Auch wenn wir alle determiniert wären, könnten wir doch allesamt nicht wirklich den jeweils anderen vorausberechnen, höchstens zu gewissen Annahmen und Wahrscheinlichkeiten greifen aufgrund von bisherigen Erfahrungswerten. Auch ein Wahnkranker beispielsweise ist nicht berechenbar, trotzdem ist dieser nicht willensfrei in einem psychotischen Schub.
Denn ist das wirklich noch Wahlfreiheit, wenn jemand aus einem primären oder sekundären Krankheitsgewinn heraus sich kompensierend in einen Wahn hineinwählt?
Solange besagter Krankheitsgewinn nicht durch Simulation erzielt wird, steht hinter einem solchen Krankheitsgewinn, der auf maladaptive Weise kompensiert, sehr viel Leidensdruck. Von Wahl und Willensfreiheit kann da meiner Ansicht nach nicht die Rede sein, ganz im Gegenteil von Determiniertheit, worunter die Betroffenen auch leiden. Sie verlieren ihre Identität und versuchen alles Mögliche, um wieder ein Ich zu werden. Allein schon die Folgen drängt sie in die Ausgrenzung und Isolation, woraus sie sich nur mit fachlicher und medikamentöser Hilfe langsam wieder herausarbeiten können.
Es ist in gewisser Weise eine unbewusste "Entscheidung", ohne wirklich die Wahlfreiheit für eine andere Reaktion auf die Umwelt zu haben. Das ist für mich keine Willensfreiheit, sondern eine aufgezwungene Reaktion auf ein krankmachendes System.
Wir können auch ein anderes Beispiel nehmen, z. B. die Psychosomatik, wo Menschen psychosomatische Symptome entwickeln in einer maladaptiven Ventilfunktion, durchaus als Gegenposition und Verweigerung gegenüber den Anforderungen der heutigen Leistungsgesellschaft. Aber es ist 1. keine bewusste Entscheidung und 2. keine Wahlentscheidung und damit 3. keine Willensfreiheit, sondern ein deterministisch-maladaptives Gegenverhalten aus Kausalitäten heraus, wie sie viele andere gleichermaßen unter denselben Umständen entwickeln unter psychobiosozialen Faktoren, die auf den Betroffenen einwirken und ihn in diesen primären oder sekundären Krankheitsgewinn hineintreiben, um sich zu schützen vor dem Raubbau und Druck, den sie nicht mehr aushalten.
Ich persönlich halte beide Faktoren (Determinismus und Willensfreiheit) für zutreffend. Das Radikale habe ich schon immer in jeder Beziehung abgelehnt. Nicht einmal die Liebe würde ich für bedingungslos halten. Selbstverantwortung finde ich wichtig, aber ich würde den Menschen niemals als autonom bezeichnen. Die Erde und auch die Tierwelt würde gut ohne Menschheit auskommen. Der Mensch scheint eher der Störfaktor zu sein im Naturgefüge. Trotzdem halte ich die Menschen in ihrer Individualität und Winzigkeit (in Relation zum Kosmos) für wertvoll, nur halte ich sie weder für wirklich eigenständig noch unabhängig von Kausalitäten, sodass der Determinismus wahrscheinlich eher 99,9% ausmacht und der Rest die kleine Wahlfreiheit ist, die aber wie der berühmte Schmetterlingsflügelschlag am anderen Ende der Welt für entscheidende Kausalitäten sorgen kann.
Ich sehe es so, dass die Wissenschaft im Grunde genommen nur die "äußeren" Erscheinungen untersucht und misst, was diese auch nicht bestreitet. Es ist jedoch ein Aspekt, der nicht einfach ausgeblendet werden sollte, wenn man den Betrachtungsgegenstand Mensch wirklich aus allen Blickwinkeln erforschen und erfassen möchte. Ich erkenne da nicht wirklich einen Gegensatz, es sei denn jemand hängt einem idealistischen Weltbild nach, das sich mit der heutigen Naturwissenschaft nur als wenig deckungsgleich vereinbaren lässt.
Nicht nur die Naturwissenschaft entwirft Modelle der Wirklichkeit, das machen alle, weil es nicht anders geht. Sogar empirische Erfahrungswerte werden in ihrer Hochrechnung zu Modellen und Thesen. Das lässt sich nicht umgehen. Die in der Psychologie gesammelte Phänomenologie beruht nicht nur auf Messung, sondern auf Symptomatiken. Da steckt schon viel Empirie drin, auch wenn das wissenschaftliche Weltbild es in versachlichter Form in Krankheitsmodellen defizitär begreift, dies aufgrund des Leidensdruck der Patienten, daran wird die Grenze zwischen Störung und reiner neutraler Akzentuierung gesetzt, was wiederum zeigt, dass schon der Mensch in seiner Erlebnisweise erfasst wird.
