Das ist mir bekannt, dass demente Patienten so etwas tun. Über die Gründe dafür und ob da ein gewisser Lustgewinn (Rückschritt in die anale Phase) zu verzeichnen ist, dazu vermag ich mich nicht zu äußern.
Aber ich: es existiert kein Lustgewinn und irgendein Rückschritt in eine wie auch immer geartete kindliche Phase geschieht ebenfalls nicht.
Die Situation ist häufig ganz einfach die: Du liegst nachts im Dunkel oder auch im Halbdunkel, nachdem Du im Seniorenheim zumeist nach einem Tag, an dem Du weder körperlich noch sozial ausgelastet warst, gegen 19 Uhr ins Bett gesteckt wurdest. Daß Du dann einschläfst liegt daran, daß die Tagesstruktur keine individuellen Ruhezeiten vorsah, sondern es wurde um 8 geweckt, weil Du "dran" warst, hast dann bis 11:30 zumeist rumgesessen und bist auf dem Stuhl eingenickt, um dann wie jeder auf die Toilette gebracht zu werden, weil Du dran bist und nach dem Mittagessen keine Zeit dafür ist. Nach dem Mittagessen wirst Du ins Bett gesteckt oder sonstwo hingelegt, Du bist dann auch müde und schläfst. Um 14:30 wirst du geweckt, weil Du dran bist. Dann kriegst Du nach einem Toilettengang Kaffee und Kuchen verabreicht und wenn Du Glück hast wirst Du noch etwas beschäftigt. Spätestens um 18 Uhr gibt es Abendessen, Toilettengang, Bett. Das "muß" in einem Seniorenheim (vordergründig) so sein, weil ja erstens die Küchenmitarbeiter um 20 Uhr alles gespült haben müssen (Dienstschluß) und weil die Pflegemitarbeiter bis 21 Uhr (Dienstschluß) alle ins Bett gebracht haben müssen - bis auf die, die sich wehren können.
Notwendigerweise wachst Du dann um 2 Uhr auf, weil Du ausgeschlafen hast. Verlängerbar ist der Schlaf nur durch Medikamente. Es wird eine "Schlaf-Wach-Umkehr" diagnostiziert, die darauf beruht, daß Du tagsüber nicht beschäftigt wurdest und im Heim dazu verdonnert bist, von 19 Uhr abends bis morgens um 8 im Bett herum zu liegen und dort mental zu verwahrlosen und körperlich einzugehen wie eine Primel.
Du sitzt also um 2 Uhr nachts hellwach im Bett - schlimmstenfalls hat man Dir eine Sturzgefahr beim nächtlichen Aufstehen diagnostiziert und der Richter hat angeordnet, daß Dir ein Bettgitter hochgemacht wird. Freiheitsberaubung mit richterlicher Genehmigung also. Du sitzt da, entspannst mal da so im Unterbauch ohne es verstandesmässig zu bemerken und siehe da: da ist doch was da unter mir. Es ist warm und weich. Sehen kann ich nix, also fühl ich mal mit der Hand nach, was da ist.
Und dann: Entsetzen: ach herrje, das stinkt aber! Oder wenn Licht ist: da ist stinkendes Braun an meiner Hand. Wisch ich's also ab.
Problem: Du vergißt den Vorgang ud wiederholst ihn. Denn Du bist dement.
Fazit: KEIN EINZIGER ALTER MENSCH SPIELT MIT VERDAUUNG !
Sondern alte Menschen im Heim sind ganz einfach viel zu viel unbeaufsichtigt und müssen ihren Lebensrhythmus an hirnrissige Abläufe anpassen, die sie nicht fördern, sondern inaktivieren.
(und das ist keine Meinung, sondern das sind pflegewissenschaftliche Forschungsergebnisse.)
Auffallend hier im Faden ist aber, dass der Eindruck erweckt wird, dass die Patienten/Bewohner erst während Aufenthalt in der Senioren-Einrichtung gravierende Rückschritte machen, was mE etwas zu kurz gedacht ist und den Kern nicht trifft.
Doch, das trifft den Kern durchaus. Warum ist das so: die Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen mit Demenz verändert sich. Er ist bei Heimeinzug nach dem Ausschöpfen der Möglichkeiten der häuslichen Pflege nicht mehr in der Lage, die Vielzahl der Bewohner und Personalmenschen kennen zu lernen und sich sozial integriert zu fühlen. Auch die Räumlichkeit und den Umgang mit ihren Möglichkeiten kann ein Mensch mit einer Demenz spätestens ab dem Beginn des zweiten Stadiums der Krankheit nicht mehr erfassen. Es muß sich so ähnlich anfühlen als ob ein Mensch auf einem Alienplaneten sitzt und verwundert ist, was mit ihm passiert.
