Hallo Condemn,
das freut mich, dass mein Beitrag bei dir auf diese Resonanz stößt.
Wenn ich das richtig sehe, dann hatte ich dich also einigermaßen verstanden. Du hast jetzt aber auch noch einmal eine Vergleiche formuliert, die ich auch sehr stimmig fand. Du hattest - eher zum Schluss - zum Beispiel geschrieben, dass ich den Prozess eher "in der Zeit", also ungefähr biographisch, wie ein Mensch in die Gesellschaft hineinsozialisiert wird, beschreibe, du es eher "außerhalb der Zeit" beschrieben hast.
Ja... wir sehen es nicht wirklich unterschiedlich. Man könnte eher sagen, es gibt verschiedene Möglichkeiten einen Prozess zeitlich zu beschreiben und zu unterteilen, der im Grunde von "außerhalb der Zeit" kommt, innerhalb der Zeit wirkt.
Dann hast du noch geschrieben:
Die Stufe der Annahme ist aber auch schon verbunden mit einer starken Bewusstheit.
Ja, das sehe ich genauso. Vielleicht wäre es dann sogar noch besser, vier Prozesse zu unterscheiden

( Du hattest ja auch geschrieben "Man könnte es sogar noch weiter unterteilen")
1. Der Prozess des Übespielens, der Rolle, des NIcht-Aufmerksamseins auf die tieferen Gefühle, der Identifikation
2. Der Prozess des Aufmerksamwerdens, das Spüren des Schmerzes, das Spüren der Ambivalenz zwischen Rollenspiel und innerem Widerstand gegen das Spielen.
3. Der Prozess der Annahme.
4. Der Prozess der Nicht-Identifizierung.
Tatsächlich kann man sehr häufig auch alle vier Prozesse mehr oder weniger parallel bei sich beobachten. beispielsweise reagiere ich hier in einer Rolle, merke es vielleicht nicht, rege mich dann auf, identifiziere mich mit Worten und merke dann: "Aha, ich fühle mich angegriffen"

Dann wird bewusst, dass zuvor eine unbewusste Rolle gespielt wurde, die sich mit etwas identifizierte. So lange der Mensch "in" der Identität agiert, ist die Identitätsstruktur, die das innere Leiden oder Überlegenheitsgefühl schafft, nicht als solches bewusst, obwohl man vielleicht sogar zwanghaft oder auch (latent) aggressiv oder manisch-selbstbezogen handelt. Die Identifizierung ist so stark, dass, egal was man inhaltlich sagt, sie REAL erscheint.
Die Aufmerksamkeit AUF DIESE IDentifizierung lässt diese dann allmählich bröckeln.
Mit der Aufmerksamkeit auf das Muster ist dann aber noch nicht die Annahme gewährleistet. Das hast du gerade schön beschrieben, wie ich finde.
In einer extremen Situation ist auch das eine Überforderung. Meistens kommt es erst über einen gewissen Zeitraum zu Annahme. [...]
Man könnte sagen Annahme ist das "sein lassen" können der Wirkung...
Und dann gibt es den vierten Prozess, dass ein Mensch gar nicht erst Identifizierungen konstituiert. Der Körper und Geist ist durchlässig, "Geschenke von anderen" werden als "Angriffe" nicht angenommen, der Geist ist beseelt von einer Gelassenheit und von tiefem inneren Frieden.
Der Zustand der Annahme ist dann gleichzeitig auch ein Zustand des Verstehens, sogar des "Eins-Seins". Das ist dann Liebe in spiritueller Hinsicht.
Ja, zuvor war mir das noch gar nicht so aufgefallen, aber du hattest dies schon im vorigen Beiträg ähnlich geschrieben. Das, was du unter "Verstehen" verstehst, das vestehe ich sehr ähnlich
Verstehen ist die Basis um annehmen zu können. Annahme öffnet erst für Verständnis.
Ja, Du hast da schon Recht. Was aber etwas kompliziert ist, sind die 2 Perspektiven. Aus der Sicht des Kindes, macht es selbst den Unterschied. Es kann sich öffnen oder nicht. Der Erwachsene und das Kind sind nicht zu trennen, die Frage wer Ursache von aufrichtiger Offenheit (Liebe) ist, oder "Dichtmachen/bleiben" ist nicht erkennbar. Auch hier bedingt sich beides. Und man kann nicht unbedingt sagen, dass der Erwachsene Ursache einer inneren Heilung des Kindes ist. Aus der Perspektive des Kindes ist entspricht er eher einem Ausdruck des inneren "sich selbst gebens" das sich einen Weg sucht.
