Ich denke, es ist nicht immer eine Frage von nicht-arbeiten-wollen, sondern auch eine Frage des Gehaltes bei einem möglichen Job und evtl. eine Frage des Willens zur Weiterbildung. Manche Leute resignieren und trauen sich nicht zu, noch etwas neues zu lernen.
Wenn ich von einer Mittzwanzigerin höre, "ich hab den falschen Beruf gelernt, aber was soll ich machen, ich kann doch jetzt nicht noch was anderes lernen..." dann frage ich mich, wie manche Leute erst mit 40 drauf sind. In ihren eingefahrenen Gleisen, nicht glücklich, aber an ein unabwendbares Schicksal im Hamsterrad glaubend, und total verhärmt, weil sie einen Neubeginn gar nicht erst für möglich halten ... Der jungen Dame hab ich dann gesagt, daß ich mit 37 noch eine Ausbildung gemacht habe - hoffe, das hat sie motiviert.
Letztes Jahr war ich selber arbeitslos, obwohl ich es nicht hätte sein müssen. Aber meine Option wäre gewesen, denselben Job, den ich vorher befristet innehatte, für eine Zeitarbeitsfirma zu machen - bei fast einem Viertel weniger Gehalt, als ich vorher hatte! Ich, vorher Sachbearbeiterin, wurde heruntergestuft zu einer "Bürokauffrau ohne Abschluß", die offiziell nur "schematische Arbeiten" zu erledigen hat, sollte aber weiterhin in meiner "alten" Abteilung tätig sein und dort Recherchen und Korrespondenzen erledigen. Nö, auch wenn ich erst gedacht habe, "besser für eine Zeitarbeitsfirma als arbeitslos", da fühlte ich mich doch ausgebeutet und über den Tisch gezogen. Ich möchte schon lieber arbeiten als arbeitslos sein, aber ich möchte dafür auch ein Gehalt, von dem ich leben kann - und unter "leben" verstehe ich nicht nur von der Hand in den Mund. Dafür bin ich nicht bereit, mich krumm zu machen. Ich dachte mir dann, als Arbeitslose habe ich zwar auch kaum Geld, aber wenigstens ZEIT, mir etwas besseres zu suchen... die ersten Suchen sind zwar fehlgeschlagen, hab dann noch einen Kurs mitgemacht und bin etwas später noch mal voll in die Selbständigkeit gegangen (eine selbständige Nebentätigkeit hatte ich bereits seit 3 Jahren). Und gerade die Praxis durch diese Nebentätigkeit und die Qualifikation, die ich aus dem Kurs vorweisen kann, haben mir jetzt geholfen, einen gutbezahlten Job zu finden, den ich auch auf selbständiger Basis machen kann.
Ich war gewiß nicht gern arbeitslos (ich HASSE es, zu Behörden rennen zu müssen und sich wie ein Bittsteller vorzukommen), aber lieber als meine Arbeitskraft unter Wert zu verkaufen war es mir dann doch.
Es gibt heute weniger Arbeit als vor Jahrzehnten - warum wird nicht die vorhandene Arbeit auf alle verteilt - je nach Fähigkeiten natürlich! - so daß jeder nur einen Teilzeitjob machen müßte, und dazu ein Grundeinkommen gezahlt, von dem man leben kann? Warum müssen die einen Überstunden schieben bis zum Umfallen, während andere gar keine Arbeit haben? Das ist doch eine absolute Schieflage - aber um dieser Herr zu werden, müßte der politische Wille vorhanden sein, unser Wirtschaftssystem grundlegend zu revolutionieren.
Der Chef der dm-Drogeriemarktkette, Götz Werner, hat es richtig erkannt, daß nicht Vollbeschäftigung das politische Ziel sein muß (dazu ist die Arbeit ja gar nicht mehr vorhanden), sondern ein menschenwürdiges Einkommen:
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,386396,00.html