Ethik und Rechtsphilosophie - gibt es eine Willensfreiheit?

  • Ersteller Ersteller LynnCarme
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Ein Problem in der Diskussion stellen immer wieder unterschiedliche Definitionen der Begriffe Determinismus und Willensfreiheit dar. Wenn der Determinismus ohne Selbststeuerung wirksam wäre als reines Zufallsprinzip, dann würden alle bewussten Aktionen erstmal aus diesem Begriffsbereich herausfallen. Die Naturwissenschaft betrachtet dies allerdings weitgefasster, da das Gehirn solche Handlungsabläufe organisiert, auch unbewusst und intuitiv. Die Determiniertheit besteht danach in der Abhängigkeit vom Gehirn und dessen Funktionstüchtigkeit in entsprechenden Gehirnarealen. Sobald es da zu neurologischen Abweichungen kommt, wird es auch die auszuführenden Handlungen beeinflussen. Offenbar werden aber auch bei neurologisch Gesunden die Entscheidungsprozesse vor dem eigentlichen Entschluss vom Gehirn vorbereitet und eingeleitet, noch bevor es zum Entschluss kommt. (Es gibt Fachleute, welche diese Studien stützen und solche, die sie widerlegen, je nach Grundhaltung.)

Also ich habe mal gelernt (allerdings weiss ich die Quelle nicht mehr), dass zwischen der Entscheidung und einer Handlung etwa 200-300ms liegen. Wobei diese Zeitspanne sich aber relativ einfach durch die Umsetzung des Gedankens in Handlung - sprich: in der Regel Muskelaktivität - niederschlägt. Ein Zeitwert den wir ja alle auch aus dem Autofahren kennen, als Reaktionszeit.

Aber im Gehirn wirkt ja noch ein ganz anderer Entscheidungsprozess. Denn Informationen werden ja nicht punktuell, sondern kontinuierlich aufgenommen. D.h. eine Handlung wird schon lange vorher durch entsprechende Stimuli vorbereitet und das Set an möglichen Handlungen an die laufend eingehenden Informationen angepasst (bei entsprechender Konzentration kann man diesen unterbewussten Gedanken regelrecht folgen). Andernfalls wäre unser Biocomputer gar nicht leistungsfähig genug, um rasch genug reagieren zu können.
Die letztendliche Entscheidung welche Handlungsalternative tatsächlich zum Tragen kommt trifft immer unser Unterbewusstsein.

Also ich würde Willensfreiheit so definieren, dass ich mich unbeeinflusst von anderen Faktoren frei für eine beliebige Handlungsalternative entscheiden kann. Das kann Mensch aber schon einmal grundsätzlich nicht, da er im Laufe seines Lebens nur einen gewissen Satz an Handlungsalternativen lernen wird, für manche Situationen wird er gar keine Handlungsalternativen haben, weil es einfach eine neue Situation ist.

Was würdest Du dir denn als Ergebnis dieser Diskussion erwarten? Im Moment habe ich noch das Gefühl, dass wir teilweise aneinander vorbeireden ....
 
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Was würdest Du dir denn als Ergebnis dieser Diskussion erwarten?

Der tiefergehende Austausch zum Thema und ich finde Deine Gedankengänge dazu schon sehr bereichernd. :)

Schillers Räuber regte mich ursprünglich dazu an, mich eingehender mit der Rechtsphilosophie und der Frage nach der Willensfreiheit zu befassen, um es an einem Beispiel zu veranschaulichen. Wie sehr waren die Protagonisten determiniert durch ihre Lebensumstände und wo fängt genau der freie Wille an? Schiller legt sehr viel wert auf die deterministische Sichtweise, eigentlich sehr "naturwissenschaftlich" und modern gedacht angesichts der neuesten Ergebnisse der Neurologie. Ich persönlich würde die Willensfreiheit in einem unterschiedlich deterministisch gegebenen Rahmen intuitiv und logisch für naheliegend halten.

