A
Astarte
Guest
Auch auf die Gefahr hin, daß mir wieder unterstellt wird, ich würde mir keine eigenen Gedanken machen, sondern nur nachbeten, was andere Leute polemisieren. Ich finde den folgenden Artikel sehr sachlich und gründlich durchdacht. Quelle:
http://www.sgipt.org/kritik/helling/molter.htm
"Beinahe alles, was existiert, läßt sich über Strukturen in Raum, Zeit und Energie beschreiben. Die unterschiedlichen Richtungen der Familientherapie und der sich seit den frühen achtziger Jahren entwickelnden systemischen Therapie bieten für lebensgeschichtliche Zusammenhänge Beschreibungsmodelle an, die sich zwischen Gesetz und Zufall, Strukturzwang und Freiheit, Ordnung und Chaos ansiedeln.
Ich führe hier eine Unterscheidung zwischen familientherapeutischen und systemischen Ansätzen ein, da ich davon ausgehe, daß man hier Unterschiede machen kann, die einen Unterschied machen. Anlaß ist für mich die Rezeption der Familientherapie B. Hellingers, dessen “mystisch inspirierte Variante" (Süddeutsche Zeitung) in der Fachwelt heftig umstritten ist. Ich bin mir bewußt, daß es besonders wichtig ist, bei dieser Diskussion Augen - und Mundmaß zu bewahren.
Unter dem Begriff systemisch kann vieles gefaßt werden. Die erkenntnistheoretischen Prämissen (Kybernetik 2. Ordnung, Autopoiese, Konstruktivismus oder sozialer Konstruktionismus) sind auf die Sichtweisen Hellingers nicht anzuwenden. Er steht in der Tradition von Familienordnungen (Boszmeny - Nagy, Stierlin, Sperling u. a.). Alles wird auf das Mehrgenerationen - Konzept Familie als einzig möglichem System bezogen, d.h. andere Beschreibungen oder Konzepte wie z. B. Problem- und
Lösungssystem oder Narrative sind ausgeschlossen. Wahrscheinlich würde dem Hellinger sogar zustimmen.
G. Weber (1993) hat in “Zweierlei Glück" Hellingers Vorgehen als systemische
Familientherapie bezeichnet. Für mich ein semantischer Irrtum. Das Aufstellen von Familiensystemen muß nicht automatisch systemisch sein. Hellinger selbst sieht sich als Phänomenologen, der die von ihm postulierten “Ordnungen der Liebe" deskriptiv - intuitiv in den von ihm gestellten Aufstellungen erschließt. Seine Formel lautet, das ist
so, weil es sich so zeigt. Ich habe Hellinger selbst bei Aufstellungsarbeiten erlebt und mir umfangreiche Videoaufzeichnungen seiner Arbeit angesehen. Das, wovon Hellinger sagt, das ist so, weil es sich so zeigt, könnte auch anders beschrieben werden, falls man auf eine vorgegebene unumstößliche Ordnung (“Verordnungen" der Liebe) verzichtet. Es zeigt sich so, weil die Interpretations- oder Hypothesenfreiheit eingeschränkt ist. Damit will ich sagen, daß die Fragen, die man aufgrund angenommener vorgegebener Ordnungen beim Aufstellen von Familienkonstellationen an die Protagonisten richtet, sehr hilfreich sein können. Die Antworten jedoch können auch anders ausfallen, als es das Ordnungskonzept Hellingers vorgibt.
Wenn man z. B. annimmt, daß bestimmte Familienmitglieder Gefühle ausgeblendet haben, spricht man damit nur eine von vielen Möglichkeiten an, man suggeriert, daß damals etwas nicht im Sinne der vorgegebenen Ordnung bewältigt wurde. Der Verstoß gegen die Ordnung zwei oder drei Generationen vorher - wie sieht es mit den Generationen vor diesen Generationen aus - wird für die aktuellen Probleme (mit) verantwortlich gemacht. Eine durchaus ehrenwerte Vorstellung.
Hypothesen, wofür das damals eine Lösung war, was damit unter Umständen sogar unter Schmerzen auch kreativ bewältigt wurde, wie die Zeitläufte manche familiären Verhaltensweisen mit gestalteten, fallen unter den Tisch. Dabei sind systemische Hypothesen nicht als Nullsummenromantik zu verstehen, sondern als Angebote, die den Handlungsspielraum erweitern können. Relativ bedeutet in diesem Zusammenhang eben nicht, das ist doch egal, alles ist möglich, sondern, daß das zu beschreibende Geschehen in Relation zu vielem stehen kann.
