Joey
Sehr aktives Mitglied
Das sehe ich anders. Wir leben in einer Demokratie und in einer Marktwirtschaft, wir Endverbraucher haben mit unserem Wahl- und Konsumverhalten so ziemlich alles in der Hand.
Nur, so weit wir und das auch leisten können. Und es ist leider noch so, dass es teurer ist oder aufwändiger, wenn man versucht seinen eigenen CO2-Fußabdruck deutlich zu reduzieren. Der Durchschnitt in Deutschland liegt bei 11 bis 12 Tonnen pro Jahr. Mit viel Mühe schaffen einige das für sich zu halbieren. Für klimafreundliches Leben wäre deutlich mehr nötig. Und bei vielen ist es nicht nur Bequemlichkeit und Konsumsucht, wenn sie auch diese Halbierung nicht schaffen.
Den Energiesektor haben wir als Endverbraucher auch nur bedingt in den Händen. Auch, wenn wir alle bei Ökostrom-Anbietern wären... wir hängen alle am gleichen Stromnetz, und der Energiemix ist leider nicht durch die Nachfragr bestimmt, sondern einzig durch die bestehenden Kraftwerke und Anlagen. Beton- und Stahlbau etc. haben wir auch nur soweit in den Händen, wie wir uns leisten können, die Bsumaterialien wirklich auswählen zu können.
Die Stadtplanug liegt auch nur mittelbar in unseren Händen etc.
Und was kommt dabei heraus? Den größten Zulauf haben die Parteien, für die die Welt ja morgen noch nicht untergeht, oder die den menschengemachten Klimawandel grundsätzlich in Frage stellen.
Ja, weil diese Parteien das Schreckgespenst "Klimaschutz = deindustriealisierte sozialistische vegane Ökodiktatur" erschaffen, und Klimaschützer nicht viel dagegen tun, dieses Strohmannargument als solches zu enttarnen.
Und beim Konsum scheint es gar keine Hemmungen mehr zu geben, die Umsatzzahlen des Onlinehandels erreichen immer neue Rekorde. Siehe z.B. den rasanten Aufstieg der Billigstramschplattform Temu oder den ganzen Fast-Fashion-Wahnsinn mit 52 Kollektionen neuer Wegwerfklamotten pro Jahr. Wer wird denn gezwungen, all diesen, auf vielen Ebenen völlig kranken Quatsch mitzumachen?
Niemand ist dazu gezwungen, und bei Temu habe ich noch nie bestellt.
Man muss sich aber auch vor Augen halten: Es wird gesellschaftlich erwartet, dass wir Dinge schnell erledigen, weil wir sie schnell erledigen können.
Auf Instagram wurde mir kürzlich ein Reel in die Timeline gespült, in dem eine Frau berichtete, dass ihre Kinder wieder Pizza essen wollten. Also fing sie an, Morzarella-Käse selbst herzustellen, Mehl aus Dinkelkörnern selbst zu mahlen, Timatensazçe aus Tomaten selbst zu kochen. Eine Pizza derart zuzubereiten ist sicher gesund und maximal klimafreundlich. Die wenigsten werden sich aber diese Zeit (oder Mehrkosten leisten können. Wer es kann und will, hat neinen Respekt und Wohlwollen, ich mache es aber niemandem zum Vorwurf, der das nicht kann. Für mich wäre es nur am Wochenende mal was, eine derart gute Pizza zu machen, und meistens reicht meine Zeit auch nur für eine Tuefkühlpizza.
Und die Klimaschutzgegner und Klimafaktenleugner tun so, als würden Klimaschützer von uns allen verlangen nur noch so zu leben... und gewinnen dann so Wählerstimmen.
Und das mit dem Versagen der Politik bei der Verkehrswende kann ich auch nicht mehr hören. Natürlich ist der ÖPNV in einem katastrophalen Zustand, ich könnte einen ganzen Thread mit meinen Erlebnissen als Passagier der Deutschen Bahn füllen. Sicher müsste auch in Sachen Mobilitätsdruck mehr passieren, das Ladestellennetz für E-Autos ausgebaut werden usw. usw.