Was mir spontan einfällt zu den beiden Brüdern in Schillers Räuber, ist die unterschiedliche Zuwendung, die sie genossen haben. Der eine wurde überbehütet und der andere vernachlässigt. Gerade diese zwei Aspekte werden im Jugendstrafrecht als typische Auslöser für jugendkriminelle Karrieren genannt, da sie beide schädlich sind für eine gesunde Entwicklung zum jungen Erwachsenen. Die beiden Brüder waren ja beide auf ihre jeweils eigene Art kriminell. Die Überbehütung des Hauptprotagonisten hat dazu geführt, dass er später eine übertrieben starke Naivität und Gutgläubigkeit entwickelte, die ihn in größter Desillusionierung auf impulsive Weise aus der Bahn warf, während der vernachlässigte Bruder von vornherein keinerlei Vertrauen in sein Umfeld entwickeln konnte aufgrund der fehlenden Liebeszuwendung durch den Vater und selbstsichernd kriminell auf pathologische Weise überrational vorging.

Dieses Grundmotiv der beiden Brüder gibt es schon mehrfach in der Bibel, Kain und Abel, Esau und Jakob, Josef und seine Brüder. Die beiden Brüder in Schillers Räuber repräsentieren zwei Seiten von Kriminalität, nämlich diejenige aufgrund von unkontrollierter Impulsivität oder dann die kalte, empathielose Ratio. Der eine wird zur äußerlich antisozialen Persönlichkeit und der andere zum scheinbar angepassten Narzissten und Psychopathen. Beide stellen die Gegenpole einer fehlgesteuerten Emotionsregulation dar (überschießend impulsiv und unkontrolliert bzw. gegenpolig verdrängt-zwanghaft kontrollierend). Schiller entwickelt ihre Verläufe auf Kausalitäten, wo im Prinzip auch eine veränderte innere Haltung aufgrund der Willensfreiheit den Handlungsverlauf hätte spontan verändern können. Aber das geschieht hier nicht. Auch dort, wo scheinbar ein inneres Erkennen stattfindet, werden diese Momente immer von dazutretenden Personen angestoßen. So würde ich den Determinismus verstehen, eine Reihe von Kausalitäten, bedingt durch Anstöße aus dem Umfeld, ein ständiges Dazulernen und Reagieren.

Schillers Verbrecher aus verlorener Ehre wäre auch ein gutes Beispiel. Schiller soll mit dieser kurzen Erzählung die moderne, objektive Berichterstattung im deutschen Rechtswesen begründet haben. Diese auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte wirkt in ihrer Psychologisierung und Aufklärungshaltung erstaunlich modern. Da ich aus Interesse an strafrechtlichen Sachverhalten bereits einige vergleichbare Fälle aus der heutigen Zeit näher untersuchte (auch mit Aktenstudium), sehe ich darin tatsächlich die Grundpfeiler der heutzutage gängigen Praxis der Psychologisierung, durchaus auch mit naheliegenden Begründungen wie z. B. Mobbing in der Jugend aufgrund des Aussehens, Armut, Vaterlosigkeit, Kompensation durch Selbstwirksamkeit bei "falschen" Freunden, Diebstahl als Kennzeichen fehlender elterlicher Zuwendung. Es gibt sogar Statistiken zu solchen Merkmalen Delinquenter. Es wirkt in Schillers Geschichte schon sehr klischeehaft überzeichnet, aber so wird es auch im Strafrecht und sogar in Gutachten modellhaft pauschalisiert, wie ich feststellte. Schiller wandte diese Klischees bewusst so an, um eine nahtlos nachvollziehbare Psychologisierung hinzukriegen. Heutzutage würden noch Gutachten dazukommen und die Ursachen nicht nur im Gruppenverhalten gesucht werden, sondern bereits in der Kindheit die ersten Züge einer oftmals impulsiven und antisozialen Störung der Persönlichkeit aufgedeckt werden. Wenn z. B. bei Schiller davon die Rede ist, dass die Strafbehörden die Verbrecher geradezu an der Physiognomie erkennen, ist das zwar ein Klischee, wird aber tatsächlich heutzutage von solchen, die mit Delinquenten arbeiten, oftmals hervorgehoben, womit sie aber mehr das ganze Rollenverhalten in der Szene beschreiben.