Um ein Symptom als Ausdruck von Liebe und Zugehörigkeit zu einem Familiensystem zu verstehen, muß man sich nicht unbedingt auf Hellingers Ordnungskonzepte beziehen. Aber selbst eine so wohlwollende Konnotation würdigt nicht die ambivalenten Tendenzen, die sich in Kompromißbildungen, wofür Symptome auch stehen können, manchmal zeigen. Man könnte sie auch als Versuche begreifen, sich vom Familiensystem zu befreien oder als Möglichkeit, beide Seiten zu leben. Damit würde man schon drei Optionen bereitstellen.
Hellinger versucht sich mit einigen Setzungen, die er als selbstverständlich für seine Arbeit ansieht, einer kritischen Diskussion und Würdigung zu entziehen. “Die Neugier ist eine Mißachtung der anderen Person, und so wie ich selbst keine neugierigen Fragen stelle, erlaube ich auch keine neugierigen Fragen an mich." (“Ordnungen der Liebe" S.519) Peng! So kann jede Frage wie ein Bumerang auf den Fragesteller zurückschnellen.: “Setz dich, das hat keine Kraft. Oder: “Du bist noch nicht reif für die Arbeit mit mir."
Hellinger, bei dem Person und Werk zu einer Einheit verschmelzen, restauriert mit “Ordnungen der Liebe" patriarchalische Sichtweisen. “Die Frau folge dem Mann". Ich vermute, daß, wenn man sich in der Aufstellungsarbeit auf Hellinger beruft, die Gefahr besteht, daß der patriarchalisch - klerikale Muff mit transportiert wird. Ich räume ein, daß solche Sichtweisen immer noch außerordentlich beliebt sind. Wundere mich aber, wie offenbar ohne jeden Widerstand und Bürgermut, Kolleginnen und Kollegen das Vorgehen Hellingers auch dann preisen, wenn auf subtile Art und Weise die Versuche von Frauen und Männern, andere Beziehungsformen als die seinen “Ordnungen" entsprechenden zu leben, verurteilt werden.
“Wenn ein Mann dich beständig mißachtet, dir Vorwürfe macht, ohne sich um dich zu kümmern, und immer bereit ist, dir üble Worte zu sagen - du wirst ihn verlassen, und wäre es dein Vater." (SPRICHWÖRTER DER TWAREG S. 186) Dieses kleine Beispiel beweist nichts, doch es zeigt, daß in anderen Kulturen das Verlassen einer “Ordnung" als erwachsen gelten kann.
Hellinger vollzieht das Stellen von Familien nach rituellen Mustern. Rituale kann man als Übergangsformen zwischen analoger und digitaler Kommunikation betrachten, die das zu übermittelnde Material beim Stellen von Familienkonstellationen aus der Familiengeschichte vorgibt. Durch ihre repetetive und stilisierte Weise vermitteln sie auch das Symbolische aus dem Dazwischen. Rituale sind bestimmt durch einen regelgebundenen Ablauf, Wiederholbarkeit und zeitliche Begrenzung. Im Ritual liegen gleichnishaft viele Ausdrucksmöglichkeiten, und doch ist das Ritual eindeutig, wenn es von den Beteiligten als gemeinsame Kommunikationsform anerkannt wird. So wie ich es sehe, erreicht Hellinger beim Aufstellen mit seinen Klienten, wenn sie sich auf ihn einlassen, diese Übereinkunft. Die Gültigkeit der Aussagen bezieht sich auf den rituellen Rahmen in den wenigen Augenblicken. Außerhalb dieses Rahmens könnte alles ganz anders sein.
Meine große Sorge bezieht sich auf die Wirkung solcher Versuche, ordnungsgebundene Hypothesen als “Wahrheit" für die Klienten hin zu stellen. Denn diese unerwünschten “Nebenwirkungen", die mit einem so personenbezogenen Konzept, wenn andere es anwenden, mit geliefert werden, können den Blick auf die menschliche Evolution, die viele Lebensordnungen bereitstellt, beeinträchtigen. Daher sehe ich in den Familienaufstellungen nach Hellinger keine Weiterentwicklung aus der Tradition der Familienrekonstruktion (da ist mehr und weniger möglich), sondern eine Verengung, welche die Freiheitsgrade von Klienten und Therapeuten reduziert. Ich wende mich nicht gegen “Ordnungen der Liebe" als Arbeitshypothesen, sondern sehe die Gefahr, daß dadurch die unendliche Vielfalt des Lebens auf einen Zusammenhang zurückgeführt wird.
