Hallo
Entschuldige bitte den langen Text, blacklife - ich hab nur eben grad recht lang drüber nachgedacht und hab das Bedürfnis, Dir meine Gedankengänge mitzuteilen. Vielleicht ist ja was dabei, das für Dich hilfreich ist.
Wenn die Textwand sonst wen stört, bitte ich auch um Verzeihung. *trotzdem abschick*
...Ein paar Dinge gehen mir durch den Kopf.
Vorab: Ich gehöre, wie so viele andere auch, ebenfalls zu jenen, deren Kindheit so richtig schön bis oben hin voll mit Mist war.
Die ganze Palette rauf und runter (gut, heute bin ich froh, das es wenigstens kein Kriegsgebiet/keine Kriegszeit war)
Ich kann mich noch sehr gut an die größten inneren Konfikte und Probleme erinnern, bzw was im Nachhinein betrachtet für mich große Hürden waren:
1. Ich war ein Kind. Erwachsene neigen dazu, Kindern zu wenig zuzutrauen, was Verantwortungsgefühl und die oft zitierte Lebenserfahrung angeht.
Ich pflücke das Wort mal auseinander: Lebenserfahrung.
Was ist das? Es sind Erkenntnise aus den Erfahrungen seines Lebens (mMn)
Um sie zu bekommen, muss Leben erlebt worden und persönliche Rückschlüsse daraus gezogen worden sein (also etwas gelernt worden sein)
So. Soviel dazu aus meiner Sicht. Nun ist es meiner Meinung nach so, das Lebenserfahrung nichts, bzw nur bedingt mit dem Alter zu tun hat.
Wer hat mehr über das Leben gelernt? Jemand der seit seiner behüteten Kindheit 50 Jahre ohne großartige Komplikationen gelebt hat? Oder jemand der in seinen ersten 15 Jahren ungeheuer viel Gelegenheit zu lernen gehabt hat? Das blöde an der Geschichte ist, das "lernen" (also in Bezug zu Lebenserfahrung) am öftesten durch negative Erlebnise ausgelöst wird. Je gesalzener der Schicksalschlag, desto wahrscheinlicher wird wohl daraus gelernt.
Die eigentliche Schwierigkeit die sich daraus ergibt ist, das (so wars jedenfalls bei mir) man aufgrund seines Alters auf demütigende Weise zurückgesetzt, nicht ernst genommen wird - egal, was in Geist und Seele vor sich geht, solang der Körper der eines Kindes ist, tun sich die meisten Leute schwer damit, auf gleicher Ebene miteinander umzugehen.
Mein Rat an Dich, was das angeht: Wenn von Dir erwartet wird, den Haushalt zu machen, zu kochen, Dich um dies und jenes zu kümmern - dir also die Pflichten eines Erwachsenen aufgedrückt werden - dann fordere auch die entsprechenden Rechte ein.
Du darfst - wie jeder andere Mensch auch, der sich ungerecht behandelt fühlt - ordentlich auf den Tisch hauen. Erwachsenen-Pflichten aber Kinder-Rechte geht nicht. Entweder so oder so, wie sollst Du wissen was von Dir erwartet wird, wenn es alles zugleich zu sein scheint? Was sollst Du von Dir selbst erwarten unter solchen Bedingungen?
Mithelfen im Haushalt finde ich persönlich ja für ein Kind als sehr gute Verantwortungsgabe, aber mit Maß und Ziel. Geborgenheit und Sicherheit zu bieten ist aber um ein vielfaches wichtiger - und das Wiederum ist keine Verantwortungsgabe die mal nicht so ernst zu nehmen nicht so schlimm ist, sondern die verdammte Pflicht Deiner Eltern. Du darfst sie daran erinnern, es ist Dein Recht.
Tust Du das, werden sie vielleicht vor den Kopf gestossen sein oder schlimmstenfalls schimpfen - nachdenken werden sie dennoch garantiert darüber. Nimms also nicht als weiteren Rückschlag, wenn sie nicht auf der Stelle richtig darauf reagieren, sondern lass es wirken