Die Folge ist: man wird passiv und zieht sich zurück. Man nennt das Regression, d.h. die Aufmerksamkeit wird nach Innen gelenkt und die Aktivität, die durch die Interaktion mit dem Aussen entsteht, verblasst. Und es ist nun mal so - man kann's jetzt glauben oder nicht: die grundsätzliche Tendenz zur Regression, die bei der Demenzerkrankung in jedem Stadium der Erkrankung existiert, wird durch die Struktur und die Organisation eines Altenheims massiv verstärkt. (wiederum ist dies keine Meinung, sondern ...)
Daher geht man eben auch in Deutschland hin und schafft Wohngruppen für Menschen mit Demenz, die zuhause nicht mehr betreut werden können. Es wohnen dort 8, 10, 12 Personen teilweise über Jahre hinweg zusammen. Sie sind umgeben von 8, 10, 12 Personen, die sie pflegen und betreuen in den unterschiedlichen Stadien der Erkrankung. Man steht auf, wenn man wach ist. Morgens sitzt man am gemeinsamen Tisch und bereitet das Frühstück vor. Man überlegt, was man kochen will. Man geht einkaufen. Man kocht. Man ißt. Man geht auf's Klo, wenn man halt muß (das ist von aussen durchaus beobachtbar, aber im Altenheim ist das fast unmöglich). Wenn man ruhen will, ruht man. Wenn man was machen will, macht man was. Und kann man nicht mehr wollen, so wird man so beschäftigt, daß man das eigene Leben und die eigenen Gewohnheiten fortführt, trotz Demenz. Beim Heimeinzug dagegen kannst Du dir die Fortführung der eigenen Gewohnheiten abschminken.
Ich habe neulich eine Umfrage mit Pflegeschülern gemacht: was denken Sie über die Möglichkeit, später einmal in einem Altenheim zu leben? Antworten: KEINE positive Einstellung dazu bei etwa 50 Befragten unterschiedlichen Alters. Top-Antwort 1: Bevor es soweit kommt bringe ich mich auf jeden Fall um. Dafür sorge ich. Top-Antwort 2: Im Altenheim erwarte ich körperliche und psychische Gewalt, die von Pflege- und Betreuungskräften an mir ausgeübt wird und Vernachlässigung meiner Grundbedürfnisse, von individuellen Bedürfnissen ganz zu schweigen. (und es ist meine aus Erfahrung geborene Meinung, daß das auch in über 95% aller Heime so der Fall ist. Übrigens haben die alle vom MDK geprüft eine 1,0 für die Qualität ihrer Leistungen unten am Eingang hängen....)
Kurze Geschichte noch: Dänemark in den 60ern: die Bevölkerung diskutiert: soll ein alter Mensch in einem Heim leben müssen, bloß weil er krank und pflegebedürftig ist? Antwort der Bevölkerung: auf keinen Fall. Ergebnis: Altenheime wurden samt und sonders abgeschafft zugunsten kleiner Wohngruppen, die in jedem Stadtteil zu finden sind. So geht's auch.
Letztlich hat sich doch weit vor dem Umzug in eine Einrichtung bereits abgezeichnet, wohin die Reise gehen wird und dann auch geht. Insofern fragte ich, ob die Thematik Verantwortung übernehmen wirklich erst an diesem Punkt (nicht mehr) relevant ist oder vorher je war?
Die Demenzerkrankung verläuft sehr individuell, so wie beinahe jede Erkrankung. (Im Grunde darf man gar nicht von "der Demenzerkrankung" sprechen, weil er sehr verschiedene Formen der Demenz mit sehr unterschiedlichen Symptomen und Verläufen gibt, aber das nur am Rand.) Was allen Formen der Erkrankung gemein ist, das ist der Abbau der im gesunden Leben vorhandenen kognitiven Fähigkeiten. Im ersten Stadium der Erkrankung, in dem der Mensch von seiner Erkrankung weiß, leidet der Mensch wie jeder Mensch, der an irgendeiner fortschreitenden Erkrankung leidet und davon weiß. Der Vorteil der Demenz ist, daß man vergißt, dement zu sein. Das heißt in demjenigen Moment, in dem der Mensch nicht mehr weiß, daß er krank ist, verliert er durch die Erkrankung auch nicht wissentlich Lebensqualität. Sondern für den Verlust seiner Lebensqualität ist ab diesem Zeitpunkt ausschließlich seine Umgebung verantwortlich.
Und daß wir als Gesellschaft diese Verantwortung leider wenigstens in Deutschland so gut wie überhaupt nicht tragen, und es an vielen Pflegeorten noch nicht einmal schaffen, ein satt und sauber herzustellen (ebenfalls gemessen durch Forschung), zeigt unser Verständnis vom alten Menschen mit Demenz und unseren mangelhaften Gestaltungswillen. Bzw. den der Politik.
Das ist ein riesiger Skandal, der da passiert. Wenn man weiß, daß das, was da in unserem "Gesundheitssystem" auf einen zukommt, mit einem passieren wird, dann ich gut verstehen, wenn man das nicht erleben will.
lg