Kopf schütteln.
Dann geht es weiter. Nun wird mit Hilfe von Schlümpfen und Playmobilmännchen (da hat wohl jemand in der Redaktion zu oft Harald Schmidt geschaut) darüber referiert, dass Journalisten immer nur über die randalierende Spitze eines Demonstrationszuges berichten würden, und nicht über all die friedlichen Teilnehmer.
Mal abgesehen davon, dass nur die allerwenigsten Demonstrationen, egal wofür oder wogegen, überhaupt von einem gewaltätigen Mob angeführt oder begleitet werden, wird in Nachrichtenbildern natürlich vor allem die erste Reihe eines solchen Zuges gezeigt. Siehe oben, das brennende Haus. In der Regel ist das ja von den Veranstaltern auch so gewünscht. Ein paar Tage nach den Ausschreitungen gab es ja z.B. diesen obszönen "Trauermarsch" durch Chemnitz, der vom
möchtegern Göbbels Bernd Höcke und dem
u.a. wegen Volksverhetzung verurteilten Lutz Bachmann angeführt wurde. Man stelle sich vor, man hätte bei "Tagesschau", "heute" & Co. nicht die ganze AfD- und Pegidaprominenz an der Spitze dieses Marsches gezeigt. Wer hätte da wohl am lautesten "Lügenpresse" gerufen?
Oder wenn es bei einer linken Demonstration Übergriffe durch den "schwarzen Block" gäbe, über die nicht berichtet würde, wer würde dann "Lügenpresse" rufen?
Außerdem wurde ja gerade im Fall Chemnitz viel über die vermeintlich "normalen" Menschen berichtet, die bei solchen Veranstaltungen teilnehmen, die "besorgten Bürger", die sich zwar entschieden dagegen verwahren, mit Nazis in einen Topf geworfen zu werden, von denen aber gleichzeitig viele den Nazis hinterherlaufen, ohne sich entsprechend von diesen zu distanzieren.
Wieder meine Frage: wie sähe deiner Meinung nach eine neutrale und sachliche Berichterstattung über all das aus? Wo genau lügen die "Mainstrem-Medien" deiner Meinung nach über die Geschehnisse in Chemnitz, wo über- oder untertreiben sie?
Was dabei herauskommen kann, wenn man dann wie gewünscht auch Interviews mit den "besorgten Bürgern" führt, um ausführlich mit ihnen zu reden und sie zu Wort kommen zu lassen, sieht man dann im nächsten Teil dieses unsäglichen 451-Grad-Videos.
Da wird sich darüber echauffiert, dass ein Bericht über Dunja Hayali im Gespräch mit Teilnehmern an den Protestmärschen in Chemnitz, mit "Sie gehören gar nicht nach Deutschland" betitelt ist, obwohl das in diesem Video gar nicht gesagt wird. In einem anderen allerdings schon, außerdem taucht das Gespräch mit den "gemäßigteren" Bürgern in verschiedenen Filmbeiträgen auf, die ganz unverfängliche Überschriften wie "Dunja Hayali unterwegs in Chemnitz" oder "Fragen, reden, zuhören" tragen. Das ZDF ist offenbar sehr inkonsequent in seiner angeblichen Meinungsmache.
Überhaupt wäre es eine sehr verwegene Taktik, erst ganz viele solcher gemäßigten Bürger zu zeigen, und sich mit ihnen zu unterhalten, nur um dann eine manipulative Überschrift darüberzusetzen. Warum sollten die dann überhaupt erst so ausführlich über solche Beispiele für klassische "besorgte Bürger" berichten, statt einfach gleich nur über die grölenden Nazis? Ich tippe deshalb schlicht auf einen Fahler, wer sich selbst ein Bild machen möchte, kann es sich ja selbst ansehen:
https://www.zdf.de/politik/dunja-hayali
Überhaupt finde ich es irgendwie dreist, in einem Video, das mit "Nazinest Chemnitz?" betitelt ist, Kritik an reißerischen bzw. unzutreffenden Überschriften zu üben.
Abschließend wird noch schnell ein schmieriges wir haben uns alle lieb und Nazis sind doof eingebaut, damit es ein Schlupfloch aus der ganzen Scheiße gibt, die zuvor verzapft wurde, es fällt ein letztes Mal der in sich unglaublich groteske Satz: "DIE Medien pauschalisieren" und man stellt mit Erschrecken fest, dass man wieder 25 Minuten seines Lebens an YouTube verschwendet hat.
Danke, Frau Merkel!