Ich diskutierte auch schon mit einem Straßenverkehrssünder, der fast einen Unfall baute und mehr Glück als Verstand besaß in dem Fall. Ihm wurde der Fahrschein entzogen für einige Jahre. Er musste sich zudem einem Gerichtsverfahren stellen. Obwohl alle Beteiligten (alle noch sehr jung) unverletzt davonkamen, führte ihr Fehlverhalten zu rigiden Strafen. Er musste sich psychologischen Gesprächen unterziehen. Als wir darüber sprachen, zeigte er sehr wenig Einsicht in sein schuldhaftes Verhalten und schob die Schuld dem Fast-Opfer zu. Nur aufgrund des jahrelangen Fahrscheinentzugs und eines einhergehenden Nachreifungsprozesses folgte irgendwann eine Ernüchterung, wo er ein gewisses realistisches Verhältnis zu seinem Verhalten gewann. Er begann, die "Regeln" zu akzeptieren. Ich muss sagen, dass die Art des Unfalls typisch James-Dean-mäßig ablief, also noch ohne jegliches Einsehen in die Notwendigkeit des Rechtssystems. Und es hätte zum Tod von Menschen führen können, denn es befanden sich Kinder in unmittelbarer Unfallnähe, wo sich ein Auto überschlug. Ein religiös eingestellter Mensch würde von Gottesschutz sprechen. Mir wurde jedoch klar, wie sehr ein solcher Delinquenter auch von seiner Einsichtsfähigkeit abhängig ist, so frei verfügte er nicht wirklich über eine vollumfängliche Willensfreiheit. Dazu war er zu unreif und naiv, es lief wie im Film "Denn sie wissen nicht, was sie tun". Der deutsche Titel trifft es ganz genau.

 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Dann wird Dir die Einstellung des Strafverteidigers in folgendem Video gefallen, er drückte sich am Ende des Videos ähnlich aus (finde ich einen guten Anhaltspunkt).

Ja, tolle Aussagen in dem Video.

Wobei ein paar Aussagen wieder so gar nicht passen. Denn die Aussage, dass man diese Defizite/Traumata nicht bearbeiten und aufheben kann, stimmt schlicht und einfach nicht. Und letztendlich ist nicht interessant, wie eine Prägung zustande kommt, sondern nur, wie ich sie unwirksam machen kann oder Alternativen anbieten.

Was ich nicht so ganz verstehe, ist die Diskussion um das bewusste oder unbewusste Überwinden der Grenze. Denn ich kann mich auch bewusst auf Grund einer unterbewussten Programmierung entscheiden ... z.B. wie im vorhergehenden Video im Kriegsbeispiel einem Menschen zu erschießen, weil ich entweder ideologisiert bin (mich im Recht fühle im Sinne der Ideologie) oder einfach Angst um mein Leben und meine Gesundheit haben muss (wenn vielleicht auch nur im eigenen Kopfkino), wenn ich nicht mitmache (wie ja im 3. Reich oft genug). Oder wenn ich einfach Befehlsempfänger bin, und auf Grund meiner Prägung Befehle kommentarlos umsetze.
Letztendlich müsste man jeden Einzelfall genau anschauen ....

Was auch ziemlich nahe legt, dass sich kein konkretes "Psycho"-Hirnareal identifizieren lassen wird ... weil die Entscheidungen unterschiedliche Basis haben können.
 
Also mit Schiller überforderst Du mich jetzt ;).

Ich persönlich würde die Willensfreiheit in einem unterschiedlich deterministisch gegebenen Rahmen intuitiv und logisch für naheliegend halten.

