Das ist eine Frage aus der Bescheidenheit kommend. Kritik darf nicht einfach als eine total zerstörerische angesehen werden, sondern als eine Möglichkeit, sich nicht gleich an den Hals von etwas zu werfen und das Bestehende zu optimieren. Kritik kann leicht als eine total zerstörerische empfunden werden, hat man das kritisierte Objekt als ein Art Vollkommenheit angesehen und will es unbefleckt belassen und es wie die jungfräuliche Reinheit bewahrt halten.
Die Lieblichkeit hat zwei oder mindestens zwei Aspekte. Das Geistige des Pflanzlichen, der Ätherleib, ist auf der zweiten Erdentwicklungsstufe, die "Sonne" genannt wird, durch göttlichen Impuls entstanden. Seine von mir an der heutigen Flora empfundene Lieblichkeit ist mir erst durch die Anthroposophie durch den Kontrast verständlich geworden, als ich von der Mondenkrisis der dritten Erdepoche las. Die Flora verzaubert mich daher durch eine mir nun bewusst gewordene Unschuldigkeit und Unbeflecktheit, die unberührt ist jener Krisis. Diese Lieblichkeit erwarte ich in einem Werk über die Pflanzenwelt und muss gestalterisch und inhaltlich stets mitverarbeitet sein, ansonsten wird der Flora nicht der rechte Tribut gezollt und wird ohne diesen vergewaltigt.
Ein weiterer Aspekt ist der äußerliche Aufbau der drei Bände - wobei ich noch nicht auf die Inhalte eingehe -, bei dem ohne ausreichende liebevolle Hingabe vorgegangen worden ist, was ich an vielen Beispielen zeigen kann. Schau dir beispielsweise einfach mal die beiden Seiten 28f des zweiten Bandes an, den du angesprochen und woraus du zitiert hast. Es ist rein äußerlich mit Text vollgestopft, der den Leser regelrecht ersticken lässt und ihm keinen Atemzug gönnt, denn es fehlen zum Überblick und zum besseren Verstehen ausreichend Absätze und Kleinüberschriften. Selbst für mich als eine sehr lesegeübte Person, findet sich durch diese lieblose Textgestaltung kein Grund, mich dem widmen zu sollen. Dann stellt man zum Schrecken fest, dass im Wesentlichen alle drei Bände in dieser Art gestaltet sind. Zwischendurch sind vereinzelte Illustrationen, zu deren Verständnis man sich erst durch viel Gedankenarbeit hindurchdringen muss; es wird dem Leser dazu viel zu wenig Anleitung gegeben. Die Illustrationen wirken daher wie lieblos dahingeklatscht.
Wissenschaftlichkeit darf nicht zum magischen Zauberwort werden, dem man blind zu huldigen hat, und sie hat mit einer solchen Lieblosigkeit nichts zu tun; sie beginnt erst mit Lieblichkeit oder nennen wir es kurz Liebe.
Hier ist also die Forderung (nicht nur) an anthroposophische Autoren gestellt, Wissenschaftlichkeit neu zu bedenken und Liebe sehr viel mehr gestalterisch und inhaltlich verwebend einzuarbeiten, statt sich noch zu sehr an der üblichen Kälte der Wissenschaftlichkeit zu orientieren. Wilhelm Pelikan hat wie Roger Kalbermatten nur einen Anfang gemacht, der bei beiden noch viel zu zögerlich ist, doch beide können in ihrer Andersartigkeit voneinander lernen.