Katapult in's All

Kaum war das Klopfen verhallt, öffnete sich die Türe einen Spalt. "Mrs. Stanford?"

Kitty kam herein - Sarah erkannte es an dem Namensschild, das Kitty trug. "Ich bin die Gouvernante Gottes", sagte Kitty, "das ist meine Aufgabe hier. Und ich freue mich, sie heute am ersten Tag begrüßen zu dürfen. Bitte legen Sie dieses Gewand an und dann folgen Sie mir zum Pilgerfrühstück."

Hinter ihrem Rücken zauberte Kitty ein sauber gefaltetes grobes Leinentuch hervor, das sie mit einem kräftigen Ausschlagen zu einem Gewand entfaltete. Sie hielt es Sarah hin, so daß sie hineinschlüpfen konnte. "Es freut mich, Sie kennen zu lernen, Kitty."

Beide ließen den Raum hinter sich, ohne daß Sarah zurück blickte. Der Flur, den sie schweigend durchschritten, war mit Bildern zu einer Galerie gestaltet, in der 13 Stationen dargestellt waren. Sarah sah auf den Bildern die Zeugung Gottes, seine Geburt, seine Berufung, seine Erkenntnis, seine Entscheidung, sein Üben, sein Versuch, seine Versuchung, sein Abbrechen und Scheitern, sein Neubeginn, sein Gelingen, sein Wiederholen, sein Schaffen und Werk. Und all dies nahm sie im Vorübergehen wahr, ohne eigentlich genau auf die Bilder zu schauen. Sie nahm es einfach wahr.

Der Boden des Ganges war mit einem roten Teppich ausgelegt, so daß sie das Rauschen ihres Gewandes hörte, ebenso der Schürze, die Kitty trug. Der Stoff schmiegte sich an ihre nackte Haut angenehm an, ihr war nicht kühl, es war ihr auch nicht unangenehm, nur durch ein bloßes Leinengewand gekleidet zu sein. Im Gegenteil nahm sie den Schwung, den ihr Gewand machte, in ihre Bewegung auf und es schien ihr natürlich, dieses Gewand als eigene Kleidung auszufüllen. "Ob das Kleid eine "Gabe Gottes" ist?" Sarah hörte seit längerem wieder einen Gedanken in sich - diesmal eine Frage.
 
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Der Gang mündete in eine große Halle, die mit einfachen Tischen und Bänken ausgestattet war. Stirnseits erstreckte sich über die gesamte Raumbreite eine Theke, die an dieser von Sarah als Pilgerkantine bedachten Stätte für die Verköstigung sorgte. Der Raum war gefüllt von Menschen, die wie Sarah gekleidet waren und es herrschte eine feierliche Stille.

"Gehen Sie etwas essen", flüsterte Kitty ihr in's Ohr, "ihre Audienz ist um 10:38 Uhr. Sie haben also noch ausreichend Zeit." "Werde ich meine Freunde hier finden?", fragte Sarah, die sich an Henry, Michael und Mortischa erinnerte, als sie die vielen Menschen sah. Sie konnte ihre Freunde aber nicht erblicken.

"Audienzen bei Gott sind Einzelerlebnisse. Gott empfängt keine Gruppen, aber jeder Einzelne einer Gruppe wird von Gott empfangen. Daher werden sie ihre Freunde finden und nicht." Kitty schmunzelte und machte sich auf den Rückweg - um den nächsten Gast zu holen, wie Sarah vermutete.


Sarah mußte eine Wendeltreppe hinuntergehen, um auf das Niveau des Speisesaals zu gelangen. Etwa 500 Menschen, schätzte Sarah, saßen an den Tischen und aßen oder wurden an der Theke der Pilgergaststätte bedient. Eine kleine Menschenschlange bewegte sich von rechts nach links an der Theke entlang, der sich Sarah anschloß. Sie nahm das obere Tablett von einem Stapel regenbobenfarbig geordneter verschiedenfarbiger Tabletts und es war violett. Auf der Unterseite aber waren alle Tabletts rot, wie Sarah auffiel.

