Gebt ihnen Wurzeln und gebt ihnen Flügel

chocolade

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Kurz nach dem 14. Geburtstag meines ältesten Kindes stand plötzlich die Entscheidung an ihn im nächsten Schuljahr auf eine entferntere Schule zu schicken, wo er im Internat wohnen würde.

Einen grossen Schreck durchzuckte mein Mutterherz.
Hilfe...mein ältestes "Baby" verlässt das Nest.

Bildlich vorgestellt hab ich mir das so ähnlich wie ein "Miniatur-Hans im Glück", der mit viel Enthusiasmus das eine oder andere Abenteuer eingeht, aber in gewisser Weise doch scheitert.

Wo war nur die Zeit geblieben ?
Gestern noch im Sandkasten spielend und sein Rotznäschen an meinem T-Shirt abputzend...heute will er sich auf seine glänzende Ingenieur-Karriere von morgen vorbereiten.
Was tun ?
Würde er mir das verzeihen können wenn ich nein sagte nur weil ich selbst noch nicht bereit war den Erstgeborenen loszulassen ?
Er war innerlich so weit, das wusste ich, denn er war immer ein freiheitsliebender, unabhängiger, selbständiger, starkewillter Geist gewesen.
Mütter sind nun einmal dazu da sich grundsätzlich Sorgen zu machen, oder ?

Vom ersten Tag an lief alles wie geschmiert, so gut dass er vergass und anzurufen und wir nicht die geringste Ahnung hatten wann, wo und von welchem Schulbus wir ihn Freitag abend abholen sollten.
Er war viel zu beschäftig mit der neuen, grösseren Welt und den neuen Kumpels.

Eines Tages rief er mich an und sagte: "Maman...Heute bin ich Klassensprecher geworden." und ich wusste noch nicht einmal, dass er das vorhatte.
Letztes Wochenende erzählte er mir in seinem plötzlich erwachten Ehrgeiz, dass er wohl versuchen würde Klassenbester zu werden- etwas das ihm vorher nie wichtig erschien.

Nun, ich bin sprachlos über diese Entwicklung.
Bis zum Alter von 7-8 Jahren war dieses Kind völlig ausser Rand und Band, machte Dummheiten, die noch nicht einmal erfunden waren, liess sich von niemandem nix sagen...war wie ein kleines Raubtier.
Wir hatten die allergrössten Bedenken über sein zukünftiges Erwachsenenleben.
Kriminalität ? Drogen ?
Dann von einem Tag auf den anderen wurde er vernünftig, ruhiger und verantwortungsbewusster.
An vielen Tagen mehr als seine eigene Mutter.


Nun, was will ich damit sagen ?
Habt Vertrauen in eure Kinder, was auch immer passiert.
Gebt ihnen genug Liebe und Geborgenheit um Wurzeln schlagen zu können.
Wenn die Zeit der Unabhängigkeit gekommen ist dann lasst sie fliegen und wünscht ihnen viel Glück.

 
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Ein wunderschöner Text - danke - wenn ich nicht wüsste dass er von dir kommt würd ich es nicht glauben.

LGInti

Es gibt eben sehr komplexe Facetten im Leben.
Schön wenn man seine Bilder vom Leben und von Menschen immer wieder erneuern kann.
Das ist sympathisch und liebevoll.
(y)
 


Verdammt noch mal...ich wollte doch nur eine gute Mutter sein...

(hab das grösste Geschenk sogar schon ein paar Wochen vorher gegeben weil sie mich so gebeten haben)

Wessen Idee war das nun seinen Kindern ein Schlagzeug zu schenken ???
Konnte ja nicht ahnen dass es sooooooooooooooooooooooo laut werden würde.

Ohrenstöpsel uneffizient !
Und nun brüte ich darüber nach wie ich das Teil unauffällig entsorgen könnte...
Verbrennen geht nicht...
Einen Elephanten drauf fallen lassen ? Der Zirkus kommt erst nächstes Jahr wieder.

Alles besser machen wollte ich...bekam als Kind nie etwas geschenkt was mir echte Freude machte...nur praktische Dinge.
Mein Vater schenkte mir die Baukästen, die er selber als Kind nicht haben durfte oder Lexika und meine Mutter Nachthemden...Socken...Schulranzen...und zu allem Übel musste ich dafür auch noch Weihnachtslieder vorsingen und Gedichte aufsagen...

So schlimm, dann noch so zu tun als ob man sich freuen könnte...

Eines Tages kam ich auf eine geniale Idee...ich schnüffelte nach was ich wohl dieses Jahr zu Weihnachten bekommen würde...oh klar...wieder ein Baukasten...und dann tat ich was intelligente Kinder so machen...als meine Mutter mich fragte was ich mir dieses Mal wünschen würde...da sagte ich...natürlich- einen Baukasten.
So hätte ich zum ersten Mal das bekommen was ich mir gewünscht hätte.

Meine Mutter schaute in mein Gesicht und sah die Lüge...sie war nicht amüsiert.
Doch fragte ich mich all die Jahre warum sie meinen Vater nie dran gehindert hatte all die Baukästen zu kaufen...wenn das doch so eindeutig war und ich auch nie freiwillig damit spielte ?
Bis heute kenne ich die Antwort nicht.


Das Schlagzeug wird wohl bleiben müssen...schliesslich macht ihnen das sehr viel Spass.
Möglicherweise aber lasse ich mir zu Weihnachten eine lange Weltreise schenken.

 
Glaube dass wilde und mutige Kinder später eher einen Vorteil haben, zumindest wenn sie insgesamt eine gute Kindheit hatten.

