| 06.02.06 | http://focus.msn.de/hps/fol/newsausgabe/newsausgabe.htm?id=24557
Der durch den Karikaturen-Streit entflammte Flächenbrand hat das neuralgische Gebiet der französischen Innenpolitik erreicht:
Die Rechtsextremen haben Zuwachs wie nie. Bereits jeder fünfte Franzose sympathisiert nach Umfragen mit der Front National.
Die unangenehme Wahrheit der Meinungsforscher.
Von FOCUS-Korrespondent Manfred Weber, Paris
Meinungsforscher sind meist von gänzlich unpolitischer Nüchternheit. Auch deshalb werden viele Umfragen, die Politiker in Auftrag gaben, nie veröffentlicht. In Frankreich, dem Land mit der größten moslemischen Gemeinde Europas, gibt es derzeit ein solches Umfrageergebnis, das in ganz Europa stören könnte.
Das Pariser Institut Ifop ermittelte, dass die Sympathiewerte des Parteiführers der rechtsextremen Front National (FN), Jean-Marie Le Pen, mittlerweile bei 22 Prozent angekommen sind. Jeder fünfte Franzose neigt also dazu, die rechtsextreme Front National zu wählen (im Vergleich zu bereits beunruhigenden zwölf bis 15 Prozent bei vorhergehenden Wahlen).
Overkill an schlechten Nachrichten
Die Interpretation des Ergebnisses lässt kaum diplomatische Floskeln zu: Die Franzosen leiden unter einem Overkill an schlechten Nachrichten: Zuerst die Vorstadtunruhen, dann der Sieg der Hamas, der Atomkonflikt mit dem Iran und nun der gewalttätige Streit um die Mohammed-Karikaturen. Alles Problemlagen, die die verunsicherten Franzosen in die Arme der Rechtsradikalen mit ihren schlichten Wahrheiten treiben.
Die Rechtsextremen profitieren aber auch von einer Art selbst auferlegtem Maulkorb der etablierten Parteien im Umgang mit Islam-Themen, sagt Stéphane Rozès vom Institut CSA. Und zwar auch aus Angst, der Islamophobie bezichtigt zu werden.
Westliche Demokratien in der Falle
Sein Kollege Frédéric Dabie vom Iftop-Institut bringt das Problem auf einen anderen wenig debattierbaren Punkt: Der Zulauf der rechtsradikalen Front National ist unabhängig davon, was über die Islamisten-Probleme geredet wird sondern wie viel darüber geredet wird.
Einen Ausweg aus der Falle, in der die Politiker der westlichen Demokratien stecken, können die Meinungsforscher kaum weisen: Mit jedem Tag, an dem über fundamentalistische Auswüchse geredet wird, steige vielmehr die Gefahr, dass auch der Normalbürger Ressentiments gegen den Islam im Allgemeinen entwickle, meint Brice Teinturier vom Meinungsforschungsinstitut TNS-Sofres: Je hysterischer das Thema behandelt wird, desto größer wird diese Gefahr.