Leid und Schuld
Warum wird beim Leiden immer von Schuld gesprochen?
Schuld woran?
Gute Frage, denn sie bäumt sich auf, geht hoch auf die Palme! So heißt die erste Menschheitsrepräsentantin Thamar "Die hochragende Palme"!
Sinnliche Schau
Isst man Süßigkeiten und wird fett, kann man die Schuld bei sich sehen, sich nicht gemäßigt zu haben. Aber es kann ja auch die Körperlichkeit sein, die den Mangel aufweist, damit nicht zurechtzukommen. Jedenfalls lässt sich hier ein Zusammenhang erkennen, worauf es uns ankommt.
Ganz anders wird es, wenn z.B. Embryos schon im Mutterbauch mit schlimmen Krankheiten oder Entstellungen behaftet und geboren werden und damit leben müssen, sofern ihnen nicht irgendwie geholfen werden kann und sofern sie es überleben. Die sinnliche Schau mag eine Vererbung in den Genen liegend sehen, aber das stellt sich nicht der Frage: Wieso gerade dieser kleine, völlig unschuldige Mensch? Wieso erhält dieser etwas Krankhaftes von seinen Eltern vererbt? - Die sinnliche Schau verlässt uns mit der Beantwortung solch moralischer Fragen.
Übersinnliche Schau
Aus unserer heutigen Sicht, die nicht ins Übersinnliche schauen kann, ist es nicht so einfach nachvollziehbar, wie die Problematik mit der Süßigkeit, wieso solches durch eine Schuld des Embryos oder des soeben Geborenen als Folge hätte sein können, denn es hätte ja noch gar nicht die Möglichkeit gehabt, etwas Schlimmes getan zu haben, wodurch dies die Folge hätte sein können. Anthroposophie lehrt, erst die übersinnliche Schau erkenne die Ursachen, die in Karma und Reinkarnation lägen, was nicht nur buddhistisch, sondern ebenso christlich sei, denn es sei ein kosmisches Weltengesetz, das alle angehe, ob es bewusster Bestandteil der betreffenden religiösen Auffassung sei oder ob nicht. Das Kirchenchristentum habe es nicht aufgenommen.
Persönliche und überpersönliche Schuld
Betrachtet man meine Erörterung zum Abstieg des Menschen (Beitrag 417), so kann die Last, die zum Abstieg führt, sinnbildlich an den Schultern gesehen werden - man beachte die Wortverwandtschaft Schuld und Schulter. Die Last drückt quasi von oben auf die breite, horizontale Fläche der Schultern den ganzen Menschen nach unten. Diese Schultern sind überpersönliche Repräsentanten für die Schultern der Menschheit als ein Ganzes.
Das spricht also die Menschheit als ein Ganzes an, aber nicht den individuellen Menschen, wie etwa beim Embryo oder bei jedem von uns.
Anthroposophie lehrt, es müsse unterschieden werden zwischen persönlicher und überpersönlicher Schuld. Der Christus sei am Kreuz gestorben, um so mit Hilfe der Leiblichkeit des Jesu ins Reich des Todes eingehen zu können. Er habe erst so dort seinen Einfluss geltend machen können, was aber nur für das Überpersönliche gelte, was biblisch als „Weltensünde“ bezeichnet würde, aber eben nicht für die persönliche, hier müsse jeder Heller (ganz persönlich) zurückgezahlt werden, um erst so aus dem Gefängnis (der Abstieg zur Verhärtung ist damit gemeint) kommen zu können.