Also hier denke ich schon, dass man zunächst einen Primat des Erwachsenen sehen kann. Je jünger das Kind/Baby ist, desto mehr, scheint es mir. Wenn die Mutter das Kind überhaupt nicht liebt und nicht feinfühlig ist, dann wird das Kind von Anbeginn verletzt und verschlossen sein.
Vollkommen einseitig ist es wahrscheinlich aber nur in derartigen Extremfällen. Es kann natürlich sein, dass der Erwachsene schon relativ offen und liebevoll ist, aber das Kind auch sehr, sehr sensibel ist und die Liebe für es nicht ausreicht und es sich deshalb verschließt. Es kann auch sein, dass der Erwachsene ganz normal liebvoll ist, aber das Kind relativ robust ist und damit einigermaßen klar kommt. Das Temperament und die Konstitution des Kindes machen schon etwas aus. Ja.
Geht es Dir um die Fähigkeit einen Schmerz auszudrücken, oder tatsächlich um das Ausdrücken als Aktion als "Vorbedingung" für Annahme?
DAs ist wieder eine interessante Frage. Eigentlich geht es nur um den Ausdruck, der aber gar nicht notwendig zu einer Handlung führen muss, sondern auch rein verbal oder geistig stattfinden könnte.
Die Sache ist nur die, dass manche Ereignisse so sehr verdrängt wurden und dennoch so intensiv sind, dass man manchmal, um an den gesamten Punkt heran zu kommen, die ganze Wut, den ganzen Hass, die ganze Enttäuschung etc. in einer Handlung ausdrücken muss. Dass sie aber immer noch in einem Rahmen "gespielt" ist, zeigt sich aber dann daran, dass man nicht zu der Person fährt und sie umbringt oder schlägt, dass man sie nicht anruft, ihr den Brief nicht schreibt, etc. . So lange es noch in dieser Weise "gespielt" wird, ist auch Aufmerksamkeit auf dem Muster. Wenn ich jedoch wutentbrandt zu dem Menschen hinfahre und ihn umhaue, dann bin ich ja vollkommen idntifiziert mit dem Muster und bin nicht wirklich aufmerksam darauf. In einer gewissen Weise deutet sich hier ja auch schon eine Annahme an.
Generell meine ich aber nicht notwendig eine solche Handlung, es reicht auch ein Tagebucheintrag, eine Geste, ein geistiger Akt, sofern dieser unmittelbar ist und das Gefühl zum Ausdruck bringt.
Weil ich denke, dass es unnötig ist einen Schmerz auszudrücken. Es schadet vielleicht nicht, aber es bringt auch nicht unbedingt etwas. Das Entscheidende ist wie bewusst man tut was man tut oder läßt.
Da stimme ich dir zu, aber dennoch besteht meiner Ansicht nach immer die Gefahr, dass man den Schmerz mit einem Muster wieder erneut unterdrückt. Ich hatte das schon eimal mit einem Freund, der bei mir war und seine Freundin hatte ihn mehrmals betrogen, auch geschlagen etc. aber er konnte ihr einfach nicht böse sein, konnte nicht wütend sein, hatte unendlich viel Liebeskummer und hatte das Gefühl, zu ihr zurück zu müssen, gleichzeitig sagte er mir aber auch, dass er versteht, dass er zu ihr nicht zurückgehen kann und darf, dass er ihr aber irgendwie nicht böse sein kann. Ich hatte ihm dann vorgeschlagen, all die Wut in sich aufkommen zu lassen und in meinem Zimmer auf mein Bett einzuschlagen, um die Wut herauszulassen. Tatsächlich konnte er es aber nicht wirklich. Er konnte ihr nicht böse sein, konnte keine Wut und keinen Abstand zu ihr gewinnen und rannte ihr noch Tage und Wochen hinterher. (Bei ihm ist es auch so, dass der Vater in der Familie sehr oft sehr aggressiv ist und er dieses Verhalten des Vaters immer entschuldigt. Er hat hier seit seiner frühsten Kindheit immer die Rolle desjenigen gespielt, der an sich die Aggressionen erträgt, der aber selbst nicht wütend werden darf.)