Die Menschen hinter der Theke waren ausnahmslos freundlich und hilfreich. Sarah konnte aus einer großen Vielzahl von angebotenen Speisen auswählen und entschied sich für zwei französische Croissants mit Butter und Quittenmarmelade. Einen Moment wunderte sie sich darüber, daß sie nicht hysterisch aufschrieh, denn seit ihrer Abreise von der Erde hatte sie weder Croissants noch echte Butter noch Quittenmarmelade gesehen oder gegessen. Immens war dagegen das Gefühl ihrer Freude über das Vorhandensein dieses Angebots, wobei ihr bewußt wurde, daß sie die Freude nur wahrnahm, weil die Hysterie ausblieb.

Der Tisch, an den sie sich setzte, hatte nur ihren Platz frei. Es war einer der wenigen Kopfplätze, die an den in langen Reihen stehenden Tischen vorhanden waren. Sie aß ihre Croissants konzentriert und hingebungsvoll, genoß den Geschmack auf's Intensivste, einen Moment kam in ihr noch das Gefühl der Scham auf darüber, daß es ihr so gut schmeckte. Aber dann konnte sie es uneingeschränkt geniessen.

Sie hob den Blick und sah schweigende, essende Menschen. Ihr fiel auf, daß keiner dieser Menschen still zu sitzen schien. Jeder war in einer kleinen Bewegung, die, wie Sarah wahr nahm, von dem Essen verursacht wurde. Denn alle schienen ihre Lieblingsspeise zu essen, jeder schien etwas zu geniessen in einer besonderen Achtsamkeit, in der Verinnerlichtes den Essenden erreicht über den Geschmack. Jeder der Essenden schien Sarah in Kontakt mit sich selbst. Einen Moment spähte sie, ob sie Henry, Mortische oder Michael erspähen könnte. Aber der Raum fesselte sie in ihrer Aufmerksamkeit.
 
Hey, einfach oberhammergeil genial, was Du Dir da so alles ganz allerfeinst- und liebst zusammenfabuliert hast.
Erinnert mich vom Style her (was aber selbstverständlich nicht im Sinne von Kopie oder gar Abklatsch gemeint ist) ein wenig an den ollen „Cosmic Trigger“ Robert Anton Wilson, als er noch in vollem kreativen Saft stand und von der spirituellen Zaubermuse bezüngelt wurde.
Alle 8ung, mein Lieber! :thumbup:
 
Kapitel Nr. 3

Auf Mercury Prime Teil 2
Die Vor- und Nachteile des Kreislaufs der ewigen Widerkehr oder
Der Organismus, in dem ein Wesen wohnt


In regelmässigen Abständen ging durch den Raum ein Läuten, das aus Lautsprechern kommen mußte. Dieses Dingdong fügte sich in die Wahrnehmung von Sarahs Mahlzeit ein, es störte nicht, es beunruhigte nicht, es lullte aber auch nicht ein - Sarah dachte nach, was es in ihr verursachte und erkannte es als Stille.

Sie vergaß die Zeit. Sie vergaß den Raum. Sie war ganz die Sitzende, die Schauende, die wahrnahm und nicht identifizierte. Sie war einfach vorhanden und nahm ganz wahr, daß sie vorhanden war.

Schließlich erkannte sie die Quelle, aus der das Dingdong erschallte. Unter dem Kästchen an der Wand war ein Schild angebracht. Auf ihm stand: "Automatischer Präsenzautomat" und in Schreibschrift "Eile nicht".

Sarah vergaß das Schild, den Kasten, den Raum in dem Kasten mit dem Schall und seiner Quelle. Sarah war die Seiende.
 
Da erlebte sie in ihrem Bauch ein Gefühl. Es war ein Kribbeln, das sich um den Bauchnabel herum in Inneren in ihre Wahrnehmung ergoß. Es breitete sich aus. Es schwoll an und gebahr Wellen, Sarah erschien es einen Moment, als ob es sie übermannen würde. Es war erotisch, körperlich, fleischlich - das Fleischlichste Erleben, gepaart mit einem unbändigen Verlangen, das sie ganz erfaßte.

