Noch kurz als Letztes, dann bin ich raus aus dem Thread. Mir ist eine gute Allegorie eingefallen, die veranschaulicht, was ich meine.
Der Geist ist vergleichbar mit einem verrückten Autofahrer. Der Autofahrer fährt wild in der Gegend herum, zuerst nach Mannheim, dann nach Berlin, dann auf der Hälfte der Strecke macht er kehrt und fährt nach München. Dort angekommen geht's nach Essen, dann erstmal in Richtung Hamburg, aber bald dann die Einsicht, man müsse unbedingt nach Köln, also umgedreht und sogleich wieder das Ziel in erneut München geändert.
So geht das endlos. Der Verstand hat ständig irgendwelche Gedanken, ersetzt diese durch andere, denkt sie halb zuende und hat schon wieder neue im Kopf.
Wer sich ein wenig, aber nicht tief genug, mit Advaita beschäftigt hat, glaubt nun, es sei möglich und nötig, dem Autofahrer beizubringen, nicht mehr irgendwelche Ziele anzusteuern. Also weg mit dem Ziel "Hamburg" und dem Ziel "Berlin" und dem Ziel "Mannheim". Man müsse den Autofahrer davon befreien, ständig irgendwelche Ziele anzusteuern. Man müsse "frei von Konzepten" sein.
Also befreit man den Autofahrer von seinen Zielen. Was passiert nun? Beraubt seiner Ziele beginnt der Autofahrer ein neues Muster zu entwickeln: Er fährt einfach ohne Ziel weiter in der Gegend herum. Also anstatt nach Hamburg halt einfach mal geradeaus, dann irgendwann mal ohne Plan links abgebogen, wieder paar Kilometer geradeaus. Dann umgedreht und zurück, aber irgendwo rechts abgebogen und gleich nochmals rechts, dann lange Zeit geradeaus.
Das ist ein "Verstand ohne Konzepte". Er dreht einfach nur im Leerlauf, aber er dreht sehr wohl weiter. Manche Menschen nennen das "Spontaneität" und glauben, das sei wohl das Höchste zu Erstrebende. Sie glauben, das sei nun wahre Freiheit, weil sie an nichts gebunden wären und sich auf nichts im voraus festlegen müssen.
Und wer irgendwas in Richtung Advaita-Vedanta hört und selbst keine Ahnung hat, was ein stiller Geist wirklich ist (weil ihm die Erfahrung fehlt), der wird exakt diese Verwechslung machen. (Und wer eine Ahnung von Meditation hat, aber nicht genug, der wird glauben, ein leerer Geist sei ein stiller Geist. So tappt er auf seine eigene Weise in dieselbe Falle und hält fälschlicherweise Nirvikalpa Samadhi für das höchste zu erstrebende Gut. Das wäre ungefähr, dem Autofahrer das Benzin wegzunehmen und zu glauben, er würde dadurch frei.)
Aber das ist keine Freiheit, das ist einfach ein Austauschen der einen Art von Hölle durch eine andere Art von Hölle. Der Autofahrer ist genauso unfrei wie zuvor, mit oder ohne erklärte Ziele (und mit oder ohne Benzin). Sein Problem ist: Er kann nicht anhalten.
Das ist nicht, was in den Schriften gemeint ist. Keiner der grossen Weisen hat sowas gemeint. Es geht also keineswegs um die Freiheit von Illusionen (sei es einer Illusion oder aller Illusionen, eines Konzeptes oder aller Konzepte), es geht auch nicht um die Freiheit von einem Ich-Konzept (was einfach nur ein Konzept unter vielen anderen ist).
Es muss also eine andere Art von Freiheit gemeint sein.
Und im Grunde ist es ganz einfach: Der Geist wird still. Der Autofahrer hört auf, herumzufahren. Er bremst ab, stellt das Auto an den Strassenrand, schaltet den Motor aus und lehnt sich zurück.
Und dann ist Freiheit.
Es ist völlig irrelevant, ob der Autofahrer zuvor irgendein Ziel hatte oder nicht, ob er nun mit Konzepten oder ohne Konzepte durch die Welt gefahren ist. Wesentlich ist nicht das Aufgeben von Zielen, sondern das Abschalten des Motors. Das Stillewerden.
Und das ist keine Freiheit von Konzepten. Der Autofahrer mag nach wie vor fest der Überzeugung sein, unbedingt nach Berlin fahren zu müssen, oder er ist zuvor vielleicht auch einfach wild und ohne Ziel in der Gegend herumgefahren, aber jetzt hat er einfach den Motor abgestellt. Er ist zur Ruhe gekommen.
Es gibt sowas wie eine psychologische Entwicklung diesbezüglich:
1. Der Autofahrer meint, ein Ziel ansteuern zu müssen. Vielleicht erreicht er das Ziel, vielleicht auch nicht. Sofort, wenn er ein Ziel erreicht hat oder sich ein Ziel als unerreichbar herausstellt, sucht er sich ein neues Ziel.
2. Der Autofahrer erkennt, dass es unendlich viele mögliche Ziele gibt, die er ansteuern kann, und dass es an einem Ort nicht wesentlich schöner ist als an einem anderen. Er beginnt zu glauben, er müsse damit aufhören, Ziele anzusteuern, dann sei er nämlich frei.
3. Der Autofahrer versucht angestrengt keine Ziele mehr anzusteuern. Das schlägt aber fehl. Er tritt in eine Krise ein. Nur wenn es ihm gelingt, die Krise ohne Beschönigung zu meistern und ohne zu Schritt 1 oder 2 zurückzufallen, kommt er zur nächsten Stufe der Einsicht:
4. Der Autofahrer erkennt, dass es nicht das Suchen von Zielen ist, welches Probleme bereitet, sondern das Autofahren selbst, also die Bewegung des Autos. Nicht das Fahren auf ein Ziel hin, sondern das Fahren als solches. Also stellt er den Motor ab und lehnt sich zurück.
(5. Der Autofahrer erkennt, dass es nicht nötig ist, länger Pause zu machen. Er hat beide Vorstellungen aufgegeben, diejenige des Herumfahrens sowie des Stillstehens.)
Dein Blickwinkel, Allegrah, ist Stufe 3. Ich spreche von der Position Stufe 4. (Und Stufe 5 haben wir noch gar nicht berührt.)