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Nahatkami
Guest
Das Land war grün und weich, soweit es sich erstreckte. Es war bewachsen von Moos, überall. Selbst die säulenartigen Gebilde, die sich in die Höhe streckten wie Bäume, waren umgeben von dem grünen Flaum wie erstarrte leblose Formen bildeten sie Tore, Durchgänge, kleine Höhlen, Pfeiler. Eine warme freundliche gelbe Sonne beschien dieses Land und durchleuchtete die Mooswälder.
Es gab keine Weg hier. Zumindest keine, die ein einfacher Mensch hätte erkennen können. Die Wege befanden sich nicht auf dem Boden, sondern wurden am Tag gezeichnet durch die Sonne, nachts von den Sternen. Ein warmer schwacher Wind wehte, ein Lufthauch nur, eine leichte, sanfte Bewegung, ein Streicheln. Am grünblauen Himmel konnte man gelegentlich große weiße Vögel beobachten, manchmal auch kleinere, schwarze. Sie umkreisten friedlich dieses Land, denn hier gab es kein weiteres Leben. Dennoch war dieses Land nicht unbewohnt, es hatte sogar einen Namen. Es war das Land der Heiligen. Es gab acht an ihrer Zahl. Nie gab es mehr, nie gab es weniger. So war es schon immer und so würde es auch bis in alle Ewigkeiten bleiben. Das sagte ja schon die Acht, die Zahl der Unendlichkeit.
Der jüngste der acht Heiligen bildete immer einen Schüler aus. War diese Ausbildung beendet, wurde der Schüler in das letzte Geheimnis der Mooswelt eingeweiht. Dazu war es notwendig, das alle Einsiedler sich trafen, was alle hundert Jahre geschah, denn solange dauerte die Ausbildung eines Schülers. Nun war es wieder an der Zeit.
Wo werden wir hingehen? fragte Drokas, der einzige derzeitige Schüler im Heiligenland.
Sein Lehrer Nehenb sagte nichts, lachte nur vergnügt in seinen Bart, denn seit ungefähr fünfzig Jahren hatte er seinen Schüler nicht mehr so aufgeregt und aus sich selbst gestürzt erlebt. Doch schließlich sprach er doch.
Ich werde diese Frage nicht beantworten, denn du wirst es schon selbst sehen. Ich habe dich Geduld gelehrt, also sei geduldig.
Drokas zuckte leicht zusammen bei diesen Worten, als hätte sein Meister ihn geschlagen. Dieser wandte sich ab und konnte ein weiteres Grinsen nicht unterdrücken. Auch er war ungeduldig, denn auch für ihn war es hundert Jahre her, das er seine letzte Reise getan hatte. Auch er war ungeduldig und schaffte es kaum, dies vor seinem Schüler zu verbergen. Welch schlechtes Vorbild wäre ich, würde ich wie ein kleiner Junge umherspringen und Purzelbäume schlagen, dachte er. Nein, vor seinem Schüler durfte er sich eine solch gelöste Haltung nicht erlauben. Er strich sich durch seinen rabenschwarzen langen Bart und mahnte sich selbst zur Geduld und Ruhe. Der letze Schritt seines Schülers war noch nicht getan, er war noch nicht vollkommen gefestigt und all das Wissen, all die Übungen von hundert langen Jahren konnten noch zerbrechen. Er mußte seinen Schützling auch durch diese letzte Prüfung führen Und er wäre kein guter Lehrer, sollte er darin versagen. Was danach kam...
Er drehte sich wieder um und seine grünen Augen blitzten als sie in die grauen seines Gegenübers fielen.
Wir werden an einen Ort gehen, den du sehr gut kennst, an welchen du dich aber nicht erinnerst.
Drokas senkte seinen Blick. Wo ich schon einmal war? Wann soll das gewesen sein? Seit hundert Jahren habe ich nichts anderes gesehen, als diesen Mooswald... Und davor? Ich weiß nicht, was davor war, gestand er schließlich zögernd. Ich war noch ein kleiner Junge...
Richtig. Nehenb wiegte belustigt seinen Kopf. Ein ungeduldiger kleiner Wildfang, der mich so manches mal zum verzweifeln brachte.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß überhaupt irgendetwas dich annähernd zum Zweifeln bringen würde, geschweige zum verzweifeln.
Wenn du wüßtest, dachte Nehenb und lachte innerlich als er längst vergangene Bilder vor sich sah. Schnell schnürte er sein Bündel zusammen und warf es sich über die Schulter.