Wieder sah sie Licht, dieses Mal in ihrem Inneren. Es strahlte sie eine Sonne in ihrem Bauch, ergoß sich in die Beine und strahlte von der Erde bis hoch zum Himmel durch ihren Körper hindurch. Ein weißes Licht ergoß sich auch aus ihren Seiten, in denen sie ihre gestreckten Hände sah. Eine rosane Perle saß auf der Hand, auf die sie blickte - Sarah nahm wahr, daß es die rechte war.

Als sie den Kopf wendete, erblickte sie auf der linken Hand Linkeding. Der Hund hatte diesmal die Größe einer Maus, war aber genauso gekleidet und ebenso artig im Verhalten. Sarah zog die Hand zurück - doch das Licht ihrer Hand, auf dem der Hund stand, blieb. Sie blickte nach rechts, zog auch die rechte Hand zurück, doch die Perle blieb vorhanden.

"Willkommen im Dritten Reich", sagte Linkeding. "Dies ist der zweite Tag. Schön, daß Du wieder erwacht bist, Sarah Stanford."

Sarah war einen Moment sprachlos. Es war ihre ungewöhnliche Ruhe und Gelassenheit - diese Präsenz, die es verursachte, daß sie den Blick auf das Geschehen nicht verlor und das Erlebte schreckte sie. Sie war sich bewußt, daß sie nicht diejenige Sarah war, die sie sonst war. Sie war sich bewußt, daß sie auf der Suche, ja auf dem Weg zu einer Begegnung mit einem Wesen war, das Gott genannt war. Sie war sich bewußt, daß sie Sarah Stanford war, daß sie mit ihren Freunden Henry, Michael und Mortischa auf Mercury Prima angereist war, von einem Kanzelgefährt zu einer Pilgerstätte verbracht und nun wohl "an der Reihe" war.

"Es ist Zehn und Achtunddreißig", sagte der Hund Linkeding. "Sie werden nun weitergeleitet in die körperlose Phase. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise und Gottes Gelingen."

Sarah konnte nicht danke sagen, bevor vor ihr ein Vorhang zerriß, und sie an das Ufer eines Meeres trat. Der Strand war voller Palmen und sie erblickte in der Ferne Ko Samui.
 
"Schön, Sie wieder zu sehen, Walter".

Kaum hatte Henry diesen Satz gesagt, als die ihm bekannte Türe sich öffnete und er eintrat in den Raum.

"Schön, daß sie wiederkommen, Henry. Wie geht es Ihnen?"

Walter war wie stets makellos gekleidet. Sei handgeschneideter Anzug aus handgewebtem feinstem Leinen war ockerfarben gefärbt und wie jedes Mal in den vergangenen Besuchen äußerte sich Henry Walter gegenüber positiv über die außergewöhnlich gute Kleidung. "Gottes Gaben sind nicht die Schlechtesten, wie Sie wissen", sagte Walter. "Ja, das ist wohl in der Tat ohne Zweifel so. Wenigstens der Foundation nach zu urteilen. Sagen Sie: gibt es Neuigkeiten über die Separatisten? Ich konnte mich auf der Reise nicht danach erkundigen." "Sie haben Command Cern gesetzt. Es wird höchste Zeit." "Oh ja, das ist wohl ohne Zweifel so. Meiner Meinung nach haben wir viel zu lange gewartet."

"Nun ist sie ja da", sagte Walter. "Ja, Gott sei Dank".
 
Der Prime Minister of Defense Conradi Welcome eröffnete die Sitzung mit einem Klirren seines Glasrings am Wasserglas. "Meine Damen und Herren". Sofort verstummte das leise raunende Gespräch im Saal der Minister und der anwesenden Vertreter von Militär, Geheimdienst und Staatspolizei.