Hm ... also entweder haben wir da noch immer nicht die gleiche Begrifflichkeit, oder eine andere Sichtweise. Ich bin bei dir - und verstehe es hoffentlich auch richtig - dass ich Willensfreiheit innerhalb des Rahmens von Regeln habe die ich gelernt habe. Was aber, wenn mein gelernter Rahmen keine (=> Angstreaktionen) oder nur gesellschaftlich nicht akzeptable Optionen enthält?
Ich kann mich also nur frei zwischen bekannten Lösungen entscheiden, die auch in der aktuellen Situation von meinem Unterbewusstsein akzeptiert werden.


Was mir spontan einfällt zu den beiden Brüdern in Schillers Räuber, ist die unterschiedliche Zuwendung, die sie genossen haben. Der eine wurde überbehütet und der andere vernachlässigt. Gerade diese zwei Aspekte werden im Jugendstrafrecht als typische Auslöser für jugendkriminelle Karrieren genannt, da sie beide schädlich sind für eine gesunde Entwicklung zum jungen Erwachsenen.


Die beiden Alternativen sind zwar grundsätzlich schädlich (noch schlimmer trifft es das mittlere Kind von 3en), aber noch kein genereller Grund für eine kriminelle Karriere. Überbehütung beinhaltet meistens eine sehr starke Prägung auf Angst, die Kriminalität eher verhütet als fördert. Vernachlässigung fördert da eher, allerdings mehr durch das Fehlen von Regeln (Hinderungsgründen). Bei vernachlässigten Kindern müssen noch andere Prägungen, z.B. das Fehlen von sozialer Verantwortung, Perspektivenlosigkeit, fehlende Achtung vor fremdem Eigentum, fehlender Wert der eigenen Arbeit, Opposition gegen Regeln, fehlende Achtung vor Frauen etc. dazu kommen. Diese Prägung kann aus der Herkunftsfamilie kommen, oder auch aus "Ersatzfamilen" wie Jugendbanden etc.


Dieses Grundmotiv der beiden Brüder gibt es schon mehrfach in der Bibel, Kain und Abel, Esau und Jakob, Josef und seine Brüder.

Die "klassischen" Themen stellen aber eher das Verhältnis zwischen Gut und Böse dar, ohne eine Analyse der Hintergrundbedingungen. Die Bilder erfüllen eigentlich nur das Bedürfnis nach Einfachheit, die letztendlich in Schwarz-Weiss-Malerei endet.


Da ich aus Interesse an strafrechtlichen Sachverhalten bereits einige vergleichbare Fälle aus der heutigen Zeit näher untersuchte (auch mit Aktenstudium), sehe ich darin tatsächlich die Grundpfeiler der heutzutage gängigen Praxis der Psychologisierung, durchaus auch mit naheliegenden Begründungen wie z. B. Mobbing in der Jugend aufgrund des Aussehens, Armut, Vaterlosigkeit, Kompensation durch Selbstwirksamkeit bei "falschen" Freunden, Diebstahl als Kennzeichen fehlender elterlicher Zuwendung. Es gibt sogar Statistiken zu solchen Merkmalen Delinquenter.


Na ja, das ist halt ein bisschen ein Problem, dass die psychologischen Tests oft nicht ausreichend umfassend sind, bzw. keine genauen Aussagen liefern. Wie schon gesagt ... es ist ja immer eine Folge aus fehlenden Kompetenzen und fehlenden Grenzen.


Aber das geschieht hier nicht. Auch dort, wo scheinbar ein inneres Erkennen stattfindet, werden diese Momente immer von dazutretenden Personen angestoßen. So würde ich den Determinismus verstehen, eine Reihe von Kausalitäten, bedingt durch Anstöße aus dem Umfeld, ein ständiges Dazulernen und Reagieren.

Natürlich, das ist eine gute Darstellung der Tatsachen ... einen Spiegel für meine Defizite kann ich nur von anderen Menschen vorgehalten bekommen ... damit ist dieses Bild völlig richtig.

