Begleitung Sterbender

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sanhei

Guest
Ich möchte diesen Thread gerne eröffnen, weil ich den Eindruck gewonnen habe, dass hier doch der eine oder andere Bedarf bestehen könnte. Ich denke, er gehört zum Leben-nach-dem-Tod-Thema, weil sich hier der Übergang vollzieht, der für den Zustand, in dem man "auf der anderen Seite" (von was auch immer) ankommt, mMn von entscheidender Bedeutung ist.

Ich wüde vorschlagen, dass die Leutchen, die praktisch oder theoretisch Erfahrung mit dem Thema haben, ihre Vorschläge hier posten, so dass sich diejenigen, die sich vielleicht früher oder später mit einem Sterbenden und dessen Betreuung auseinander setzen müssen, hier mit Tipps und Ratschlägen bedienen können.

Dann fange ich mal an.

TEIL 1


Erstens: Die zu beteuende Person äußert, dass sie demnächst sterben wird.

Falsche Reaktion: "Rede keinen Unsinn, so schnell stirbt man nicht. Du wirst sehen, es wird schon wieder."

Richtig: "Glaubst du/glauben Sie? Möchtest du/möchten Sie darüber sprechen?"

Erfahrungsgemäß ist das der Punkt, an dem ein Sterbender über seinen Tod reden WILL. Bitte nicht abblocken. Sonst fühlt sich der zu Betreuende in seiner Not allein gelassen - und Du bringst Dich um eine erstaunliche Erfahrung. Sterbende wissen sehr viele erstaunliche Dinge. Höre ihnen zu.
 
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Zweitens: Die Person ist eindeutig präfinal. Sie beginnt, sich körperlich zu verändern (Arme u. Beine werden kalt u. marmorieren, sie ist nicht mehr ansprechbar, ggfs. zentrales Fieber, Schnappatmung etc.).

Falsch: Sich über den Sterbenden zur werfen mit Worten wie etwa: "Du darfst nicht sterben, das lasse ich nicht zu. Du kannst mich doch jetzt nicht alleine lassen!"

Richtig: Es der Person so bequem wie möglich machen. Schmerzen reduzieren, auf Bedürfnissignale achten (z.B. Lippenlecken bei trockenem Mund, Röcheln bei verschleimten Bronchien etc.) und Mangel beseitigen. Ruhig mit dem Patienten reden, ihm auch ruhig sagen, dass er gehen darf. Seine Hände halten, ihn evtl. in den Arm nehmen (Achtung: Niemals den Kopf auf den Magen legen oder über die Haare streicheln. Berührungen an diesen Stellen werden meistens, ich weiss nicht warum, als unangenehm empfunden). Musik laufen lassen, die er mag. Evtl. seinen Lieblingsduft in einer Aromalampe verdampfen lassen. (Räuchern ist hier nicht angebracht; bei Patienten mit Atemnot verstärkt sich das Problem). Atemnot-Patienten kann man auch damit Erleichterung verschaffen, das man sie aufrichtet, sich hinter sie setzt, sie fest in den Arm nimmt und ihnen laut in die Ohren atmet. Sie nehmen den Atemrhytmus auf und beruhigen sich (warum das so ist, weiß ich nicht. Es ist halt so).
 
Patienten im Präfinalstadium sind sehr nach innen fixiert, aber sie bekommen dennoch mit, was um sie herum abläuft. Inwiefern es sich hier um bewusstes Verstehen handelt oder nur um instinktive Reaktionen, entzieht sich meiner Kenntnis, aber: Sie spüren die Verzweiflung der Umstehenden, die Vorwürfe, die man ihnen macht. Manchmal beginnen sie daraufhin noch einmal zu kämpfen und verlängern unnötig ihre Agonie. Deshalb: Die eigene Trauer/Angst mal zurückstellen. Sie hat am Sterbebett nichts zu suchen und kann später ausgelebt werden.

Drittens: Agonie ist hässlich. Die Patienten ringen nach Luft, oft bewegen sich die Hände fahrig über die Bettdecke, scheinen nach etwas zu tasten. Sie strengen sich an - und sehen auch danach aus -, d.h. die Lippen sind fest zusammengepresst, die Stirne gerunzelt, das Gesicht angespannt oder sogar verzerrt. Der Patient versteift sich, wirft sich (solange er noch kann) im Bett hin und her; bei zentralem Fieber kann es auch zu Zuckungen oder Krämpfen kommen.

Falsche Reaktion: "Um Gottes willen, tut doch etwas. Kann denn hier niemand etwas machen?" meint: Den Patienten mit Drogen volldröhnen, damit er endlich still liegt und der Anblick nicht mehr so entsetzich ist.
 
Richtige Reaktion: Zähne zusammenbeißen - und durch. Wenn wir mal ganz ehrlich sind, beobachten wir hier einen natürlichen Vorgang, wie auch die Geburt einer ist - der, nebenbei bemerkt mit all ihren Schmerzensschreien, ihrem Blut und Schleim und manchmal sogar Exkrementen für den, der daneben steht auch nicht gerade prickelnd aussieht. Dennoch käme keiner auf die Idee, bei einer Geburt auszuflippen. Warum also am Totenbett - weil WIR ein Problem mit dem Thema Tod haben?