Drokas, bist du soweit? fragte er ernst und feierlich.
Sein Schüler nickte und griff ebenfalls nach seinem Bündel.
Bist du dir sicher? fragte Nehenb noch einmal.
Ja. Drokas Augen leuchteten tief.
Nehenb verbeugte sich in die Richtung der Wohnstätte, ein Gebilde aus locker verwobenen Moosstäben, in dessen Inneres die Sonne Lichtflecken zauberte und wo es behaglich dunkelgrün schimmerte.
Drokas tat es ihm nach, mit der inneren Gewißheit, daß er es an dieser Stelle zum letzten Mal tun würde, das dies sein zu Hause gewesen war und er woanders neu beginnen müßte. Alleine... Ein undefinierbarer, fremder Schauer überlief ihn, dann wandte er sich um und folgte Nehenb, welcher bereits durch den Mooswald stapfte.
Obwohl selbst hier alles grün und moosbewachsen war, fühlte sich Drokas wie in einer fremden Welt. Die Moospolster schienen ihm heller zu strahlen, feuchter zu sein. Die Säulen des Waldes erschienen ihm so fremd und unbekannt, das er sich nicht sattsehen konnte an ihnen. Wieder und wieder berührte er die ihm so sonderbar erscheinenden Formen, strich über das Moos und blickte in den Himmel, wo die Sonne ein anderes Gesicht zu haben schien. Drokas wollte es nicht glauben, daß die Welt so anders sein konnte, obwohl sie doch überall aus der gleichen Erde bestand, vom selben Wind geküßt wurde. Ohne das es ihm bewußt geworden wäre, hatte er sich in ein staunendes Kind verwandelt, was Nehenb still beobachtete. Er saß abseits auf einem moosbewachsenen Stein und gab seinem Schützling Zeit. Für ihn selbst war es nicht das erste mal. Er reiste zum zweiten mal mit Drokas auf diesem Weg. Nur erinnerte sich Drokas nicht, denn Drokas war damals, vor hundert Jahren, ein Kleinkind und er selbst elendig zerfressen von Gefühlen. Nehenb wollte nicht darüber nachdenken und Drokas durfte sich nicht verlieren.
Es ist spät. Wir sollten etwas essen bevor die Sonne untergegangen ist.
Drokas zuckte zusammen als er eine Hand auf seiner Schulter spürte und wurde aus seinen Tagträumen gerissen. Du hast recht, sagte er dann nur und hielt nach den kleinen Hügeln Ausschau, die verrieten, das sich Wasserholzwurzelknollen darunter verbargen. Dort begann er vorsichtig das Moos abzuschaben und zu graben. Er befreite sechs der Knollen aus der Erde, schloß die Löcher und legte das Moos wieder darüber, so daß die Stelle unberührt erschien.
Archka Mu, sagte er dann und verneigte sich leicht.
Schweigend aßen Nehenb und Drokas die Früchte und beobachteten den Untergang der Sonne, der dem Mooswald einen kupfergoldenen Glanz verlieh. Beide spürten die kommende Veränderung in ihrem Leben ohne das jemand etwas genaueres darüber hätte sagen können. Der Tag hatte sie müde gemacht, nicht die körperliche Anstrengung des Laufens, denn die waren sie gewöhnt. Müde hatte sie das Ungewohnte gemacht, das Ungewisse, was wie ein Geheimnis in ihnen keimte.
Schweigend begrüßten sie das erste Sternenband, dann legten sie sich hin. Warm fühlte sich das Moos unter ihren Gesichtern an, vertraut roch die Erde und der Wind streichelte tröstend ihre Haut.
... Das Wesen hatte seine Verwandlung gespürt und wußte, daß wieder einmal hundert Jahre vorüber waren. Hundert Jahre hatte es an diesem Ort verbracht und gelernt. Nun war der Tag nahe, der Tag seiner achten Zusammenkunft mit den restlichen sieben Heiligen. Es war gespannt auf den Schüler, seine eigene Einweihung lag schon so lange zurück, so lange... Es war immer interessant, den Jüngsten zu sehen, ihn zu beobachten. Denn der Jüngste war die wichtigste Person. Die, die den Kreis schließen und öffnen würde. Das gefährliche war, daß die jüngste Person nie die eigene Wichtigkeit erahnte. Und das machte die Zusammenkunft spannend. Diesmal würde es das Wesen treffen, die Verwandlung hatte begonnen, es konnte nicht mehr lange dauern. Lächelnd blickte es mit blinden, achthundert Jahre alten Augen auf den heiligen Ort, den es den letzten Zyklus gepflegt, behütet und bewahrt hatte. Und es sah alles...