Haja Molter
Lochnerstraße 9
50674 Köln"
http://www.sgipt.org/kritik/helling/molter.htm
"Beinahe alles, was existiert, läßt sich über Strukturen in Raum, Zeit und Energie beschreiben. Die unterschiedlichen Richtungen der Familientherapie und der sich seit den frühen achtziger Jahren entwickelnden systemischen Therapie bieten für lebensgeschichtliche Zusammenhänge Beschreibungsmodelle an, die sich zwischen Gesetz und Zufall, Strukturzwang und Freiheit, Ordnung und Chaos ansiedeln.
Ich führe hier eine Unterscheidung zwischen familientherapeutischen und systemischen Ansätzen ein, da ich davon ausgehe, daß man hier Unterschiede machen kann, die einen Unterschied machen. Anlaß ist für mich die Rezeption der Familientherapie B. Hellingers, dessen “mystisch inspirierte Variante" (Süddeutsche Zeitung) in der Fachwelt heftig umstritten ist. Ich bin mir bewußt, daß es besonders wichtig ist, bei dieser Diskussion Augen - und Mundmaß zu bewahren.
Unter dem Begriff systemisch kann vieles gefaßt werden. Die erkenntnistheoretischen Prämissen (Kybernetik 2. Ordnung, Autopoiese, Konstruktivismus oder sozialer Konstruktionismus) sind auf die Sichtweisen Hellingers nicht anzuwenden. Er steht in der Tradition von Familienordnungen (Boszmeny - Nagy, Stierlin, Sperling u. a.). Alles wird auf das Mehrgenerationen - Konzept Familie als einzig möglichem System bezogen, d.h. andere Beschreibungen oder Konzepte wie z. B. Problem- und
Lösungssystem oder Narrative sind ausgeschlossen. Wahrscheinlich würde dem Hellinger sogar zustimmen.
G. Weber (1993) hat in “Zweierlei Glück" Hellingers Vorgehen als systemische
Familientherapie bezeichnet. Für mich ein semantischer Irrtum. Das Aufstellen von Familiensystemen muß nicht automatisch systemisch sein. Hellinger selbst sieht sich als Phänomenologen, der die von ihm postulierten “Ordnungen der Liebe" deskriptiv - intuitiv in den von ihm gestellten Aufstellungen erschließt. Seine Formel lautet, das ist
so, weil es sich so zeigt. Ich habe Hellinger selbst bei Aufstellungsarbeiten erlebt und mir umfangreiche Videoaufzeichnungen seiner Arbeit angesehen. Das, wovon Hellinger sagt, das ist so, weil es sich so zeigt, könnte auch anders beschrieben werden, falls man auf eine vorgegebene unumstößliche Ordnung (“Verordnungen" der Liebe) verzichtet. Es zeigt sich so, weil die Interpretations- oder Hypothesenfreiheit eingeschränkt ist. Damit will ich sagen, daß die Fragen, die man aufgrund angenommener vorgegebener Ordnungen beim Aufstellen von Familienkonstellationen an die Protagonisten richtet, sehr hilfreich sein können. Die Antworten jedoch können auch anders ausfallen, als es das Ordnungskonzept Hellingers vorgibt.
Wenn man z. B. annimmt, daß bestimmte Familienmitglieder Gefühle ausgeblendet haben, spricht man damit nur eine von vielen Möglichkeiten an, man suggeriert, daß damals etwas nicht im Sinne der vorgegebenen Ordnung bewältigt wurde. Der Verstoß gegen die Ordnung zwei oder drei Generationen vorher - wie sieht es mit den Generationen vor diesen Generationen aus - wird für die aktuellen Probleme (mit) verantwortlich gemacht. Eine durchaus ehrenwerte Vorstellung.
Hypothesen, wofür das damals eine Lösung war, was damit unter Umständen sogar unter Schmerzen auch kreativ bewältigt wurde, wie die Zeitläufte manche familiären Verhaltensweisen mit gestalteten, fallen unter den Tisch. Dabei sind systemische Hypothesen nicht als Nullsummenromantik zu verstehen, sondern als Angebote, die den Handlungsspielraum erweitern können. Relativ bedeutet in diesem Zusammenhang eben nicht, das ist doch egal, alles ist möglich, sondern, daß das zu beschreibende Geschehen in Relation zu vielem stehen kann.
