birgit1:
jeder sieht sein Dasein anders, aber keiner sieht, dass er auch nicht besser ist als die anderen...
ein spannender Spagat zwischen "jeder" und "keiner",
und zwischen "ein-er" und "ander-er".
das ist wirklich so.
der "jed-ER" in mir sieht sein Da-sein anders.
der "kein-ER" in mir sieht, dass ER auch nicht besser ist als die anderen.
"jed" ist doch die Jod, die kleinste unter allen Zeichen,
der Keim, aus dem alles sprießt, alles ins Sichtbare tritt.
Und Jed-es Jod keimt anders, jed-e Pflanze steht wo-anders,
alles ist "leminehu", entfaltet sich "nach seiner Art" ins Dasein hinein.
Im JED-er steckt also die Individualität.
Im Kein-er steckt die Transzendenz, die alle Individualität auflöst.
als "keiner", als ohne Person, ohne eigenen Standpunkt, ohne Beharrung auf "ich", kann dieser Kain-ER wirklich sehen, ja was genau sehen?
nicht besser zu sein.
das ist wunderbar, besonders im Kontext von "bessorah", der Botschaft.
als keiner bin nicht-ich Botschaft, es botschaftet durch mich durch.
Eine Leere ist innen, und sie füllt sich einfach von alleine.
So sieht man im anderen "auch nicht-besser".
Auch der andere ist dieses.
Auch in ihm ist dieses, wo er nicht selbst Botschaft ist, sondern die Botschaft durch ihn gebracht wird.
Auch "er" ist "kein-er", ist unpersönlich.
So sieht "man" im anderen stets Buddha, the budding field of life,
ohne Ansehen der Person, eben den anderen auch als "nicht-besser" sehend.
im christlichen Sprachgebrauch ist dieser "kein-er" das, was Paulus als "nicht aber ich, sondern Christus in mir" bezeichnet.
im daoistischen Sprachgebrauch ist es wie im 13. Kapitel des Dao De Jing:
Dao De Jing (Übersetzung Richard Wilhelm):
13.
Gnade ist beschämend wie ein Schreck.
Ehre ist ein großes Übel wie die Person.
Was heißt das: "Gnade ist beschämend wie ein Schreck"?
Gnade ist etwas Minderwertiges.
Man erlangt sie und ist wie erschrocken.
Man verliert sie und ist wie erschrocken.
Das heißt: "Gnade ist beschämend wie ein Schreck".
Was heißt das: "Ehre ist ein großes Übel wie die Person"?
Der Grund, warum ich große Übel erfahre, ist,
daß ich eine Person habe.
Habe ich keine Person,
was für Übel könnte ich dann erfahren?
Darum: Wer in seiner Person die Welt ehrt,
dem kann man wohl die Welt anvertrauen.
Wer in seiner Person die Welt liebt,
dem kann man wohl die Welt übergeben.
Es ist das un-persönliche, oder im besten Sinne begriffen als "Persona", als "Maske, durch die etwas hindurchklingt, per-sonare", daher kommt es.
Ich halte "mich" nicht für die Persona, die Maske.
Nicht-identifikation.
Doch du gehst hier weiter, gehst bis zum Anderen, und hältst auch sie nicht in ihrer Persona-Identifikation.
Nur der Kein-er sieht, dass seine Maske, sein "er", nicht besser ist als die von "ander-er".
Solange die Identifikation währt, solange wird ein Kampf bestehen darum, wessen Maske die schönste ist.
Das Übel der "Person", wie es Lao Tse hier nennt, entsteht durch die Identifikation.
Wer sich nicht mer identifiziert, der kann seine Welt wahrhaftig regieren, der ist nicht mehr von der Identifikation mit der Maske regiert.
Und im christlichen Sprachgebrauch:
Johannes 3:16
Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.
jed-er, der an ihn glaubt, der also seinen Blick von der sichtbaren Maske in die seinen Sinnen nichtsichtbare hinter-der-Maske-Botschaft zuwendet, geht nicht verloren, sondern hat ewiges Leben.
Wer sein er behalten möchte, verliert.
Wer sein er verliert, gewinnt.
Wer sich selbst als Kain-er erkennt, als einen Mörder, der sein eigenes Gottesbewusstsein gekillt hat,
der weiß, dass er nicht besser ist als alle ander-ers auch, die dasselbe getan haben,
und der hält nicht unbedingt mehr an dieser Maske fest, der wird sie gerne aufgeben und zum wirklichen Kein-ER werden.