...
Es gab keine Weg hier. Zumindest keine, die ein einfacher Mensch hätte erkennen können. Die Wege befanden sich nicht auf dem Boden, sondern wurden am Tag gezeichnet durch die Sonne, nachts von den Sternen. Ein warmer schwacher Wind wehte, ein Lufthauch nur, eine leichte, sanfte Bewegung, ein Streicheln. Am grünblauen Himmel konnte man gelegentlich große weiße Vögel beobachten, manchmal auch kleinere, schwarze. Sie umkreisten friedlich dieses Land, denn hier gab es kein weiteres Leben. Dennoch war dieses Land nicht unbewohnt, es hatte sogar einen Namen. Es war das Land der Heiligen. Es gab acht an ihrer Zahl. Nie gab es mehr, nie gab es weniger. So war es schon immer und so würde es auch bis in alle Ewigkeiten bleiben. Das sagte ja schon die Acht, die Zahl der Unendlichkeit.
Der jüngste der acht Heiligen bildete immer einen Schüler aus. War diese Ausbildung beendet, wurde der Schüler in das letzte Geheimnis der Mooswelt eingeweiht. Dazu war es notwendig, das alle Einsiedler sich trafen, was alle hundert Jahre geschah, denn solange dauerte die Ausbildung eines Schülers. Nun war es wieder an der Zeit.
Wo werden wir hingehen? fragte Drokas, der einzige derzeitige Schüler im Heiligenland.
Sein Lehrer Nehenb sagte nichts, lachte nur vergnügt in seinen Bart, denn seit ungefähr fünfzig Jahren hatte er seinen Schüler nicht mehr so aufgeregt und aus sich selbst gestürzt erlebt. Doch schließlich sprach er doch.
Ich werde diese Frage nicht beantworten, denn du wirst es schon selbst sehen. Ich habe dich Geduld gelehrt, also sei geduldig.
Drokas zuckte leicht zusammen bei diesen Worten, als hätte sein Meister ihn geschlagen. Dieser wandte sich ab und konnte ein weiteres Grinsen nicht unterdrücken. Auch er war ungeduldig, denn auch für ihn war es hundert Jahre her, das er seine letzte Reise getan hatte. Auch er war ungeduldig und schaffte es kaum, dies vor seinem Schüler zu verbergen. Welch schlechtes Vorbild wäre ich, würde ich wie ein kleiner Junge umherspringen und Purzelbäume schlagen, dachte er. Nein, vor seinem Schüler durfte er sich eine solch gelöste Haltung nicht erlauben. Er strich sich durch seinen rabenschwarzen langen Bart und mahnte sich selbst zur Geduld und Ruhe. Der letze Schritt seines Schülers war noch nicht getan, er war noch nicht vollkommen gefestigt und all das Wissen, all die Übungen von hundert langen Jahren konnten noch zerbrechen. Er mußte seinen Schützling auch durch diese letzte Prüfung führen Und er wäre kein guter Lehrer, sollte er darin versagen. Was danach kam...
Er drehte sich wieder um und seine grünen Augen blitzten als sie in die grauen seines Gegenübers fielen.
Wir werden an einen Ort gehen, den du sehr gut kennst, an welchen du dich aber nicht erinnerst.
Drokas senkte seinen Blick. Wo ich schon einmal war? Wann soll das gewesen sein? Seit hundert Jahren habe ich nichts anderes gesehen, als diesen Mooswald... Und davor? Ich weiß nicht, was davor war, gestand er schließlich zögernd. Ich war noch ein kleiner Junge...
Richtig. Nehenb wiegte belustigt seinen Kopf. Ein ungeduldiger kleiner Wildfang, der mich so manches mal zum verzweifeln brachte.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß überhaupt irgendetwas dich annähernd zum Zweifeln bringen würde, geschweige zum verzweifeln.
Wenn du wüßtest, dachte Nehenb und lachte innerlich als er längst vergangene Bilder vor sich sah. Schnell schnürte er sein Bündel zusammen und warf es sich über die Schulter.
Drokas, bist du soweit? fragte er ernst und feierlich.
Sein Schüler nickte und griff ebenfalls nach seinem Bündel.
Bist du dir sicher? fragte Nehenb noch einmal.