In solchen Fällen reicht es wirklich nicht aus, einfach nur zu "erkennen", scheint es mir. Hier kann es wirklich ein unglaublich großer Schritt sein, wenn dann irgendwann endlich Wut gefühlt werden kann.
Jemand der seine Wohnung zerlegt, weil er gefeuert wurde, drückt Schmerz aus, je nachdem wie unbewusst, und wenn jemand so handelt ist es in der Regel sehr unbewusst, hat das mit Annahme wenig zu tun. Es kommt ja auch etwas auf den Willen an. Und bis zu einem gewissen Punkt des Verstehens will man das ja nicht mal. Man will ja auch jemandem von dem man glaubt er habe einem Leid zugefügt nicht vergeben, selbst wenn irgendwas in einem sagt, das wäre der Schlüssel um nicht mehr zu leiden.
Ja, wie gesagt, es ging mir nicht um das blinde Ausagieren, denn dies würde ja die Identifikation nur noch mehr verstärken. Es geht um ein Aufsteigen lassen, um einen Ausdruck, so dass hiernach eine Annahme geschehen kann.
Ja, ich halte das Zeugenbewusstsein auch wirklich für das Wichtigste. Auch da wo es noch nicht voll ausgebildet ist, kommt es trotzdem auch für Momente mal durch wenn sich jemand zur Bewusstheit erzieht. Oder auch in Extremsituationen... Da geschieht es automatisch und teilweise auch im Extrem. Und ohne das, geht im Bereich der "inneren Heilung" meiner Ansicht nach gar nichts. Was wiederum nicht bedeutet dass die anderen Unterteilungen nicht ihren Zweck erfüllen. Sie sind Schritte darauf zu. Aber die Heilung selbst geschieht erst wenn etwas sozusagen mit "reinem Bewusstsein" in Kontakt gebracht wird. Das Loslassen geschieht dann auch automatisch, bzw. das nicht-weiter-erzeugen von Schmerz. Und ihn auszudrücken kann definitiv helfen, man kann das sogar als Methode verwenden, und ich denke es hat auch ein bisschen damit zu tun für wie wichtig man es erachtet, also individuellen Glauben daran. Unbedingt notwendig ist es nicht. Das ist ja sehr oft auch eine Eigenschaft eines "Erleuchteten". Es tauchen im Bewusstsein durchaus noch Gedanken auf, die Wünschen entsprechen oder Angst oder was auch immer... Aber das tiefe Gewahrsein identifiziert sich nicht damit. Angst ist daher nichts was zu Leid führt, weil sie sozusagen "nicht echt" ist, Wünschen wird nicht nachgegangen, weil sie für einen Erleuchteten nicht mehr Bedingung sind um Glück zu erfahren.
Also einerseits kann ich dir hier voll zustimmen, andererseits möchte ich hier wieder auch meine Perspektive einbringen. Ich glaube auch, dass es absolut wünschenswert wäre, wenn die Psychotherapeuten alle sehr bewusst, spirituell und meditativ leben würden. Tatsächlich ist das aber oft nicht der Fall, zahlreiche Therapeuten tragen auch noch selbst tiefe Probleme in sich. Dennoch ist das einfach der Status Quo dieser Gesellschaft. Menschen, die sehr verletzt sind, machen dann eine Therapie und einige Probleme werden gelöst, manches wird auch nicht gelöst. Wir sind in der Regel in der Evolution noch nicht da angekommen, dass wir uns gegenseitig vollkommen heilen.
Mir scheint auch, dass besonders auf der Seite des Therapeuten das Zeugenbewusstsein sowie Liebe sehr, sehr wichtig wären, damit der "klient" die Verarbeitungs- und Heilungsstufen durchlaufen kann. Tatsächlich ist es aber eben so, dass man in Unruhe, Ungelassenheit, Identifikation und mit festen Mustern startet. Und die unterschiedlichen Prozesse laufen dann auch mehr oder weniger parallel ab, scheint es mir.
Liebe Grüße,
Energeia