"Sie ist angekommen." Ein Aufatmen ging durch den Raum. "Sarah Stanford ist heute morgen auf Mercury Prime gelandet und befindet sich zur Zeit im Dritten Reich. Linkeding hat sie in eine Warteschleife gesetzt, zunächst." Abermals durchlief den Saal ein Raunen, aber ein Anderes. Es war ungewöhnlich, ja sogar selten, Personen, die sich nichts hatten zu Schulden kommen lassen, in Warteschleifen zu setzen. Man verfuhr normalerweise so mit Personen, die auf ihre Verurteilung warteten, mit Sexualverbrechern und Delinquenten.

Der Minister beschwichtigte: "Es handelt sich um eine First-Class-Lounge, die extra vor ihrer Ankunft kreiert worden ist. Es wird ihr an nichts mangeln, sie ist von allen mit allem umsorgt und sie müssen nichts befürchten. Die Ärzte haben uns empfohlen, sie zunächst im Zwischenreich auf ihre Aufgabe vorzubereiten. Sie ist erst seit xx Monaten im Weltraum und wir haben die Aufgabe, behutsam mit dieser Menschin umzugehen." Der Saal klopfte.

"Die Separatisten haben gestern Abend um 20:15 Uhr ITT die Station Command Cern gesetzt. Nun sind wir am Zug. Es kommt jetzt darauf an. Es ist unsere Chance, meine Damen und Herren." Der Saal klopfte lauter.

"Seit 128 Jahren bekämpft die Intergalaktische Föderation nun die Abspaltung der Fraktion der Ewigen Wiederkehr. Diese Verunmenschlichung des göttlichen Gedankenguts darf nicht weiter Gottes Idee vom vereinten, einen Weltall verhindern. Das Universum ist Gott und Gott ist das Universum!" Der Saal begann sich zu regen, es wurde geklatscht, vereinzelt standen die Frauen und Männer in ihren Uniformen auf und riefen ihren Beifall zu.

"Dieses eine Opfer fordert Gott von uns: das zweite Kind, das von der Erde kommt, das gebt ihr mir." "So ist es gesagt am 24.12.2765" rief der gesamte Saal im Chor. Frenetischer Jubel brach aus.

"Ich darf nun das Wort an den förderalen Vertreter der Erde, Herrn Henry Morgan weitergeben, der sie durch unseren Plan führen wird. Er wird danach zur Abstimmung geführt wie es vorgesehen ist." "So ist es gesagt am 27.12.2765", rief der Saal. Wieder brach Jubel aus, während Henry Morgan zum Rednerpult auf das erhöhte Podest trat, von dem aus der Präsident gesprochen hatte.
 
Hey, einfach oberhammergeil genial, was Du Dir da so alles ganz allerfeinst- und liebst zusammenfabuliert hast.
Erinnert mich vom Style her (was aber selbstverständlich nicht im Sinne von Kopie oder gar Abklatsch gemeint ist) ein wenig an den ollen „Cosmic Trigger“ Robert Anton Wilson, als er noch in vollem kreativen Saft stand und von der spirituellen Zaubermuse bezüngelt wurde.
Alle 8ung, mein Lieber! :thumbup:

:angel2: Viel Spaß beim Lesen des Verrückten. :rolleyes:
 
Michael war noch nie in einem Zwischenreich gewesen. Als Pilger war er ebenso wie Sarah in einen Raum gelangt, von dem aus er zum Pilgerfrühstück gebracht worden war. Seine Audienz sei um 10:38 Uhr, hatte man ihm gesagt. Alfred, ein etwas struppiger als Diener gekleideter Hund hatte ihn in die Kantine gebracht, in der auch Sarah ihre Croissants gegessen hatte. Auf dem Weg im Flur, vorbei an der Bildergalerie, erklärte Alfred Michael die Sachlage.

"Die Separatisten haben jetzt den End-Code gesetzt. Es muß jetzt die Antwort erfolgen und wir sind froh, daß sie Sarah Standford heil hierher gebracht haben. Die Sache mit der Fahndung wegen der fraglichen Handelsabkommen haben Sie sehr gut hinbekommen!"
 
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