Ja. Drokas Augen leuchteten tief.
Nehenb verbeugte sich in die Richtung der Wohnstätte, ein Gebilde aus locker verwobenen Moosstäben, in dessen Inneres die Sonne Lichtflecken zauberte und wo es behaglich dunkelgrün schimmerte.
Drokas tat es ihm nach, mit der inneren Gewißheit, daß er es an dieser Stelle zum letzten Mal tun würde, das dies sein zu Hause gewesen war und er woanders neu beginnen müßte. Alleine... Ein undefinierbarer, fremder Schauer überlief ihn, dann wandte er sich um und folgte Nehenb, welcher bereits durch den Mooswald stapfte.
Obwohl selbst hier alles grün und moosbewachsen war, fühlte sich Drokas wie in einer fremden Welt. Die Moospolster schienen ihm heller zu strahlen, feuchter zu sein. Die Säulen des Waldes erschienen ihm so fremd und unbekannt, das er sich nicht sattsehen konnte an ihnen. Wieder und wieder berührte er die ihm so sonderbar erscheinenden Formen, strich über das Moos und blickte in den Himmel, wo die Sonne ein anderes Gesicht zu haben schien. Drokas wollte es nicht glauben, daß die Welt so anders sein konnte, obwohl sie doch überall aus der gleichen Erde bestand, vom selben Wind geküßt wurde. Ohne das es ihm bewußt geworden wäre, hatte er sich in ein staunendes Kind verwandelt, was Nehenb still beobachtete. Er saß abseits auf einem moosbewachsenen Stein und gab seinem Schützling Zeit. Für ihn selbst war es nicht das erste mal. Er reiste zum zweiten mal mit Drokas auf diesem Weg. Nur erinnerte sich Drokas nicht, denn Drokas war damals, vor hundert Jahren, ein Kleinkind und er selbst elendig zerfressen von Gefühlen. Nehenb wollte nicht darüber nachdenken und Drokas durfte sich nicht verlieren.
Es ist spät. Wir sollten etwas essen bevor die Sonne untergegangen ist.
Drokas zuckte zusammen als er eine Hand auf seiner Schulter spürte und wurde aus seinen Tagträumen gerissen. Du hast recht, sagte er dann nur und hielt nach den kleinen Hügeln Ausschau, die verrieten, das sich Wasserholzwurzelknollen darunter verbargen. Dort begann er vorsichtig das Moos abzuschaben und zu graben. Er befreite sechs der Knollen aus der Erde, schloß die Löcher und legte das Moos wieder darüber, so daß die Stelle unberührt erschien.
Archka Mu, sagte er dann und verneigte sich leicht.
Schweigend aßen Nehenb und Drokas die Früchte und beobachteten den Untergang der Sonne, der dem Mooswald einen kupfergoldenen Glanz verlieh. Beide spürten die kommende Veränderung in ihrem Leben ohne das jemand etwas genaueres darüber hätte sagen können. Der Tag hatte sie müde gemacht, nicht die körperliche Anstrengung des Laufens, denn die waren sie gewöhnt. Müde hatte sie das Ungewohnte gemacht, das Ungewisse, was wie ein Geheimnis in ihnen keimte.
Schweigend begrüßten sie das erste Sternenband, dann legten sie sich hin. Warm fühlte sich das Moos unter ihren Gesichtern an, vertraut roch die Erde und der Wind streichelte tröstend ihre Haut.
... Das Wesen hatte seine Verwandlung gespürt und wußte, daß wieder einmal hundert Jahre vorüber waren. Hundert Jahre hatte es an diesem Ort verbracht und gelernt. Nun war der Tag nahe, der Tag seiner achten Zusammenkunft mit den restlichen sieben Heiligen. Es war gespannt auf den Schüler, seine eigene Einweihung lag schon so lange zurück, so lange... Es war immer interessant, den Jüngsten zu sehen, ihn zu beobachten. Denn der Jüngste war die wichtigste Person. Die, die den Kreis schließen und öffnen würde. Das gefährliche war, daß die jüngste Person nie die eigene Wichtigkeit erahnte. Und das machte die Zusammenkunft spannend. Diesmal würde es das Wesen treffen, die Verwandlung hatte begonnen, es konnte nicht mehr lange dauern. Lächelnd blickte es mit blinden, achthundert Jahre alten Augen auf den heiligen Ort, den es den letzten Zyklus gepflegt, behütet und bewahrt hatte. Und es sah alles...
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