Was Drogen betrifft: Wir wissen nicht, was sie im Gehirn eines Sterbenden anrichten können. Wo es geht, darauf verzichten. Vermutlich ist es in diesem Moment nur für UNS schlimm, dass wir das mit ansehen müssen. Aber für uns haben wir später immer noch Zeit genug - entweder, um uns auf die Schultern zu klopfen, oder aber um uns zu bemitleiden, dass wir das "mit ansehen mussten".
 
Viertens und letztens: Der Patient ist soeben verstorben.

Falsche Reaktion: Decke übers Gesicht und Bestattungsdienst anrufen.

Richtig: Patienten streicheln, mit ihm reden, ihn waschen, umziehen, kämmen. Wir wissen nicht, wie lange Bewusstsein im Gehirn noch präsent ist und auf positive Außenreize antwortet. Und: Außer im Umgang mit Exkrementen oder Blut möglichst auf Gummihandschuhe verzichten. Viele Laien fürchten sich vor "Leichengift", einem durch die Stoffwechsellprozesse der an der Verwesung beteiligten Bakterien entstehendes Gift. Aber: SOOO schnell schießen die Preußen nun auch wieder nicht. Ebenso wie die Leichenstarre kommt das erst Stunden später.
Merke: Eine geliebte Person verwandelt sich nicht automatisch in etwas Giftiges, bloß weil sie gerade gestorben ist.

So - das war's von mir. Bin gespannt, ob noch was - und welche - Tipps zu diesem Thema kommen.
 
An Sanhei
Eines darf man nicht vergessen. Auch die Hinterbliebenen brauchen Hilfe. Es gehen einem viele Gedanken durch den Kopf, einige waren dabei, für die ich mich noch heute schäme. Und es bleiben viele Fragen, die man selbst nicht beantworten kann. Es kommen viele www(was wäre wenn) auf Einen zu. Man kann letztendlich damit nur leben, wenn man akzeptiert, daß es so ist, daß man so gehandelt hat, weil man es für richtig hielt und Antworten auf die Fragen im irdischen Leben nicht möglich sind.
Es grüßt herzlichst Frido
PS: Das ist ein Beispiel aus eigener Erfahrung, andere werden den Trennungsschmerz fast nicht verkraften u.s.w. Aber ich denke, daß auch viele Hinterbliebene "Sterbehilfe" brauchen. Ich hoffe, daß Du diesen Aspekt in Deinen Überlegungen einbaust.
 
Original geschrieben von frido
[Aber ich denke, daß auch viele Hinterbliebene "Sterbehilfe" brauchen. Ich hoffe, daß Du diesen Aspekt in Deinen Überlegungen einbaust. [/B]

Nein. Siehst du - schon habe ich wieder was dazugelernt *freu*. Ich habe mich allein auf den Sterbenden konzentriert, auf die "Nachsorge" für die Hinterbliebenen aber dabei vergessen.

Das ist das Schöne an so einem Forum - ab und an wird man aus dem Trott gebracht und gezwungen, einen neuen Blickwinkel einzunehmen...

:winken5: Ein schönes Wochenende wünscht Dir
sanhei
 
Hallo Sanhei,

ich freue mich sehr dass du diesem Thema geöffnet hast.

Der Tod ist etwas die jeder von uns irgendwann erlebt und dass ist sicher. In viele Kulturen ist dass selbstverständlich und es wird offen darüber geredet. In unsere Kultur ist es leider eher ein Tabu Thema auf der Motto "Wenn ich nicht darüber rede wird es vielleicht nicht passieren".

Du hast welche sehr nützlichen Hinweise auf die praktische, körperliche Aspekten gegeben. Ich gehe davon aus dass du beruflichen oder als Freiwilliger mit Sterbegleitung eigenen Erfahrungen gemacht hast.

Parallel dazu laufen auch Dinge auf eine spirituelle Ebene ab. Welche Erfahrungen hast du in diese Richtung die du uns mitteilen kannst?

Liebe Grüße, John:winken5: :)
 
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leider verstehe ich Deine Frage nicht.

Was meinst Du mit: auf der spirituellen Ebene?! Ich konnte die Menschen, bei deren Sterben ich anwesend war, immer nur bis vor das Tor begleiten. Was sie dahinter erwartete, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Ob sich dahinter eine spirituelle Ebene verbirgt und wie die aussehen mag... wer weiß es?

Falls Du wissen möchtest, ob sich bei MIR etwas verändert hat: Ja. Ich weise die Möglichkeit eines nachtodlichen Lebens nicht mehr so strikt von der Hand wie zuvor (sh. hierzu auch meine Kommentare im Thread "Leben nach dem Tod? Unsinn"). Leider ist aber die These, dass es weitergeht, ebenso unbewiesen wie die, dass es eben nicht weitergeht. Und so lange etwas nicht zweifelsfrei, eindeutig und unumstößlich bewiesen ist, bleiben Glauben oder Nichtglauben Emessenssache dessen, der sich damit beschäftigt.

Meine größte Befürchtung in dieser Richtung? Dazu gibt es eine schöne Geschichte. Bei Interesse: Hier der Link

http://www.webstories.cc/stories/story.php?p_id=2448&p_kat=9&p_area=neu

Liebe Grüsse
sanhei

:winken5:
 
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