Determinismus ist ja "Bestimmtheit". Ein deterministisches System ist ein System bei dem sich die Reaktion auf einen Anreiz vorhersagen lässt. Insoferne hat es natürlich mit Kausalität zu tun. Allerdings wäre das Dazulernen beim Menschen zu bestreiten ... denn unterbewusste Programmierungen (das, was der Esoteriker als "Blockaden" kennt) lassen sich durch bewusstes Lernen nicht aufheben. Das würde jetzt aber zu weit führen, das genauer zu erklären.

Wenn z. B. bei Schiller davon die Rede ist, dass die Strafbehörden die Verbrecher geradezu an der Physiognomie erkennen, ist das zwar ein Klischee, wird aber tatsächlich heutzutage von solchen, die mit Delinquenten arbeiten, oftmals hervorgehoben, womit sie aber mehr das ganze Rollenverhalten in der Szene beschreiben.


Zu Schillers Zeit gab es wahrscheinlich die ersten Ansätze, Verbrecher an der Physiognomie zu erkennen. Insofern hat er wahrscheinlich die neuesten Erkenntnisse einfach verarbeitet, so wie es jeder Romanautor macht. Das Rollenverhalten ist halt ein sehr grober Anhaltspunkt und sehr schwierig beweisbar.


Mir wurde jedoch klar, wie sehr ein solcher Delinquenter auch von seiner Einsichtsfähigkeit abhängig ist, so frei verfügte er nicht wirklich über eine vollumfängliche Willensfreiheit. Dazu war er zu unreif und naiv, es lief wie im Film "Denn sie wissen nicht, was sie tun". Der Titel trifft es ganz genau.

Genau das ist der Punkt ... ich kann nur dann in vollem Umfang meine Willensfreiheit nutzen, wenn ich alles notwendige gelernt habe, alle Informationen für eine zielführende Entscheidung habe, und die psychischen Voraussetzungen um diese Entscheidung treffen und auch umsetzen zu können.
 
Ich finde es schon jetzt bemerkenswert, wie Games so programmiert werden, dass sie scheinbar jede erdenkliche Entscheidung des Gamers berücksichtigen, das in einer Folgerichtigkeit, als könnte das Programm willensfrei und situationsgebunden "denken". Dabei werden nur Programmvariablen abgerufen. Eigentlich wäre das auch für die Organisation des Gehirns denkbar, wodurch dann der Eindruck von Selbststeuerung entsteht. Es ist ja nicht so, dass der Determinismus nicht auch relativ gesehen werden könnte als Repertoire von wahrscheinlichen Abläufen aufgrund von Kausalitäten.

Das Leben kommt aus einem psychobiochemischen Zeugungs- und Geburtsprozess, wenn man den religiösen Aspekt erstmal ausklammert und es auf wissenschaftlich beobachtbare Abläufe zurückführt. Auch da wäre also der relative, auf Wahrscheinlichkeiten beruhende Determinismus noch nachvollziehbar für mich.

Ich hab ja schon angedeutet, dass sich für mich Determinismus und Willens- und damit Gedankenfreiheit nicht ausschließen. Es lässt sich jedoch vieles auf komplexe Kausalitäten zurückführen. Es ist für mich vergleichbar mit der Matrix, wo gewisse Aspekte des Lebens determiniert sind, es aber Lücken geben könnte, wo dann die Gesetze des Determinierten durchbrochen werden könnten.

Es ist vergleichbar mit der Quadratur des Kreises: Der Kreis entspräche der Determiniertheit, den unendlichen Rest würde ich unter dem Sammelbegriff Willensfreiheit zusammenfassen aufgrund der Relativitätstheorie und der Quantenphysik. Auch wenn die Variabilität von Handlungsabläufen willensfrei erscheint durch eine gewisse verbleibende Beweglichkeit innerhalb des determinierten Rahmens, halte ich einen wirklich willensfreien Moment trotzdem für möglich. Es gibt immer einen blinden Flecken, gerade aufgrund der determinierten Sicht. Erfahrungsgemäß haben sich extreme Sichtweisen auch nie als wirklich richtig erwiesen. Das Leben ist komplexer, die Wahrheit liegt aller Wahrscheinlichkeit nach in der Mitte, so wie bei allem.

