Julian Jaynes
Die bikamerale Psyche Das Entstehen des Bewusstseins geht nach Jaynes mit dem Zusammenbruch des von ihm so genannten bikameralen Geistes einher.
Die Menschen in der vorhomerischen Zeit hatten, und das ist die zweite Hauptthese von Jaynes, einen "Zwei-Kammer-Geist", einen ausführenden und einen befehlenden, beide nicht-bewusst. In Krisenzeiten, wenn eine Situation eine Entscheidung erforderte, "halluzinierte" der ausführende Geist die Stimme von Göttern, die ihm sagte, was zu tun sei.
Die Entstehung der bikameralen Zivilisation setzt Jaynes in die Zeit der Entstehung der ersten Städte, um das Jahr 9000 v. Chr. Zivilisation, sagt Jaynes, ist die "Kunst in Städten zu leben, in denen nicht jeder jeden kennt".
Für das Funktionieren dieser Gesellschaften, seien die halluzinierten Stimmen von Königen und/oder Göttern notwendig gewesen.
Der umfangreichste Teil des Buches versucht historische Belege für diese zweite These zu liefern.
Die Krise, die durch das Verschwinden der Götter (möglicherweise mit hervorgerufen durch das Aufkommen von Schrift) hervorgerufen wurde, mündete darin, dass die Menschen ein Bewusstsein entwickelten.
Das Bewusstsein hat evolutionstheoretisch gesehen Vorteile.
Die Fähigkeit der Narratisation etwa bedeutet, dass Rachegelüste nur in der bewussten
Vorstellung ausgelebt werden, oder auf später verschoben werden können, wenn die Umstände günstiger sind.
Das Bewusstsein ist aber kein Entwicklungsschritt der Evolution, sondern eine kulturelle Leistung. Ein heutiges Kind, das in Ägypten vor 3000 Jahren aufwüchse, würde einen bikameralen Geist entwickeln und umgekehrt.
Konsequenzen
Ohne die Fähigkeit zu eigenen und eigenständigen Überlegungen und Reflexionen insbesondere auf sich selbst sollen nämlich
Menschen mit einer bikameralen Geistesstruktur auch innere Erlebnisse wie etwa Spontanerinnerungen oder Einfälle so erlebt haben, wie wir Erlebnisse in der Außenwelt um uns herum gewöhnlich erleben: genauso getrennt oder fremd und vor allem, wie Jaynes unterstellt, ebenso deutlich und klar wie diese. Akustische Erinnerungen oder Einfälle wären danach beispielsweise wie halluzinatorisch klare "innere Stimmen" wahrgenommen worden, die vielleicht wie kommentierend oder befehlend erlebt worden sein könnten.
Auch für das Reagieren und Verhalten von Menschen auf dieser
vorreflexiven Entwicklungsstufe ergeben sich nach Jaynes Konsequenzen: ohne die Fähigkeit zu bewussten Überlegungen und Entscheidungen wäre ihnen nur ein Spontanreagieren auf der Grundlage präformierter, also angeborener Reflexe oder durch Prägungslernen zustande gekommener Gewohnheiten möglich gewesen, beispielsweise ein emotionales Ergriffen- und Beeindrucktsein von derartigen Stimmen und gleichsam automatenhaftes Reagieren auf sie, denkbar etwa als Erinnerung an eine Anleitung oder Aufforderung von anderen, insbesondere Respektpersonen oder deren spätere Überhöhung zu verehrten Ahnen, Übermenschen oder Göttern, die wie von außen zu sprechen schienen.