Egal welchen Ausgang das dann hätte: Du hast dann aktiv um Dich und Deine Rechte gekämpft - und das ist wichtig zu lernen.
Die zweite große Hürde, an die ich mich nur zu gut erinnern kann ist folgende:
Man hat zwar schon ne Menge übers Leben gelernt, oder knabbert grad an neuem "Lernstoff", aber dafür weiß man aufgrund fehlender Erfahrung nur wenig über Dinge wie "wie komm ich an Information, an Ämter, Behörden... welche Möglichkeiten hab ich als unmündiges Kind überhaupt und hab ich überhaupt Möglichkeiten und hab ich als Kind denn gar keine Rechte?"
...damals hats das Internet nicht gegeben, muss ich dazu sagen
Davon beim Jugendamt Hilfe zu suchen rate ich mal ab, bzw würde das an Deiner Stelle nur gut überlegt tun. Bzw Du könntest ja vielleicht mal anonym anrufen und Dich genau informieren, welche Art der Hilfe sie in Deinem Fall anbieten können, vielleicht ergeben sich daraus dann ganz neue Möglichkeiten.
Was ich Dir bedenkenlos raten würde, ist zB folgendes: In Österreich gibt es eine Rufnummer für Jugendliche... nennt sich "Rat auf Draht" - etwas derartiges gibts vielleicht in Deutschland auch? Die Leute nehmen sich für jeden Anruf üblicherweise viel Zeit und geben oft wirklich gute Ratschläge.
Was vielleicht noch eine gute Idee wäre, um Deine Mutter darauf aufmerksam zu machen was Du brauchst, wär folgendes:
Schreib zwei Briefe.
In den ersten schreibst Du aus Deiner Sicht. Schreib zu unterschiedlichen Gefühlen ein paar Sätze, auch zu positiven.
zB: "ich bin wütend, weil .... ich bin so traurig weil ... ich wünsche mir ... ich hab Angst, das ... ich bereue, das ... ich bin froh weil ... ich danke Dir für ..." und am Ende, das ist wichtig, schreibst Du etwas mit Liebe. "ich liebe Dich weil/für ..."
Den zweiten Brief schreibst Du so, als wäre es ein Antwortbrief von ihr - und zwar so, wie Du ihn Dir wünschen würdest.
zB: "Ich bin wütend auf mich selbst, weil ich so wenig für Dich da war. ich bin traurig, weil es Dir nicht gut geht. ich bin froh, das Du mir geschrieben hast. Ich danke Dir für Deine Offenheit. Ich freue mich darauf, künftig mehr für dich da zu sein. Ich liebe Dich, Deine Mama" usw.
Das waren jetzt nur ganz kurze Beispiele, Du kannst ruhig genauer werden.
Diese beiden Briefe gibst Du ihr einfach.
Erstens wirst Du Dir beim schreiben selbst etwas klarer über manches, denn um Dinge formulieren zu können, müssen sie zuerst ein wenig geordnet werden.
Zweitens lässt Du Deine Mutter wissen, was in Dir vorgeht.
Drittens lässt Du sie wissen, was Du Dir von ihr wünschst/erhoffst und
Viertens ist es einfach bei vielen Menschen, mit denen man schwer reden kann (und Du hast mehrmals gesagt, man kann nicht mit ihr reden), sehr viel einfacher, stattdessen zu schreiben. So wird man nicht unterbrochen und wiegelt sich nicht gegenseitig hoch, und der Empfänger kann sich den Zeitpunkt selbst aussuchen, damit konfrontiert zu werden.
So, nachdem der Text nun schon etwa zehn Kilometer lang ist nur noch eins zum Abschluss:
So elend es jetzt ist... bitte denk daran: Rückgrad wird durch Last gestärkt

(coooool, ist mir grad eingefallen

)
und so abgedroschen und nutzlos das jetzt zu sagen ist: In ein paar Jahren sieht alles anders aus - und je mehr Du aus dieser Zeit lernst, desto angenehmer wirds später, das wage ich sogar zu versprechen.
Ich hoff, ich hab Dir vielleicht ein paar Ideen gereicht.
Lieben Gruß

Oktarin