Ich war mit 7-8 total gehorsam und bester Schüler in der Klasse. In Wirklichkeit hatte ich da natürlich auch schon große Probleme. War sehr ängstlich , habe mich erst in der dritten Klasse allein nach Hause getraut, obwohl der Weg nicht weit war und wurde in der Schule durchgehend gemobbt. Heute habe ich mit der Gesellschaft nicht mehr viel zu tun, keinen Job, keine Freundin, annähernd keine Freunde usw.

Und die einzige Wahl, die ich bisher "gewonnen" (zumindest habe ich zuletzt geführt) habe (sonst war ich in der Schule immer der , welcher als letztes einen Partner bekam (oder keinen) bei Gruppenarbeit), war die Wahl hier im Forum zum "Kanzler", nachdem ich einen reinen Satirewahlkampf gemacht habe. Schon ironisch :D

Insofern ja, ich denke, dass Kinder sich ausprobieren sollten und selbst finden müssen, sonst wird das später problematisch.

Daher Glückwunsch, hast wohl nicht so viel falsch gemacht. :)

LG PsiSnake

P.S: Geschenke waren bei meiner Mutter auch die reinste Katastrophe, hat irgendwelchen Billigkram gekauft, den niemand haben wollte, und sich selbst Schmuck für 700 DM damals. Insofern ist mir Weihnachten nach dem Tod meiner Oma praktisch egal geworden.
 
psi
Heute habe ich mit der Gesellschaft nicht mehr viel zu tun, keinen Job, keine Freundin, annähernd keine Freunde usw.
hört sich nach bitterer Erkenntnis an, oder hast du dich damit arrangiert? Es erstaunt mich, dass du da so offen und öffentlich dazu stehen kannst.

Schulisch und außerhäuslich ist es mir ähnlich ergangen wie dir. Zuhause war allerdings meine Burg, meine Geborgenheit, das war dann sehr hart dort auszuziehen und in die böse Welt hineinzugehen. Allerdings hab ich gelernt, für mich selber zu sorgen, auch arbeits/einkommens-mässig.

Als Vater hab ich dann versucht einen Balanceakt zwischen "sich behütet fühlen" und "zur Selbstständigkeit erziehen" hinzubekommen und ich denke es hat geklappt.

Wobei es natürlich auch da Enttäuschungen gab. Wir hatten uns in einem alten kleinen Resthof niedergelassen und im Garten stand ein alten kleines Hühnerhäuschen. Das fand ich besonders toll, als Hexenhäuschen oder Haus Kunterbunt für die Kinder. Ich baute da ewig mit den Kindern dran rum, bis alles sauber gestrichen und eingräumt war, aber die Kinder haben es nie genutzt. Entweder waren sie damals noch zu klein, oder es war tatsächlich auch so ein Wunsch von mir, den ich da auslebte?


LGInti
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich war mit 7-8 total gehorsam und bester Schüler in der Klasse. In Wirklichkeit hatte ich da natürlich auch schon große Probleme. War sehr ängstlich (habe mich erst in der dritten Klasse allein nach Hause getraut, obwohl der Weg nicht weit war und wurde in der Schule durchgehend gemobbt. Heute habe ich mit der Gesellschaft nicht mehr viel zu tun, keinen Job, keine Freundin, annähernd keine Freunde usw.
Kenne ich, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt. Ich war auch als Kind und Jugendlicher angepaßt bis zur seelischen Verstümmelung, hab einen Beruf ergriffen, den ich haßte, nur um zu gefallen (meine Eltern liebten es, mit einem Akademiker in der Familie anzugeben).
Erst viele Jahre später habe ich mich von Eltern, die einfach nicht loslasssen konnten, freigekämpft, meinen Beruf ergriffen, den ich immer wollte, und heute bin ich seelisch von einer ungebärdigen Wildheit, die der eines Tiers kaum nachsteht und vor der es meine Eltern gruseln würde.
Die Gesellschaft? Zum Teufel damit. Wer mit sich selbst im Reinen ist, weiß wer/was er ist, vielleicht sogar noch Tiere liebt und mit ihnen lebt, braucht sie nicht (außer als Geldqielle für einen allfälligen Job, um die Rechnungen zu bezahlen)...

Was Kinder angeht, nun ich habe keine, aber ich denke, sie brauchen eine feste Führung, die Vermittlung von Werten (wozu nicht das neuste Ei-Fon und andere Konsumgüter gehören) und irgend wann heißt es dann: Lebe dein eigenes Leben, ich habe dir, so gut ich konnte, den Start dafür mitgegeben...

LG
Grauer Wolf
 
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Hallo @Inti

Habe darüber ja früher schon öfter geschrieben, insofern macht diese Aussage keinen Unterschied.

Ansonsten, ich trainiere ja wieder, insofern ist es keine komplette "Kapitulation" (mehr). Ich würde auch nicht sagen wollen, dass ich mich damit abgefunden habe, aber insgesamt verhalte ich mich seit 2009 schon weitgehend so. Irgendwas zwischen Resignation, Arrangement und meinem üblichen Verhalten mich zurückzuziehen. Es existiert immer noch die Vorstellung wieder was zu probieren.

Aber wollte nur Chocolade komplimentieren (und nicht wiederholt über mich sprechen) bzw. damit auch erklären, dass es wichtig ist, wenn Kinder ihren eigenen Kopf haben (das habe ich schließlich noch hinbekommen) und sich selbst in der Welt finden. Letzteres gelang mir nämlich selbst in besten Zeiten (spätere Teenager-Zeit) nur ansatzweise.

LG PsiSnake
 
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