Gedichte

Verzage nicht, o Herz! Die Lust entspringt
aus Trauer;
Dem Sonnenaufgang geht voraus ein
Morgenschauer.

In diesem Schauer wird, was gestern blühte,
sterben;
Was heute soll erblühn, wird davon Kraft
erwerben.

Verzage nicht, wenn ab die welke Hoffnung
fiel;
Die neue schon erhebt sich jung auf frischem
Stiel.

Friedrich Rückert
 
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Verzage nicht, o Herz! Die Lust entspringt
aus Trauer;
Dem Sonnenaufgang geht voraus ein
Morgenschauer.

In diesem Schauer wird, was gestern blühte,
sterben;
Was heute soll erblühn, wird davon Kraft
erwerben.

Verzage nicht, wenn ab die welke Hoffnung
fiel;
Die neue schon erhebt sich jung auf frischem
Stiel.

Friedrich Rückert
Baut mich auf.
 
Sei großzügig und hilfsbereit wie ein Fluss.
Sei mitleidig und barmherzig wie die Sonne.
Sei wie die Nacht beim Bedecken der Fehler anderer.
Sei wie ein Toter bei Wut und Erregung.
Sei bescheiden und schlicht wie die Erde.
Sei wie das Meer vergebend und nachsichtig.
Entweder zeig dich, wie du bist, oder sei so,
wie du dich zeigst.

Mevlana (1207-1273)
persischer Dichter, Gelehrte und Sufi-Mystiker
 
Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden,
in welchen meine Sinne sich vertiefen,
in ihnen hab ich, wie in alten Briefen,
mein täglich Leben schon gelebt gefunden
und wie Legende weit und überwunden.

Aus ihnen kommt mir Wissen, dass ich Raum
zu einem zweiten zeitlos breiten Leben habe.

Und manchmal bin ich wie der Baum,
der, reif und rauschend,
über einem Grabe
den Traum erfüllt, den der vergangne Knabe
(um den sich seine warmen Wurzeln drängen)
verlor in Traurigkeiten und Gesängen.

R.M.Rilke
 
Es ist nicht das Wollen,
nicht das Können,
nicht die Berufung,
die über das Werk entscheidet.

Man kann in ein Klima,
eine Zeit geraten,
die kein Gedeihen mehr zulassen.

Es geht wie mit der Vegetation,
der Fauna – ganze Reihen sterben aus.
Das Wort, das gestern noch Zauberkraft hatte,
fällt heute sinnlos zu Boden.


Hugo von Hofmannsthal (1874 - 1929)
 
Ein Winterabend


Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
lang die Abendglocke läutet,
vielen ist der Tisch bereitet
und das Haus ist wohlbestellt.

Mancher auf der Wanderschaft
kommt ans Tor auf dunklen Pfaden,
golden blüht der Baum der Gnaden
aus der Erde kühlem Saft.

Wanderer tritt still herein;
Schmerz versteinerte die Schwelle
da erglänzt in reiner Helle
auf dem Tische Brot und Wein.

Georg Trakl
 
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„Der Juli"

Still ruht die Stadt. Es wogt die Flur.
Die Menschheit geht auf Reisen
oder wandert sehr oder wandelt nur.
Und die Bauern vermieten die Natur
zu sehenswerten Preisen.

Sie vermieten den Himmel, den Sand am Meer,
die Platzmusik der Ortsfeuerwehr
und den Blick auf die Kuh auf der Wiese.
Limousinen rasen hin und her
und finden und finden den Weg nicht mehr
zum Verlorenen Paradiese.

Im Feld wächst Brot. Und es wachsen dort
auch die zukünftigen Brötchen und Brezeln.
Eidechsen zucken von Ort zu Ort.
Und die Wolken führen Regen an Bord
und den spitzen Blitz und das Donnerwort.
Der Mensch treibt Berg- und Wassersport
und hält nicht viel von Rätseln.

Er hält die Welt für ein Bilderbuch
mit Ansichtskartenserien.
Die Landschaft belächelt den lauten Besuch.
Sie weiß Bescheid.
Sie weiß, die Zeit
überdauert sogar die Ferien.

Sie weiß auch: Einen Steinwurf schon
von hier beginnt das Märchen.
Verborgen im Korn, auf zerdrücktem Mohn,
ruht ein zerzaustes Pärchen.
Hier steigt kein Preis, hier sinkt kein Lohn.
Hier steigen und sinken die Lerchen.

Das Mädchen schläft entzückten Gesichts.
Die Bienen summen zufrieden.
Der Jüngling heißt, immer noch, Taugenichts.
Er tritt durch das Gitter des Schattens und Lichts
in den Wald und zieht, durch den Schluß des Gedichts,
wie in alten Zeiten gen Süden.

(Erich Kästner)
 
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