Aber es ist aber ganz und gar nicht so, dass der Endverbraucher das tut, was auch innerhalb dieser schlechten Rahmenbedingungen im Sinne des Klimaschutzes möglich wäre. Wer auf ein Auto angewiesen ist, könnte sich ja einen Kleinwagen anschaffen, Fahrgemeinschaften bilden, Park & Ride-Möglichkeiten nutzen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es werden nicht nur Jahr für Jahr mehr PKW, sondern sie werden im Schnitt auch noch immer größer, schwerer und leistungsstärker. Schlechte Verkehrspolitik kann doch keine Entschuldigung dafür sein, sich einen völlig bescheuerten SUV anzuschaffen.
Nein, schlechte Verkehrspolitik ist keine Entschuldigung dafür. Aber das Einsparpotential, was die Politik mit ihren Stellschrauben in der Hand hat ist größer, als die Sparmlglichkeiten, wenn alle Endverbraucher im Rahmen ihrer aktuellen Möglichkeiten optimal leben würden. Die Einsparung eines Kleinwagens ggü. eines SUV ist nicht so groß, als wenn ein eigenes Auto wegen intelligenter Stadtplanung, vermehrt Homeoffice-Möglichkeiten und brauchbaren ÖPNV gar nicht mehr nötig wäre.
Und die Industrie ist da sowieso raus. Die ist Teil des Problems, kein Teil der Lösung. Es mag den einen oder anderen Unternehmer geben, der wirklich versucht, so gut und schonend wie möglich mit Mensch, Natur und Ressourcen umzugehen. Aber große, börsennotierte Konzerne sind völlig seelenlose Entitäten, deren einziger Sinn und Zweck es ist, den Profit der Aktionäre zu maximieren. Man kann an sie keine Maßstäbe wie Moral oder Verantwortungsbewusstsein anlegen, sie kennen kein Gut oder Böse. Sie exportieren Spritzmittel, die wegen ihrer Giftigkeit im eigenen Land verboten sind, mischen Zusätze in den Tabak, die Raucher schneller und stärker abhängig machen, oder treiben mit ihren Schmerzmitteln ein ganzes Land in eine Opioidkrise.
Wie man inzwischen weiß, lagen dem Ölkonzern Exxon schon in den 1970er Jahren eigene Studien vor, die den Zusammenhang zwischen Klimawandel und CO2-Ausstoß klar belegten, und die bevorstehende Erderwärmung teilweise besser vorhersagten, als die Klimamodelle, die unter Wissenschaftlern damals öffentlich diskutiert wurden. Und trotzdem hat Exxon jahrzehntelang viel Geld in Lobbyarbeit gegen mehr Klimaschutz gesteckt, Wissenschftler und Politiker geschmiert und Aktivisten diskreditiert.
Und BP hat den individuellen CO2-Fußabdruck, prominent gemacht, um so von der eigenen größeren Verantwortung abzulenken. Und dieses Bild wird dann auch von Klimaschutzgegnern und Klimafaktenleugnern weiter genutzt, dass sie dann eben behaupten, dass Klimaschützer verlangen würden, dass man nie wieder ein Flugzeug besteigt, mit der Pferdekutsche umherfährt und allesamt nur noch vegan zu essen hätten. Dieses Schreckgespenst ist es, was mMn der Afd in Sachen Klima Wählerstimmen zuschleust.
Von dieser Seite ist jedenfalls keine Hilfe beim Kampf gegen den Klimawandel zu erwarten.
Die einzige Möglichkeit solche Konzerne einzuhegen besteht darin, sie durch gesetzliche Regelungen, Steuern und Strafen und durch unser Konsumverhalten zu verantwortungsvollem Handeln zu zwingen.
Welchen Kauf boykottierst Du also, damit z.B. Hausbau (Stahl- und Betonbau) klimafreundlicher wird? Mit welchem Konsumverhalten sorgst Du dafür, dass die Energiewende schneller geht?
Also die entsprechenden Parteien wählen und nicht jeden Mist kaufen, nur weil man es kann.
Ja, die entsprechenden Parteien zu wählen ist eine mittelbare Möglichkeit für uns Endverbraucher, auf dass eine so gebildete Regierung hoffentlich die ihnen so gegebenen großen Stellschrauben bewegt.
Nicht jeden Mist zu kaufen, weil wir es können, ist unbestritten gut und wichtig, hat aber leider nur einen vergleichsweise geringen Einfluss. Und je nachdem, wie stark man diese Forderung treibt, ist es das, was Menschen derart abschreckt, auf dass sie lieber die AfD wählen.