Ich möchte zu dem ursprünglichen Thema "je anonymer, desto asozialer" gern auch mal positivere Gedanken und Erfahrungen einbringen.
Einerseits glaube ich, daß man im Internet durchaus auch "beobachtet" wird. In jeder Gemeinschaft schaffe ich mir durch mein Auftreten einen Ruf; der, wie Elli ganz richtig sagt, Vorteile (oder Nachteile) bringt.
Auch in einer Internet-Community schaffe ich meiner Internet-Identität/meinem Forums-Nick einen Ruf durch meine Posts. Und ich erfahre die Vorteile eines guten Rufs im Internet durchaus konkret - ich lerne nette Bekannte kennen, kann von ihnen lernen, erhalte wertvollen Rat, und erlebe vielleicht gemeinsam mit ihnen virtuelle "Abenteuer"...
Es gibt Foren oder User-Kommentar-Listen, die weit mehr unangenehme Postings enthalten als andere. Im Vergleich zwischen Foren scheint es, als ob die Poster sich allgemein dem Tonfall der vorherrschen Mehrheit anpassen. Ein grober Tonfall bewirkt mehrere ungehaltene Antworten, eine Beleidigung provoziert ebensolche als Antwort.
In anderen Foren bemühen sich die meisten um Sachlichkeit, um respektiert zu werden, und wieder anderswo wird mit gegenseitigen Komplimenten, knuffigen Smileys und "Knuddelrunden" nicht gespart. So glaube ich, daß sowohl die Community als auch die Foren-Moderation darüber bestimmen, ob Poster das Gefühl haben, sich in einem Forum "austoben" zu dürfen - oder daß sie gar dazu animiert werden, heftiger/herablassender als geplant zu formulieren, um sich "durchzusetzen".
Was ich mich aber schon seit Jahren frage: Färbt das asoziale Verhalten, das man in der Anonymität des Internets an den Tag legt langfristig auch auf das reale Sozialleben ab? Oder bleibt das scharf getrennt? In letzterem Fall, hätte quasie jeder, der das so betreibt, zwei Persönlichkeiten.
Geht es in diesem Fall nicht nur um den Ausdruck statt um "Persönlichkeiten"? Und sprechen wir nicht alle auf unterschiedliche Art mit unterschiedlichen Menschen?
Aber zurück zur eigentlichen Fragestellung der "Abfärbung". Ich kenne das unter positivem Gesichtspunkt! Wie gesagt bin ich seit Jahren fleißige Forums-Schreiberin - und ich kann sagen; es ist mir durch die schriftliche, überlegtere Kommunikation beispielsweise zur Gewohnheit geworden, nicht mehr so gefühlsmäßig und mit den ersten hochkommenden Gedanken "herauszuplatzen", sondern bedachter zu reagieren. Diese gewonnene äußere Ruhe kann ich beim Lesen meiner sehr frühen Posts auch deutlich bestätigt sehen.
Zur Anonymität kann ich ebenfalls auch Vorteilhaftes vermelden - in vielen Foren erlebe ich, daß User immer "gleicher" behandelt werden - im positiven Sinne gemeint. Es wird mit jedem Jahr mit weniger Vorurteilen um sich geworfen, und auch man selbst verliert allmählich Vorurteile, die man unbewußt hegte.
Meist weiß man ja gar nicht mal, ob hinter einem User-Namen oder einer Spielfigur ein weiblicher oder männlicher, ein junger oder alter, ein arbeitloser oder ein gut situierter, ein kranker oder gesund-sportlicher, ein Künstler oder ein Wirtschafts-Magnat, ein hochgebildeter oder ein "einfacher", ein alleinlebender oder ein großfamiliärer Mensch steckt, und aus welchem Land er kommt.
Ist es nicht schön, wenn man bemerkt, wie gut wir als unterschiedlichste Menschen miteinander trotz aller Gegensätze auskommen, wenn wir uns bloß um Sachlichkeit und etwas Respekt bemühen?
Ich hoffe sehr, daß mit den Jahren noch viel mehr Menschen all diese vorteilhaften Seiten der "anonymen" Online-Kommunikation entdecken