Ich denke, die Gehirnforscher, welche ein deterministisches Weltbild vertreten, stützen sich nicht nur auf ein einziges Experiment ab, wo es doch auch sonst sehr viele Tests gibt, die zusammen eine Vielzahl von Hinweisen und Wahrscheinlichkeitsberechnungen generieren. Allein schon die Tatsache, dass bei Gehirn-OPs gezielt Gehirnregionen angeregt oder gehemmt werden können mit entsprechend immer gleichen Reaktionen (z. B. Unterdrückung der Sprachfähigkeit) finde ich schon erstaunlich exakt. Ich persönlich kann die daraus abgeleiteten Erkenntnisse gut so dastehen lassen in ihrer Aussagekraft, weil es für mich kein Widerspruch ist z. B. gegenüber meinem bestehenden Glauben an eine Seele und deren Weiterleben nach dem Tode. Es gibt immer mehrere Aspekte und Blickwinkel, die alle ihre Berechtigung haben. Deshalb schließen sich für mich Determinismus und Willensfreiheit überhaupt nicht aus, weil sie meiner Ansicht nach auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden. Der Mensch ist fähig, sich von sich selbst und seinen Gedankengängen zu distanzieren und eine Außenperspektive einzunehmen in der Selbstbeobachtung. In diesem Innewerde-Vakuum sehe ich eine gewisse Willensfreiheit im Rahmen dieser Selbstreflexion gegeben, sicher auch in Abhängigkeit von Intelligenz, Intuition, Lernfähigkeit, Flexibilität und Empirie.

Ich gehe also nicht von einer 100%-igen Determinierheit der Welt aus, sondern ich vermute aufgrund von Quantengravitation und Kompatibilismus Lücken - wie in der Matrix-Trilogie fiktiv dargestellt - wo eben doch noch eine verbleibende Willensfreiheit besteht, vergleichbar mit dem sprichwörtlichen Flügelschlag des Schmetterlings, der eine komplett neue Kausalitätskette erschaffen kann innerhalb des Struktur- und Ereignisdeterminismus der Erfahrungswelt.

Mich würde noch die Funktion des Wahrheitsempfindens in diesem Zusammenhang interessieren. Gibt es von Natur aus ein schlechtes bzw. gutes Gewissen? Wie würdet ihr das schlechte Gewissen definieren? Inwiefern könnte auch das deterministisch eingeschränkt sein bzw. sich aus der Willensfreiheit generieren? Woraus schöpft die Willensfreiheit selbst, aus unseren Wünschen und Autonomie-Bedürfnissen oder noch mehr?
 
Wobei ein paar Aussagen wieder so gar nicht passen. Denn die Aussage, dass man diese Defizite/Traumata nicht bearbeiten und aufheben kann, stimmt schlicht und einfach nicht.

Allerdings wäre das Dazulernen beim Menschen zu bestreiten ... denn unterbewusste Programmierungen (das, was der Esoteriker als "Blockaden" kennt) lassen sich durch bewusstes Lernen nicht aufheben.

Widersprichst Du Dir da nicht?
 
Ich finde es schon jetzt bemerkenswert, wie Games so programmiert werden, dass sie scheinbar jede erdenkliche Entscheidung des Gamers berücksichtigen, das in einer Folgerichtigkeit, als könnte das Programm willensfrei und situationsgebunden "denken". Dabei werden nur Programmvariablen abgerufen. Eigentlich wäre das auch für die Organisation des Gehirns denkbar, wodurch dann der Eindruck von Selbststeuerung entsteht. Es ist ja nicht so, dass der Determinismus nicht auch relativ gesehen werden könnte als Repertoire von wahrscheinlichen Abläufen aufgrund von Kausalitäten.