Um ein Symptom als Ausdruck von Liebe und Zugehörigkeit zu einem Familiensystem zu verstehen, muß man sich nicht unbedingt auf Hellingers Ordnungskonzepte beziehen. Aber selbst eine so wohlwollende Konnotation würdigt nicht die ambivalenten Tendenzen, die sich in Kompromißbildungen, wofür Symptome auch stehen können, manchmal zeigen. Man könnte sie auch als Versuche begreifen, sich vom Familiensystem zu befreien oder als Möglichkeit, beide Seiten zu leben. Damit würde man schon drei Optionen bereitstellen.
Hellinger versucht sich mit einigen Setzungen, die er als selbstverständlich für seine Arbeit ansieht, einer kritischen Diskussion und Würdigung zu entziehen. “Die Neugier ist eine Mißachtung der anderen Person, und so wie ich selbst keine neugierigen Fragen stelle, erlaube ich auch keine neugierigen Fragen an mich." (“Ordnungen der Liebe" S.519) Peng! So kann jede Frage wie ein Bumerang auf den Fragesteller zurückschnellen.: “Setz dich, das hat keine Kraft. Oder: “Du bist noch nicht reif für die Arbeit mit mir."
Hellinger, bei dem Person und Werk zu einer Einheit verschmelzen, restauriert mit “Ordnungen der Liebe" patriarchalische Sichtweisen. “Die Frau folge dem Mann". Ich vermute, daß, wenn man sich in der Aufstellungsarbeit auf Hellinger beruft, die Gefahr besteht, daß der patriarchalisch - klerikale Muff mit transportiert wird. Ich räume ein, daß solche Sichtweisen immer noch außerordentlich beliebt sind. Wundere mich aber, wie offenbar ohne jeden Widerstand und Bürgermut, Kolleginnen und Kollegen das Vorgehen Hellingers auch dann preisen, wenn auf subtile Art und Weise die Versuche von Frauen und Männern, andere Beziehungsformen als die seinen “Ordnungen" entsprechenden zu leben, verurteilt werden.
“Wenn ein Mann dich beständig mißachtet, dir Vorwürfe macht, ohne sich um dich zu kümmern, und immer bereit ist, dir üble Worte zu sagen - du wirst ihn verlassen, und wäre es dein Vater." (SPRICHWÖRTER DER TWAREG S. 186) Dieses kleine Beispiel beweist nichts, doch es zeigt, daß in anderen Kulturen das Verlassen einer “Ordnung" als erwachsen gelten kann.
Hellinger vollzieht das Stellen von Familien nach rituellen Mustern. Rituale kann man als Übergangsformen zwischen analoger und digitaler Kommunikation betrachten, die das zu übermittelnde Material beim Stellen von Familienkonstellationen aus der Familiengeschichte vorgibt. Durch ihre repetetive und stilisierte Weise vermitteln sie auch das Symbolische aus dem Dazwischen. Rituale sind bestimmt durch einen regelgebundenen Ablauf, Wiederholbarkeit und zeitliche Begrenzung. Im Ritual liegen gleichnishaft viele Ausdrucksmöglichkeiten, und doch ist das Ritual eindeutig, wenn es von den Beteiligten als gemeinsame Kommunikationsform anerkannt wird. So wie ich es sehe, erreicht Hellinger beim Aufstellen mit seinen Klienten, wenn sie sich auf ihn einlassen, diese Übereinkunft. Die Gültigkeit der Aussagen bezieht sich auf den rituellen Rahmen in den wenigen Augenblicken. Außerhalb dieses Rahmens könnte alles ganz anders sein.
Meine große Sorge bezieht sich auf die Wirkung solcher Versuche, ordnungsgebundene Hypothesen als “Wahrheit" für die Klienten hin zu stellen. Denn diese unerwünschten “Nebenwirkungen", die mit einem so personenbezogenen Konzept, wenn andere es anwenden, mit geliefert werden, können den Blick auf die menschliche Evolution, die viele Lebensordnungen bereitstellt, beeinträchtigen. Daher sehe ich in den Familienaufstellungen nach Hellinger keine Weiterentwicklung aus der Tradition der Familienrekonstruktion (da ist mehr und weniger möglich), sondern eine Verengung, welche die Freiheitsgrade von Klienten und Therapeuten reduziert. Ich wende mich nicht gegen “Ordnungen der Liebe" als Arbeitshypothesen, sondern sehe die Gefahr, daß dadurch die unendliche Vielfalt des Lebens auf einen Zusammenhang zurückgeführt wird.
Haja Molter
Lochnerstraße 9
50674 Köln"