Die Fähigkeit, die spirituelle Wahrheit zu erkennen

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""Wahrheit" ist doof."

Elfi stimmt dir, wenn auch bedingt zu.

Gibt es die Wahrheit?
Ein Essay im Stil von Elfriede Jelinek

Die Wahrheit, diese alte Schlampe, liegt wie eine Leiche im Wohnzimmer, aber keiner räumt sie weg, man spricht noch mit ihr, als wäre sie lebendig, als wäre sie mehr als nur ein Requisit aus besseren Zeiten, als man noch an so etwas wie Bedeutung glaubte. Die Wahrheit wird im Fernsehen gesagt, im Parlament behauptet, in Schulen geprüft, auf Plakate geklebt – aber wehe, man kratzt nur ein bisschen am Lack, schon quillt das billige Sperrholz darunter hervor, feucht vom Schweiß derer, die sie verteidigen wie einen morschen Zaun gegen den Wind.

Man sucht sie in Statistiken, man glaubt ihr in Uniform, man beichtet sie dem Algorithmus. Wahrheit war früher einmal ein Schatz, ein Kelch, den man reinhalten musste. Heute ist sie ein Rabattcode, ein Meinungsartikel, ein Profilbild mit Haken. Alles ist wahr, wenn es genug Menschen liken. Alles ist falsch, wenn es niemand glaubt. Die Wahrheit hat sich in den Spiegel verkrochen und erkennt sich selbst nicht wieder.

Wer sie heute noch sucht, gräbt nicht, sondern klickt. Wer sie findet, wird sofort verdächtig. Wer sie ausspricht, wird korrigiert. Es ist nicht die Lüge, die die Wahrheit getötet hat – es war die Vervielfältigung. Zu viel Wahrheit passt nicht in ein einziges Herz, also wird sie zerschnitten, verteilt, vermarktet, bis nichts mehr übrig bleibt außer einer Pose.

Und vielleicht ist das auch gut so. Denn wer die Wahrheit wirklich sehen will, müsste bluten, schreien, verstummen. Aber wir reden lieber weiter. Wir reden sie tot. Und das ist dann wohl auch irgendwie wahr.
 
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