Also ich finde die neuen Spiele eher immer dümmer, als frühere. Es ist schon richtig, die Spiele tun so, als würden sie intelligent handeln. Tatsächlich sind es aber immer fix programmierte Abläufe.

Für das Gehirn ergibt sich hier eine gewisse Parallele ... auch das Gehirn kann bewusste Entscheidungen nur auf Basis von Informationen oder Regeln treffen, die es einmal programmiert hat. Das Problem beim Gehirn im Gegensatz zum Computer ist aber, dass die Qualität der Programmierung von momentanen Zuständen des Empfängersystems abhängig ist. Konkret heisst das ... es gibt eine sehr grosse Varianzbreite, welche Programmierung tatsächlich durch ein Ereignis ausgelöst wird. Vom Ignorieren bis zu einer Traumatisierung ist worst case alles drinnen (Stichwort: Resilienz).


Das Leben kommt aus einem psychobiochemischen Zeugungs- und Geburtsprozess, wenn man den religiösen Aspekt erstmal ausklammert und es auf wissenschaftlich beobachtbare Abläufe zurückführt. Auch da wäre also der relative, auf Wahrscheinlichkeiten beruhende Determinismus noch nachvollziehbar für mich.

Hm ... ich sehe die Wahrscheinlichkeit hier nicht ganz ... die Programmierung des Menschen ist ja ziemlich fix. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit ergibt sich nur dadurch, dass Menschen meist mehrere Handlungsvarianten haben, und sich ggf. dann stimmungsabhängig für eine dieser Varianten entscheiden. Das ändert aber nichts daran, dass unter Kenntnis aller Rahmenbedingungen die resultierende Handlung genau determiniert wäre.


Der Mensch ist fähig, sich von sich selbst und seinen Gedankengängen zu distanzieren und eine Außenperspektive einzunehmen in der Selbstbeobachtung. In diesem Innewerde-Vakuum sehe ich eine gewisse Willensfreiheit im Rahmen dieser Selbstreflexion gegeben, sicher auch in Abhängigkeit von Intelligenz, Intuition, Lernfähigkeit, Flexibilität und Empirie.

Es gibt aus der IT eine wesentliche Erkenntnis ... es System kann sich nicht selber überprüfen ... denn würde ein System nicht korrekt arbeiten, dann wäre ggf. auch das Ergebnis eines Selbsttest inkorrekt. Genau das versucht der Mensch aber ... sich selber zu erkennen. Was klar ist, nachdem wir keine anderen Quellen haben. Aber eben auch sehr fehleranfällig, weil hier natürlich Glaubenssätze und nicht zuletzt auch unser Ego immer wieder beeinflussen. Ich glaube nicht, dass sich ein Mensch wirklich von aussen sehen kann.

Ich sehe es nicht so, dass ein Mensch den Kreis durchbrechen kann. Betrachtet man die Menschheit, dann tut sie eigentlich seit ihrer Entstehung immer wieder das Gleiche ... nur mit unterschiedlichen Mitteln. Der freie Wille scheint also nicht sonderlich ausgeprägt zu sein. Viel mehr scheint es mir so zu sein, dass wir gerade in Europa in einer sehr restriktiven Gesellschaftsordnung leben, bei der im Rahmen von "menschlichen" Handlungsweisen sehr rasch eine Überschreitung gesellschaftlicher Grenzen möglich ist.

Die andere Frage wäre, was würde ein freier Wille im Sinne der Arterhaltung bewirken? Was könnte das Ziel eines freien Willens sein?


Mich würde noch die Funktion des Wahrheitsempfindens in diesem Zusammenhang interessieren. Gibt es von Natur aus ein schlechtes bzw. gutes Gewissen? Wie würdet ihr das schlechte Gewissen definieren? Inwiefern könnte auch das deterministisch eingeschränkt sein bzw. sich aus der Willensfreiheit generieren? Woraus schöpft die Willensfreiheit selbst, aus unseren Wünschen und Autonomie-Bedürfnissen oder noch mehr?

