Göttin des Anfangs - Göttin der Finsternis
Finsternis war sicherlich das Ursprüngliche unserer Welt. Diese Vorstellung bestätigen die Heiligen Schriften im Westen und Osten, die biblische Genesis, die älteren Mythen Griechenlands und Mesopotamiens. Doch auch zu Beginn des Manusmriti, dem alt-indischen Gesetzbuch des Manu, ist die Rede von einer stillen Finsternis, aus der eine selbst erschaffende Urkraft hervortrat, was ja ganz ähnlich der biblischen Beschreibung jenes Urgeists ist, der über der finsteren Tiefe schwebte. Gut möglich, dass sich aus diesen alten Vorstellungen später die Urknalltheorie der modernen Kosmologie entwickelte.
Wir hatten nun gesagt, dass Aphrodite eine jüngere Form der semitischen Astarte war. Darum ist es kaum verwunderlich, wenn auch Aphrodite, wie ihre Vorgängerin, eine eigentliche Finsternisgottheit war. Und in diesem Kontext natürlich bleibt sie selbst ewig. Sie besitzt jedoch die Fähigkeit aufzunehmen und aus sich selbst hervorzubringen. Als jene gebiert sie den Eros, als Isis den Horus; manche wollen diese göttliche Geburt sogar im christlichen Heiland identifiziert sehen.
Aphrodite aber taucht hinab in die Regionen tiefster Finsternis, um den Lichtbringer wieder in die Welt des Lebens zu führen. Sie ist selbst das Leben, jener aber der lebendige Gott, der wie ein grüner Trieb aus der dunklen, schwarzen Erde Aphrodites hervorsprießt. Sie ist das Geheimnis des Lebens an sich, aus dem alles geboren wird und in das alles nach dem Tod zurückkehrt. Da mag an dieser Stelle manchem sofort in den Sinn kommen, die von Freud zuerst formulierte Dialektik vom Todestrieb und Lebenstrieb des Menschen. Das Schmerz und Lust nahe beieinander liegen, zeigt ja bereits der dabei eingenommene Gesichtsausdruck eines Menschen. Eros natürlich ist auch die Kraft, durch die der Mensch den "kleinen Tod" erfährt, durch den überhaupt neues Leben gezeugt wird.
Eros ist Gegenspieler des Todes und die vergöttlichte Form des Lebenstriebes. Er setzt alles daran, das Lebensdrama in Gang zu setzen und zu verlängern. Eros also ist jene Kraft, die diese Tragödie von Geburt, Leben und Sterben in die ewige Wiederkehr zwingt, mit all ihren erfreulichen, doch ebenso qualvollen Aspekten.
Aus der Spannung der so entstandenen Polarität, tritt das notwendige Temperament hervor, mit dem überhaupt erst etwas Neues entstehen kann. Es geht also um die gegenseitige Ergänzung zweier Pole. Bei genauerem Hinsehen aber, scheint Aphrodite bereits in sich selbst so vollkommen und bar jeden Bedürfnisses zu sein, als dass sie sich mit irgend etwas ergänzen müsste. Doch kann so eigentlich überhaupt etwas Neues entstehen? Oder vereint Aphrodite in sich sogar jene beiden Pole, die zur Zeugung des Neuen nötig sind?
Auszug aus
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