Aber auch in der Fachliteratur der Neurologie wird darauf hingewiesen, dass abweichende neurologische Erscheinungen, die auf gewisse Störungen (z. B. Zwänge) hinweisen, durch Psychotherapie weitestgehend normalisiert werden können. Auch da wird also dem inneren Erleben durchaus eine Wirkungsweise eingeräumt. Also ich persönlich halte die Wissenschaft für bereichernd, ich kann es auch gut mit meinem um andere Aspekte erweiterten philosophischen Weltbild (durchaus auch spirituell und nicht defizitär, es gibt immer mindesten zwei Seiten) verbinden.
Eine "radikale" Sichtweise, welche den Determinismus auschließt, ist nur eine gewünschte Fiktion, die mit dem Ziel der Autonomisierung gegenüber jeder Art der Uneigenständigkeit und Kausalität verfolgt wird. Für mich ist das ein nachvollziehbares, aber idealistisches Denken, eine Verweigerung und Rebellion dem realistisch Gegebenen gegenüber, das nun mal in ihrer Erfahrung selbst leider nicht wirklich so großartig willensfrei ist, wie es gewünscht wird. Kinder denken in ihrer "magischen" Phase so. Es geht um Macht.
Ich kann das gut nachvollziehen, da ich durchaus auch idealistische Tendenzen bei mir beobachtete (vor allem in meiner Jugend), doch haben sie sich allesamt als lebensuntauglich erwiesen. Ebenso schädlich halte ich jedoch auch ein rein defizitäres Denken. Ich persönlich kann von einer möglichst wertfrei realistischen, auf Empirie ausgerichteten, sachlichen und offenen Betrachtungsweise am meisten profitieren und dieses am ehesten umsetzen. Alles andere konnte sich nicht wirklich positiv durchsetzen in meiner Lebensführung. Ich lasse vieles offen und fühle mich deshalb nicht eingeengt. Es ist ja nicht so, dass ich die Willensfreiheit komplett ausschließe.
Eine bedingte Liebe z. B. muss aus meiner Sicht nicht Bedürftigkeit sein. Es ist nur so, dass auch die Liebe von Kausalitäten (z. B. gemeinsame Lebensgeschichte, Familienbindungen etc.) abhängt. Gerade diejenigen, welche von bedingungsloser Liebe sprechen, wirken auf mich am wenigsten liebevoll in entsprechenden Diskussionen aufgrund der schon fast fanatisch-fundamentalistischen Radikalität, wie Andersdenkende dabei ausgeschlossen werden. Derart Gläubige denken meistens auch hierarchisch im spirituellen Bereich. Natürlich sind sie bereits höher aufgestiegen, der "wahren Liebe" fähig. Für mich ist es lediglich ein romantisch verklärtes, unrealistisches Ideal.
In gewisser Weise ist die Wissenschaft auch fiktiv und idealistisch, weil die Wissenschaft eben nur die äußeren Erscheinungen modellhaft und in gesammelten Daten einfängt und verifiziert, dies aber sehr wohl weiß, denn genau darauf beruht wissenschaftliches Denken. Ich rede jetzt nicht von den "Wissenschaftsgläubigen", die sowieso einem meist veralteten Wissenschaftsbegriff hinterherlaufen und den wissenschaftlichen Gedanken nicht wirklich verstanden haben. Tendenziell gerinnen alle Thesen zu idealistischen Modellen, die es in der Form in der Realität nicht gibt, aber auch darüber ist sich die Wissenschaft bewusst (z. B. auch was die Krankheitsmodelle in der Psychologie betrifft).
Es kommt sehr auf das Krankheitsmodell an, wie sehr da die Logik noch greifen kann. Außerdem gibt es auch Krankheitsmodelle und Akzentuierungen und allgemein Persönlichkeitsprofile, wo gerade das rationale Denken selbst zum Symptom wird. Also auch darin sind wir letztlich alle mehr oder weniger determiniert in unserem Denken und Handeln. Weiter kommt eine Vielzahl von äußeren Faktoren hinzu, die einer logischen Willensfreiheit im Wege stehen und diese einschränken. Ich würde eher davon ausgehen, dass wir durchaus eine gewisse logische Willensfreiheit haben, dies jedoch in einem deterministisch eingeschränkten Rahmen von Geburt an, genauer: schon im Zeugungs- und Geburtsprozess.