Ich glaube schon, dass es gewisse ethische Grundätze gibt, die im Menschen durch seine Entwicklung fest verankert sind. Dazu gehören natürlich auch gewisse ethische Grundlagen, die aber insgesamt einen sozialen Hintergrund haben und sich einfach natürlich entwickelt haben. Z.B. unser heutiges "du sollst nicht töten" ist eine ganz einfache Regel innerhalb einer Gruppe ... ermorde niemanden aus deiner Gruppe, weil das die Gruppe schwächt und negative Emotionen erzeugt. Was letztendlich die Gruppe stören würde, die einem selber ja Sicherheit geben soll.
Nur leider funktioniert dieses Prinzip auch heute noch nur in der Kleingruppe, um es in größerem Maßstab umzusetzen sind andere Trägermittel wie z.B. Religionen oder Ideologien notwendig. Die dann aber halt wieder eine gesellschaftliche Eigendynamik entwickeln.
Ein weiteres Prinzip ist die Abgrenzung von Gruppen untereinander ... die "moderne" Umsetzung von Revierverhalten.

Also: gibt es von Natur aus ein schlechtes Gewissen? Ich sage nein. Es gibt eine gewisse ethische Grenze (aus Eigennutz). Schlechtes Gewissen wird erst im Rahmen unserer Sozialisierung durch das Überstülpen von zusätzlichen Regeln erzeugt. Für mich gibt es auch hier keine Willensfreiheit, da es sich hier einerseits um Grundregeln handelt, andererseits um übergestülpte Regeln. Wenn es hier eine Freiheit gibt, dann nicht deshalb weil Mensch von sich aus dazu in der Lage wäre, sondern weil die Prägung diese Lücken gelassen hat, d.h. in manchen Bereichen einfach weniger intensiv ist.
Wir gehen immer davon aus, dass wir unseren Kindern alles beibringen. Tatsächlich ist es aber so, dass Kinder alle Freiheiten haben (evolutionär absolut genial, weil sich Mensch dadurch an alle Gegebenheiten anpassen kann), und dass wir sie über die Prägungen einschränken. Und das nur dieses Maß an Einschränkung letztendlich festlegt, wie sozialisiert sich ein Individuum verhalten kann.
 
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Danke für den interessanten Link @KingOfLions
Ich finde diese neuen Erkenntnisse über den Bewussten freien Willen, der auch Einfluss auf unbewusste Prozesse nimmt, stimmig, hab das auch oft an mir selbst festgestellt, wie ich mich recht gut selbst "programmieren" kann oder auch unerwünschte Programme ändern kann, sobald ich sie als solche erkenne.

HIER noch ein interessanter Link zur diskutierten Thematik.
3Sat-Beitrag zu Philosophie und Neurologie: 30 Millisekunden! - Das ist unsere 'Gegenwart'

09:39-10:01"Es weiß niemand so viel über Ihr Gehirn, in Anführungsstrichen, und über die Prozesse im Gehirn wie Sie selbst."

Da wir selbst sozusagen interne Zeugen unserer Gehirnprozesse sind, sollte es doch auch eine Möglichkeit geben, mittels Verstand und Intuition diese Gehirnprozesse in ihren Eigenschaften und Automatismen ein Stück weit zu begreifen. Es gibt nicht nur eine objektivierte Beobachtung mit Messinstrumenten, sondern zusätzlich den Weg, die Gehirnprozesse sich selbst beschreiben zu lassen, auch durch Beobachtung der innerpsychischen Manifestationen und Strukturen. Auch da gäbe es Hinweise, woraus sich wahrscheinliche Rückschlüsse ziehen lassen, statistisch ausgewertet.

Ich persönlich merke immer wieder, wie zuverlässig meine Intuition mich "steuert", gerade da, wo mein Verstand noch unschlüssig ist. Der Intuition steht ein breiteres Wissen zur Verfügung durch diese Anteilnahme an vielfach unbewussten Wahrnehmungs- und Einschätzungsprozessen.

 
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